Kapitel VIII: Erklärung der evangelischen Räte

Kapitel VIII: Erklärung der evangelischen Räte

 
 
 

 

 

Glaubenslehre des

Heiligen Robert Bellarmin

 Der Heilige Robert Bellarmin ist mehrmals in Sievernich erschienen.

Aus seinem Katechismus.

Kurze christliche Lehre,
zum Auswendiglernen geeignet

 

Im Auftrag von Papst Clemens VIII.1

1 Text übersetzt nach: Robertus Bellarminus, Opera omnia. Hg. von Justin Fevre. 12 Bde., Paris 1874, XII, 256-282 (= 00). - Diese Ausgabe enthält auch verschiedene Gebete und Gesänge sowie eine Anleitung zum Ministrieren, die hier nicht übersetzt sind und die wohl insgesamt oder teilweise erst aus späterer Zeit stammen.

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

 

Gebet zu Beginn der Unterrichtsstunde in der christlichen Lehre

Zum Schluss.

 

Das Ziel des Christen und das heilige Kreuzzeichen

Erklärung des Glaubensbekenntnisses

Erklärung des Vater Unser und des „Gegrüßet seist du, Maria"

 

Die Gebote Gottes

Die Kirchengebote und die Räte

Die Sakramente

Die göttlichen Tugenden und die Kardinaltugenden

Die Gaben des Heiligen Geistes

Die Werke der Barmherzigkeit

Die Sünden

Die vier letzten Dinge und der Rosenkranz

Tugendakte

Akt des Glaubens

Akt der Hoffnung

Akt der Liebe

Akt der Reue

Unterricht

Für den, der gefirmt werden soll, und was er dafür wissen soll

Unterricht über die Sakramente

Die Beichte

Die Eucharistie

 

Ausführlichere Erklärung der christlichen Lehre

Kapitel I: Was die christliche Lehre ist und welche Hauptstücke sie hat

 

Kapitel II: Erklärung des Kreuzzeichens

 

Kapitel III: Erklärung des Glaubensbekenntnisses:

Erklärung des ersten Artikels

Erklärung des zweiten Artikels

Erklärung des dritten Artikels

Erklärung des vierten Artikels

Erklärung des fünften Artikels

Erklärung des sechsten Artikels 

Erklärung des siebten Artikels

Erklärung des achten Artikels 

Erklärung des neunten Artikels 

Erklärung des zehnten Artikels

Erklärung des elften Artikels

Erklärung des zwölften Artikels

 

Kapitel IV: Erklärung des Vater Unser (Gebet des Herrn)

 

Kapitel V: Erklärung des „Gegrüßet seist du, Maria (Ave Maria)"

 

Kapitel VI: Erklärung der zehn Gebote Gottes

Erklärung des ersten Gebots

Erklärung der zweiten Gebots

Erklärung des dritten Gebots

Erklärung des vierten Gebots.

Erklärung des fünften Gebots

Erklärung des sechsten Gebots

Erklärung des siebten Gebots

Erklärung des achten Gebots

Erklärung des neunten Gebots

Erklärung des zehnten Gebots

 

Kapitel VII: Erklärung der Kirchengebote

 

Kapitel VIII: Erklärung der evangelischen Räte

 

Kapitel IX: Erklärung der Sakramente der heiligen Kirche

Die Taufe

Die Firmung

Die Eucharistie

Die Buße

Die Letzte Ölung

Die Weihe

Die Ehe

 

Kapitel X: Die Tugenden im allgemeinen

 

Kapitel XI: Die göttlichen Tugenden

 

Kapitel XII: Die Kardinaltugenden

 

Kapitel XIII: Die sieben Gaben des Heiligen Geistes

 

Kapitel XIV: Die acht Seligpreisungen

 

Kapitel XV: Die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit

 

Kapitel XVI: Die Laster und die Sünden im allgemeinen

 

Kapitel XVII: Die Erbsünde

 

Kapitel XVIII: Die Todsünde und die lässliche Sünde

 

Kapitel XIX: Die sieben Hauptsünden

 

Kapitel XX: Die Sünden gegen den Heiligen Geist

 

Kapitel XXI: Die himmelschreienden Sünden

 

Kapitel XXII: Die vier letzten Dinge

 

Fußnoten bis Kapitel XXII
Fußnoten 1 bis  160

 

Allgemeine Anmerkungen zu den Quellen des „Großen Katechismus"

 

Erläuterung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses

 

Einleitung

Beim Unterricht in der christlichen Lehre für einfache Menschen muss man auf zweierlei achten, die Notwendigkeit und die Fassungskraft. Aufgrund der Notwendigkeit muss man wenigstens vier Punkte in den Unterricht einbeziehen: Zunächst das Glaubensbekenntnis, um das zu wissen, was man glauben muss. Sodann das Vater Unser mit dem Englischen Gruß, um das zu wissen, was man hoffen muss und zu wem man Zuflucht nehmen muss, um es zu erlangen. Allerdings soll dadurch der Brauch nicht verworfen werden, die Kinder zuerst das Vater Unser mit dem „Gegrüßet seist du, Maria" vor dem Glaubensbekenntnis zu lehren, weil dieses schwierig und länger ist. Drittens die zehn Gebote Gottes zusammen mit den Kirchengeboten, die alle angehen, um das zu kennen, was man entsprechend der Liebe zu Gott und dem Nächsten tun muss. Schließlich die sieben Sakramente, die die Werkzeuge darstellen, die Gott dazu eingesetzt hat, die Gnade und die himmlischen Gaben zu erwerben, zu bewahren und wachsen zu lassen, insbesondere die göttlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe zusammen mit der Vergebung der Sünden. Deshalb ist der Katechismus, der auf Anordnung des heiligen Konzils von Trient verfertigt wurde, zweifellos der authentischste. Dennoch ist es wohl nützlich, einiges (allerdings Weniges und Einfaches) hinzuzufügen, so die hauptsächlichen Tugenden, die die Quelle jedes guten Werkes darstellen, und die sieben Hauptkunden, die die Quelle aller Sünden sind; des weiteren die Werke der Barmherzigkeit, die Gott überaus wohlgefällig sind, und die Sünden, die ihm zuhöchst missfallen und über die die Schrift sagt, dass sie im Himmel nach Rache schreien; die evangelischen Räte; die vier letzten Dinge; die Geheimnisse des heiligen Rosenkranzes.

Die anderen Punkte kann man vielleicht übergehen. Denn sie sind entweder zu schwierig, so etwa die elf Leidenschaften und ähnliches. Oder sie sind zu bekannt und daher überflüssig, so die fünf Sinne des Leibes, die drei Seelenkräfte usw. Oder sie sind von nur geringem Nutzen, belasten bloß das Gedächtnis, und selbst Gelehrte kennen sie nicht in ihrer richtigen Reihenfolge, etwa die zwölf Früchte des Heiligen Geistes, die acht Seligkeiten usw. Oder das, was Kinder und einfache Menschen auswendig lernen sollen, ist etwas anderes als das, was die wissen sollten, die die christliche Lehre solcherart ungebildeten Leuten erläutern sollen. Aus diesen Gründen schreiben wir jetzt zuerst all das nieder, was man mit einer kurzen Erläuterung auswendig lernen soll, danach eine umfangreichere Erläuterung für die, welche die christliche Lehre unterrichten. Letztere soll jedoch der Fassungskraft der einfachen Menschen angemessen sein. 

 

Gebet zu Beginn der Unterrichtsstunde in der christlichen Lehre

„Actiones nostras, quaesumus, Domine, aspirando praeveni, et adjuvando prosequere, ut cuncta nostra oratio, et operatio a te semper incipiat, et per te coepta finiatur. Per Christum Dominum nostrum. R.: Amen."

„Komm unserem Beten und Arbeiten mit deiner Gnade zuvor, Herr, und begleite es mit deiner Hilfe, damit alles, was wir beten und tun, bei dir seinen Anfang nehme und durch dich vollendet werde. Durch Christus, unseren Herrn. (Alle:) Amen."

 

Zum Schluss

„Agimus tibi gratias, omnipotens Deus, pro universis beneficiis tuis, qui vivis, et regnas in saecula saeculorum. R. Amen."

„Wir sagen dir Dank, allmächtiger Gott, für alle deine Gaben, der du lebst und herrschst in alle Ewigkeit. (Alle:) Amen."

 

Das Ziel des Christen und das heilige Kreuzzeichen

Lehrer (L):    Seid Ihr ein Christ?

Schüler (S): Ja, mit der Gnade Gottes.

L: Was bedeutet „ein Christ"?

S:  Einer, der den Glauben und das Gebot Christi bekennt.

L: Worin besteht der Glaube Christi hauptsächlich?

S: In zwei Grundgeheimnissen, die im heiligen t Kreuzzeichen enthalten sind: die Dreieinigkeit Gottes sowie die Menschwerdung und der Tod unseres Heilandes.

L: Was bedeutet die Dreieinigkeit Gottes?

S:  Dass es in Gott eine einzige Gottheit gibt. Wir sprechen dabei auch von einem göttlichen Wesen oder einer Natur. Die Gottheit ist aber in drei Personen, Vater, Sohn und Heiliger Geist mit Namen.

L: Warum sind es drei Personen?

S: Weil der Vater keinen Ursprung hat und aus keiner anderen Person hervorgeht, weil der Sohn aus dem Vater hervorgeht und weil der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht.

L: Warum sind diese drei Personen ein einziger Gott?

S: Weil sie dasselbe Wesen, dieselbe Macht, dieselbe Weisheit und dieselbe Güte haben.

L: Was bedeutet die Menschwerdung und der Tod unseres Heilandes?

S: Dass der Sohn Gottes, also die zweite Person der allerseligsten Dreifaltigkeit, Mensch geworden ist und am Kreuz zu unserer Erlösung gestorben ist.

L: Wie sind diese beiden Geheimnisse im heiligen V Kreuzzeichen enthalten?

S: Weil man das heilige Kreuzzeichen so macht: Zuerst führt man die rechte Hand zur Stirn und sagt: „Im Namen des Vaters", dann an die Brust mit den Worten „und des Sohnes", schließlich von der linken zur rechten Seite mit den Worten „und des Heiligen Geistes. Amen."

L: Wie zeigt sich darin also das erste Geheimnis, das der allerseligsten Dreifaltigkeit?

S: Weil das Wort „im Namen" die Einheit bedeutet und die übrigen Worte die Dreifaltigkeit.

L: Zeigt Ihr jetzt auch das zweite Geheimnis?

S: Das Aussehen des V Kreuzzeichens stellt den Tod des Heilands vor Augen. Er wurde Mensch, zeigte mit Lehren, Beispielen und Wundern den Weg zum Heil und starb schließlich am heiligen Holz des Kreuzes.

 

Erklärung des Glaubensbekenntnisses

L: Worin besteht die Regel des Glaubens?

S: Im Apostolischen Glaubensbekenntnis, einfacher auch „Credo" genannt.

L: Sagt das Credo auf!

S:    1. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

2.  Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.

3.  Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria.

4.  Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.

5.  Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten.

6.  Aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters.

7.  Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

8.  Ich glaube an den Heiligen Geist.

9.  Die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.

10.  Vergebung der Sünden.

11.  Auferstehung der Toten.

12.  Und das ewige Leben. Amen.

L: Wer hat das Credo verfasst?

S: Die zwölf Apostel. Deshalb sind es auch zwölf Artikel.

L: Was enthalten diese zwölf Artikel insgesamt?

S: Alles, was man hauptsächlich und ausdrücklich von Gott und von der Kir­che, seiner Braut, zu glauben hat. Denn die ersten acht Artikel beziehen sich auf Gott, die vier letzten auf die Kirche.

L: Erklärt Ihr den ersten Artikel?

S: Ich glaube fest an einen einzigen Gott. Er ist seiner Natur nach Vater seines eingeborenen Sohnes und zudem aus Gnade Vater aller guten Christen, denn sie heißen seine angenommenen Söhne. Drittens ist er durch die Schöpfung Vater aller übrigen Dinge. Dieser Gott nun ist allmächtig, weil er alles tun kann, was er will und weil er Himmel und Erde aus dem Nichts erschaffen hat zusammen mit allem, was sich in ihnen findet, also das gesamte Weltall.

L: Erklärt Ihr den zweiten Artikel?

S:  Ich glaube ebenso an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, des Vaters, denn er ist in Ewigkeit aus dem Vater gezeugt worden und ist selbst wie der Vater ewig, unendlich, allmächtig, Schöpfer, unser Herr und der Herr aller Dinge.

L: Erklärt Ihr den dritten Artikel?

S: Ich glaube, dass Jesus Christus nicht nur wahrer Gott ist, sondern auch wahrer Mensch. Denn er hat durch die Kraft des Heiligen Geistes aus der unbefleckten Jungfrau Maria Fleisch angenommen.

Auf diese Weise wurde er auf Erden von einer Mutter ohne Vater geboren, so wie im Himmel von einem Vater ohne Mutter.

L: Erklärt Ihr den vierten Artikel?

S: Ich glaube, dass Jesus Christus die Welt mit seinem kostbaren Blut erlösen wollte und dafür unter Pontius Pilatus, dem Herrscher über Judäa, gelitten hat. Dabei wurde er gegeißelt, mit Dornen gekrönt und ans Kreuz geschlagen. Daran starb er, von ihm wurde er abgenommen und in einem neuen Grab beigesetzt.

L: Erklärt Ihr den fünften Artikel?

S: Ich glaube, dass Jesus Christus im gleichen Augenblick, als er gestorben war, mit seiner Seele in das Totenreich der heiligen Vorväter ging und am dritten Tag, dem Sonntag, glorreich und siegreich auferstand.

L: Erklärt Ihr den sechsten Artikel?

S: Ich glaube, dass Jesus Christus 40 Tage mit den heiligen Aposteln zusammen war, um durch viele Erscheinungen seine wahrhafte Auferstehung zu beweisen.

Danach fuhr er in den höchsten Himmel auf.

Dort sitzt er als Herrscher und Lenker aller Geschöpfe über allen Engeln zur Rechten des Vaters in einer Herrlichkeit, die dem Vater gleich ist.

L: Erklärt Ihr den siebten Artikel?

S: Ich glaube, dass unser Herr am Ende der Welt vom Himmel in größter Macht und Herrlichkeit kommen wird. Er wird alle Menschen richten und dabei jedem den Lohn oder die Strafe geben, die er verdient hat.

L: Erklärt Ihr den achten Artikel?

S:  Ich glaube an den Heiligen Geist. Er ist die dritte Person der allerseligsten Dreifaltigkeit und geht vom Vater und vom Sohn aus. Er ist in allem dem Vater und dem Sohn gleich, und so ist er ewiger, unendlicher, allmächtiger Gott, Schöpfer und Herr aller Dinge wie der Vater und der Sohn.

L: Erklärt Ihr den neunten Artikel?

S:  Ich glaube ebenso, dass es eine einzige Kirche gibt. Sie ist die Versammlung aller Christgläubigen, die getauft sind, den Glauben an Christus, unseren Herrn, annehmen und bekennen und den Papst in Rom als Stellvertreter Christi auf Erden anerkennen.

L: Warum nennt diese Kirche sich heilig und katholisch?

S: Heilig, weil sie den heiligen Christus zum Haupt hat, weil sie viele heilige Glieder besitzt sowie den heiligen Glauben, das heilige Gesetz und die heiligen Sakramente. Sie heißt katholisch, sie ist nämlich überall.

L: Was bedeutet „Gemeinschaft der Heiligen"?

S: Sie meint die Zuwendung der Gebete und der guten Werke, die in dieser Kirche verrichtet werden, ganz wie am Gut eines einzelnen Gliedes im menschlichen Leib alle übrigen Glieder Anteil haben.

L: Erklärt Ihr den zehnten Artikel?

S: Ich glaube, dass es in der heiligen Kirche eine wirkliche Vergebung der Sünden durch die heiligen Sakramente gibt und dass die Menschen in Ihr aus Kindern des Teufels, die zur Hölle verurteilt sind, zu Kindern Gottes und Erben des Paradieses werden.

L: Erklärt Ihr den elften Artikel?

S: Ich glaube, dass am Ende der Welt alle Menschen auferstehen sollen. Dabei werden sie dieselben Leiber annehmen, die sie zuvor gehabt haben. Das geschieht in der Kraft Gottes, dem kein Ding unmöglich ist.

L: Erklärt Ihr den zwölften Artikel?

S:  Ich glaube, dass es für die guten Christen ein ewiges Leben voll Glück jeder Art und frei von jeglichem Übel gibt. Ebenso gibt es umgekehrt für die Ungläubigen und für die bösen Christen den ewigen Tod voll von Elend jeder Art und ohne irgendein Gut.

L: Was bedeutet „Amen"?

S: Es bedeutet: So ist es wirklich.

 

Erklärung des Vater Unser und des „Gegrüßet seist du, Maria"

L: Wir haben schon von dem gesprochen, was man glauben muss. Nun wollen wir schauen, ob Ihr das wisst, was man hoffen muss und von wem man es erhoffen muss. Könnt Ihr das Vater Unser?

S: Ich kann es sehr gut, denn es ist das erste, was ich gelernt habe. Ich spreche es jeden Morgen und jeden Abend zusammen mit dem „Gegrüßet seist du, Maria" und dem Glaubensbekenntnis.

L: Dann sagt jetzt das Vater Unser auf!

S: Vater unser im Himmel.

1.  Geheiligt werde dein Name.

2.  Dein Reich komme.

3.  Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.

4.  Unser tägliches Brot gib uns heute.

5.  Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

6.  Und führe uns nicht in Versuchung.

7.  Sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen.

L: Wer hat dieses Gebet verfasst?

S:  Unser Herr Jesus Christus. Deshalb ist es das vorzüglichste von allen.

L: Was enthält dieses Gebet insgesamt?

S: Alles, was man von Gott erbitten und erhoffen kann. Deshalb sind es sieben Bitten. In den ersten vier bittet man darum, dass er uns etwas Gutes gibt, in den weiteren drei, dass er uns vom Bösen befreit. Beim Guten bittet man zuerst um die Ehre Gottes, dann um unser höchstes Gut, drittens um den Erwerb der Gnade und viertens um das Mittel, diese Gnade zu erhalten und zu bewahren. Beim Bösen bittet man, dass er uns vom Bösen befreit, zuerst von dem in der Vergangenheit, dann von dem in der Zukunft und schließlich von dem in der Gegenwart und auf diese Weise von jedem Bösen.

L: Erklärt die Worte vor der ersten Bitte: „Vater unser im Himmel"!

S: Das ist ein kurzes Vorwort, das den Mut erklärt, einen so großen Herrn anzusprechen, und die Hoffnung, von ihm erhört zu werden. Darin wird gesagt, dass Gott durch die Schöpfung und durch die Annahme als seine Kinder unser Vater ist. Deshalb nehmen wir als seine Kinder unsere Zuflucht bei ihm. Dann fügt man hinzu „im Himmel", um darin den Herrn der Welt anzusprechen. Daraus wissen wir, dass er uns erhören kann, wenn er will, so wie wir hoffen, dass er es will, weil er Vater ist.

L: Erklärt die zweite Bitte!

S:  In der zweiten Bitte erbitten wir, dass sein Reich, das er uns versprochen hat, bald kommt. Wenn also einmal unsere Kämpfe mit dem Teufel, mit der Welt und mit dem Fleisch beendet sein werden, werden wir zur ewigen Seligkeit gelangen, wo wir ohne jedes Hindernis mit Gott herrschen werden.

L: Erklärt die dritte Bitte!

S: In der dritten Bitte erbitten wir die Ehre Gottes, womit wir seinen heiligen Geboten in vollkommener Weise gehorchen, so wie die Engel im Himmel ihm allezeit gehorchen. Denn die Leiter zum Aufstieg in das Himmelreich ist der Gehorsam gegenüber den Geboten.

L: Erklärt die vierte Bitte!

S: In der vierten Bitte erbitten wir das tägliche Brot. Es ist das geistliche Brot, nämlich das Wort Gottes und die Sakramente, und ebenso das leibliche Brot, nämlich Nahrung und Kleidung. Denn das Wort Gottes, das die Prediger verkündigen und das wir selbst in den geistlichen Büchern lesen, und die heiligen Sakramente, ganz besonders Beichte und Kommunion, sind von sich aus äußerst wirksame Mittel, um die Gnade Gottes zu erwerben und zu behalten (das heißt, wenn von uns aus nichts dazu fehlt). Von dieser Gnade haben wir in der vorherigen Bitte ja bereits gesprochen. Nahrung und Kleidung sind für uns nötig, um uns dieses Leben im Dienst Gottes zu erhalten.

L: Erklärt die fünfte Bitte!

S:  In der fünften Bitte erbitten wir, dass Gott uns vom früheren Bösen, also den schon begangenen Sünden, befreit. Dazu soll er die Schuld und die Strafe für diese Sünden vergeben. Dabei folgt aber noch der Satz: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern", das heißt wie wir unseren Feinden ihr Unrecht an uns vergeben. Es ist nämlich ein Widerspruch, wenn Gott uns die Sünden vergibt, die doch ganz schweres Unrecht gegen ihn darstellen, wir aber die an uns geschehenen Fehler nicht vergeben wollen, die doch ein Unrecht von geringem Gewicht darstellen.

L: Erklärt die sechste Bitte!

S:  In der sechsten Bitte erbitten wir, dass Gott uns von den Versuchungen befreit, also den künftigen Übeln. Dazu soll er entweder nicht zulassen, dass wir versucht werden, oder uns die Gnade geben, von ihnen nicht besiegt zu werden.

L: Erklärt die siebte Bitte!

S: In der siebten Bitte erbitten wir, vom gegenwärtigen Bösen befreit zu werden, von jedem Kummer und Elend und auch von jedem leeren Wohlstand und irdischer Größe, wenn er sieht, dass sie dem Seelenheil schaden.

