Pater Hubertus Pauels
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GEMEINSCHAFT?

Was würde wohl St. Paulus, der Apostel der menschlichen Wirklichkeit sagen, wenn er unsere Zeit erlebte? Würde er wiederum das hohe Lied der Liebe singen oder wie im Römerbrief nur die schmerzlichen Worte stöhnen: „O ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich befreien von diesem Leibe des Todes?“ Die eine Tatsache steht jedenfalls fest, die der Papst klar formuliert: Wir befinden uns im Chaos des Untermenschlichen, in der Auflösung aller Ordnungen, im Widerstreit aller Kräfte. Es wäre banal, dies noch im Einzelnen beweisen zu wollen. Es genügt manchmal, nur fünf Minuten in einer Familie zu sein, um unversöhnlichste Gegensätze zu spüren. Ja es genügen nur drei Minuten Straßenbahnfahrt, um in die Spannung der Fahrgäste mit hineingezogen zu werden. Vielleicht kann man es am drastischsten erleben, wie das Spannungsverhältnis von Gemeinschaft und Einzelperson sich am peinlichsten auswirkt, wenn man sich die Besucher des Finanzamtes einmal ansieht.

Woher all diese Spannungen?

Zunächst vom einzelnen Menschen. Während der Phlegmatiker sich mit allem abfindet, sucht der Choleriker die Gemeinschaft zu vergewaltigen. Wie mancher dünkt sich im kleinen Kreise ein Napoleon, der nach Laune und Willkür seine Umgebung tyrannisiert. Habsucht und Neid sorgen ebenso dafür, dass es nicht allzu viele Glückliche gibt. In unserer Zeit scheint jedoch Ärger, Unlust und Nervosität die Menschen oft genug in gereizter Stimmung zu halten, so, dass der friedlichste Mensch der Gesellschaft sich in die Einsamkeit der Wüstenväter wünscht. Melancholische Naturen zerbrechen leicht an all diesen Spannungen. Man muss schon den Humor und das leichte Blut eines Sanguinikers haben, um sich unbeirrt seine Lebensfreude zu wahren.

Jedoch nicht allein der Einzelmensch ist an diesen Spannungen schuld, sondern in betrüblich vielen Fällen die Gemeinschaft selbst. Was den Staat betrifft, so spüren wir wohl nicht mehr den Druck eines totalitären Regimes, wie die östlichen Nachbarn, aber die internationale Verflechtung überantwortet uns unwiderruflich dem Wirtschaftszwang mit allen Folgen der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Um so mehr jedoch wirkt sich im Betrieb selbst die Macht des Konzerns aus. Vielleicht gibt es auch heute noch nicht wenige Familien und Schulen, wo die heranwachsende Jugend stärker den Zwang spürt, als es vor der Vernunft zu verantworten ist.

Nicht nur stammen die Spannungen von der inneren Unordnung, die durch die Sünde verursacht sind, sei es in der Gemeinschaft, sei es im Einzelnen. Gott selbst lässt diese Spannungen zu, um den Menschen zu prüfen und ihm eine größere Verdienstmöglichkeit für das Gnadenleben zu schaffen. Darum hielt Jesus einen Judas in seinem Apostelkollegium und schloss ihn nicht aus, trotz des Verrates. Darum gab er der Kirche zu seinem Stellvertreter einen Petrus, der für ihn selbst, vor allem während seines letzten Jahres, eine starke Belastung bedeutete.

Gott ruft aber auch Spannungen absichtlich hervor, um die ertragende, verstehende und opfernde Liebe umso stärker ins Licht treten zu lassen. So ließ er Josef längere Zeit in furchtbaren Zweifeln und Spannungen wegen der Gottesmutterschaft Mariens, als sie von Elisabeth nach Nazareth zurückkehrte.

Wie viel schmerzliche Spannungen kennt allein schon die Geschichte des letzten Jahrhunderts, wo Menschen, von besten Absichten erfüllt, einander bekämpften. Hier gilt das Wort: Gott schleift Diamanten mit Diamanten.

Trotzdem Gemeinschaft

Trotz dieser Spannungen müssen wir aber sagen: die Gemeinschaft ist notwendig. Schon auf der ersten Seite der Bibel lesen wir das Wort: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Und am Ende des Alten Testamentes warnt der Weise die kommenden Jahrhunderte: „Wehe dem, der allein ist!“

Die Einsamkeit macht den Menschen leicht zum Eigenbrödler und Sonderling, lässt wertvollste Anlagen nicht zur Entfaltung kommen, weckt leicht Überempfindlichkeit oder pathologische Depressionen. Wenn schon das Sprichwort gilt: „Im kleinen Kreise verengt sich der Sinn,“ wie viel mehr bei dem Menschen, der im engen Kreise seiner Einsamkeit um sich selbst zu kreisen beginnt.

