DER PAPST VON MARIALIS CULTUS
Paul VI. hat sich wiederholt mit der Gestalt und der Verehrung Mariens
befasst. Unter den verschiedenen marianischen Schreiben ragen zwei an Bedeutung
hervor: das apostolische Schreiben anlässlich des Fatimajubiläums (1967):
Signum Magnum (Das Große Zeichen) und Marialis Cultus (1974) als wegweisend für
die echte Marienfrömmigkeit.
Er sah seine Aufgabe darin, die Lehre des Konzils über Maria darzulegen.
So vermeidet auch er den Titel Mittlerin. Nur an zwei Stellen erwähnt er ihn:
einmal wie das Konzil bei der Zitierung des Gebetes «Unter deinen Schutz und
Schirm» und ein zweites Mal in dem letztgenannten Schreiben, dass «die Kirche
noch einmal die ausgezeichnete Gelegenheit ergreift, um durch die Vermittlung
der Königin des Friedens das höchste Geschenk des Friedens zu erflehen.» (5)
Für Paul VI. gilt dasselbe Bedenken, den Titel Mittlerin zu verwenden, wie für
das Konzil, da auch er nicht in die theologische Diskussion eingreifen möchte.
So hält er sich an den Titel: Mutter Jesu Christi und Mutter der Kirche (6),
ja, Mutter aller Menschen (1). Um vor allem den letzten Titel zu betonen, beruft
er sich auf jene Stelle in der Apokalypse, die das Konzil wegen strittiger
Interpretationen ausgespart hat: «Das Große Zeichen, das der heilige Apostel
Johannes am Himmel sah, es ist für ihn auf Grund der Liturgie der katholischen
Kirche, die es immer so gedeutet hat, Maria — als Mutter aller Menschen.» (1)
Gegenüber dem Konzil wird er aber deutlicher, wenn er diese Mutterschaft
nicht nur als «Mitwirkung an der Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens
in den Seelen» bezeichnet, sondern sogar als «eine Ergänzung im
Heilsgeschehen für die Menschheit». (6) Er sieht dies zunächst in ihrer
Teilnahme an der Menschwerdung Christi: «Als Gefährtin in der neuen
Heilsordnung war sie ihm so eng verbunden, dass der Sohn Gottes aus ihr die
menschliche Natur annahm. So half sie mit, dass er durch sein ‚Fleischwerden'
die Menschen von der Sünde befreite.» (6) Dann weist Paul VI. darauf hin, dass
sie auch «Ergänzung» beim Erlösungsopfer Christi war: «Sie nahm teil am
Opfer ihres Sohnes, der Ursache unsrer Erlösung. Sie tat dies so innig mit dem
Opfer des Sohnes verbunden, dass sie vom Herrn nicht nur als Mutter des Johannes
bezeichnet wurde, sondern des ganzen Menschengeschlechtes.» (6)
So folgert Paul VI., dass «sie weiterhin ihre von Gott gefügte mütterliche
Aufgabe erfüllt, dass sie dazu beiträgt, das Leben in jedem einzelnen erlösten
Menschen zu vermehren.» (6)
Diese ihre Mitwirkung bei der Erlösung ist nach den Worten des Papstes
intensiver, als sie das Konzil dargestellt hat. Während das Konzil sich nur zu
der Formulierung, dass «sie der Darbringung des Schlachtopfers, das sie geboren
hatte, liebevoll zustimmte» (58) entschließen konnte, fügte Paul VI. hinzu,
«dass sie selbst ihn auch dem Vater opferte» (20). Er berief sich für seine
Auffassung auf den hl. Bernhard: «Opfere deinen Sohn, heilige Jungfrau, und
biete dem Herrn die gebenedeite Frucht deines Leibes dar! Opfere für unsre
gemeinsame Versöhnung das heilige Opfer, das Gott gefällt!» (20). In seinem
apostolischen Schreiben «Das Große Zeichen» intensiviert er diese
Verbundenheit im Opfer dadurch, dass er darauf hinweist, dass Maria sich selbst
mitopferte: «Ihre Haltung war so, dass sie sich selbst hinopferte. Mit allen Kräften
ihrer Seele hing sie am Sohn, der am Kreuze starb, um der Menschheit neues Leben
zu schenken.» (12)
Paul VI. liegt vor allem daran, Maria nicht als ein passives Werkzeug der
Mutterschaft zu sehen. Mit vollem Nachdruck betont er, dass ihre ganze Haltung
und ihre Heiligkeit nicht nur im Walten der göttlichen Gnade und Güte gründete,
sondern das Ergebnis ihres freien Wollens war (9). Ebenso starke Akzente legt er
auf die Tatsache, dass ihre Zustimmung in der Ordnung des Heilsgeschehens frei
und darum ein wesentlicher Bestandteil im Heilsgeschehen war (13). Darum weist
er gerade bei der Teilnahme am Opfer Christi, das die Ursache unserer Erlösung
ist, darauf hin, dass Maria schon bei der Darbringung Jesu im Tempel ihn selbst
aufgeopfert hatte, ja, dass sie im ersten Augenblicke der Empfängnis bewusst
Jesus als Opferlamm aufgenommen und geopfert habe (Marialis Cultus Nr. 20).