L: Sagt das „Gegrüßet seist du, Maria" auf!

S:  Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder

jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.

L: Vom wem stammen diese Worte?

S: Zum Teil vom Erzengel Gabriel, zum Teil von der heiligen Elisabeth und zum Teil von der Kirche.

L: Wozu sprecht Ihr das „Gegrüßet seist du, Maria" nach dem Vater Unser?

S: Damit es auf die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau das, was ich von Gott erbitte, leichter erreicht. Denn sie ist die Fürsprecherin der Sünder und voll Barmherzigkeit. Gleichzeitig hat sie ihren Platz im Himmel über allen Chören der Engel und ist Gott ganz und gar wohlgefällig.

L: Wendet Ihr euch auch an die anderen Heiligen um Hilfe?

S:  Ich wende mich an alle Heiligen, besonders an meinen Namenspatron und an meinen Schutzengel.

 

Die Gebote Gottes

L: Jetzt kommen wir zu dem, was man tun muss, um Gott und den Nächsten zu lieben. Sagt die zehn Gebote auf!

S: 

1. Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst mir keinen anderen Gott vorziehen.

2.  Du sollst den Namen Gottes nicht ohne Grund nennen.

3.  Denke daran, die Feste zu heiligen.

4.  Ehre den Vater und die Mutter.

5.  Nicht töten.

6.  Keinen Ehebruch begehen.

7.  Nicht stehlen.

8.  Kein falsches Zeugnis gegen deinen Nächsten geben.

9.  Die Frau eines anderen nicht begehren.

10. Das Eigentum eines anderen nicht begehren.

L: Wer hat diese Gebote gegeben?

S: Gott selbst im Gesetz des Alten Testamentes, und später hat Christus, unser Herr, sie im Neuen Testament bestätigt.

L: Was enthalten diese Gebote insgesamt?

S:  Alles, was man tun muss, um Gott und den Nächsten zu lieben. Denn die ersten drei Gebote lehren, wie wir uns gegenüber Gott im Herzen, mit dem Mund und mit den Werken verhalten sollen. Die anderen sieben Gebote leiten uns an, dem Nächsten Gutes zu tun, ihm nicht als Person, in seiner Ehre oder in seinem Besitz zu schaden, und zwar weder in Taten noch in Worten oder in Gedanken. So besteht das Ziel aller Gebote im Gebot der Liebe, das gebietet, Gott über alles zu lieben und den Nächsten wie uns selbst.

L: Erklärt das erste Gebot!

S:  Am Anfang weist uns Gott darauf hin, dass er unser wahrer und höchster Herr ist. Deshalb ist es unsere Pflicht, ihm ganz sorgfältig zu gehorchen. Er gebietet ausdrücklich, dass wir niemand anderes als Gott ansehen dürfen.

Darin besteht die Sünde der Heiden, die die Geschöpfe anstelle des Schöpfers verehren, und auch der Zauberer und Hexer, die den Teufel für ihren Gott halten.

L: Erklärt das zweite Gebot!

S: Das zweite Gebot verbietet die Flüche, was sehr große Sünden sind, die falschen oder nicht notwendigen Eide, die mangelnde Erfüllung eines Gelübdes und jede andere Art von Verunehrung, die man Gott in Worten zufügen kann.

L: Erklärt das dritte Gebot!

S: Das dritte Gebot gebietet die Einhaltung der Festtage. Sie besteht in der Enthaltung von knechtischen Arbeiten, um Zeit für die Betrachtung der göttlichen Wohltaten zu haben, Kirchen zu besuchen, zu beten, geistliche Bücher zu lesen, am Gottesdienst und an Gebeten teilzunehmen und andere geistliche und heilige Werke dieser Art zu verrichten.

L: Erklärt das vierte Gebot!

S:  Das vierte Gebot befiehlt, dass man Vater und Mutter nicht nur mit ehrenden Worten Achtung erweist und die Mütze vor ihnen zieht, sondern ihnen auch in ihren Bedürfnissen Hilfe und Unterstützung gewährt. Was hier von Vater und Mutter gesagt wurde, daran muss man sich auch gegenüber den anderen Nächsten halten, auch wenn hier nicht die gleiche Pflicht besteht wie beim Vater und bei der Mutter, die uns das Dasein geschenkt haben und uns mit viel Mühe aufgezogen haben.

L: Erklärt das fünfte Gebot!

S:  Im fünften Gebot ist uns geboten, niemanden unrecht umzubringen oder ihm persönlich ein anderes Übel zuzufügen. Unrecht heißt es hier, weil die Richter, die die Übeltäter zum Tod verurteilen, und die Diener der Gerechtigkeit, die sie hinrichten, ebenso wie die Soldaten in einem gerechten Krieg nicht sündigen, wenn sie verwunden oder töten.

L: Erklärt das sechste Gebot!

S: Das sechste Gebot gebietet, dass man keinen Ehebruch begeht, das heißt Sünden mit der Frau eines anderen. Es heißt auch, dass man keine Unzucht oder eine andere Fleischessünde begeht.

L: Erklärt das siebte Gebot!

S: Das siebte Gebot gebietet, dass niemand das Eigentum eines anderen stiehlt, weder insgeheim (das ist ein Diebstahl) noch offen (das ist Raub).

Auch darf er nicht beim Verkauf und Kauf Betrug anwenden und dementsprechende Verträge schließen. Schließlich darf er den Nächsten nicht an seinen Sachen schädigen.

L: Erklärt das achte Gebot!

S: Im achten Gebot wird das falsche Zeugnis verboten, das Murren, Herabsetzen, Schmeicheln, Lügen Anwenden und andere Arten der Schädigung, die man dem Nächsten mit der Zunge zufügt.

L: Erklärt die beiden letzten Gebote!

S: Gott gebietet in den zwei letzten Geboten, dass niemand die Frau und das Eigentum eines anderes begehrt. Denn er, der in die Herzen schaut, will uns heilig und rein, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich, so dass wir ganz gerecht sind.

 

Die Kirchengebote und die Räte

L: Nehmt nun zu den Geboten Gottes die wenigen hinzu, die ihnen die heilige Kirche angehängt hat!

S: Es gibt sechs Kirchengebote:

1.  Die Messe an allen Sonntagen und an den anderen gebotenen Festtagen zu besuchen.

2.  In der Fastenzeit, an den gebotenen Vigiltagen und den Quatembertagen zu fasten und an Freitagen und Samstagen kein Fleisch zu essen.

3.  Mindestens einmal im Jahr zu beichten.

4.  An Ostern die Kommunion zu empfangen.

5.  Den Zehnt zu bezahlen.

6.  Nicht in den geschlossenen Zeiten Hochzeit zu feiern, das heißt vom ersten Adventssonntag bis Dreikönig und vom Aschermittwoch bis zum Weißen Sonntag.

L: Zu diesen Geboten sind wir alle verpflichtet. Gibt es darüber hinaus auch noch einige Räte zur Vollkommenheit?

S: Es gibt drei Räte, die unser Herr Jesus Christus denen gegeben hat, die zur Vollkommenheit gelangen wollen.

L: Was sind diese Räte?

S: Freiwillige Armut, lebenslange Keuschheit und Gehorsam in allem, was keine Sünde ist.

 

Die Sakramente

L: Wir haben schon all das behandelt, was man glauben, hoffen und tun muss. Nun bleibt uns noch, dass wir die heiligen Sakramente behandeln, durch die man die Gnade Gottes erlangt. So sagt, wieviele Sakramente gibt es?

S: Es gibt sieben. 1.Taufe. 2. Firmung. 3. Eucharistie. 4. Buße. 5. Heilige Ölung. 6. Weihe. 7. Ehe.

L: Wer hat sie eingesetzt?

S: Jesus Christus, unser Herr.

L: Welche Wirkung hat die Taufe?

S: Sie macht einen Menschen zu einem Kind Gottes und zum Erben des Paradieses,

sie tilgt alle Sünden und erfüllt die Seele mit Gnade und mit geistlichen Gaben.

L: Welche Wirkung hat die Firmung?

S: Sie stärkt den Menschen, damit er keine Furcht hat, den Glauben an Christus, unseren Herrn, zu bekennen. So macht sie uns zu wahren Soldaten des Erlösers.

L: Welche Wirkung hat die Eucharistie?

S: Sie nährt die Liebe, das Leben der Seele, und lässt sie Tag für Tag mehr wachsen. Auch wenn sie unter der Gestalt von Brot gereicht wird, ist sie in Wirklichkeit kein Brot, sondern der wahre Leib des Herrn. Ebenso ist das im Kelch kein Wein, auch wenn es Wein zu sein scheint, sondern unter der Gestalt von Wein ist es das wahre Blut Christi, unseres Herrn, selbst.

L: Welche Wirkung hat die Beichte?

S: Sie vergibt die Sünden, die man nach der Taufe begangen hat, und lässt den zur Freundschaft Gottes zurückkehren, der durch die Sünde sein Feind geworden ist.

L: Was muss man tun, um dieses Sakrament zu empfangen?

S: Zuerst muss man über seine Sünden Reue zeigen und sich vornehmen, sie nie mehr zu begehen. Dann muss man alle Sünden dem Priester beichten, der von den Oberen dafür zugelassen ist. Schließlich muss man die Buße verrichten, die der Priester jemanden auferlegen wird.

L: Welche Wirkung hat die heilige Ölung?

S: Sie tilgt die Überbleibsel der Sünden, sie gibt der Seele Freude und Stärke, um in dieser letzten Stunde mit dem Teufel zu kämpfen, und sie hilft, die Gesundheit des Leibes wiederzuerlangen, wenn sie dem Heil der Seele von Nutzen ist.

L: Welche Wirkung hat das Sakrament der Weihe?

S: Es gibt den Priestern Vollmacht und Gnade und den übrigen Dienern der Kirche die Fähigkeit, ihre Aufgaben gut zu erfüllen.

L: Welche Wirkung hat das Sakrament der Ehe?

S: Es gibt denen, die sich in erlaubter Weise miteinander zum gemeinsamen Leben in der Ehe verbinden, Kraft und Gnade. Weiterhin gibt sie ihnen Frieden und Liebe, damit sie Kinder in heiliger Gottesfurcht zeugen und aufziehen. So sollen sie daraus Freude in diesem und im jenseitigen Leben erhalten.

 

Die göttlichen Tugenden und die Kardinaltugenden

L: Wir haben eben die vier Hauptteile der Lehre abgeschlossen, das Glaubensbekenntnis, das Gebet des Herrn, die Gebote und die Sakramente. Jetzt möchte ich, dass wir von den Tugenden und Lastern und von einiger anderen Gegenständen sprechen, die viel dazu beitragen, entsprechendem Willen Gottes zu leben. So sagt, wieviele Haupttugenden gibt es?

S: Sieben. Drei göttliche Tugenden und vier Kardinaltugenden.

L: Was sind die göttlichen Tugenden?

S: Glaube, Hoffnung und Liebe.

L: Warum heißen sie göttlich?

S: Weil das Wort „göttlich" etwas meint, das sich auf Gott bezieht oder ihn gehört.

L: Wie gehört dann der Glaube zu Gott?

S: Weil er bewirkt, dass wir alles glauben, was Gott der heiligen Kirche geoffenbart hat.

L: Warum gehört die Hoffnung zu Gott?

S: Weil sie bewirkt, dass wir unser Vertrauen auf Gott setzen und von ihm das ewige Leben erhoffen. Dies geschieht durch die Gnade Gottes und durch unsere Verdienste, die aber auch aus seiner Gnade entspringen.

L: Warum gehört die Liebe zu Gott?

S: Weil sie bewirkt, dass wir Gott über alles und den Nächsten aus Liebe zu Gott wie uns selbst lieben.

L: Was sind die Kardinaltugenden?

S: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit.

L: Warum heißen sie Kardinaltugenden?

S: Weil sie die hauptsächlichen Tugenden sind und wie Quellen für gute Werke.

L: Erklärt ihr die Aufgabe dieser Tugenden?

S: Die Klugheit macht uns bei allem bedächtig und behutsam, damit wir nicht betrogen werden und niemanden anderes betrügen. Die Gerechtigkeit macht, dass wir anderen das Ihre geben. Die Mäßigkeit macht, dass wir Unordnung zügeln. Die Tapferkeit macht, dass wir für den Dienst Gottes keine Gefahr fürchten, noch nicht einmal den Tod.

 

Die Gaben des Heiligen Geistes

L: Wieviele Gaben des Heiligen Geistes gibt es?

S:  Sieben: 1. Weisheit. 2. Erkenntnis. 3. Rat. 4. Stärke. 5. Wissenschaft. 6. Frömmigkeit. 7. Gottesfurcht.

L: Wozu dienen diese Gaben?

S: Sie dienen der Unterstützung der Tugenden und um uns auf dem Weg Gottes vollkommen zu machen. Denn durch die Furcht halten wir uns von den Sünden fern. Durch die Frömmigkeit sind wir andächtig und Gott gehorsam. Durch die Wissenschaft werden wir gelehrt, den Willen Gottes zu kennen. Durch die Stärke erhalten wir die Hilfe, ihn auch auszuführen. Durch den Rat werden wir auf die Betrügereien des Teufels aufmerksam. Durch die Erkenntnis werden wir dazu erhoben, die Glaubensgeheimnisse zu ergründen. Durch die Weisheit werden wir vollkommen, indem wir unser ganzes Leben und unsere Taten auf die Ehre Gottes ausrichten. Denn der Weise kennt stets das letzte Ziel und richtet alles darauf aus.

 

Die Werke der Barmherzigkeit

L: Wieviele Werke der Barmherzigkeit gibt es, über die von uns am Tag des Gerichtes im einzelnen Rechenschaft verlangt wird?

S: Es gibt vierzehn, sieben leibliche und sieben geistliche Werke.

L: Sagt Ihr die leiblichen auf?

S:

1. Die Hungrigen speisen.

2.  Die Dürstenden tränken.

3.  Die Nackten bekleiden.

4.  Die Pilger beherbergen.

5.  Die Kranken besuchen.

6.  Die Gefangenen besuchen.

7.  Die Toten begraben.

L: Sagt jetzt die geistlichen Werke auf!

S:

1. Den Zweifelnden raten.

2.  Die Unwissenden lehren.

3.  Die Sünder ermahnen.

4.  Die Traurigen trösten.

5.  Die Beleidigungen vergeben.

6.  Die lästigen Leute geduldig ertragen.

7.  Für die Lebenden und die Toten beten.

 

Die Sünden

L: Jetzt kommen wir zu den Sünden. Welche Arten von Sünden gibt es?

S: Zwei, die Erbsünde und die Tatsünde. Die Tatsünde unterteilt sich in Todsünde und lässliche Sünde.

L: Was ist die Erbsünde?

S: Sie ist das, womit wir alle geboren werden und was wir von unserem Stammvater Adam als Erbe haben.

L: Wie wird sie bei uns ausgelöscht?

S: Mit der heiligen Taufe.

Wer deshalb ohne Taufe stirbt, kommt in den Limbus und ist in Ewigkeit der Herrlichkeit des Paradieses beraubt.

L: Was ist die Todsünde?

S: Sie ist das, was man gegen die Liebe zu Gott und zum Nächsten begeht. Sie heißt Todsünde, weil sie der Seele ihr geistliches Leben wegnimmt, das heißt die Gnade Gottes.

L: Wie wird sie uns vergeben?

S:  Mit der heiligen Taufe, wenn jemand in einem Alter, in dem er schon Tatsünden begangen hat, getauft wird, oder mit dem Bußsakrament, wie es schon gesagt wurde. Wer aber in der Todsünde stirbt, kommt in die Qualen der Hölle.

L: Was ist die lässliche Sünde?

S:  Sie ist das, was sich nicht gegen die Liebe richtet, die Seele nicht der Gnade beraubt und sie nicht in die Qualen der Hölle kommen lässt. Dennoch missfällt sie Gott, weil sie nicht seinem Willen entspricht und die Glut der Liebe verringert. Aus diesem Grund muss man sich von ihr in dieser Welt oder im Fegfeuer, also im anderen Leben, reinigen.

L: Wieviele Hauptsünden gibt es, die wie Quellen für alle Sünden sind?

S:  Es gibt sieben, und ihr Gegenteil ist jeweils eine entsprechende Tugend.

1.  Stolz, das Gegenteil der Demut.

2.  Habgier gegen Großmut.

3.  Unkeuschheit gegen Keuschheit.

4.  Zorn gegen Geduld.

5.  Völlerei gegen Enthaltsamkeit.

6.  Neid gegen Bruderliebe.

7.  Trägheit gegen Eifer.

L: Wieviele Sünden gegen den Heiligen Geist gibt es?

S:  Sechs.

1.  Verzweiflung am Heil.

2.  Anmaßung, ohne Verdienste gerettet zu werden.

3.  Bekämpfung der einmal erkannten Wahrheit.

4.  Neid auf die Gnaden anderer.

5.  Verstockung in den Sünden.

6.  Unbußfertigkeit bis zuletzt.

L: Wieviele himmelschreiende Sünden gibt es, die vor dem Angesicht Gottes nach Rache schreien?

S: Vier.

1.  Vorsätzliche Tötung.

2.  Widernatürliche fleischliche Sünde.

3.  Unterdrückung der Armen.

4.  Den Arbeitern den Lohn vorzuenthalten.

 

Die vier letzten Dinge und der Rosenkranz

L: Wieviele letzten Dinge des Menschen gibt es, die die Schrift die jüngsten nennt und die uns von den Sünden abhalten, wenn man sie recht bedenkt?

S: Vier. 1. Der Tod. 2. Das Gericht. 3. Die Hölle. 4. Das Paradies.

L: Welche Übung habt ihr, die die Andacht erhält?

S: Ich bete den Rosenkranz zur Muttergottes und betrachte dabei die 15 Geheimnisse dieses Rosenkranzes, in denen das Leben unseres Herrn Jesus Christus enthalten ist.

L: Was sind die fünfzehn Geheimnisse des Rosenkranzes?

S:  Zuerst die fünf freudenreichen:

1.  Die Verkündigung durch den Engel.

2.  Der Besuch bei Elisabeth.

3.  Die Geburt des Herrn.

4.  Die Darstellung im Tempel.

5.  Das Gespräch des jungen Jesus mit den Gelehrten.

Fünf weitere sind die schmerzhaften Geheimnisse:

1.  Das Gebet im Garten.

2.  Die Geißelung an der Säule.

3.  Die Dornenkrönung.

4.  Das Tragen des Kreuzes.

5.  Die Kreuzigung und der Tod des Heilands.

Die fünf letzten sind die glorreichen:

1.  Die Auferstehung des Herrn.

2.  Seine Himmelfahrt.

3.  Das Kommen des Heiligen Geistes.

4.  Die Aufnahme Mariens in den Himmel.

5.  Ihre Krönung und Erhebung über alle Chöre der Engel.

 

Tugendakte

Man soll sie aus ganzem Herzen sprechen. Sie sind für das Heil notwendig.

 

Akt des Glaubens

Ich glaube fest, weil der unfehlbare Gott die Wahrheit so der hl. Kirche und durch sie auch uns geoffenbart hat: Es gibt einen einzigen Gott in drei einander gleichen und voneinander verschiedenen Personen. Sie heißen Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Sohn wurde Mensch und hat dafür im Schoß der allerreinsten Jungfrau Maria Fleisch und eine menschliche Seele angenommen durch das Wirken des Heiligen Geistes. Er starb für uns am Kreuz, erstand vom Grab, fuhr zum Himmel auf, von wo er kommen wird am Ende der Welt, zu richten alle Lebenden und Toten, um den Guten für immer das Paradies, den Bösen aber die Hölle zu geben. Aus demselben Grund glaube ich außerdem alles, was dieselbe katholische, apostolische und römische Kirche glaubt.

 

Akt der Hoffnung

Mein Gott, weil Ihr vollkommen treu, allmächtig und unendlich gut und barmherzig seid, hoffe ich, dass Ihr mir kraft des Leidens und Todes Jesu Christi, unseres Heilandes, das ewige Leben geben werdet, das Ihr jedem verheißen habt, der die Werke eines guten Christen vollbringt. Das nehme auch ich mir vor, es mit Ihrem heiligen Beistand zu tun.

 

Akt der Liebe

Mein Gott, weil Ihr das höchste und vollkommenste Gut seid, liebe ich Euch von ganzem Herzen und über alles. Bevor ich Euch beleidige, bin ich bereit, alles zu verlieren. Aus Liebe zu Euch will ich meinen Nächsten lieben wie mich selbst.

 

Akt der Reue

Mein Gott, ich bereue meine Sünden. Sie tun mir von ganzem Herzen leid, nicht nur wegen der Hölle, die ich verdient habe, und wegen des Paradieses, das ich verloren habe, sondern ich bereue sie noch viel mehr, weil ich im Sündigen einen unendlich guten Gott verachtet habe. Lieber wäre ich zuvor gestorben, als Euch beleidigt zu haben. In Zukunft will ich lieber eher sterben, als Euch noch einmal zu beleidigen, und will auch jede nächste Gelegenheit zur Sünde meiden.

 

Unterricht

 

Für den, der gefirmt werden soll, und was er dafür wissen soll

1.   Das Vater Unser, das „Gegrüßtet seist du, Maria" und das Glaubensbekenntnis.

2.   Die zehn Gebote des Herrn und die fünf Gebote der heiligen Kirche.

3.   Die Hauptsünden, die man meiden muss.

4.   Die Sakramente der heiligen Kirche.

5.   Wieviele Personen der allerheiligsten Dreifaltigkeit es gibt und wer sie sind.

6.   Wer die Person ist, die für uns Fleisch angenommen und uns mit ihrem Tod erlöst hat. Darüber hinaus muss man wissen, was die Firmung ist, die man empfangen soll, welche Wirkung sie in der Seele des Firmlings hervorruft und um welche Disposition man sich für ihren Empfang bemühen muss.