Die Gemeinschaft macht erst den Menschen zum Menschen, ermöglicht das Ausreifen aller Keime und gibt seinem Leben erst Weite und Fülle. So hat der berühmte Weise der griechischen Welt recht, wenn er den Menschen im Unterschied vom Tiere einfach ein soziales Wesen nennt.

Anderseits müssen wir auch sagen: das Alleinsein ist notwendig. Die Einsamkeit bringt den Menschen zur Selbstbesinnung, macht sein Auge und sein Herz für das Geistige, vor allem für das Göttliche frei, gibt ihm ein Ohr für die innere Stimme und erschließt ihm die Tiefen seiner Seele. Wer spricht nicht dem Dichter von Dreizehnlinden das Wort nach:

Einsamkeit ist Seelennahrung.

In der Stille kommt dem Geiste

Rechte Geistesoffenbarung.

Wie manchen Menschen moderner Betriebsamkeit sah man staunend vor einer Trappistenabtei stehen und das Wort lesen. O selige Einsamkeit, o einsame Seligkeit!

Vernunft und Glaube

Was sollen wir also zur Lösung der Spannungen tun? Franz von Sales glaubt als Erstes Vernunft fordern zu müssen. Ein wenig Vernunft und praktischer Sinn reinigt von selbst die schwülste Atmosphäre. Wir sollen uns nur in die Lage des Anderen versetzen, um gerecht sein Verhalten beurteilen zu können, aber auch, um selbst in seinen Ansprüchen maßvoll zu sein.

Wo die Vernunft nicht genügt, tritt der Glaube mit dem herrlichen Christuswort ein: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Sogar ein Glas Wasser, das wir dem Anderen Gott zuliebe reichen, enthält überreichen Lohn.

Der Glaube erlebt seine größte Kraft, wenn er sich in der Liebe auswirkt. Das einzige Gesetz, das die Liebe kennt, ist das Wort Christi: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.“ Johannes soll später dieses Wort noch ergänzen: „Wie Christus sein Leben für uns abgelegt hat, soll auch jeder für seinen Bruder sein Leben schenken.“

Welche Schlussfolgerungen sollen wir aus all dem ziehen, was Gemeinschaft und Einzelpersonen an Spannungen tragen?

1. Sei Diener der Gemeinschaft, aber nicht ihr Sklave. Der Menschensohn ist zwar nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern, um zu dienen und sein Leben als Lösegeld hinzugeben für die Vielen. Aber die Gemeinschaft kann auch zuviel fordern. Lass dir die innere Freiheit nicht rauben, die Folgsamkeit gegen das innere Licht. Bewahre dir aber auch die Freiheit der Tat und des Opfers. Nicht nur möchte ich an das Wort des Heiligen Vaters erinnern, dass ein verbrecherischer Befehl den Einzelnen nicht von der Verantwortung entbindet, sondern auch an das Gesetz der Berufswahl: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.

2. Sei Seele der Gemeinschaft, nicht ihr Dämon. Wo du bist, soll ein Stück Gottesreich sein, nicht ein Stück Hölle oder Satansherrschaft voll Hader, Streit und Neid.

3. Sei Herz der Gemeinschaft, nicht ihr Parasit. Denke an das kostbare Christuswort, das die Urgemeinde mit besonderer Liebe gehütet: „An dir soll die Gemeinschaft nicht verbluten, sondern reicher werden.“

Gibt es wohl Menschen, die so selbstlos sind, dass jede Gemeinschaft an ihnen gesundet? Nur das eine möchte ich erwidern: Macht die Augen weit auf, und ihr werdet so manches Licht sehen, das unter dem Scheffel brennt. Oft ist es nur eine vielgeprüfte Mutter, die für die ganze Nachbarschaft Helferin in jeglicher Not geworden. Solche Menschen sorgen dafür, dass das Unkraut den Weizen nicht erstickt und dass der Sauerteig des Guten auch die zäheste Masse des Bösen durchdringt. So kann man verstehen, dass der Dichter feststellen muss: Mit seinen Frauen steht und fällt ein Volk. Darum sieht auch die Kirche das Grundgeheimnis der erlösenden Liebe des göttlichen Herzens im Schoße jener Frau aufblühen, die sie nennt „die Mutter der schönen Liebe“, wohnend in der Gemeinschaft der Heiligen.

April 1951

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