Bezüglich der Art ihrer vermittelnden Mutterschaft erwähnt er wie das
Konzil zuerst die Fürbitte, aber bestimmt sie näher in dem Sinne, dass diese
sich mit dem Fürbittgebet Christi selbst verbindet, so, dass sie als Fürbitterin
mit unsrem Fürsprecher Jesus Christus eine unauflösliche Einheit bildet (7).
Besonderes Gewicht legt Paul VI. auf Mariens Vorbild als Zeichen und Weg
ihrer vermittelnden Mütterlichkeit. Für ihn ist selbstverständlich Christus
das eigentliche Vorbild eines jeden Christen (8). Aber wegen seiner unendlichen
Heiligkeit ist er uns doch so unähnlich (17). Darum gab uns Christus in seinem
Mitleid mit uns eine hilfreiche Stütze in seiner hl. Mutter, der Mutter aller
Menschen. Sie ist das vollkommenste Abbild Christi, damit wir an ihrer
Heiligkeit sehen können, wie wir ihn nachahmen können (11,17). Dieses Leitbild
wirkt auf uns vermittelnd in der Annahme des Gotteswortes (18).
Doch erwähnt Paul VI. noch zwei Möglichkeiten und Arten ihrer
Wirkweise: einerseits ist es ihre Hilfe, um die Güte und Menschenfreundlichkeit
Gottes zu erkennen (17), andererseits ihre Macht, dass wir durch sie verdienen können,
zu Christus gelangen zu dürfen (13). Paul VI. beruft sich für diese Darlegung
auf den hl. Anselm. So werden wir von Christus nicht abgelenkt, sondern sie
bewirkt, dass der Weg zu Christus leichter und liebenswerter ist (16).
Was die Ausdehnung der mütterlichen Sorge Mariens betrifft, so weist der
Papst ausführlicher als das Konzil auf die Einzelheiten hin: «Die geistige
Mutterschaft der Allerseligsten Jungfrau und Gottesgebärerin überschreitet
alle Grenzen von Ort und Zeit und weitet sich auf die ganze Kirchengeschichte
aus, die Heilsgeschichte der Menschheit.» (22) Ja, Paul VI. spricht sogar von
einer stets währenden Gegenwart Mariens in ihrem mütterlichen Wirken: «Alle
Zeiten stehen in der mütterlichen Gegenwart der Mutter Gottes.» (22) Er sieht
dies verbürgt in der Tatsache, dass sie durch ein unauflösliches Band mit dem
Geheimnis des mystischen Leibes der Kirche verbunden ist, über dessen Haupt
geschrieben steht: «Jesus Christus, gestern, heute, so auch in Ewigkeit!» (22)
Noch in einer anderen Formulierung sucht der Papst die universale
Stellung Mariens im Heilswerk zu zeigen. Wie das Konzil nennt er sie «die neue
Eva, die überragende Tochter Zions, den Gipfel des Alten Bundes» — also eine
Zusammenfassung alles dessen, was bisher jeweils die Menschheit oder das auserwählte
Volk getan hat, da sie mehr als je ein Patriarch oder Prophet — selbst der
greise Simeon — hatte erflehen können. Und dennoch nennt sie Paul VI. nicht
die Stellvertreterin der Menschheit oder ihres Volkes — ebenso wenig wie das
Konzil. Für ihn ist wie für das Konzil Johannes der Vertreter der Menschheit,
die allerdings in ihm ihr anvertraut wird (6). Sie steht also als Mutter über
der Menschheit. Ebenso ist sie, obwohl sie Glied der Kirche ist, deren Mutter
(2). Aber sie steht nicht Christus als Partnerin gegenüber, sondern wirkt in völliger
Abhängigkeit von ihm (6). Paul VI. kommt aber nicht an der Frage vorbei, wie
sich diese Universalität der Fürbitte und der mütterlichen Sorge mit der
geschöpflichen Begrenztheit, der auch Maria unterworfen ist, vereinbaren lasse.