L: Auf welche Weise wird das Sakrament der Firmung gespendet?

S: Der Bischof legt die Hände auf den Kopf dessen, der gefirmt wird. Dann salbt er die Stirn mit dem heiligen Chrisam.

L:  Ich möchte wissen, was das Chrisam ist.

S: Das Chrisam enthält eine Mischung aus Öl und Balsam und ist mit einer feierlichen Weihe des Bischofs bereitet worden.

L: Was bedeutet das Öl?

S: Es bedeutet den Glanz eines guten Gewissens.

L: Und was bedeutet das Balsam?

S: Es bedeutet den Wohlgeruch eines guten Lebens.

L: Würdest du mir bitte erklären, welche Wirkung dieses Sakrament für die Seele hat?

S: Es vermehrt die Gnade und stärkt den Menschen, damit er unbeugsam den Glauben an Christus bekennt. Denn es heißt ursprünglich auch Konfirmation, also Stärkung.

L: Ich möchte wissen, ob die Firmung auch eine andere Wirkung besitzt.

S:  Sie prägt einen Charakter ein, das heißt ein unauslöschliches Zeichen in der Seele. Deshalb kann man sie jemandem auch nur einmal erteilen.

L: Warum werden bei diesem Sakrament wie bei der Taufe Paten benötigt?

S: Wie ein Soldat nicht ohne einen Hauptmann auf das Schlachtfeld geht, so benötigt der gefirmte Christ, der doch ein wahrer Soldat Jesu Christi ist, einen Führer im geistlichen Kampf, und dies ist der Pate.

L: Warum wird die Stirn in Form eines Kreuzes gesalbt?

S: Damit der Gefirmte sich nicht schämt, den Namen Christi zu bekennen, und damit er den Einflüsterungen des teuflischen Feindes widerstehen kann.

L: Warum gibt der Bischof dem Firmling einen Backenstreich?

S: Damit der Gefirmte sich daran erinnert, dieses Sakrament empfangen zu haben, das man kein zweites Mal empfangen kann. Genauer gesagt, damit er sich daran erinnert, ein tapferer Soldat Christi zu sein, dazu bereit, für den heiligen Glauben jede Art von Unrecht zu erdulden.

L: Ich möchte gerne wissen, was der Friedensgruß bedeutet, der am Ende ausgetauscht wird.

S: Der Friedensgruß bedeutet die Fülle der himmlischen Gnade.

L: Legt mir dar, welche Disposition in der Seele eines Firmlings gefordert ist!

S: Es ist erforderlich, sich im Gnadenstand zu befinden, denn dieses Sakrament verleiht Wachstum in der Gnade. Deshalb müsste ein Firmling vorher beichten, wenn er sich im Zustand der Todsünde befinden sollte.

L: Welche Disposition ist im Blick auf den Leib erforderlich?

S:  Es ist überaus angemessen, dass der Firmling nüchtern ist, in einfacher Kleidung, mit gewaschenem Gesicht und mit Haaren, die die Stirn freilassen.

 

Unterricht über die Sakramente

 

Die Beichte

L: Wie reinigt man die Seele von der Todsünde?

S: Mit einer guten Beichte.

L: Worum muss man sich für eine gute Beichte bemühen?

S: Um fünf Dinge.

1.  Man muss sein Gewissen gut erforschen.

2.  Reue darüber haben, dass man Gott beleidigt hat.

3.  Einen festen Vorsatz fassen, ihn von jetzt an nie mehr zu beleidigen und die Gelegenheit, ihn zu beleidigen, zu vermeiden.

4.  All seine Sünden dem Beichtvater bekennen und erklären.

5. Gott mit der auferlegten Buße Genugtuung leisten und, wenn es nötig ist, auch dem Nächsten mit der Wiedergutmachung.

L: Was muss man tun, um sein Gewissen gut zu erforschen?

S: Zweierlei.

Erstens Gott um Erleuchtung bitten, seine Sünden zu erkennen. Zweitens sich für eine genaue Nachforschung über die Sünden, die man in Gedanken, Worten, Werken und Unterlassungen begangen hat, etwas Zeit nehmen.

L: Muss man dem Beichtvater unbedingt genau die Zahl sagen, wie oft man gesündigt hat?

S: Bei den Todsünden ist es unbedingt nötig, genau die Zahl sagen, wie oft man gesündigt hat. Wenn man diese Zahl aber nicht mehr genau kennt, muss man die Zahl sagen, die man dafür am wahrscheinlichsten hält.

L: Aber ist es dann nicht besser, in der Beichte eine größere Zahl dafür, was man falsch gemacht hat, zu nennen?

S: Es ist überhaupt nicht besser. Denn dann würde man ja dem Beichtvater in einer schwerwiegenden Sache eine Lüge sagen.

L: Wie soll derjenige aber die Zahl der Sünden nennen, der sich noch nicht einmal in etwa erinnern kann, wie oft er gefallen ist?

S: In diesem Fall muss er sagen, für einen wie langen Zeitraum er gesündigt hat und wie oft er dabei normalerweise jede Woche oder jeden Monat gesündigt hat.

L: Welcher verschiedenen Art kann die Reue sein, die man bei der Beichte haben muss?

S:  Zweierlei Art, nämlich die unvollkommene und die vollkommene Reue.

L: Was ist die unvollkommene Reue?

S: Die unvollkommene Reue ist die Reue, mit der man die Sünde insgesamt verabscheut. Das geschieht entweder aus Furcht vor der Hölle oder für den Verlust des Paradieses oder für die Hässlichkeit der Sünde selbst. Sie nennt sich Furchtreue.

L: Wie macht man einen Akt der Furchtreue?

S: Mein Gott, ich habe mit meinen Sünden die Hölle verdient und das Paradies verloren. Deshalb bereue ich, und es schmerzt mich von ganzem Herzen, dich beleidigt zu haben. Mit deiner allerheiligsten Gnade nehme ich mir fest vor, dich nie mehr zu beleidigen.

L: Was ist die vollkommene Reue?

S:  Die vollkommene Reue ist die Reue, mit der man die Sünde mehr als alles Übel aus Liebe zu Gott, dem höchsten Gut, verabscheut. Sie nennt sich Liebesreue.

L: Wie können wir eine solche Reue erwerben?

S: Zunächst dadurch, dass wir sie vom Herrn erbitten, denn sie ist seine Gabe. Dann dadurch, dass wir aufmerksam daran denken, dass die Todsünde eine höchste Beleidigung für Gott darstellt. Dabei verdient er es doch für seine unendliche Vollkommenheit, über alles geliebt zu werden und dass alle Geschöpfe ihm mit all ihren Kräften dienen.

L: Wie macht man also einen Akt der Liebesreue?

S:  Man spricht mit aufrichtigem Herzen zum Herrn: Mein Gott, du bist die unendliche Güte und würdig, über alles geliebt zu werden. Darum liebe ich dich aus ganzem Herzen und über alles. Deshalb bereue ich und es schmerzt mich von ganzem Herzen, dich beleidigt zu haben. Mit deiner allerheiligsten Gnade nehme ich mir fest vor, dich nie mehr zu beleidigen.

L: Welchen größeren Wert hat diese vollkommene Reue im Vergleich zur unvollkommenen Reue?

S: Wer einen Akt der vollkommenen Reue macht, dem ist die Sünde sofort vergeben, auch wenn er noch verpflichtet ist, sie zu gegebener Zeit zu beichten. Wer dagegen einen Akt der unvollkommenen Reue macht, dem ist sie noch nicht vergeben, bis er die Lossprechung vom Priester erhält.

L: Wenn sich jemand ohne Beichte in Todesgefahr befindet, wie kann er sich dann von der Sünde befreien?

S: Er könnte sich mit einem Akt vollkommener Reue befreien. Man muss sich jedoch daran gewöhnen, ihn häufig zu sprechen, um ihn im Notfall auch sofort zu können.

L: Wenn jemand ohne Reue und ohne Vorsatz beichten würde, erhielte er dann die Vergebung seiner Sünden?

S:  Er würde sie nicht erhalten, und wenn er in diesem Zustand ohne Reue sterben würde, würde er wie gesagt für immer verloren gehen.

L: Wenn jemand in einer Beichte eine Todsünde ausgelassen hätte, wäre die Beichte dann gültig?

S: Wenn er sie auslässt, weil er sich nicht daran erinnert hat, ist die Beichte gültig. Wenn er sich aber wieder daran erinnert, muss er sie auch beichten. Wenn er sie aber aus Schlechtigkeit oder aus Scham oder wegen einer ungenügenden Gewissenserforschung auslässt, ist die Beichte ungültig, und er beginge ein Sakrileg. Die Sünden wären ihm nicht vergeben.

L: Was muss jemand demnach tun, der in dieser Art und Weise schlecht gebeichtet hat?

S: Drei Dinge muss er tun.

Erstens muss er die Sünde bekennen, die er nicht gebeichtet hat, und dabei ausdrücklich sagen, dass er sie absichtlich ausgelassen hat, nämlich aus Schlechtigkeit, aus Scham oder wegen einer ungenügenden Gewissenserforschung.

Zweitens muss er noch einmal alle Sünden, die er bei dieser Beichte bekannt hat, von neuem sagen.

Drittens muss er sagen, wie oft er gebeichtet oder die Kommunion empfangen hat, seitdem er diese Sünde bei der Beichte ausgelassen hat.

L: Erläutere uns jetzt, wie man das Bekenntnis unserer Sünden vor dem Beichtvater machen soll!

S: Es soll folgendermaßen vor sich gehen.

Erstens vollständig mit allen Sünden: Dabei sagt man die Zahl, die Art und die Umstände, die die Art verändern.

Zweitens demütig, ohne sich zu entschuldigen, sondern indem man sich anklagt und bereitwillig den Tadel des Beichtvaters entgegennimmt.

Drittens aufrichtig, indem man auf die Fragen des Beichtvaters die Wahrheit sagt.

Außerdem rasch, indem man nichts Überflüssiges sagt, die Sünden anderer aufzählt oder diejenigen nennt, die bei der Sünde mitgewirkt haben.

L: Wann soll man die Buße, die der Beichtvater einem auferlegt hat, verrichten?

S: Sobald wie möglich. Man soll sie auch fromm, demütig und in der Weise, wie sie der Beichtvater auferlegt hat, verrichten.

L: Kann der Priester jemals die Sünden, die er in der Beichte vernommen hat, einem anderen preisgeben?

S: Er kann sie in keinem Fall preisgeben, noch nicht einmal, wenn er sonst sein Leben verlieren müsste oder die ganze Welt zugrunde ginge. Ebenso wäre jemand in der Nähe, der eine Sünde von jemandem in de Beichte mithören würde, dazu mit ähnlicher Strenge verpflichtet, sie für immer geheim zu halten.

L: Wann soll man beichten?

S: Das Gebot verpflichtet dazu einmal im Jahr. Ein guter Rat leitet dazu an, zur Beichte zu gehen, bevor man wieder in die Sünde fällt oder zumindest sofort danach. Es ist ja schrecklich, auch nur einen Augenblick in der Todsünde zu leben, wenn der Sünder doch jederzeit sterben könnte und dann verloren ginge.

L: Welches große Gut verschafft eine so verrichtete Beichte der Seele?

S: Sie verschafft sieben Güter.

1.  Sie tilgt die Todsünde.

2.  Sie versetzt uns wieder in die Freundschaft Gottes.

3.  Sie verwandelt die ewige Strafe der Hölle in eine zeitliche Strafe in dieser Welt oder im Fegfeuer.

4.  Sie macht den Verdienst der guten Werke wieder lebendig, die man vor der Sünde getan hat oder die die Sünde hat sterben lassen.

5.  Sie verschafft das Recht auf das Erbe des Paradieses.

6.  Sie gibt die Kraft, den Versuchungen zu widerstehen und ihnen nicht von neuem zu erliegen.

7.  Für gewöhnlich bringt sie auch einen großen Frieden mit sich, ein ruhiges Gewissen in unserem Herzen.

 

Die Eucharistie

L: Was sind die Sakramente, die ein Christ häufiger empfangen muss?

S: Die allerheiligste Eucharistie und die Beichte.

L: Was ist das Sakrament der Eucharistie?

S: Es ist ein Sakrament, das den Leib, das Blut, die Seele und die Gottheit Jesu Christi unter der Gestalt von Brot in der Hostie und von Wein im Kelch in sich birgt.

L: Was ist demnach die Hostie, bevor sie gewandelt ist?

S: Ein wenig Brot.

L: Ist sie nach der Wandlung immer noch Brot?

S:  Nein, sie ist nicht mehr Brot, sondern dr wahre Leib Jesu Christi. Weil aber der Leib lebendig ist und mit der Person des Sohnes Gottes ver­eint ist, ist darin mit dem Leib auch das Blut und mit dem Blut auch die Seele und die Gottheit zugegen.

L: Und was ist der Wein im Kelch vor der Wandlung?

S: Er ist einfach Wein mit ein wenig Wasser.

L: Und was ist er nach der Wandlung?

S: Er ist das wahre Blut Jesu Christi. Weil aber nun das Blut mit dem Leib Christi vereint ist, ist darin mit dem Blut auch der Leib, und mit dem Leib ist die Seele und die Gottheit des Heilands zugegen.

L: Ist denn nicht gleichzeitig noch die Substanz des Brotes in der Hostie und die des Weins im Kelch?

S:  Ganz und gar nicht mehr, denn durch die Wandlung hat sie sich ganz in die Substanz des Leibes und Blutes des Herrn verändert. Es bleiben nur die Gestalten von Brot und Wein.

L: Was versteht man unter den Gestalten des Brotes und des Weines, die in der Hostie und im Kelch bleiben?

S:  Das, was als solches den Sinnen erscheint: Farbe, Geschmack, Geruch und andere ähnliche Eigenschaften.

L: Empfängt der, der eine halbe gewandelte Hostie empfängt, den ganzen Herrn?

S: Er empfängt ihn ganz, denn Jesus Christus befindet sich in der ganzen Hostie ganz so wie in jedem Teil dieser Hostie.

L: Wenn der Priester die Hostie bricht, bricht er dann auch den Leib Jesu Christi?

S:  Nein, denn er bricht nur die Gestalten und die äußere Erscheinungsweise des Brotes.

L: Wenn er diesen Leib nicht bricht, in welchem Teil bleibt dann der Herr?

S:  Er bleibt ganz in jedem der Teile.

L: Wie bleibt er darin, lebendig oder tot?

S: Er bleibt darin lebendig und so schön, groß und herrlich, wie er im Paradies ist.

L: Wenn der Herr in die Hostie kommt, verlässt er dann das Paradies?

S: Er verlässt es nicht, sondern zur gleichen Zeit, da er im Himmel zur Rechten des Vaters sitzt, befindet er sich im allerheiligsten Sakrament.

L: Welche Haltung an Leib und Seele muss jemand aufbringen, um würdig zu kommunizieren?

S: Der Leib muss von Mitternacht an nüchtern sein, es sei denn, er empfängt die Kommunion als Wegzehrung. Die Seele muss von jeder Todsünde gereinigt sein.

L: Wenn sich jemand nach der Beichte vor der Kommunion an eine Todsünde erinnert, was soll er tun?

S: Wenn er sich daran erst an der Kommunionbank erinnert, soll er den Herrn um Verzeihung bitten und die Kommunion empfangen. Später soll er dann zu gegebener Zeit beichten. Wenn er sich dagegen daran erinnert, bevor er dazu hingetreten ist, soll er zum Beichtvater zurückkehren.

L: Muss jemand in der Nacht vor der Kommunion wenigstens eine gewisse Zeit lang geschlafen haben?

S: Nein, mein Herr, wenn er nur überhaupt geschlafen hat und dann aufgestanden ist, kann er kommunizieren.

L: Wie lange muss er die heilige Hostie im Mund behalten, nachdem er sie empfangen hat?

S: Er soll sie sofort hinunterschlucken.

L: Wenn ihm die Hostie aber am Gaumen kleben bleibt, was kann er da machen?

S: Er soll sie mit der Zunge loslösen, nicht mit einem Finger. Wenn das nicht hilft, soll er etwas Wasser oder Wein trinken und sie zusammen mit der Hostie hinunterschlucken.

L: Was sollte jemand vor der Kommunion tun, um von ihr Frucht zu haben?

S: Er sollte seine Seele schmücken, indem er die Größe des Herrn betrachtet, die er empfängt und sich aneignet.

L: Und was sollte er nach der Kommunion tun?

S: Wenigstens eine Viertelstunde lang sollte er die Seele damit beschäftigen, den Herrn anzubeten, ihm zu danken, von ihm Vergebung zu erbitten und von ihm Gnaden erflehen, nicht so wie viele Leute, die gleich nach der Kommunion aus der Kirche gehen und zu reden anfangen.

L: Wie lange sollte man nach der Kommunion nicht auf die Erde spucken?

S: Etwa eine Viertelstunde. Wenn es aber ganz dringend erscheint, soll man zum Ausdruck von Ehrfurcht dazu ein Taschentuch verwenden.

L: Besteht eine gute Frömmigkeit darin, häufig zu kommunizieren?

S: Würdig zu kommunizieren ist die beste aller Frömmigkeitsformen und ist für die Seele die nützlichste von allen. Denn in der Kommunion empfängt man nicht nur die Gnade, sondern den Urheber der Gnade und die Quelle jedes unserer Güter, nämlich Jesus Christus. Deshalb sollte jeder gute Christ wenigstens einmal im Monat kommunizieren.

L: Wer die Kommunion im Zustand der Todsünde empfangen würde, würde er den Herrn empfangen?

S: Ja, aber er würde ein übergroßes Sakrileg begehen, weil er die Kommunion dann wie Judas empfangen würde.2

2 In der der Übersetzung zugrundeliegenden Fassung folgt noch eine Sammlung von Gebeten und Liedern sowie eine Anleitung zum Ministrieren.

 

Ausführlichere Erklärung der christlichen Lehre

Zum Gebrauch für diejenigen, die Kinder und andere einfache Menschen unterrichten. In Gesprächsform verfasst

 

Kapitel I: Was die christliche Lehre ist und welche Hauptstücke sie hat

Schüler (= S): Weil ich begreife, dass es notwendig ist, die christliche Lehre zu kennen, um gerettet zu werden, möchte ich, dass Sie mir erklären, was diese Lehre ist.

Lehrer (= L): Die christliche Lehre ist eine Kurzfassung oder Zusammenfassung all dessen, was Christus, unser Herr, uns gelehrt hat, um uns den Weg zum Heil zu zeigen.

S: Was sind die hauptsächlichen und notwendigeren Stücke dieser Lehre?

L: Es sind vier, nämlich das Glaubensbekenntnis, das Vater Unser, die zehn Gebote und die sieben Sakramente.

S: Warum sind es vier, nicht mehr und nicht weniger?

L: Weil es drei Haupttugenden gibt: Glaube, Hoffnung und Liebe. Das Glaubensbekenntnis ist notwendig für den Glauben, weil es uns lehrt, was wir glauben müssen. Das Vater Unser ist notwendig für die Hoffnung, weil es uns das lehrt, was wir hoffen müssen. Die zehn Gebote sind notwendig für die Liebe, weil sie uns das lehren, was wir tun müssen, um Gott zu gefallen. Die Sakramente sind notwendig, weil sie die Werkzeuge sind, mit denen man die Tugenden empfängt und bewahrt, die wie gesagt notwendig sind, um gerettet zu werden.

S: Ich hätte gern von Ihnen einen Vergleich, um die Notwendigkeit dieser vier Teile der christlichen Lehre besser zu begreifen.

L: Der hl. Augustinus gibt uns den Vergleich mit einem Haus.1 Denn wie man beim Hausbau zuerst das Fundament legen, dann die Wände hochziehen und es am Ende mit einem Dach bedecken muss und wie man dazu einige Werkzeuge benötigt, so braucht man, um in der Seele das Gebäude des Heils zu errichten, das Fundament des Glaubens, die Mauern der Hoffnung, das Dach der Liebe sowie Werkzeuge dazu, nämlich die heiligen Sakramente.

 

Kapitel II: Erklärung des Kreuzzeichens

S: Bevor wir zum ersten Teil der Lehre kommen, würde ich mich freuen, wenn Sie mir einen Vorgeschmack dessen geben könnten, was man zu glauben hat. Könnten Sie mir dazu zusammenfassend und in groben Zügen die notwendigsten Geheimnisse erklären, die im Glaubensbekenntnis enthalten sind?

L: Ihr habt recht, so will ich es auch halten. Ihr müsst also wissen, dass es zwei Hauptgeheimnisse unseres Glaubens gibt und dass beide in jenem Zeichen enthalten sind, das das heilige Kreuzzeichen heißt.

Das erste Geheimnis ist die Einheit und Dreifaltigkeit Gottes. Das zweite ist die Fleischwerdung und Passion des Heilands.

S: Was bedeutet „Einheit und Dreifaltigkeit Gottes"?

L: Diese Dinge sind überaus erhaben, und sie werden nach und nach im Lauf dieser Lehre erklärt. Fürs erste wird es genügen, wenn ihr die Bedeutung der Worte kennenlernt und etwas Weniges davon, so weit es möglich ist, versteht. Einheit Gottes bedeutet, dass über allen erschaffenen Dingen ein Wesen steht, das keinen Anfang gehabt hat, sondern immer schon gewesen ist und immer sein wird; das alle anderen Dinge gemacht hat; das sie erhält und lenkt und über allen das höchste, edelste, schönste und mächtigste Wesen ist und über alles uneingeschränkt herrscht. Dieses Wesen heißt Gott. Er ist einer, weil es nur eine einzige wahre Gottheit geben kann, das heißt eine einzige Natur oder Wesen, das unendlich mächtig, weise, gut usw. ist. Dennoch befindet sich diese Gottheit in drei Personen, die Vater, Sohn und Heiliger Geist heißen. Diese drei Personen sind ein einziger Gott, da sie dieselbe Gottheit und dasselbe Wesen haben. Das ist, als ob hier auf der Erde drei Personen namens Peter, Paul und Johannes dieselbe Seele und denselben Leib hätten. Dann würde man sie doch als drei Personen bezeichnen, weil eine Peter, eine Paul und eine Johannes wäre. Trotzdem wären sie ein einziger Mensch und nicht drei Menschen, weil sie nicht drei Leiber und auch nicht drei Seelen hätten, sondern nur einen Leib und eine Seele. Bei den Menschen ist das nicht möglich, denn das Sein des Menschen ist gering und endlich. Es kann deshalb nicht in mehreren Personen sein. Aber das Sein Gottes und seine Gottheit ist unendlich, und darum kann sich das­selbe Sein und dieselbe Gottheit im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist befinden und befindet sich auch tatsächlich darin. Es sind also drei Personen, denn die erste ist der Vater, die zweite der Sohn und die dritte der Heilige Geist. Trotzdem sind sie nur ein Gott, denn sie haben dieselbe Gottheit, dasselbe Sein, dieselbe Macht, Weisheit, Güte usw.

S: Jetzt sagen Sie mir bitte, was „Fleischwerdung und Passion des Heilands" bedeutet!                     

L: Die zweite göttliche Person, die wie gesagt Sohn heißt, hat außer ihrem göttlichen Sein, welches sie schon besaß, bevor die Welt erschaffen wurde, ja sogar von Ewigkeit her, auch noch menschliches Fleisch und eine menschliche Seele, also unsere ganze menschliche Natur, im Schoß einer ganz reinen Jungfrau angenommen. So fing der, der zuvor nur Gott war, an, Gott und Mensch zugleich zu sein. Nachdem er etwa 33 Jahre unter den Menschen geweilt hatte, wobei er sie den Weg zum Heil gelehrt und viele Wunder getan hatte, ließ er sich schließlich ans Kreuz nageln und starb an ihm, um Gott für die Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu leisten. Doch nach drei Tagen erstand er vom Tod zum Leben und fuhr nach 40 Tagen zum Himmel auf. Davon werden wir noch bei der Erklärung des Glaubensbekenntnisses sprechen. Das also ist die Fleischwerdung und die Passion des Heilands.

S: Warum sind das die Hauptgeheimnisse des Glaubens?

L: Weil im ersten die erste Ursache und das letzte Ziel des Menschen enthalten ist und im zweiten das einzige und sehr wirksame Mittel, um diese erste Ursache zu erkennen und zu diesem letzten Ziel zu gelangen. Ein weiterer Grund ist, dass wir uns, indem wir diese beiden Geheimnisse glauben und bekennen, von allen falschen Parteiungen, d.h. von Heiden, Türken, Juden und Irrgläubigen unterscheiden. Und schließlich kann niemand gerettet werden, ohne diese beiden Geheimnisse zu glauben und zu bekennen.

S: Wie sind diese beiden Geheimnisse im Kreuzzeichen enthalten?

L: Das Kreuzzeichen macht man, indem man sagt: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" und sich gleichzeitig in Form eines Kreuzes bezeichnet. Dabei führt man die rechte Hand zuerst zur Stirn und spricht: „Im Namen des Vaters", dann hinab zur Brust unter den Worten: „und des Sohnes", und schließlich von der linken zur rechten Schulter unter den Worten: „und des Heiligen Geistes". Der Ausdruck „im Namen" zeigt uns die Einheit Gottes, weil man sagt „im Namen" und nicht „in den Namen". Unter dem Namen versteht man aber die göttliche Macht und Autorität, die in den drei Personen eine einzige ist. Die Worte „des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" zeigen uns die Dreifaltigkeit der Personen. Sich in Form eines Kreuzes zu bezeichnen führt uns die Passion und darum auch die Fleischwerdung des Sohnes Gottes vor Augen. Die Hand von der linken zur rechten Seite zu führen und nicht von der rechten zur linken bedeutet, dass wir durch die Passion des Herrn von den vergänglichen Dingen zu den ewigen gebracht worden sind, von der Sünde zur Gnade und vom Tod zum Leben.

S: Zu welchem Zweck macht man dieses Kreuzzeichen?

L: Erstens macht man es, um zu zeigen, dass wir Christen sind, das heißt Soldaten unseres höchsten Feldherrn, Christus. Denn dieses Zeichen ist wie ein Banner oder eine Uniform, wodurch sich die Soldaten Christi von allen Feinden der heiligen Kirche unterscheiden, nämlich von den Heiden, den Juden, den Türken und den Irrgläubigen. Außerdem macht man dieses Zeichen, um die Hilfe Gottes bei unseren Werken anzurufen. Denn mit diesem Zeichen ruft man die allerheiligste Dreifaltigkeit kraft der Passion des Heilands zu Hilfe. Aus diesem Grund haben die guten Christen die Gewohnheit, dieses Kreuz über sich zu schlagen, wenn sie sich vom Bett erheben, wenn sie das Haus verlassen, wenn sie sich zu Tisch setzen, wenn sie sich schlafen legen und auch am Beginn jeder anderen Sache, die sie zu tun haben.2 Schließlich macht man dieses Zeichen, um sich gegen jegliche Ver­suchung des Teufels zu wappnen. Denn der Teufel erschrickt vor diesem Zeichen und flieht vor ihm, so wie es die Verbrecher machen, wenn sie das Zeichen der Polizei sehen. Häufig entgeht jemand mittels dieses Zeichens des heiligen Kreuzes vielen geistlichen und weltlichen Gefahren, wenn er es mit Glauben macht und mit Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit und die Verdienste Christi, unseres Herrn.3

 

Kapitel III: Erklärung des Glaubensbekenntnisses

 

Erklärung des ersten Artikels

S: Jetzt kommen wir zum ersten Teil der Lehre. Ich würde gern das Glaubensbekenntnis lernen.

L: Das Glaubensbekenntnis enthält 12 Teile. Sie heißen Artikel, und 12 sind es entsprechend der Zahl der 12 Apostel, die es verfasst haben.4 Sie lauten so:

1. Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. 2. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, 3. empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, 4. gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, 5. hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, 6. aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; 7. von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. 8. Ich glaube an den Heiligen Geist, 9. die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, 10. Vergebung der Sünden, 11. Auferstehung der Toten 12. und das ewige Leben. Amen.

S: Erklären Sie mir bitte den ersten Artikel Wort für Wort. Was heißt „Ich glaube"?

L: Es heißt: Ich halte all das, was in diesen 12 Artikeln enthalten ist, für gewiss und für ganz wahr. Der Grund dafür ist der, dass Gott selbst die heiligen Apostel diese Sätze gelehrt hat, die heiligen Apostel sie die Kirche gelehrt haben und die Kirche sie uns lehrt. Und weil es unmöglich ist, dass Gott lügt, deshalb glaube ich diese Dinge fester als das, was ich mit den Augen sehe und mit den Händen berühre.

S: Was heißt „an Gott"?

L: Es heißt, dass wir fest glauben müssen, dass es Gott gibt, auch wenn wir ihn nicht mit den leiblichen Augen sehen. Dieser Gott ist einer, denn man sagt ja „an Gott" und nicht „an die Götter". Auch dürft ihr euch Gott nicht so ähnlich wie etwas Körperliches vorstellen, so groß und schön es auch sein mag. Vielmehr müsst ihr denken, dass Gott etwas Geistiges ist, das immer war und immer sein wird, das alles gemacht hat, alles erfüllt und alles regiert. Er weiß und sieht alles. Kurz und gut, wenn ihr irgendetwas vor Augen habt oder es euch vorstellt, so müsst ihr sagen: Was mir da jetzt vor Augen steht, ist nicht Gott, weil Gott etwas unendlich Besseres ist.

S: Warum wird dann gesagt, dass Gott Vater ist?

L: Weil er wirklich der Vater seines eingeborenen Sohnes ist, von dem wir im zweiten Artikel sprechen werden. Des weiteren, weil er Vater aller rechtschaffenen Menschen ist, freilich nicht der Natur nach, sondern dadurch, dass er sie sozusagen adoptiert hat. Schließlich weil er Vater aller Geschöpfe ist, jedoch weder der Natur nach noch dadurch, dass er sie an Kindes statt angenommen hat, sondern durch die Schöpfung, wie wir es im selben Artikel gleich sagen werden.

S: Warum sagt man „den Allmächtigen"?

L: Weil dies ein nur Gott zukommender, ihm eigener Titel ist. Obwohl Gott viele ihm eigene Titel hat, wie zum Beispiel ewig, unendlich, unermesslich usw., ist es an dieser Stelle doch der passendste, dass er allmächtig ist. So fällt es uns leicht zu glauben, dass er den Himmel und die Erde aus nichts geschaffen hat, wie es ja in den folgenden Worten gesagt wird. Denn für den, der alles tun kann, was er will, und somit allmächtig ist, muss alles leicht sein. Wenn ihr mir jetzt aber sagen würdet, dass Gott ja nicht sterben und nicht sündigen kann und er so anscheinend nicht alles kann, würde ich euch folgendes antworten: Sterben und sündigen können ist kein Ausdruck von Macht, sondern von Ohnmacht. Bei einem überaus tapferen Soldaten, der alle besiegen kann und selbst von niemandem besiegt werden kann, setzt man doch nicht seine Stärke herab, indem man sagt, er könne nicht besiegt werden. Denn besiegt werden zu können ist keine Stärke, sondern eine Schwäche.

S: Was heißt „Schöpfer"?

L: Es bedeutet, dass Gott alle Dinge aus nichts gemacht hat und dass er allein sie auch wieder zu nichts machen kann. Wohl können die Engel und die Menschen wie auch die bösen Geister etwas machen oder vernichten. Aber sie können es nur aus einer Materie machen, die schon vorher vorhanden war. Ebenso können sie es nur zerstören, indem sie es in etwas anderes verwandeln. Es ist wie bei einem Maurer, der ein Haus nicht aus nichts machen kann, sondern aus Steinen, Kalk und Holz, und es auch nicht zu nichts werden lassen kann, wenn er es niederreißt, sondern nur wieder zu Steinen, Staub, Holz und dergleichen. Darum heißt nur Gott Schöpfer und ist es, weil nur er keine Materie braucht, um die Dinge zu machen.

S: Warum sagt man „Schöpfer des Himmels und der Erde"? Hat Gott nicht auch die Luft, das Wasser, die Steine, die Bäume, die Menschen und alles übrige gemacht?

L: Unter Himmel und Erde versteht man hier auch alles, was im Himmel und auf Erden ist. Wenn jemand sagt, dass der Mensch Leib und Seele hat, meint er damit ja auch, dass er alles hat, was sich im Leib befindet, also Adern, Blut, Knochen, Nerven usw., sowie alles, was sich in der Seele befindet, wie Verstand, Willen, Gedächtnis, innere und äußere Sinne usw. Ebenso versteht man unter Himmel auch die Luft, die Vögel und alle Dinge, die noch weiter oben sind, dort, wo die Wolken und die Sterne sind - darum spricht man ja auch von den Vögeln des Himmels, den Wolken am Himmel, den Sternen am Himmel -, und schließlich die Engel. Unter Erde versteht man alles, was von der Luft umschlossen ist wie das Wasser des Meeres und der Flüsse, die in den niedrigeren Teilen der Erde gelegen sind, und auch alle Tiere, Pflanzen, Steine, Metalle und alles übrige, was sich in der Erde oder im Meer befindet. Man spricht also von „Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde", weil dies die beiden Hauptteile der Welt sind, ein oberer, in dem die Engel, und ein unterer, in dem die Menschen wohnen. Dies sind nämlich die beiden Geschöpfe, die edler als alle anderen sind und denen alle anderen dienen, so wie die beiden wiederum die Pflicht haben, Gott zu dienen, der sie aus nichts geschaffen und ihnen eine so hohe Würde verliehen hat.

 

Erklärung des zweiten Artikels

S: Erklären Sie mir jetzt bitte den zweiten Artikel. Was heißt „und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn"?

L: Gott, der Allmächtige, von dem wir im ersten Artikel gesprochen haben, hat einen wahren Sohn, der seiner Natur entstammt und Jesus Christus heißt. Damit ihr aber einigermaßen versteht, wie Gott diesen Sohn gezeugt hat, nehmt den Vergleich mit dem Spiegel. Wenn jemand sich in einem Spiegel anschaut, bringt er im gleichen Moment ein Bild von sich selbst hervor, das ihm selbst so ähnlich ist, dass man überhaupt keinen Unterschied feststellen kann, weil es nicht nur im Aussehen, sondern auch in der Bewegung ähnlich ist, so dass sich, wenn der Mensch sich bewegt, auch das Bild bewegt. Und dieses Bild wird nicht mit Mühe, mit Zeitaufwand oder mit einem Werkzeug erzeugt, sondern sofort und durch einen einzigen Blick. So also habt ihr euch zu denken, dass Gott sich selbst mit dem Auge des Verstandes im Spiegel seiner Gottheit anschaut und dabei ein ihm selbst vollkommen gleiches Bild erzeugt. Weil Gott diesem seinem Bild aber sein ganzes Wesen und sein ganzes Sein gegeben hat, wozu wir, wenn wir uns im Spiegel anschauen, nicht in der Lage sind, ist dieses Bild der wahre Sohn Gottes, während unsere Bilder, die wir in den Spiegeln sehen, nicht unsere Kinder sind. Daran müsst ihr begreifen, dass der Sohn Gottes wie der Vater Gott ist und ein und derselbe Gott mit dem Vater, weil er dasselbe Wesen wie der Vater hat. Weiterhin müsst ihr verstehen, dass der Sohn Gottes nicht jünger ist als der Vater, sondern immer war, so wie der Vater immer war, weil er allein dadurch gezeugt wurde, dass Gott sich selbst anschaut, und Gott schaute sich selbst von Ewigkeit her an. Schließlich müsst ihr begreifen, dass der Sohn Gottes nicht mit der Hilfe einer Frau, in einer bestimmten Zeitdauer, unter niedriger fleischlicher Begierde oder unter anderen Unvollkommenheiten gezeugt wurde, weil er wie gesagt allein vom Vater durch den einfachen Blick auf sich selbst vom allerreinsten Auge des göttlichen Verstandes gezeugt wurde.

S: Warum wird dieser Sohn Jesus Christus genannt?

L: Der Name Jesus bedeutet Heiland und Christus (also sein Beiname) bedeutet Hoherpriester und König aller Könige, weil, wie ich euch bei der Erklärung des Kreuzzeichens sagte, der Sohn Gottes Mensch wurde, um uns mit seinem Blut loszukaufen und uns zum ewigen Heil zu führen. Und so nahm er, als er Mensch wurde, diesen Namen „Heiland" an, um zu zeigen, dass er gekommen ist, um uns zu retten, und er wurde vom Vater mit dem Titel des höchsten Priesters und des obersten Königs geehrt. Dies beides bedeutet der Name Christus, und nach ihm heißen wir Christen.

S: Aus welchem Grund nehmen alle den Hut ab oder verneigen sich, wenn der Name Jesus genannt wird, was bei den anderen Namen Gottes nicht geschieht?

L: Der Grund ist, dass dies der Eigenname des Sohnes Gottes ist, alle anderen Namen aber gemeinsam sind. Außerdem weil dieser Name uns vor Augen führt, wie Gott sich für uns erniedrigt hat, indem er Mensch geworden ist. Darum verneigen wir uns aus Dankbarkeit vor ihm. Doch nicht nur wir Menschen, sondern auch die Engel des Himmels und die Dämonen der Hölle verneigen sich vor diesem Namen, die einen aus Liebe, die anderen gezwungen. Denn Gott wollte, dass alle vernunftbegabten Geschöpfe*sich vor seinem Sohn verneigen, weil dieser sich aus Liebe zu uns erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz.

S: Warum wird gesagt, dass Jesus Christus unser Herr ist?

L: Weil er uns gemeinsam mit dem Vater erschaffen hat, ist er unser Gebieter und Herr ebenso wie der Vater. Darüber hinaus hat er uns noch mit seiner Mühsal und seinen Leiden aus der Gefangenschaft des Teufels befreit hat, wie wir gleich erläutern werden.

 

Erklärung des dritten Artikels

S: Der Reihenfolge nach erklären Sie mir jetzt den dritten Artikel. Was bedeutet: „Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria"?

L: In diesem Artikel wird die neue und wunderbare Weise der Fleischwerdung des Sohnes Gottes erklärt. Ihr wisst, dass alle anderen Menschen von Vater und Mutter ihre Geburt haben und dass die Mutter nach der Empfängnis und der Geburt des Kindes nicht mehr Jungfrau ist. Nun wollte der Sohn Gottes, als er beschloss Mensch zu werden, keinen irdischen Vater haben, sondern nur eine Mutter mit Namen Maria. Sie war und blieb allezeit eine ganz reine Jungfrau, weil der Heilige Geist, der die dritte göttliche Person ist und mit dem Vater und dem Sohn ein und derselbe Gott ist, mit seiner unendlichen Macht aus dem allerreinsten Blut dieser Jungfrau in ihrem Schoß den Leib eines ganz vollkommenen Kindes und gleichzeitig eine ganz edle Seele formte und diese mit dem Leib dieses Kindes verband. Das Ganze verband der Sohn Gottes mit seiner Person. So fing Jesus Christus, der zuvor nur Gott war, an, Gott und Mensch zugleich zu sein, und wie er als Gott einen Vater, aber keine Mutter hat, so hat er als Mensch eine Mutter, aber keinen Vater.

S: Ich möchte gern ein Beispiel oder einen Vergleich, um zu verstehen, wie eine Jungfrau empfangen kann.

L: Die Geheimnisse Gottes muss man glauben, auch wenn man sie nicht versteht. Denn Gott kann mehr tun, als wir begreifen können. Darum sagt man ja am Beginn des Glaubensbekenntnisses, dass Gott allmächtig ist. Dennoch gibt es ein schönes Gleichnis für die jungfräuliche Empfängnis, und zwar bei der Erschaffung der Welt. Ihr wisst, dass die Erde normalerweise kein Getreide hervorbringt, wenn sie nicht zuvor gepflügt, besät, mit Regen benetzt und von der Sonne erwärmt worden ist. Am Anfang hingegen, als zum ersten Mal Korn gewachsen ist, da war die Erde nicht gepflügt, besät, befeuchtet und erwärmt. So war sie in ihrer Art vollkommen jungfräulich. Damals brachte sie auf das bloße Geheiß Gottes, des Allmächtigen, durch die Kraft Gottes in einem Augenblick das Getreide hervor.5 Ebenso brachte der jungfräuliche Schoß Mariens, ohne dass sie mit einem Mann Umgang gehabt hätte, auf bloßen Geheiß Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes jenes kostbare Weizenkorn des beseelten Leibes des Sohnes Gottes hervor.

S: Wenn Jesus Christus durch den Heiligen Geist empfangen ist, dann kann man doch anscheinend sagen, dass der Heilige Geist für ihn als Mensch der Vater ist?

L: So ist es nicht, denn um Vater zu sein reicht es nicht, etwas zu machen, sondern man muss es auch aus dem eigenen Wesen machen. Deshalb nennen wir den Maurer auch nicht den Vater des Hauses, weil er es aus Ziegelsteinen und nicht aus seinem eigenen Fleisch macht. Nun hat der Heilige Geist zwar den Leib des Sohnes Gottes gemacht, aber er hat ihn aus dem Fleisch der Jungfrau gemacht und nicht aus seinem eigenen Wesen. Deshalb ist der Sohn Gottes nicht der Sohn des Heiligen Geistes, sondern als Gott der Sohn Gottes, des Vaters, weil er von ihm die Gottheit hat, und als Mensch der Sohn der Jungfrau, weil er von ihr das menschliche Fleisch hat.

S: Warum sagt man, dass der Heilige Geist dieses Werk der Fleischwerdung vollbracht hat? Haben daran nicht auch der Vater und der Sohn mitgewirkt?

L: Was eine göttliche Person wirkt, das wirken auch zugleich die beiden anderen, weil sie dieselbe Macht, Weisheit und Güte haben. Dennoch werden die Taten der Macht dem Vater zugeschrieben, die der Weisheit dem Sohn und die der Liebe dem Heiligen Geist. Weil aber die Fleischwerdung das Werk der höchsten Liebe Gottes zum Menschengeschlecht war, wird es dem Heiligen Geist zugeschrieben.

S: Ich möchte gern ein Gleichnis, um zu verstehen, wie alle drei göttlichen Personen bei der Fleischwerdung zusammengewirkt haben und dennoch nur der Sohn allein Fleisch und Mensch geworden ist.

L: Wenn ein Mensch ein Gewand anlegt und zwei andere ihm beim Ankleiden behilflich sind, dann sind es drei, die beim Ankleiden zusammenwirken, und doch wird nur einer angekleidet. Ebenso haben alle drei göttlichen Personen bei der Fleischwerdung des Sohnes zusammengewirkt, aber nur der Sohn ist Fleisch und Mensch geworden.

S: Warum ist in diesem Artikel hinzugefügt „geboren von der Jungfrau Maria"?