Er beantwortet sie mit der Macht des Vaters: in Gott schaut sie ihre Kinder und
ihre Not mit — d. h. in Gemeinschaft mit dem Sohn (7). Letztlich offenbart
sich auch hier das Grundprinzip ihrer Mittlerschaft: die unauflösliche
Vereinigung mit ihrem Sohn.
Schließlich ist es ein Anliegen Pauls VI., darzulegen, dass Mariens
vermittelnde Mütterlichkeit im Grunde nur ein Dienst ist. Mit Recht nennt sie
sich selbst Magd des Herrn. Aber in seinem Auftrag dient sie auch als Magd der
Menschen. Aber ihr Dienst ist für die Ausführung des göttlichen Heilswerkes
wesentlich (16). Daraus folgert Paul VI., dass die Gläubigen diese ihre
Mitwirkung als Ergänzung im Heilsgeschehen anerkennen müssen. Es ist
Glaubenspflicht (6). Hier formuliert der Papst wesentlich schärfer als das
Konzil.
Das Zusammenwirken Mariens mit Jesus ist nach den Worten Pauls VI. «ein
vollständiges Zusammenklingen von göttlicher Gnade und Mitarbeit der
menschlichen Natur» (9). Einerseits lässt sie die Mittlerschaft Christi
unangetastet, so, dass sie nicht herabgesetzt oder verdunkelt wird (5 und 8).
Andererseits verletzt ihre mütterliche Mitwirkung in Fürsprache und Sorge
nicht die Selbstachtung des Menschen (17). Sie lässt ihm seine volle Freiheit
(14).
Aber diese Einheit von Sohn und Mutter ist ein Werk des Heiligen Geistes.
Darum möchte Paul VI., dass die Beziehung Mariens zum Heiligen Geist deutlicher
dargestellt werde. Er selbst begnügt sich nicht mit den Titeln, die in dieser
Hinsicht das Konzil Maria gegeben hat: Tempel des Heiligen Geistes, Wohnung des
Heiligen Geistes, Gefäß des Heiligen Geistes. Er selbst nennt sie aufgrund der
Weisheitsbücher Braut des Heiligen Geistes (Marialis Cultus Nr. 26). Das Werk
der Mitwirkung im Heilswerk ihres Sohnes als seine Mutter und die Mutter der
Kirche geht nämlich auf den Heiligen Geist zurück. Paul VI. zitiert bewusst
das Wort des hl. Bernhard: «Durch die Kraft des Heiligen Geistes war Maria
gnadenvoll für sich. Als derselbe Heilige Geist über sie herabkam, wurde sie
an Gnaden überströmend für uns.» (21)
Diese Stellung Mariens im Heilswerk ist nur im Glauben zu erfassen (15).
Hierin stimmt Paul VI. mit dem Konzil überein. Dieses verweist auf die
Tatsache, dass wir in unsren Aussagen und in unsrer Marienverehrung vom Heiligen
Geist belehrt sein müssen (53), wenn wir sie richtig erkennen und lieben
wollen.
Aus dieser einzigartigen Stellung Mariens im Heilsplan Gottes folgert
Paul VI. eine doppelte Verpflichtung der Gläubigen: einerseits die von Lob,
Dank und Liebe, andrerseits die der Nachfolge. Mit dieser Betonung des
Pflichtcharakters geht Paul VI. über die Formulierung des Konzils hinaus, das
nur bitten und mahnen wollte. (13)
Paul VI. ist der Überzeugung, dass durch diese Verbindung der Gläubigen
mit Maria diese an der Mittlerschaft so teilnehmen können, dass sie am Heil der
andren mitwirken: also handelt es sich um eine Höchstform der Vereinigung mit
der Mutter der Kirche und der Gläubigen wie der Menschen: «In der Nachfolge
Mariens haben sie die Möglichkeit, nicht nur das eigene Heil zu erwerben,
sondern auch das der andern.» (18)
Zusammenfassend können wir also feststellen, dass Paul VI. bestrebt ist,
sich eng an die Lehre des Konzils zu halten, ja, es authentisch zu
interpretieren. Darum vermeidet er auch den Ausdruck «Mittlerin». Im Anschluss
an das Konzil möchte er ihn nur im Rahmen des altkirchlichen Gebetes genannt
wissen, als er ihn doch einmal erwähnt. Das zweite Mal floss ihm diese
Bezeichnung in einem Väterzitat in die Feder.