L: Weil sich auch hierin etwas nie Dagewesenes ereignete, dass nämlich der Sohn Gottes am Ende des neunten Monats aus dem Schoß der Jungfrau Maria ohne Schmerzen und Schaden der Mutter hervorkam und kein Anzeichen seines Hervorgangs hinterließ, so wie er es machte, als er auferstanden aus dem versiegelten Grab hervorkam und als er dann in den Abendmahlssaal, wo sich seine Jünger befanden, bei geschlossenen Türen eintrat und wieder hinausging. Deshalb sagt man, dass die Mutter unseres Herrn Jesus Christus allezeit Jungfrau war, vor der Geburt, in der Geburt und nach der Geburt.

 

Erklärung des vierten Artikels

S: Was bedeutet das, was im vierten Artikel folgt: „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben"?

L: Dieser Artikel enthält das überaus heilbringende Geheimnis unserer Erlösung. Kurz zusammengefasst besteht es darin: Christus hat etwa 33 Jahre auf dieser Erde geweilt und durch sein ganz heiliges Leben, durch seine Lehre und durch Wunder den Weg des Heils gelehrt. Dann ließ ihn Pontius Pilatus, der Herrscher über Judäa, zu Unrecht geißeln und an ein Kreuz nageln. An diesem Kreuz starb er. Dann wurde er von einigen frommen Menschen begraben.

S: Bei diesem Geheimnis kommen mir einige Fragen. Ich möchte sie gern von Ihnen geklärt haben, damit ich Gott um so dankbarer bin für eine solche große Wohltat, je mehr ich sie verstehe. So sagen Sie mir bitte, wenn Christus der Sohn des allmächtigen Gottes ist, warum wurde er dann nicht von seinem Vater aus der Hand des Pilatus befreit, ja, wenn Christus selbst Gott ist, warum befreite er sich dann nicht selbst?

L: Wenn Christus es gewollt hätte, hätte er sich auf tausenderlei Arten aus der Hand des Pilatus befreien können, ja die ganze Welt wäre nicht in der Lage gewesen, ihm irgendein Leid zuzufügen, wenn er es nicht selbst gewollt hätte. Das kann man klar an folgendem erkennen: Er wusste und sagte es seinen Jüngern auch vorher, dass ihn die Juden suchen würden, um ihn zu töten, und dass sie ihn geißeln, verhöhnen und schließlich umbringen würden. Dennoch versteckte er sich nicht, sondern ging seinen Feinden sogar entgegen. Und als sie ihn ergreifen wollten, ihn aber nicht erkannten, sagte er selbst, dass er der sei, den sie suchten, und im gleichen Moment, als sie alle wie tot zu Boden gefallen waren, lief er nicht davon, wie er gekonnt hätte, sondern wartete, dass sie wieder zu sich kämen und sich aufrichteten. Dann ließ er sich festnehmen, fesseln und wie ein sanftes Lamm wegführen, wohin sie wollten.

S: Aus welchem Grund ließ sich Christus unschuldig kreuzigen und umbringen?

L: Aus vielen Gründen, hauptsächlich jedoch, um Gott für die Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu leisten. Denn ihr müsst wissen, dass die Beleidigung sich nach der Würde dessen bemisst, der beleidigt wurde, die Genugtuung dagegen nach der Würde dessen, der sie erbringt. Wenn also zum Beispiel ein Diener einem Fürsten eine Ohrfeige gäbe, würde man das entsprechend der Größe des Fürsten für ein sehr schweres Vergehen halten. Wenn dagegen der Fürst dem Diener eine Ohrfeige gäbe, würde er entsprechend des niedrigen Standes des Dieners nur etwas Unbedeutendes tun. Oder andersherum: Wenn ein Diener vor dem Fürsten seinen Hut zieht, hat das keine große Bedeutung. Wenn aber der Fürst ihn vor dem Diener zieht, wird er ihm damit entsprechend der erwähnten Regel eine bemerkenswerte Gunst erweisen. Weil nun der erste Mensch und mit ihm wir alle Gott beleidigt haben, der eine unendliche Würde besitzt, verlangte die zugefügte Beleidigung eine unendliche Genugtuung. Aber es gab weder einen Menschen noch einen Engel mit einer so großen Würde. Darum kam der Sohn Gottes, der Gott ist und damit von unendlicher Würde, nahm sterbliches Fleisch an und unterwarf sich in diesem Fleisch zur Ehre Gottes dem Tod am Kreuz. So leistete er mit seiner Strafe für unsere Schulden eine vollständige Genugtuung.

S: Was ist der andere Grund, warum Christus einen so bitteren Tod erleiden wollte?

L: Um uns durch sein Vorbild die Tugenden der Geduld, der Demut, des Gehorsams und der Liebe zu lehren. Diese vier Tugenden sind nämlich mit den vier Enden des Kreuzes ausgedrückt. Denn man kann keine größere Geduld finden, als dass jemand zu Unrecht einen so schändlichen Tod erleidet; keine größere Demut, als dass der Herr aller Herren sich dem unterwarf, inmitten von Räubern gekreuzigt zu werden; keinen größeren Gehorsam, als lieber zu sterben statt den Befehl des Vaters nicht zu erfüllen; und keine größere Liebe, als sein Leben hinzugeben, um sogar die Feinde zu retten. Ihr müsst nämlich wissen, dass sich die Liebe eher in Werken als in Worten und eher durch Leiden als durch Taten zeigt. So hat Christus, indem er uns nicht nur unendliche Wohltaten erweisen wollte, sondern für uns auch leiden und sterben wollte, gezeigt, dass er uns über alle Maßen liebt.

S: Wenn Christus Gott und Mensch ist, wie Sie bereits gesagt haben, und wenn Gott offensichtlich nicht leiden und sterben kann, wieso sagen wir dann hier, dass er gelitten hat und gestorben ist?

L: Genau dadurch, dass Christus Gott und Mensch ist, kann er zugleich leiden und nicht leiden, sterben und nicht sterben. Insofern er Gott ist, konnte er weder leiden noch sterben. Insofern er aber Mensch ist, konnte er leide und sterben. Deshalb habe ich euch gesagt, dass er, der Gott war, Mensch geworden ist, um für unsere Sünden Genugtuung zu leisten, indem er an seinem allerheiligsten Fleisch die Strafe des Todes erduldet hat. Das hätte er nicht tun können, wenn er nicht Mensch geworden wäre.

S: Wenn Christus dem Vater für die Sünden aller Menschen Genugtuung geleistet hat, wie kommt es dann, dass so viele Menschen verdammt werde und dass auch wir selbst für unsere Sünden Buße tun müssen?

L: Christus hat für alle Sünden aller Menschen Genugtuung geleistet. Dies Genugtuung muss jedoch im einzelnen diesem oder jenem zugewendet werden. Dies geschieht durch den Glauben, die Sakramente, die guten Werke und besonders durch die Buße. Aus diesem Grund muss man also Buße tun und gute Werke verrichten, obwohl Christus für uns gelitten und gewirkt hat. Aus diesem Grund gehen auch viele verloren und bleiben Feinde Gottes, weil sie entweder wie die Juden, Türken und Häretiker den Glauben nicht annehmen wollen oder weil sie die Sakramente nicht empfange wollen wie diejenigen, die sich nicht taufen lassen oder beichten wollen oder weil sie nicht für ihre Sünden Buße tun wollen, wie es angemessen ist, und sich nicht dazu entschließen wollen, dem Gesetz Gottes entsprechend zu leben.

S: Um das zu verstehen, möchte ich gern ein Gleichnis.

L: Stellt euch jemanden vor, der sich gewaltig abmühen würde und der unter großer Anstrengung im Schweiße seines Angesichts so viel Geld verdienen würde, dass es reicht, die gesamten Schulden dieser Stadt zu begleichen. Dieses Geld würde er nun auf die Bank geben, damit es all jenen gegeben würde, die einen Gutschein von ihm vorweisen könnten. Dieser Mann hatte damit von seiner Seite aus gewiss für alle die Schulden beglichen. Dennoch könnte es geschehen, dass viele trotzdem verschuldet bleiben, weil sie aus Stolz, aus Faulheit oder aus einem anderen Grund den Gutschein nicht erbitten wollen und ihn nicht zur Bank bringen wollen, um das Geld zu erhalten.
 

Erklärung des fünften Artikels

S: Der fünfte Artikel lautet: „hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten". Um ihn zu verstehen, möchte ich gern wissen: Was ist mit diesem Ort „Reich des Todes" (Unterwelt) gemeint?

L: Die Unterwelt ist der tiefste und am weitesten unten gelegene Ort, den es auf der Welt gibt, nämlich der Mittelpunkt der Erde. Deshalb stellt die Schrift an vielen Stellen den Himmel als den höchsten Punkt der Unterwelt als dem tiefsten gegenüber. In dieser Tiefe der Erde gibt es aber vier Teile6, die wie gewaltige Höhlen sind. Eine für die Verdammten, das ist die tiefste von allen. Und so ist es ganz passend, dass die stolzen Dämonen und ihre Anhänger unter den Menschen sich am tiefsten Punkt befinden, dem am weitesten vom Paradies entfernten Ort, den es überhaupt gibt. In der zweiten Höhle, die etwas höher gelegen ist, befinden sich die Seelen, die die Strafen des Fegfeuers erleiden. In der dritten, die noch etwas höher gelegen ist, befinden sich die Seelen der Kinder, die ohne Taufe gestorben sind; sie erdulden keine Feuerqualen, sondern nur den immerwährenden Ausschluss von der ewigen Seligkeit. In der vierten, der höchsten von allen, befanden sich die Seelen der Patriarchen, Propheten und anderer Heiliger, die vor dem Kommen Christi gestorben waren. Denn obwohl diese heiligen Seelen keiner Reinigung bedurften, konnten sie doch nicht in die ewige Seligkeit eingehen, bevor nicht Christus durch seinen Tod das Tor zum ewigen Leben geöffnet hatte. Deshalb befanden sie sich an diesem am höchsten gelegenen Ort, Limbus der heiligen Väter oder Schoß Abrahams genannt, wo sie keinerlei Strafe erduldeten, ja eine süße Ruhe genossen, während sie mit großer Freude das Kommen des Herrn erwarteten. Daher lesen wir im Evangelium, dass die Seele des heiligen Bettlers Lazarus von den Engeln zur Ruhe in Abrahams Schoß getragen wurde, wo sie vom reichen Prasser gesehen wurde. Während dieser in den Flammen der Hölle brannte, blickte er empor und sah Lazarus an einem sehr viel höher gelegenen Ort, wo er sich in großer Freude und Trost befand und den Lohn für seine Geduld genoss.7

S: In welchen dieser vier Teile der Unterwelt stieg Christus nach seinem Tod hinab?

L: Ohne Zweifel stieg er in den Limbus der heiligen Väter hinab, machte sie augenblicklich selig und führte sie dann auch mit sich ins Himmelreich. Er zeigte sich auch in allen anderen Teilen der Unterwelt. Dabei setzte er als feierlich einziehender Sieger die Dämonen in Schrecken, drohte als oberster Richter den Verdammten und tröstete als Fürsprecher und Befreier die Seelen im Fegfeuer. Christus stieg so in die Unterwelt hinab, wie ein König manchmal in die Kerker hinabzusteigen pflegt, um sie zu besichtigen und um zu begnadigen, wen er will.

S: Wenn Christus schon tot war und sein Leib im Grab ruhte, dann ist doch nicht der ganze Christus in die Unterwelt hinabgestiegen, sondern nur die Seele Christi. Wie kann man dann sagen, dass Christus in die Unterwelt hinabgestiegen ist?

L: Der Tod hatte wohl die Macht, die Seele Christi von seinem Leib zu trennen, doch er konnte weder die Seele noch den Leib von der göttlichen Person Christi trennen. Deshalb glauben wir, dass die göttliche Person Christi sich mit dem Leib im Grab befand und dieselbe göttliche Person mit der Seele zur Unterwelt abstieg.

S: Wie kann man aufzeigen, dass der Herr am dritten Tage vom Tod erstand, wenn doch zwischen dem Freitagabend, als Christus begraben wurde, und der Nacht vor dem Sonntag, als er auferstand, nicht einmal zwei ganze Tage  lagen?

L: Wir sagen nicht, dass Christus nach drei ganzen Tagen auferstand, sondern am dritten Tag. Das ist auch vollkommen richtig, weil er am Freitag im Grab lag, (das ist der erste Tag, wenn auch kein ganzer), und den ganzen Samstag, also dem zweiten Tag, und einen Teil des Sonntags, also den dritten Tag, weil die natürlichen Tage am Vorabend beginnen, wenn unsere Uhren 18 Uhr geschlagen haben.

S: Aus welchem Grund erstand Christus nicht unmittelbar nach dem Tod, sondern wollte drei Tage warten?

L: Weil er zeigen wollte, dass er wirklich tot war. Er wollte so lange im Grabe bleiben, wie nötig war, um diese Wahrheit zu beweisen. Auch möcht ich, dass ihr bedenkt, dass Christus, wie er 33 oder 34 Jahre unter den Menschen lebte, so auch wenigstens 33 oder 34 Stunden unter den Verstorbenen weilen wollte, was tatsächlich so viel ergibt, wenn Ihr 7 Stunden des Freitags (weil er am Freitag um 17 Uhr begraben wurde), 24 Stunden des Samstags und 2 oder 3 Stunden des Sonntags zusammenzählt, weil Christus nach Mitternacht auferstand, beim Anbruch der Morgendämmerung. 8

S: Was bedeutet es, dass man von Christus sagt, er sei auferstanden, und von den anderen Toten wie Lazarus und dem Sohn der Witwe aber, sie seien auferweckt worden?

L: Der Grund ist, dass Christus, da er der Sohn Gottes ist, von sich aus auferstand, d.h. kraft seiner Gottheit die Seele wieder mit dem Leib vereint hat und so von neuem zu leben begann. Die anderen Toten dagegen können nicht aus eigener Kraft ins Leben zurückkehren. Deshalb sagt man, dass sie von anderen auferweckt wurden, so wie wir einst alle am Tag des Gerichts durch Christus auferweckt werden.

S: Gibt es noch einen anderen Unterschied zwischen der Auferstehung Christi und der der anderen, die vor ihm zum Leben zurückkehrten?

L: Es gibt den Unterschied, dass die anderen als Sterbliche auferstanden sind und deshalb noch ein zweites Mal gestorben sind. Christus dagegen war nach der Auferstehung unsterblich und kann niemals mehr sterben.9

 

Erklärung des sechsten Artikels

S: Jetzt kommen wir zum sechsten Artikel, der von der Himmelfahrt handelt. Ich möchte gern wissen, wie lange und aus welchem Grund der Herr nach der Auferstehung auf Erden weilte.

L: Er weilte hier 40 Tage, wie Ihr begreifen könnt, wenn Ihr die Tage zusammenzählt, die vom Osterfest, dem Fest der Auferstehung, bis zum Fest der Himmelfahrt vergehen. Der Grund dieses langen Aufenthalts war, dass Christus mit vielen und ganz unterschiedlichen Erscheinungen das Geheimnis seiner wahren Auferstehung bekräftigen wollte. Denn dieses Geheimnis ist das, was gewissermaßen am schwersten zu glauben ist, und wenn man das glaubt, hat man keine Probleme mehr, die anderen Geheimnisse auch zu glauben. Denn wer aufersteht, muss zuvor wirklich tot gewesen sein, und wer tot gewesen ist, muss zuvor auch geboren worden sein. Wer demnach die Auferstehung Christi glaubt, dem macht es keine Schwierigkeiten, auch den Tod und die Geburt zu glauben. Und wer die Auferstehung des Heilands glaubt, wird ebenso mühelos auch seine Himmelfahrt glauben, weil für verherrlichte Leiber nicht der Aufenthalt auf der Erde, sondern im Himmel angemessen ist.

S: Ich möchte gern wissen, warum man sagt, dass Christus in den Himmel aufgefahren ist, während man von seiner Mutter, der allerseligsten Jungfrau, sagt, dass sie aufgenommen wurde, und nicht, dass sie aufgefahren ist.

L: Der Grund ist einfach: weil Christus, da er Gott und Mensch war, aus eigener Kraft zum Himmel auffuhr, wie er auch aus eigener Kraft auferstanden war. Die Mutter aber, die ein Geschöpf war, wenn auch das erhabenste von allen, wurde nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft Gottes auferweckt und ins Himmelreich geführt.

S: Was bedeutet: „er sitzt zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters"?

L: Ihr dürft es euch nicht etwa so vorstellen, dass der Vater sich zur Linken des Sohnes befindet, oder dass der Vater sich in der Mitte befindet und im leiblichen Sinn zur Rechten den Sohn und zur Linken den Heiligen Geist hat. Denn wie der Vater, so befindet sich der Sohn seiner Gottheit nach überall, und genauso der Heilige Geist, und man kann nicht sagen, dass der eine sich im eigentlichen Sinn zur Rechten oder zur Linken des anderen befindet.10 Sich zur Rechten befinden bedeutet dagegen in diesem Artikel, die gleiche Hoheit, die gleiche Herrlichkeit und Majestät zu besitzen. Denn wer sich an der Seite eines anderen befindet, steht weder höher noch niedriger als er. Um uns aber diese Redeweise begreiflich zu machen, sagt die Heilige Schrift an einer Stelle im Psalm 109 (110), der mit den Worten beginnt „Dixit Dominus Domino meo (Es sprach der Herr zu meinem Herrn)", dass der Sohn zur Rechten des Vaters sitzt, und an einer anderen Stelle sagt sie, dass der Vater zur Rechten des Sohnes steht.11 Damit will sie uns begreiflich machen, dass sie den gleichen hohen Rang innehaben, wie wir es gesagt haben. Als Christus in den Himmel auffuhr, stieg er somit über alle Chöre und Ordnungen der Engel sowie der heiligen Seelen, die er mit sich führte, empor und gelangte zum hoch erhabenen Thron Gottes. Dort blieb er und stieg nicht etwa über den Vater hinaus oder blieb unter ihm, sondern setzte sich ihm sozusagen zur Seite, ihm gleich an Herrlichkeit und Hoheit.

S: Da Christus Gott und Mensch ist, möchte ich gern wissen, ob er nur als Gott zur Rechten des Vaters sitzt oder auch als Mensch.

L: Christus ist als Gott dem Vater gleich und als Mensch geringer als der Vater. Weil aber Christus als Gott und Mensch keine zwei Christus oder zwei Personen ist, sondern nur ein Christus und nur eine Person, deshalb sagen wir, dass Christus als Gott und Mensch zur Rechten des Vaters sitzt. So befindet sich die Menschheit des Herrn, d.h. sein Fleisch und seine Seele, auf dem Thron Gottes zur Rechten Gottes, des Vaters, nicht weil sie dessen würdig wäre, sondern weil sie verbunden ist mit der Person des wahren Sohnes Gottes, der der Natur des Vaters entstammt.

S:  Ich möchte gern ein Gleichnis, um das zu verstehen.

L: Stellt euch zum Vergleich den königlichen Purpur vor. Wenn ein König mit dem Purpur angetan auf seinem Königsthron sitzt und alle Fürsten des Reiches tiefer als er sitzen, dann befindet sich der Purpur des Königs an einem hervorragenderen Platz als die genannten Fürsten, weil er sich auf dem Thronsessel des Königs selbst befindet. Dies geschieht aber nicht deshalb, weil der Purpur die gleiche Würde wie der König hat, sondern weil er mit dem König verbunden ist als sein ihm eigentümliches Gewand. So also sitzt auch das Fleisch und die Seele Christi über allen Cherubim und Seraphim auf dem Thron Gottes selbst, nicht wegen der Würde ihrer Natur, sondern wegen der Vereinigung mit Gott. Und diese Verbindung ist nicht etwa nur wie bei dem König und seinem Gewand, sondern sehr viel enger. Sie besteht nämlich in der Einheit der Person, wie bereits gesagt wurde.

 

Erklärung des siebten Artikels

S: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten." Wann wird dieses Kommen des Herrn sein?

L: Es wird am Ende der Welt sein.12 Darum muss man wissen, dass diese Welt ein Ende haben und in einer Feuerflut untergehen muss, die alles, was auf der Erde ist, verbrennen wird.13 Dann wird es keine Tage und keine Nächte mehr geben, keine Hochzeiten,  keinen Handel oder sonst irgendetwas von dem, was ihr jetzt seht. So wird am letzten Tag dieser Welt, dem Jüngsten Tag", von dem niemand wissen kann, wie nahe oder fern er ist 14, Christus vom Himmel kommen, um das Allgemeine Gericht, das Weltgericht, zu halten. Diese Worte aber von dort wird er kommen" mahnen uns, keinem zu glauben, der behauptet, Christus zu sein, und uns betrügen will, so wie es der Antichrist am Ende der Welt machen wird. Der wahre Christus wird nämlich nicht aus irgendeinem Wald oder einem unbekannten Ort kommen, sondern vom höchsten Himmel mit so großer Herrlichkeit und Majestät, dass niemand mehr im Zweifel sein können wird, ob er es ist oder nicht. Es ist, wie wenn die Sonne aufgeht: Sie erscheint mit einer so großen Helligkeit, dass niemand im Zweifeln sein kann, ob es die Sonne ist oder nicht.

S: Warum sagen wir, dass er die Lebenden und die Toten richten wird? Sind denn dann nicht alle Menschen gestorben und auch alle wieder auferstanden?

L: Unter Lebenden und Toten kann man die Guten, welche dem Geist nach durch die Gnade lebendig sind, und die Bösen, die wegen der Sünde geistigerweise tot sind, verstehen. Aber es ist  auch wahr, dass Christus kommen wird, die zu richten, die hinsichtlich des Leibes lebendig sind und die hinsichtlich des Leibes tot sind. Denn an jenem Tag wird es viele geben, die bereits gestorben sind, aber auch viele, die noch am Leben sind. Obwohl die letzteren an jenem letzten Tag am Leben sein werden, darunter manche Jugendliche oder Kinder, werden sie doch alle in einem Augenblick sterben und sofort auferstehen, damit auch sie die Todesschuld bezahlen.15

S: Ich habe aber doch schon oft gehört, dass derjenige, der in Todsünde stirbt, sofort in die Hölle kommt, und dass derjenige, der in der Gnade Gottes stirbt, sofort in das Fegfeuer oder in den Himmel kommt. Wenn also das Urteil schon gesprochen ist, wieso müssen dann alle noch gerichtet werden?

L: Beim Tod eines jeden erfolgt das besondere Gericht über diese Seele, die eben den Leib verlässt. Am Jüngsten Tag aber wird dann ein allgemeines Gericht über die ganze Welt gehalten, und dies aus mehreren Gründen. Erstens wegen der Ehre Gottes: Jetzt sehen viele, dass es den Bösen gut geht, den Guten aber schlecht, und so denken sie, dass Gott die Welt schlecht regiert. Dann aber wird man klar erkennen, dass Gott sehr wohl alles gesehen und bemerkt hat und dass er in seiner großen Gerechtigkeit den Bösen ein gewisses Wohlergehen auf Zeit gegeben hat, um sie für ihre wenigen guten Werke von geringer Bedeutung zu belohnen, weil er ihnen danach für ihre Todsünden die ewige Strafe geben musste. Umgekehrt hat er den Guten eine auf Erden vorübergehende Bedrängnis gegeben, um sie für einige lässliche Sünden zu bestrafen oder um ihnen eine Gelegenheit zur Buße zu geben, weil er sie danach mit einem unendlichen Schatz an Herrlichkeit für ihre guten Werke reich belohnen musste. Zweitens wegen der Ehre Christi: Er war zu Unrecht verurteilt worden und von vielen nicht erkannt und nicht so geehrt worden, wie es ihm zukam. Darum war es recht, dass ein Tag kommen sollte, an dem die ganze Welt ihn erkennen und als wahren König und Herrn des Weltalls ehren wird, sei es gezwungenermaßen oder sei es aus Liebe. Drittens wegen der Ehre der Heiligen: Alle sollen sehen, wie Gott die, die in der Welt verfolgt und gequält worden sind, verherrlicht hat. Viertens zur Beschämung der stolzen Feinde Gottes. Fünftens damit der Leib zusammen mit der Seele seinen Urteilsspruch erhalte: entweder Seligkeit oder Strafe.

 

Erklärung des achten Artikels

S: Der achte Artikel lautet: „Ich glaube an den Heiligen Geist." Was bedeutet „Heiliger Geist"?

L: Hier wird die dritte Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit erklärt, so wie im ersten die erste Person und in den folgenden sechs die zweite Person. So ist also der Heilige Geist weder Vater noch Sohn, sondern eine dritte Person, die aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht und wie der Vater und der Sohn wahrer Gott ist. Ja, sie ist derselbe Gott, weil sie dieselbe Gottheit hat, die auch im Vater und im Sohn ist.

S: Ich möchte dafür gern ein Gleichnis.

L: Göttliches kann man nicht vollkommen mit Vergleichen aus dem geschöpflichen Bereich, vor allem nicht anhand von körperlichen Dingen, erklären. Stellt euch trotzdem zum Vergleich einen See vor, der von einem Fluss hervorgebracht wird. Der Fluss wiederum wird von einer Quelle hervorgebracht, und doch ist alles dasselbe Wasser. So bringt also der ewige Vater wie eine Quelle den Sohn wie einen Fluss hervor, und der Vater und der Sohn bringen wie Quelle und Fluss den Heiligen Geist wie einen See hervor. Dennoch sind Vater, Sohn und Heiliger Geist nicht drei Götter, sondern ein einziger Gott.

S: Warum wird die dritte Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit „Heiliger Geist" genannt? Sind nicht auch alle Engel und alle Seelen der Heiligen Geister und heilig?

L: Gott heißt im eigentlichen Sinn des Wortes Heiliger Geist, weil er der erhabenste Geist ist und die größte Heiligkeit besitzt und weil er der Urheber aller geschaffener Geister und aller Heiligkeit ist. Es gibt unter den Menschen viele, die durch ihr Amt oder durch ihr vorbildliches Leben Väter und heilig sind, wie etwa viele fromme Bischöfe, Priester oder Ordensgeistliche. Trotzdem nennt man nur den Papst „Heiliger Vater", weil nur ihm dieser Name im eigentlichen Sinn des Wortes zukommt, da er das Haupt aller anderen Väter ist und weil er durch sein vorbildliches Leben der heiligste von allen sein muss, so wie er es durch sein Amt ist, weil er die Stelle der Person Christi vertritt.

S: Wenn der Name „Heiliger Geist" Gott im eigentlichen Sinn des Wortes zukommt, warum nennt man dann nur die dritte Person so? Sind denn nicht auch der Vater und der Sohn im eigentlichen Sinn des Wortes Geist und heilig?

L: So ist es. Aber weil die erste Person einen Eigennamen hat, nämlich Vater, und auch die zweite einen Eigennamen hat, nämlich Sohn, so ist für die dritte Person der gemeinsame Name geblieben, um sie von den anderen beiden zu unterscheiden. Außerdem müsst ihr wissen, dass, wenn man die dritte Person Heiliger Geist nennt, diese beiden Worte einen einzigen Namen bilden, so wie wenn ein Mann Johannes Maria heißt, diese zwei Worte Johannes Maria einen einzigen Namen bilden, während sie sonst für gewöhnlich zwei Namen sind, nämlich Johannes und Maria.

S: Was bedeutet es, dass der Heilige Geist in Gestalt einer Taube dargestellt wird, vor allem über Christus und über der Mutter Gottes?

L: Ihr dürft nicht denken, dass der Heilige Geist einen Leib hat, den man mit den leiblichen Augen sehen kann, sondern man stellt ihn so dar, damit wir verstehen, welche Wirkungen er in den Menschen hervorbringt. Und weil die Taube einfältig, rein, voll aufopfernder Fürsorge und fruchtbar ist, stellt man sie über Christus und über der Mutter Gottes dar. Dadurch sollen wir verstehen, dass Christus und die Mutter Gottes voll von allen Gnaden und allen Gaben des Heiligen Geistes waren, besonders von heiliger Einfalt, von Reinheit, Seeleneifer und von geistlicher Fruchtbarkeit, durch die sie unzählige Kinder erhalten haben, nämlich alle Gläubigen und frommen Christen.

S: Was bedeutet es, dass über den Aposteln der Heilige Geist in Form einer Feuerzunge dargestellt wird?

L: Weil der Heilige Geist zehn Tage nach der Himmelfahrt des Herrn über die Apostel kam und sie mit Wissen, Liebe und Redegabe erfüllte. Dabei lehrte er sie, in allen Sprachen zu sprechen, damit sie den heiligen Glauben in der ganzen Welt predigen konnten. Zum Zeichen dieser wunderbaren Wirkungen aber ließ er jene Feuerzungen erscheinen, denn das Licht dieses Feuers ist ein Sinnbild für die Weisheit, seine Glut für die Liebe und die Form einer Zunge für die Redegabe. Weil Gott damit der Kirche eine unschätzbare Wohltat erwiesen hat, feiert man jenes große Fest, das Pfingsten oder Fest des Heiligen Geistes heißt.

 

Erklärung des neunten Artikels

S: Was bedeutet das, was man im neunten Artikel sagt: „die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen"?

L: Hier beginnt der zweite Teil des Glaubensbekenntnisses, denn der erste Teil handelt von Gott und der zweite von der Kirche, der Braut Gottes. Und wie wir in Gott eine Gottheit und drei Personen glauben, so glauben wir bei der Kirche, dass sie eine einzige Kirche ist und dass sie drei ganz kostbare Güter besitzt: das erste für die Seele, nämlich die Vergebung der Sünden, das zweite für den Leib, das in der Auferstehung des Fleisches bestehen wird, und das dritte für die Seele und den Leib zusammen, was das ewige Leben sein wird, wie wir in den folgenden Artikeln sehen werden.

S: Erklären Sie mir bitte Wort für Wort den ganzen Artikel! Was bedeutet zunächst „Kirche"?

L: Das Wort bedeutet Versammlung und Vereinigung von Menschen, die sich taufen lassen und sich zum Glauben und Gesetz Christi bekennen im Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater in Rom. Die Kirche heißt Versammlung, weil wir zwar als Italiener, Franzosen oder Angehörige sonst irgendeines Landes geboren werden, nicht aber als Christen. Statt dessen werden wir von Gott berufen und treten mittels der Taufe, die sozusagen die Tür zur Kirche ist, in diese Vereinigung ein. Es genügt aber nicht, getauft zu sein, um in der Kirche zu sein. Man muss auch glauben und sich zum heiligen Glauben und zum Gesetz Christi bekennen, so wie es uns die Hirten und Prediger der Kirche lehren. Doch auch das genügt noch nicht, sondern man muss sich im Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater in Rom als dem Stellvertreter Christi befinden, d.h. ihn als höchstes Oberhaupt an der Stelle Christi anerkennen und ihn dafür halten.

S: Wenn die Kirche also eine Vereinigung von Menschen ist, warum verwenden wir dann das Wort „Kirche" für die Gebäude, in denen die Heilige Messe und das Stundengebet gehalten wird?

L: Weil die Gläubigen, die die eigentliche Kirche sind, in diesen Gebäuden zusammenkommen, um den christlichen Gottesdienst abzuhalten. Darum heißen diese Gebäude ebenfalls Kirchen, vor allem wenn sie der Verehrung Gottes eigens geweiht und konsekriert sind. In diesem Artikel des Glaubensbekenntnisses sprechen wir aber nicht von den Kirchen, die aus Stein und Holz gebaut sind, sondern von der lebendigen Kirche, also den getauften und dem Stellvertreter Christi gehorsamen Gläubigen, wie ich bereits sagte.

S: Warum heißt es „die Kirche" und nicht „die Kirchen", wo es doch viele solche Versammlungen von Gläubigen in den verschiedenen Teilen der Welt gibt?

L: Weil die Kirche nur eine einzige ist, auch wenn sie alle Gläubigen, die in der ganzen Welt zerstreut sind, umfasst, und zwar nicht nur diejenigen, die jetzt leben, sondern auch diejenigen, die seit Anbeginn der Welt gelebt haben, und diejenigen, die bis zum Ende der Welt noch leben werden. Darum heißt sie nicht nur die eine Kirche, sondern auch noch die katholische, d.h. die allumfassende Kirche, weil sie sich auf alle Orte und alle Zeiten erstreckt.

S: Aus welchem Grund wird von der Kirche gesagt, sie sei eine einzige, wenn sie doch eine so große Menge von Menschen umfasst?

L: Sie ist eine einzige, weil sie ein einziges Haupt hat, nämlich Christus, und an seiner Stelle den Heiligen Vater in Rom, und auch weil sie von ein und demselben Geist belebt wird und ein und dasselbe Gesetz hat. Ebenso sagt man ja auch von einem Reich, es sei ein einziges, weil es einen einzigen König und ein und dasselbe Gesetz hat, obwohl es in diesem Reich viele Provinzen und noch mehr Städte und Ortschaften gibt.

S: Warum sagt man, dass diese Kirche heilig ist, wo es doch in ihr viele böse Menschen gibt?

L: Aus drei Gründen heißt sie heilig. Erstens weil ihr Haupt, nämlich Christus, ganz heilig ist. Man sagt ja auch von jemandem, der ein schönes Gesicht hat, er sei ein schöner Mensch, selbst wenn er einen verkrümmten Finger oder irgendeinen Makel an Brust oder Rücken hat. Zweitens weil alle Gläubigen aufgrund des Glaubens und des Bekenntnisses heilig sind. Denn sie haben einen ganz wahren Glauben, der von Gott stammt, und bekennen sich zu ganz heiligen Sakramenten und zu einem ganz gerechten Gesetz, das nichts fordert, außer was gut ist, und nichts verbietet, außer was böse ist. Drittens weil es in der Kirche zu jeder Zeit einige wirkliche Heilige gibt, nicht nur aufgrund von Glaube und Bekenntnis, sondern auch hinsichtlich Tugend und Sitten, während es bei Juden, Türken, Häretikern und ähnlichen Leuten, die außerhalb der Kirche sind, keine wirklich Heiligen geben kann.

S: Was bedeutet „Gemeinschaft der Heiligen"?

L: Es bedeutet, dass der Leib der heiligen Kirche derart geeint ist, dass am Gut eines Gliedes alle anderen Anteil haben.16 So kommt es, dass, obwohl viele in fernen Ländern sind und wir sie nicht kennen, auch uns ihre Messen, Gebete, Stundengebet und anderen guten Werke nützen. Diese Gemeinschaft gibt es nicht nur hier auf Erden, sondern unsere Messen, Gebete und guten Werke helfen auch denen im Fegfeuer, und die Gebete derer, die im Paradies sind, helfen uns und den Seelen im Fegfeuer.

S: Wenn das so ist, dann braucht man doch keine Gebete für jemand Bestimmtes zu verrichten noch die Messe für diese oder jene Seele im Fegfeuer lesen zu lassen, weil doch alles allen gemeinsam zugute kommt.

L: So ist es nicht. Die Messe, das Gebet und die anderen guten Werke gehören zwar in gewisser Weise allen, aber sie nützen dennoch denen, für die man sie verrichtet, in viel größerem Maß als den anderen.

S: Und was ist mit den Exkommunizierten? Haben auch sie an den Gütern der Gläubigen Anteil oder nicht?

L: Sie heißen deshalb Exkommunizierte, weil sie nicht in der Gemeinschaft der Heiligen stehen und wie vom Baum abgeschnitten oder wie vom Leib abgetrennte Glieder sind, die nicht an dem guten Saft Anteil haben, der die anderen Äste oder die mit dem Leib verbundenen Glieder durchfließt. Daran erkennt ihr, was für eine schwerwiegende Sache die Exkommunikation ist: Denn der kann Gott nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat.17

S: Dann befinden sich die Exkommunizierten wie die Juden und die anderen Ungläubigen außerhalb der Kirche?

L: Ja, so ist es. Es gibt freilich den Unterschied, dass die Juden und die Türken außerhalb der Kirche sind, weil sie die heilige Taufe nicht empfangen haben und so nicht in sie eingetreten sind. Die Häretiker, die getauft sind, den Glauben jedoch verloren haben, sind außerhalb, weil sie die Kirche verlassen haben und von sich aus davongelaufen sind. Deshalb setzt ihnen die Kirche auch mit verschiedenen Strafen zu, damit sie zum heiligen Glauben zurückkehren. Es ist wie bei einem Schaf, das von der Herde weggelaufen ist und das der Hirte dann mit dem Stock zurücktreibt. Die Exkommunizierten dagegen haben den Glauben und die Taufe und sind somit in die Kirche hineingegangen, und sie verlassen sie auch nicht von selbst wieder, sondern sie werden mit Gewalt davongejagt, so wie manchmal ein Hirt ein räudiges Schaf davonjagt und es den Wölfen zur Beute überlässt.18 Aber die Kirche jagt die Exkommunizierten nicht davon, damit sie für immer draußen bleiben. Sondern sie sollen ihren Ungehorsam bereuen und demütig darum bitten, zurückkehren zu dürfen, um von neuem in den mütterlichen Schoß der Kirche und in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen zu werden.

 

Erklärung des zehnten Artikels

S: Was versteht man unter „Vergebung der Sünden", dem zehnten Artikel?

L: Das ist das erste dieser drei kostbarsten Güter, die es in der Kirche gibt. Dazu muss man wissen, dass alle Menschen als Sünder und Feinde Gottes geboren werden und dass sie, wenn sie dann aufwachsen, immer schlimmer werden, solange ihnen nicht durch die Gnade Gottes die Sünde vergeben wird und sie dazu gelangen, Freunde und Kinder Gottes zu werden. Nun findet sich diese so große Gnade aber nirgendwo als allein in der heiligen Kirche, in der es die heiligen Sakramente, vor allem die Taufe und die Buße, gibt,19 die als himmlische Arznei die Menschen von allen Krankheiten der Seele, den Sünden, heilen.

S: Ich möchte gern, dass Sie mir ein wenig genauer erklären, was für ein Schatz diese Vergebung der Sünden ist.

L: Auf der Welt gibt es kein größeres Übel als die Sünde, nicht nur weil aus ihr alle anderen Übel in diesem und im jenseitigen Leben entspringen, sondern auch, weil die Sünde den Menschen zu einem Feind Gottes macht. Was aber kann es Schlimmeres geben, als ein Feind dessen zu sein, der alles tun kann, was er will, und dem niemand Widerstand leisten kann? Wer wird den verteidigen können, dem Gott zürnt? Und umgekehrt kann man in diesem Leben kein größeres Gut finden, als in der Gnade Gottes zu sein. Denn wer wird dem schaden können, den Gott verteidigt, wo doch alles in Gottes eigener Hand ist? Ihr wisst ja, dass überhaupt unter allen leiblichen Gütern das Leben am meisten geschätzt wird, weil es die Grundlage aller anderen Güter ist, und dass der Tod am meisten verabscheut wird, weil er das Gegenteil des Lebens ist. Weil nun die Sünde der geistige Tod der Seele ist, die Vergebung der Sünden aber das Leben derselben Seele, so könnt ihr euch leicht vorstellen, was für ein großes Gut die Kirche besitzt, indem es allein in ihr die Vergebung der Sünden gibt.

 

Erklärung des elften Artikels

S: Was versteht man unter „der Auferstehung des Fleisches", dem elften Artikel?

L: Dies ist das zweite der kostbarsten Güter der heiligen Kirche, nämlich dass am Jüngsten Tag alle, die die Vergebung der Sünden erhalten haben, wieder lebendig werden.

S: Die anderen aber, die außerhalb der Kirche sind oder die die Vergebung der Sünden nicht erlangt haben, werden jene nicht wieder lebendig werden?

L: Was das natürliche Leben angeht, werden alle wieder lebendig werden20, die Guten ebenso wie die Bösen. Weil aber die Auferstehung der Bösen dazu erfolgen wird, dass sie für immer Qualen erleiden, nicht aber, damit sie irgendein Gut erlangen, so muss man ihr Leben eher einen ständigen Tod nennen statt wahres Leben. So wird die wahre Auferstehung, d. h. das erstrebenswerte Leben, nur für die Guten sein, die ohne Sünde angetroffen werden.

S: Ich möchte gern wissen, ob genau diese Leiber, die wir jetzt haben, auferstehen werden oder andere, ihnen ähnliche?

L: Ohne Zweifel werden genau diese Leiber auferstehen21, weil es sonst keine wahre Auferstehung wäre, wenn nicht genau das, was hingesunken ist, auferstehen würde, und nicht genau das, was gestorben ist, wieder lebendig würde. Zudem wird es die Auferstehung geben, damit der Leib am Lohn oder an der Strafe teilnimmt, so wie er an den guten Werken oder an den Sünden beteiligt war. Darum muss es derselbe Leib sein, weil ein anderer weder Strafe noch Lohn verdient hätte.

S: Wie ist es möglich, dass das wieder lebendig wird, was verbrannt worden ist und dessen Asche in den Wind gestreut oder in den Fluss geworfen worden ist?

L: Aus dem Grund heißt es am Anfang des Glaubensbekenntnisses, dass Gott allmächtig ist, weil er das tun kann, was uns unmöglich erscheint. Wenn ihr aber bedenkt, dass Gott den Himmel und die Erde aus nichts gemacht hat, dann wird es euch auch nicht schwerfallen zu glauben, dass er dasjenige wieder in sein früheres Dasein rufen kann, was zu Asche geworden ist.22

S: Ich möchte gern wissen, ob die Männer wieder Männer und die Frauen wieder Frauen sein werden oder ob alle in einer einzigen Weise existieren werden?

L: Für den Glauben ergibt es sich zwangsläufig, dass die Männer Männer und die Frauen Frauen sein werden23, weil es sonst nicht dieselben Leiber wären wie vorher. Und dass es dieselben sein müssen, habe ich euch ja schon gesagt. Wenn auch im anderen Leben keine Kinder mehr gezeugt werden und es weder Ehemann noch Ehefrau geben wird, wird es doch die Verschiedenheit von Mann und Frau geben, damit jeder den Lohn für die besonderen Tugenden, die er gerade als Mann oder als Frau ausgeübt hat, genießt. Und wie im Paradies die Herrlichkeit der Märtyrer und der Bekenner einen schönen Anblick bieten wird, so wird es ebenfalls schön sein, die Herrlichkeit der Jungfrauen und ganz besonders der Mutter des Herrn zu schauen.

S: Ich möchte gern, dass Sie mir sagen, in welchem Alter und in welcher Gestalt sie auferstehen werden, da doch einige als Kinder, andere als Jugendliche und wieder andere als Alte sterben.

L: Alle werden in der Gestalt und in dem Zustand auferstehen, welchen sie im Alter von 33 Jahren, in dem unser Herr auferstanden ist, gehabt haben oder gehabt hätten.24 So werden die Kinder so groß auferstehen, wie sie gewesen wären, wenn sie 33 Jahre alt geworden wären, und die Alten werden in jener Lebensfrische auferstehen, die sie hatten, als sie 33 Jahre alt waren. Und wenn jemand in diesem Leben blind, lahm oder zwergwüchsig oder sonst irgendwie entstellt war, wird er unversehrt, gesund und mit jeder Vollkommenheit auferstehen. Die Werke Gottes sind nämlich vollkommen25, und so wird er in der Auferstehung, die ganz sein eigenes Werk sein wird, die Fehler und Mängel der Natur beseitigen.

 

Erklärung des zwölften Artikels

S: Was versteht man unter „dem ewigen Leben", dem letzten Artikel?