Was ihm aber auf der Seele liegt, ist die Tatsache, dass das Konzil alles
in der engen und unauflöslichen Einheit von Maria und Christus verankert hat.
Paul VI. bejaht diesen Standpunkt. Doch er möchte diese noch schärfer
untersuchen. Während das Konzil von einer Teilnahme Mariens spricht, geht Paul
VI. weiter. Er nennt diese Teilnahme eine «Ergänzung im Heilsgeschehen für
die Menschheit», vertieft also den Titel «Gefährtin in der neuen Heilsordnung»
und «Gehilfin» des Sohnes Gottes. Ihm liegt viel daran, den aktiven Anteil
Mariens so stark wie möglich hervorzuheben, und zwar wegen der Folgerung, die
er daraus für das Gottesvolk zu ziehen beabsichtigt. Sie wollte er als Beispiel
für das Tugendstreben des Gläubigen so klar wie möglich herausstellen.
Als Zweites betont er auffallend stark die Freiheit Mariens in ihrer
Mitwirkung mit Christus. Aber durch die Freiheit wird die Einheit nicht beeinträchtigt.
Im Gegenteil: es ist ein in jeder Beziehung uneingeschränktes Zusammenklingen
von göttlicher Gnade und Mitarbeit der menschlichen Natur. Das aber ist nur möglich
wegen des Dienstcharakters ihres Wirkens. Aus eigenem Antrieb und in voller
Freiheit bindet sie sich als Magd des Herrn an dessen Willen und Auftrag.
Damit jeder die spezielle Mitarbeit als persönlichen Anteil Mariens
sehen kann, legt er Wert darauf, den Anteil Mariens sowohl bei der Menschwerdung
als auch beim Tode Christi auf die Aktivität zu untersuchen. Darum ist sie tätig
durch ihre freie Zustimmung bei der Empfängnis, aber auch bei der Opferszene
von Kalvaria — sie selbst stimmt nicht nur zu, sondern sie opfert ihren Sohn
selbst, ja sich selbst, ihre eigene Person. Auch bezüglich der Zielbestimmung
von Empfängnis und Tod gibt sie bewusst und freiwillig ihren Sohn und sich,
damit die Menschheit ein neues Leben erhalte. Sie ist es also, die in eigener Tätigkeit
in der Rolle des Schenkens ist.
So ist es nicht verwunderlich, dass Paul VI. auch bezüglich der
Vermittlung sich nicht auf Fürbitte und Vorbild beschränkt, sondern auch
andere Arten der vermittelnden Muttersorge nennt. Vor allem aber scheint es ein
Anliegen Pauls VI. zu sein, nachzuweisen, dass Fürbitte und Beispiel eine
spezielle Aktivität Mariens zeigen. Was die Fürbitte betrifft, so ist diese
hineingenommen durch besondere glühende Bitten in die Fürsprache, die Christus
beim Vater für uns einlegt. Bezüglich des Beispieles hebt Paul VI. noch mehr
den Eigenanteil Mariens hervor. Sie ist für uns das vollkommenste Beispiel der
Nachahmung. Christus steht als Gott doch zu weit von uns, um seine Heiligkeit
unmittelbar nachahmen zu können. So ist ihr Vorbild wirklich vermittelnd, weil
belehrend und anspornend — zwischen Christus und uns. Doch wie das Konzil
bleibt Paul VI. bei der Einheit, die beide verbindet. Sie ist also so mit
Christus verbunden, dass sie die vollkommenste Nachahmerin Christi ist — in
einem vollkommeneren Sinne als Paulus, der von der Christuseinheit auch in der
Nachahmung spricht (19).
Im Grunde verlässt Paul VI. die Basis der Ausführungen des Konzils
nicht. Doch gelingt es ihm, schärfer den wirklich aktiven Anteil Mariens
darzulegen, so, dass diese Verbindung mit Christus wie ein personales
Zusammenspiel zu sehen ist — trotz der untergeordneten Rolle Mariens.
In dem einen Akt gibt es in dem Zusammenwirken tatsächlich eine ergänzende
Mitwirkung: die göttliche Gnade wirkt mit der menschlichen Natur in einem unlösbaren
Akt zusammen, und zwar vollständig. So scheint Paul VI. sich doch stärker als
das Konzil der theologischen Diskussion genähert zu haben, die sich auf den
Titel Mariens als Mittlerin, bzw. Miterlöserin konzentriert.
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