L: Darunter versteht man eine vollendete Glückseligkeit der Seele und des Leibes. Dies ist das höchste Gut und das letzte Ziel, das wir dadurch erreichen, dass wir in der Kirche sind.

S: Sagen Sie mir bitte im einzelnen, welche Güter es im ewigen Leben gibt!

L: Ich möchte euch dieses Geheimnis durch einen Vergleich mit den Dingen dieser Welt lehren. Wie ihr wisst, wünscht sich in diesem Leben jeder einen Leib, der gesund, schön, beweglich und widerstandsfähig ist, sowie eine Seele, die hinsichtlich des Verstandes weise, klug und gelehrt ist und hinsichtlich des Willens voll von jeglicher Tugend. Darüber hinaus wünscht man sich äußere Güter, also Reichtümer, Ehren, Macht und Vergnügungen. Im ewigen Leben wird nun der Leib anstelle der Gesundheit sogar die Unsterblichkeit, verbunden mit Leidensfreiheit, haben26, d.h. dass nichts ihm schaden kann; anstelle der Schönheit sogar die Verklärung, d.h. einen Glanz, wie ihn die Sonne hat; anstelle der Beweglichkeit sogar die Subtilität, also die Feinheit, d.h. dass er sich in einem Augenblick ohne die geringste Anstrengung von einem Teil der Welt zum andern und von der Erde zum Himmel bewegen kann; anstelle der Widerstandsfähigkeit wird der Leib sogar so kräftig sein, dass er dem Geist in allem, was ihm nötig sein wird, ohne zu essen, ohne zu trinken, ohne zu schlafen und ohne sich auszuruhen dienen kann und dass er vor gar nichts Angst haben wird. Was die Seele angeht, so wird der Verstand voll Weisheit sein, weil er den Grund aller Dinge schauen wird, nämlich Gott. Der Wille wird von einer so großen Güte und Liebe erfüllt sein, dass er nicht in der Lage sein wird, auch nur eine lässliche Sünde zu begehen. Die Reichtümer der Seligen werden darin bestehen, nichts zu brauchen, da sie in Gott jedes Gut besitzen. Die Ehre wird darin bestehen, Kinder Gottes zu sein, den Engeln gleich,27 und auf ewig Könige und geistliche Priester zu sein.28 Die Macht wird darin bestehen, dass sie gemeinsam mit Gott über die ganze Welt herrschen und all das tun, was sie wollen. Sie werden nämlich mit dem Willen Gottes vereint sein, dem nichts widerstehen kann. Schließlich wird die Freude unaussprechlich sein, denn alle Kräfte der Seele wie des Leibes werden mit den Gegenständen, auf die hin sie ausgerichtet sind, vereint sein, woraus eine vollständige Zufriedenheit, ein Friede, wie man ihn nie zuvor erlebt hat, sowie ewige Wonne und Jubel erwachsen werden.29

S: Wenn alle dies haben werden und alle in derselben Weise zufrieden sein werden, wird dann im Paradies das Maß der Glückseligkeit für alle gleich sein?

L: Nein, wer in diesem Leben mehr Verdienst erworben hat, wird auch einen größeren Lohn haben und seliger sein. Es wird aber trotzdem keinen Neid und keine Unzufriedenheit geben, weil alle ihrer Fassungskraft entsprechend erfüllt sein werden, und so diejenigen, die mehr Verdienste haben, auch mehr fassen können und damit eine größere Herrlichkeit haben werden.30 Es ist, wie wenn beispielsweise ein Vater viele Kinder hätte, entsprechend ihrem Alter eines jeweils größer als das andere, und allen ein Kleid aus Goldbrokat machen ließe, jedem in der passenden Größe. Dann würden die Großen zweifellos ein größeres, wertvolleres Kleid haben, und trotzdem wären alle zufrieden, und die Kleinen würden nicht die Kleider der Großen haben wollen, weil sie ihnen nämlich gar nicht passen würden.

S: Warum wird die Seligkeit des Paradieses ewiges Leben genannt? Leben denn nicht auch die Verdammten in der Hölle ewig?

L: Von dem, was sich von selbst bewegt, sagt man, dass es im eigentlichen Sinne lebt. Deshalb nennt man auch in gewisser Weise das Wasser einer Quelle lebendiges Wasser, weil es sich von selbst bewegt, das der Sümpfe dagegen tot, weil es ein stehendes Gewässer ist. Ebenso sagt man von den Seligen im Himmel, dass sie ewiges Leben haben, weil sie ohne jede Beeinträchtigung mit ihren inneren und äußeren Kräften alles wirken können, was sie wollen, und weil sie so allezeit wirken und sich betätigen, wie es ihnen gefällt. Die Verdammten in der Hölle leben zwar, weil sie niemals aufhören, verzehrt zu werden, trotzdem haben sie, wie man sagt, einen ewigen Tod, weil sie dem Feuer und den Qualen nicht entrinnen können und gezwungen sind, allezeit das zu leiden, was sie nicht wollen, und nichts von dem, was sie wollen, auch tun können. So genießen die Seligen im Himmel jegliches Gut ohne Beimischung irgendeines Übels, und die Verdammten in der Hölle erleiden jegliches Übel, ohne je irgendetwas von dem, was sie ersehnen, erlangen zu können.

S: Was bedeutet das Wort „Amen", das man an das Ende des Glaubensbekenntnisses setzt?

L: Es bedeutet: Das ist die Wahrheit, d.h. alles, was gesagt wurde, ist wahr und gewiss.

 

Kapitel IV: Erklärung des Vater Unser (Gebet des Herrn)

S: Mit der Gnade Gottes habe ich nun das gelernt, was ich glauben muss. Jetzt möchte ich gern, dass Sie mich das lehren, was ich hoffen und wünschen darf und mit welchen Mitteln ich es erlangen kann.

L: Alles, was ihr jetzt von mir wissen wollt, ist im Gebet des Herrn, das wir das Vater Unser nennen, enthalten. Denn in diesem Gebet wird erklärt, was man wünschen soll und wen man darum bitten soll. Und dieses Gebet ist zugleich das Mittel, es auch zu erlangen.

S: Was ist das Gebet des Herrn?

L: Es lautet: „Vater Unser im Himmel..."

S: Warum geben Sie dem Vater Unser den Vorzug vor allen anderen Gebeten?

L: Erstens weil es das hervorragendste von allen ist, ist es doch von Christus selbst, der höchsten Weisheit, verfasst. Zweitens weil dieses Gebet ganz kurz ist, was zum Erlernen und zum Auswendigbehalten von Vorteil ist; gleichzeitig ist es aber reich an Inhalt, umfasst es doch alles, was man von Gott erbitten soll31. Drittens weil es das nützlichste und das wirksamste Gebet ist, ist es doch von dem verfasst, der zugleich unser Richter und unser Fürsprecher ist und deshalb besser als jeder andere weiß, wie man bitten muss, um auch etwas zu empfangen. Viertens weil es das notwendigste von allen ist, wenn man sich vor Augen hält, dass alle Christen dazu verpflichtet sind, es sprechen zu können und es jeden Tag auch zu beten.32 Darum heißt es auch das tägliche Gebet, d.h. Gebet, das jeden Tag zu verrichten ist.

S: Beginnen Sie nun bitte damit, mir diese ersten Worte zu erklären: „Vater unser im Himmel".

L: Diese wenigen Worte sind gewissermaßen eine kurze Einleitung oder eine Vorbereitung zum Gebet. Denn indem wir sagen, dass Gott unser Vater ist, fassen wir Mut und Vertrauen, zu ihm zu beten. Indem wir dann sagen, dass er im Himmel ist, erinnern wir uns daran, dass wir mit großer Furcht und Demut zu ihm kommen müssen, weil er kein irdischer, sondern ein himmlischer Vater ist. Weiterhin führen wir uns dadurch, dass wir sagen, er sei Vater, vor Augen, dass er unsere Bitten gerne auch erfüllen will. Indem wir sagen, dass er im Himmel ist als Herr und Gebieter der Welt, begreifen wir, dass er tun kann, was er will. Ein letzter Grund ist schließlich, dass, indem wir sagen, dass er Vater ist, wir uns daran erinnern, dass wir Kinder Gottes und Erben des Paradieses sind. Indem wir sagen, dass 'er im Himmel ist, und uns vor Augen führen, dass wir dagegen auf der Erde sind, erinnern wir uns daran, dass wir noch nicht im Besitz unseres Erbes sind, sondern Pilger und Wanderer im Feindesland, so dass wir seine Hilfe dringend nötig haben.

S: Erklären Sie mir bitte alle Worte im einzelnen!

L: Das Wort „Vater" kommt Gott zwar insofern zu, als er durch die Schöpfung Vater aller Dinge ist. In diesem Gebet aber wird Gott Vater genannt, insofern er Vater aller frommen Christen ist, dadurch dass er sie als seine Kinder angenommen hat.33 Es stimmt aber ebenfalls, dass auch diejenigen zu Gott „unser Vater" sagen können, die sich bekehren wollen und Kinder Gottes werden wollen,34 so dass nur diejenigen nicht in Wahrheit „Vater unser" sagen können, die keine Kinder Gottes sind und es auch nicht werden wollen, da sie nicht einmal daran denken, sich zu bekehren.

S: Warum heißt es „Vater unser" und nicht „mein Vater"?

L: Man sagt „Vater unser", damit wir begreifen, dass wir alle Brüder und Schwestern sind und uns als Geschwister lieben und untereinander eins sein müssen, sind wir doch Kinder desselben Vaters. Es heißt auch „Vater unser", um uns zu belehren, dass das gemeinsame Gebet besser als das private ist;35 außerdem ist es für den, der betet, selbst auch nützlicher. Denn während alle sagen „Vater unser", betet jeder einzelne für alle und alle beten für jeden einzelnen.36

S: Warum sagt man „im Himmel"? Ist Gott nicht überall?

L: Man sagt, dass Gott im Himmel wohnt, nicht weil er nicht überall wäre, sondern weil der Himmel der edlere Teil der Welt ist und weil in ihm die Größe, Macht und Weisheit Gottes mehr widerscheint37, und schließlich weil Gott sich in ihm den Engeln und den seligen Menschen von Angesicht zu Angesicht zeigt.38 Man kann auch sagen, Gott ist im Himmel, weil er in besonderer Weise in den Engeln und in den heiligen Menschen wohnt, die so im geistlichen Sinne Himmel sind.

S: Kommen wir nun zur ersten Bitte. Was bedeutet „geheiligt werde dein Name"?

L: Das Wort „Name" bedeutet an dieser Stelle den Ruf und die Bekanntheit, so wie wir sagen, jemand habe einen großen Namen, weil er bei vielen bekannt ist. Oder wir sagen, jemand habe einen guten oder einen schlechten Namen, weil er einen guten oder einen schlechten Ruf hat, da er bei vielen bekannt ist und als ein Guter gelobt oder als ein Böser getadelt wird. Den Namen Gottes zu heiligen beinhaltet darum nichts anderes als den Glauben an Gott in der Welt zu verbreiten und ihn rein und heilig in den Herzen und im Mund der Menschen zu erhalten, so wie er es an sich ja ist.39 Weil es aber auf der Welt viele Ungläubige gibt, die Gott nicht kennen, und viele schlechte Christen, die ihn lästern und verfluchen, beten diejenigen, die Kinder Gottes sind und Eifer für die Ehre ihres Vaters haben, mit großem Verlangen, dass sein Name geheiligt werde, d.h. dass er so, wie er es verdient, auf der ganzen Erde erkannt, angebetet, bekannt, gelobt und gepriesen wird.

S: Wenn wir danach verlangen, dass Gott von den Menschen erkannt und gelobt wird, wäre es dann nicht besser, die Menschen darum zu bitten und nicht Gott?

L: Der Mensch ist nicht von sich aus in der Lage, Gott zu erkennen und zu loben. Deshalb bitten wir Gott, dass er mit seiner heiligen Gnade so wirke, dass die Ungläubigen und die anderen Sünder sich bekehren und, einmal bekehrt, beginnen, seinen heiligen Namen zu erkennen und zu loben.

S: Warum beginnt das Gebet mit der Bitte darum, dass der Name Gottes geheiligt werde?

L: Wir sind dazu verpflichtet, Gott über alles und mehr als uns selbst zu lieben. Darum muss unser erstes und häufigstes Verlangen das nach der Ehre Gottes sein. Dazu nämlich wurden wir erschaffen und mit Vernunft geschmückt, dass wir Gott erkennen und loben. Darin besteht denn auch unser höchstes Gut, wie wir gleich sagen werden.

S: Erklären Sie mir jetzt bitte die zweite Bitte, d. h. „dein Reich komme".

L: Der rechten Ordnung entsprechend erbittet man in dieser Bitte das eigene Heil, denn in der ersten hat man die Ehre Gottes erbeten.

S: Was muss man unter Reich Gottes verstehen?

L: In dreierlei Weise kann man das Reich Gottes verstehen. Denn es gibt ein Reich der Natur, ein Reich der Gnade und ein Reich der Herrlichkeit. Das Reich der Natur ist das, wo Gott alle Geschöpfe als absoluter Herr aller Dinge lenkt und regiert. Obwohl nämlich die gottlosen Menschen sich bemühen, Unheil anzurichten, und das Gesetz Gottes nicht beachten, herrscht Gott dennoch über sie, weil er ihre Pläne vereitelt, wenn es ihm gefällt. Wenn er es aber doch manchmal zulässt, dass sie das erlangen, was sie wollen, bestraft er sie danach streng, und es gibt niemanden, der seinem Willen widerstehen kann oder etwas tun kann, wenn er es nicht befiehlt oder zulässt. Das Reich der Gnade ist das, wo Gott die Seelen und Herzen der guten Christen lenkt und regiert, indem er ihnen die Gesinnung und die Gnade gibt, ihm bereitwillig zu dienen und seine Ehre mehr als alles andere zu suchen. Das Reich der Herrlichkeit wird im Jenseits nach dem Tag des Gerichts sein, weil Gott dann mit allen Heiligen über alles Geschaffene herrschen wird, ohne dass es irgendeinen Widerstand geben wird. Denn dann wird den Dämonen und allen gottlosen Menschen alle Macht genommen sein, und sie werden in den ewigen Kerkern der Hölle gefangen sein. In jener Zeit wird dann auch der Tod ausgelöscht sein sowie der Zustand der Verderbnis samt allen Versuchungen der Welt und des Fleisches, die die Diener Gottes jetzt plagen. Infolgedessen wird es ein friedliches Reich sein, in dem jeder die vollkommene, ewige Glückseligkeit als unverlierbaren Besitz hat.

S: Um welches dieser drei Reiche geht es in dieser Bitte?

L: Es geht nicht um das erste, weil es nicht erst kommen muss, sondern schon gekommen ist, und auch nicht um das zweite, weil davon die erste Bitte handelt und es zum Teil bereits gekommen ist. Vielmehr spricht man vom dritten, das kommen soll40 und das all jene mit großem Verlangen erwarten, die das Elend dieses Lebens kennen. Darum betet man in dieser Bitte um unser höchstes Gut und die vollkommene Herrlichkeit für die Seele und den Leib.

S: Wenn das Reich Gottes, nach dem wir verlangen und von dem wir erbitten, dass es bald komme, erst nach dem Tag des Gerichts beginnt, dann verlangen wir also danach und erbitten, dass die Welt bald ein Ende nimmt und dass bald der Tag des Gerichts kommt?

L: Ja, so ist es. Denn während es für die, die die Welt lieben, keine schlimmere Nachricht geben kann, als vom Tag des Gerichts zu hören, sehnen sich die Bürger des Himmels, die jetzt als Pilger und Verbannte hier unten auf der Erde leben, nach nichts mehr als gerade danach. Darum sagt der hl. Augustinus, dass wie vor dem Kommen Christi in die Welt alles Verlangen der Heiligen des alten Bundes sich auf das erste Kommen Christi richtete, sich so jetzt alles Verlangen der Heiligen des neuen Bundes auf die Wiederkunft desselben Christus richtet, der uns die vollkommene Seligkeit bringen wird.41

S: Lassen Sie uns zur dritten Bitte übergehen. Was bedeuten die Worte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden"?

L: Mit diesen Worten erbittet man die Gnade, das Gesetz Gottes in rechter Weise zu befolgen. Weil man nämlich in der zweiten Bitte das ewige Leben erbeten hat, welches das Ziel des Menschen ist, ist es angemessen, dass man nun das wichtigste Mittel erbittet, um zu diesem letzten Ziel auch zu gelangen. Dieses wichtigste Mittel ist aber die Befolgung der Gebote Gottes, wie es uns unser Herr gesagt hat: „Wenn du ins ewige Leben eingehen willst, befolge die Gebote!"42 Weil wir aber nicht von selbst in der Lage sind, alle Gebote in angemessener Weise zu befolgen, bitten wir Gott, dass sein Wille von uns getan wird, d.h. dass er uns die Gnade gibt, seinen Willen zu erfüllen, indem wir in jeder Hinsicht seinen heiligen Geboten gehorchen.

S: Wir sind also dazu verpflichtet, den Willen Gottes zu tun, indem wir seine Gebote befolgen. Sind wir außerdem auch verpflichtet, unseren Willen nach dem Willen Gottes auszurichten, wenn er uns Leiden schickt?

L: Zumindest sind wir dazu verpflichtet, nicht zu murren und uns nicht über die göttliche Vorsehung zu beklagen,43 denn all das, was er uns schickt oder zulässt, tut er mit guter Absicht. Falls wir gut sind, will er uns damit Gelegenheit geben, mehr Verdienste zu erwerben; falls wir böse sind, will er uns dadurch reinigen.

S: Warum ist hinzugefügt: „wie im Himmel, so auf Erden"?

L: Um uns zu lehren, dass wir danach trachten müssen, mit derselben Vollkommenheit, Bereitwilligkeit und Freude Gott zu gehorchen und seine Gebote zu befolgen, wie die Engel im Himmel es tun, die alle Gebote ohne den geringsten Verstoß befolgen.44 Man kann auch sagen, dass wir danach verlangen und es erbitten, dass die Sünder, die mit „Erde" gemeint sind, Gott so gehorchen wie die Heiligen, die mit „Himmel" gemeint sind.45 Oder auch, dass die ganze Kirche, für die hier „Erde" steht, Gott ganz und gar gehorche, wie ihm Christus gehorcht hat, für den hier „Himmel" steht.46

S: Kommen wir zur vierten Bitte. Was bedeutet: „Unser tägliches Brot gib uns heute"?

L: Mit gutem Grund erbittet man das Brot, das das Leben erhält, nachdem man die Gnade erbeten hat, die das Leben selbst ist. Denn das erste, wonach jemand verlangt, der zu leben beginnt, ist nichts anderes als die Speise, mit der man sich am Leben erhält. Ihr müsst aber wissen, dass man in diesem Gebet hauptsächlich das geistliche Brot erbittet, das die Speise für die Seele ist, und erst in zweiter Linie das materielle Brot, das die Speise für den Leib ist. Unter geistlichem Brot versteht man aber das allerheiligste Altarsakrament, das göttliche Brot des Himmels, das auf wunderbare Weise das Leben der Seele nährt. Ebenso versteht man darunter das Wort Gottes, das in den Predigten und in der Lesung geistlicher Bücher nicht wenig dazu beiträgt, dieses Leben der Seele zu nähren. Schließlich versteht man darunter auch die Eingebung Gottes, das Gebet, und alles andere, was dazu hilft, in uns die Gnade zu erhalten und zu vermehren, die wie gesagt das Leben der Seele ist. Unter leiblichem Brot versteht man all das, was nötig ist, um das Leben des Leibes zu erhalten, der für die Seele das Werkzeug ist, mit dem sie ihre guten Werke verrichtet.

S: Warum nennt man es „unser" Brot?

L: Darin liegt eine tiefe verborgene Bedeutung, dass wir es als „unser" Brot erbitten. Denn wenn wir vom allerheiligsten Sakrament sprechen, dann ist dies unser Brot, weil es um unseres Heiles willen vom Heiligen Geist im Schoß der seligen Jungfrau gebildet ist sowie, so könnte man bildhaft sagen, im glühenden Ofen des heiligen Kreuzes gebacken und durch die Hand des Priesters auf dem Altar für uns aufgetragen wird. Darüber hinaus ist es unser, weil es das Brot ist, das den Kindern gehört47 und das man nicht den Hunden, d.h. den Ungläubigen, geben kann und auch nicht denen, die sich in Todsünde befinden. Wenn wir von der Lehre sprechen, erbitten wir ebenfalls „unser" Brot, nämlich das, was die wahren Prediger den Kindern der heiligen Kirche austeilen, nicht aber das fremde Brot, d.h. das, was die Häretiker ihren Anhängern geben, ein verdorbenes, verseuchtes Brot. Wenn wir dagegen vom leiblichen Brot sprechen, wünschen wir, dass Gott uns unser Brot gibt und nicht das der anderen, d.h. dass er uns beim gerechten und ordentlichen Broterwerb helfe und dass er auch unsere Besitztümer, Weinberge und all unsere Mühe segne, damit wir uns den Lebensunterhalt ohne Diebstahl und Betrug verschaffen können.48

S: Warum nennt man dieses Brot das tägliche?

L: Es heißt täglich, d.h. Brot für jeden Tag, damit wir keine übertriebenen oder außergewöhnlichen Dinge wünschen, sondern nur das, was als einfache tägliche Nahrung ausreicht, und zwar für die Seele ebenso wie für den Leib, vor allem weil wir ja wissen, dass wir in diesem Leben Pilger und Fremde sind.49

S: Warum sagt man „gib uns"?

L: Wir müssen uns zwar abmühen, um unser geistliches und leibliches Brot zu bekommen, aber wir sollen dabei doch wissen, dass all unsere Mühe umsonst wäre, wenn Gottes Gnade nicht mit uns mitwirkte. So sehen wir es ja häufig, dass die Menschen sich zwar beim Säen und Ernten abmühen, aber trotzdem wegen der Sünden der Welt Hungersnöte kommen. Auch erbitten wir, dass Gott uns unser Brot gibt, nämlich indem er uns nicht nur hilft, es zu beschaffen und zu erwerben, sondern es auch segnet und heiligt, wenn wir es genießen, damit es uns auch wirklich von Vorteil ist bzw. der Seele und dem Leibe nützt.50

S: Warum wird das Wort „heute" hinzugefügt?

L: Das Wort „heute" steht für die ganze Zeit, die man auf Erden lebt.51 So bitten wir Gott, dass er uns während dieser ganzen Pilgerschaft mit geistlichem und leiblichem Brot unterstütze, bis wir zur himmlischen Heimat gelangen, wo wir dann keine Sakramente und Predigten, ja nicht einmal mehr leibliches Brot brauchen werden.52 Man kann auch sagen, dass wir Gott bitten, dass er uns heute dieses Brot geben möge, weil wir nicht darum besorgt sein wollen, was wir morgen brauchen werden.53 Wir wissen ja nicht, ob wir morgen überhaupt noch am Leben sein werden. So hat uns auch unser Herr gelehrt, nur für die Gegenwart zu sorgen. Und so erbitten wir das Brot, das uns für heute reicht, auch am heutigen Tag; das von morgen werden wir auch erst morgen erbitten.

S: Bei dem, was Sie sagen, kommen mir aber Bedenken. Wenn wir nämlich unsere Mühe nur auf die Gegenwart richten sollen, dann handeln ja diejenigen schlecht, die sich für ein ganzes Jahr Vorräte an Korn, Wein und anderem Notwendigen anlegen.

L: Wenn unser Herr uns lehrt, unsere Mühe bloß auf die Gegenwart zu richten, will er uns damit nur von überflüssigen Sorgen befreien, die das Gebet und andere wichtigere Dinge stark behindern, die auf den Gewinn des ewigen Lebens gerichtet sind. Wenn also das Denken an die Zukunft nicht überflüssig, sondern notwendig ist wie etwa beim Anlegen von Vorräten, wovon ihr gesprochen habt, dann ist es nicht schlecht, an die Zukunft zu denken. Ja, ein solcher Gedanke richtet sich nicht auf morgen, sondern auf heute. Würden wir damit nämlich bis morgen warten, dann würden wir die rechte Stunde dafür verpasst haben.

S: Es folgt die fünfte Bitte. Was bedeutet: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"?

L: In den vorangegangenen vier Bitten haben wir Gott bereits gebeten, dass er uns jegliches ewige sowie zeitliche Gut gebe. In den drei folgenden bitten wir nun, dass er uns von jeglichem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Übel befreie. Ihr seht also, es stimmt, was ich euch schon anfangs sagte, dass nämlich in diesem Gebet alles, wonach man verlangen kann, enthalten ist. In dieser Bitte flehen wir also nun, Gott möge uns vom vergangenen Übel befreien, d.h. von den Sünden, die wir begangen haben. Unser Herr hat ja den heiligen Aposteln, als er sie dieses Gebet lehrte, erklärt, dass man unter Schuld die Sünden verstehen muss.55

S: Warum heißen die Sünden „Schuld"?

L: Aus drei Gründen: Erstens weil jeder Mensch, der sündigt, Gott beleidigt. Er schuldet Gott die Genugtuung für das Unrecht, das er ihm gegenüber begangen hat. Zweitens weil ein Sünder das Gesetz Gottes übertritt. Weil besagtes Gesetz aber demjenigen Lohn verheißt, der es beachtet, Strafe aber dem, der es nicht beachtet, bleibt der, der es nicht beachtet, die Bezahlung der genannten Strafe schuldig. Drittens weil jeder von uns dazu verpflichtet ist, den Weinberg seiner Seele zu bebauen und Gott die Frucht der guten Werke abzuliefern. Wer darum keine guten Werke tut, und erst recht, wer böse anstelle von guten Werken tut, ist Schuldner Gottes, der der wahre Besitzer all dieser Weinberge ist. Da wir uns aber alle häufig verfehlen, indem wir einerseits tun, was wir nicht dürfen, und andererseits nicht tun, wozu wir verpflichtet sind, ist es ganz recht, dass wir mehrmals am Tag Gott ganz demütig darum bitten, dass er uns unsere Schuld vergibt.

S: Warum fügt man hinzu: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"?

L: Unter Schuld versteht man hier erneut die Beleidigungen und Kränkungen, die uns von unserem Nächsten zugefügt werden. Wir sagen Gott dabei, dass er uns die Beleidigungen verzeihen möge, so wie wir sie dem verzeihen, der uns beleidigt hat. Wie folglich jemand, der die ihm vom Nächsten zugefügten Beleidigungen verzeiht, bereiter wird, die Verzeihung für die Beleidigungen, die er Gott zugefügt hat, zu erlangen, so macht sich umgekehrt jemand, der dem Nächsten die Kränkungen selbst nicht verzeihen will, damit unwürdig, von Gott verziehen zu bekommen. Und indem wir sagen, dass wir unseren Feinden die Kränkungen verzeihen, werden wir schließlich zeigen, dass wir Barmherzigkeit für etwas Erstrebenswertes halten und dass wir es für ein Zeichen eines großmütigen und edlen Charakters halten zu verzeihen. Infolgedessen kann Gott, wenn wir ihn um Barmherzigkeit bitten, uns nicht antworten: Wie willst du, dass ich dir Barmherzigkeit erweise, wo du doch die Barmherzigkeit hasst? Und wie kannst du bitten, dass ich dir vergebe, wo du es für ein Zeichen von Charakterschwäche hältst zu verzeihen?56

S: Erklären Sie mir bitte die sechste Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung!"

L: In dieser Bitte erfleht man Hilfe gegen das zukünftige Böse, d.h. gegen die Versuchungen. Sie sind die Mittel, um uns in Sünde fallen zu lassen. Nun müsst ihr wissen, dass man hauptsächlich erfleht, Gott möge es nicht zulassen, dass wir von der Versuchung besiegt bzw. überwunden werden.57 Weil die Versuchungen aber sehr gefährlich sind und der Sieg unsicher ist, erfleht man auch, Gott möge es nicht zulassen, dass wir in Versuchung geraten,58 vor allem, wenn er sieht, dass nicht wir, sondern der Teufel siegen würde. Daraus könnt ihr eine schöne Lehre ziehen, dass nämlich der Teufel uns nicht nur nicht besiegen kann, sondern uns noch nicht einmal in Versuchung führen kann, wenn es Gott nicht zulässt.

S: Die Worte: „Führe uns nicht in Versuchung!" verstehe ich nicht recht. Das scheint doch zu bedeuten, dass Gott die Menschen normalerweise in Versuchung führt und wir ihn nun darum bitten, dass er es nicht tut.

L: In Versuchung führen, sei es zum Bösen versuchen oder sei es in die Sünde stürzen, ist eine Eigenschaft des Teufels, in keinerlei Hinsicht dagegen die Sache Gottes, der ganz im Gegenteil die Sünde aufs äußerste hasst.59 Wenn es von Gott heißt, dass er jemanden in Versuchung führt, dann bedeutet das nach der Redeweise der Heiligen Schrift nichts anderes, als dass er zulässt, dass jemand versucht wird oder von der Versuchung besiegt wird. Folglich istder Sinn dieser Bitte genau so wie wir es bereits gesagt haben: In Kenntnis unserer Schwäche und Hinfälligkeit und zugleich der List und Macht des Teufels bitten wir Gott, er möge nicht nur nicht zulassen, dass wir von der Versuchung zu Boden gestreckt werden, sondern auch nicht, dass wir versucht werden, wenn er sieht, dass wir nicht Sieger bleiben würden.

S: Nun bleibt noch die letzte Bitte: „Sondern erlöse uns von dem Bösen!" Von was für einem Bösen ist hier die Rede?

L: Teils bekräftigt diese letzte Bitte die zuvor ausgesprochenen Bitten und teils fügt sie etwas Neues hinzu. Darum lautet sie: „sondern erlöse uns von dem Bösen!" D.h. wir bitten nicht nur: Du mögest uns die Sünden der Vergangenheit vergeben und uns vor den zukünftigen bewahren, sondern auch noch: Du mögest uns von allem gegenwärtigen Bösen befreien.60 Beachtet dabei, dass unser Herr uns in großer Weisheit lehrt, die Befreiung vom Bösen insgesamt zu erflehen, nicht aber einzelnes nennt, etwa Armut, Krankheit, Verfolgungen und ähnliches. Uns scheint es nämlich oft, dass etwas für uns gut sei, Gott sieht aber, dass es für uns schlecht ist. Umgekehrt scheint uns, etwas sei für uns schlecht, Gott aber sieht, dass es für uns gut ist. Deshalb bitten wir, wie es uns der Herr gelehrt hat, er möge uns von all dem befreien, von dem er sieht, dass es für uns schlecht ist, sei es Wohlstand, sei es Elend.

S: Was bedeutet „Amen"?

L: Dieses Wort ist hebräisch und bedeutet, wie ich euch schon sagte, „So sei es" oder „So ist es". Am Ende des Glaubensbekenntnisse bedeutet „Amen": „So ist es" und „So glaube ich es". Genauso bedeutet „Amen" am Ende des Vater Unser „So sei es", „So wünsche ich es" und „So bitte ich, dass es geschehen möge."

 

Kapitel V: Erklärung des „Gegrüßet seist du, Maria (Ave Maria)"

S: Da Sie mir das Vater Unser erklärt haben, wünsche ich mir, dass Sie mir auch das „Gegrüßet seist du, Maria" erklären.

L: Sehr gerne will ich das tun, denn ich wünsche mir, dass ihr die Mutter Gottes eifrig verehrt. In unserer Sprache lautet das „Ave Maria": „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebendeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen."

S: Warum wird dem Vater Unser gerade das „Gegrüßet seist du, Maria" angefügt und nicht irgendein anderes Gebet?

L: Weil wir bei Christus keinen mächtigeren Fürsprecher und Mittler haben als seine Mutter. Wenn wir deshalb das Gebet gesprochen haben, das Christus uns gelehrt hat, wenden wir uns an die Mutter, damit sie uns mit ihrer Fürbitte hilft, das auch zu erlangen, worum wir im Vater Unser gebetet haben. In ganz ähnlicher Weise empfehlen wir ja in dieser Welt, nachdem wir eine Bittschrift an den Fürsten gerichtet haben, diese Angelegenheit dem Einflussreichsten am Hof.

S: Wer hat das „Gegrüßt seist du, Maria" verfasst?

L: Gott selbst hat es verfasst, wenn er es uns auch nicht persönlich gelehrt hat, sondern durch den Mund des Erzengels Gabriel, der hl. Elisabeth und der Kirche. Denn die Worte „Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen" hat der Erzengel Gabriel gesprochen.61 Er sprach sie jedoch als Gesandter Gottes und darum im Namen Gottes, und Gott sprach sie durch den Mund seines Boten. Die weiteren Worte „und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes" sprach Elisabeth, aber sie sprach sie, als sie voll des Heiligen Geistes war, wie der Evangelist Lukas berichtet.62 Daran kann man sehen, dass der Heilige Geist diese Worte durch den Mund der hl. Elisabeth sprach. Den Rest hat die heilige Kirche angefügt, die vom Heiligen Geist gelenkt und belehrt wird. So kann man also mit Recht sagen, dass das „Gegrüßt seist du, Maria" nach dem Vater Unser, das uns Christus selbst gelehrt hat, das hervorragendste Gebet ist, das es gibt, ist es doch ebenfalls von Gott selbst verfasst und uns durch den Mund seiner Diener gelehrt worden.

S: Kommen wir nun zur Erklärung. Warum sagen wir: „Gegrüßt seist du, Maria"?

L: Das ist ein Gruß, mit dem wir sie ansprechen, um zu zeigen, dass wir ihre Freunde und Bekannten sind und dass wir aus diesem Grund den Mut haben, sie anzusprechen. Dabei gebrauchen wir die Worte des Engels, weil wir wissen, dass sie sich sehr darüber freut, häufig diese gute Kunde zu vernehmen, die ihr der Engel brachte, als er diese Worte zu ihr sagte. Und sie freut sich auch, dass wir uns daran erinnern und Gott für eine so große Wohltat dankbar sind.

S: Was bedeutet „voll der Gnade"?

L: Die Gnade Gottes übt auf die Seele drei Hauptwirkungen aus: Sie löscht die Sünden aus, die wie Makel sind, die die Seele beschmutzen; sie schmückt die Seele mit Gaben und Tugenden; schließlich gibt sie ihr die Kraft, verdienstliche und der göttlichen Majestät wohlgefällige Werke zu tun. Die Mutter Gottes ist voll der Gnade, weil sie aufgrund der ersten Wirkung niemals einen Makel irgendeiner Sünde hatte,63 weder der Erbsünde noch der persönlichen Sünde, weder der lässlichen noch der Todsünde. Aufgrund der zweiten Wirkung hat sie in höchstem Maß alle Tugenden und Gaben des Heiligen Geistes besessen. Aufgrund der dritten Wirkung hat sie Werke getan, die Gott so wohlgefällig und so verdienstvoll waren, dass sie würdig war, mit Seele und Leib über alle Chöre der Engel emporzusteigen.

S: Anscheinend hat die Mutter Gottes nicht mehr Gnade als andere Heilige gehabt, denn ich habe oft gehört, dass auch der hl. Stephanus und andere Heilige voll der Gnade waren.

L: Obwohl man auch von den anderen Heiligen sagt, sie seien voll der Gnade gewesen, so hat doch die Mutter Gottes mehr Gnade als alle gehabt, denn sie ist von Gott zur Aufnahme größerer Gnaden befähigt worden als irgendein anderer Heiliger. Ebenso sind ja, wenn man mehrere Gefäße, eines jeweils größer als das andere, mit Balsam füllt, alle voll. Trotzdem wird dann im größeren mehr Balsam als in den anderen sein. Der Grund dafür ist, dass Gott die Menschen zu größerer oder geringerer Gnade fähig macht, je nach der Aufgabe, die er ihnen gibt. Weil aber die größte Aufgabe, die je einem bloßen Geschöpf übertragen worden ist, darin bestand, die Mutter Gottes zu sein, ist die Mutter Gottes zur Aufnahme größerer Gnade fähig gemacht und mit größerer Gnade erfüllt worden als sonst irgendein Geschöpf.

S: Was bedeutet: „der Herr ist mit dir"?

L: Das ist das zweite unvergleichliche Lob der seligen Jungfrau. Es zeigt uns, dass der Herr vom Anfang ihrer Empfängnis an mit einem immerwährenden Beistand bei der Mutter Gottes war, indem er sie führte und schützte.64 Daher kam es, dass sie niemals in Gedanken, Worten oder Werken eine Sünde begangen hat. Deshalb hat Gott diese allerheiligste Jungfrau nicht nur mit allen Gnaden geschmückt, sondern er wollte auch stets bei ihr sein, um über einen so großen Schatz zu wachen.

S: Was bedeutet: „du bist gebenedeit unter den Frauen"?

L: Das ist das dritte Lob, das man der Mutter Gottes spendet. Darin gibt man kund, dass sie nicht nur voll von allen Gnaden war, die eine Jungfrau haben kann, sondern auch von denen, die eine Ehefrau haben kann. So aber überragt sie in jeder Hinsicht alle anderen Frauen, die es je gegeben hat und je geben wird. Der Segen der Ehefrauen ist ja die Fruchtbarkeit, und daran fehlte es der seligen Jungfrau nicht, hat sie doch einen Sohn geboren, der mehr wert ist als hunderttausend Söhne. Man kann auch sagen, dass sie sehr, sehr viele Kinder hat, denn alle guten Christen sind Brüder und Schwestern Christi und folglich Kinder der Mutter Gottes, wenn auch nicht aufgrund der Geburt und von Natur aus, denn in dieser Weise ist Christus ihr einziger Sohn. Doch sie sind ihre Kinder aufgrund der Liebe und der mütterlichen Zärtlichkeit, die sie für alle hat. Darum sagt man mit Recht „du bist gebenedeit unter den Frauen", weil die anderen entweder den Ruhm der Jungfräulichkeit, aber ohne Fruchtbarkeit, oder den Segen der Fruchtbarkeit, aber ohne Jungfräulichkeit haben. Allein sie hat von Gott das besondere Privileg verliehen bekommen, dass sie die Ehre der vollkommenen Jungfräulichkeit mit dem Segen der höchsten und überaus heilbringenden Fruchtbarkeit verband.

S: Was bedeutet: „und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus"?

L: Das ist das vierte Lob, das man der Mutter Gottes spendet, d.h. dass sie nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen Vorzüge ehrwürdig ist, sondern auch hinsichtlich der Vorzüge der Frucht ihres Leibes. Denn das Lob der Frucht fällt auf den Baum zurück, und der Ruhm des Sohnes auf die Mutter. Weil Jesus aber nicht nur wahrer Mensch ist und gebenedeit unter den Menschen, sondern Gott, gepriesen über allem, wie uns der hl. Paulus lehrt,65 darum ist seine Mutter nicht nur gebenedeit unter den Frauen, sondern gebenedeit unter allen Geschöpfen auf Erden und im Himmel.

S: Erklären Sie mir bitte den Rest des „Gegrüßet seist du, Maria"!

L: In den folgenden Worten bittet die heilige Kirche die Mutter Gottes, dass sie für uns Fürbitte einlegen möge, dass wir das sehr nötig haben, weil wir Sünder sind, und dass sie uns stets helfen möge, solange wir leben, besonders aber an der Schwelle des Todes, wenn die Gefahr für uns am größten sein wird. Dabei wiederholt die heilige Kirche das größte Lob der Mutter Gottes, nämlich eben dass sie die Mutter Gottes ist, und zeigt so, dass diese von Gott alles erlangen kann, was sie will.

S: Ich möchte gern wissen, warum man dreimal am Tag zum „Gegrüßet seist du, Maria" läutet, nämlich morgens, mittags und abends".

L: Damit wir verstehen, dass wir es nötig haben, häufig Gott und die Heiligen um ihre Hilfe anzurufen, sind wir doch von sichtbaren und unsichtbaren Feinden umgeben. Und wir sollen auch begreifen, dass wir uns nicht damit zufrieden geben dürfen, zu Beginn unserer Werke zu den Waffen des Gebetes zu greifen, sondern dasselbe auch im Verlauf und am Ende tun sollen. Noch ein weiterer verborgener Grund für dieses dreimalige Läuten des „Gegrüßet seist du, Maria" liegt darin, dass uns die heilige Kirche fortwährend die drei Hauptgeheimnisse unserer Erlösung in Erinnerung rufen will, d.h. die Menschwerdung, die Passion und die Auferstehung. Deshalb will sie, dass wir die Mutter Gottes morgens im Gedenken an die Auferstehung des Herrn grüßen, mittags im Gedenken an die Passion und abends im Gedenken an die Menschwerdung. Denn wir wissen sicher, dass unser Herr mittags ans Kreuz geschlagen wurde und morgens auferstand, und wir glauben, dass die Menschwerdung nachts geschah.66

 

Kapitel VI: Erklärung der zehn Gebote Gottes

S: Da ich die Erklärung des Glaubensbekenntnisses, des Vater Unser und des „Gegrüßet seist du, Maria" bereits verstanden habe, möchte ich gern, dass Sie mir nun die zehn Gebote des Gesetzes Gottes erklären. Denn das ist der dritte Teil des Katechismus, wie Sie mir am Anfang gesagt haben.

L: Ihr habt recht, dass ihr die zehn Gebote des Gesetzes Gottes lernen und gut verstehen wollt, denn der Glaube und die Hoffnung reichen ohne die Liebe und ohne die Befolgung des göttlichen Gesetzes nicht, um gerettet zu werden.

S: Es gibt doch in der Welt und in der Kirche so viele Gesetze und so viele Gebote, warum ist dieses Gesetz, das die zehn Gebote enthält, wichtiger als alle anderen?

L: Für die überragende Bedeutung dieses Gesetzes lassen sich viele Gründe anführen. Denn zum ersten ist dieses Gesetz von Gott gemacht und von ihm selbst zuerst in die Herzen der Menschen und danach auch auf zwei Marmortafeln67 geschrieben worden. Zum zweiten ist dieses Gesetz das älteste von allen und gleichsam die Quelle aller anderen. Drittens ist es das Gesetz mit der uneingeschränktesten Geltung, das es gibt. Denn es verpflichtet nicht nur die Christen, sondern auch die Juden und die Heiden, Männer wie Frauen, Reiche wie Arme, Fürsten wie einfache Bürger, Gelehrte wie Unwissende. Viertens ist dieses Gesetz unveränderbar, und man kann davon kein einziges Wort wegnehmen oder jemanden davon entpflichten.68 Fünftens ist es für alle notwendig, um gerettet zu werden, wie uns unser Herr mehrfach in seinem heiligen Evangelium gelehrt hat.69 Und schließlich ist es mit höchster Feierlichkeit auf dem Berg Sinai unter dem Klang von Engelsposaunen, lautem Donner und Blitzen vom Himmel in Gegenwart des ganzen Volkes Gottes verkündet worden.70

S: Bevor wir zur Erklärung der Gebote im einzelnen kommen, würde ich zunächst gern ihren Inhalt insgesamt und die Reihenfolge der Gebote begreifen.

L: Das Ziel all dieser Gebote ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten, weil alle uns lehren, weder Gott noch den Nächsten zu beleidigen.71 Darum sind sie in zwei Teile gegliedert und wurden, wie schon gesagt, auf zwei Marmortafeln geschrieben. Der erste Teil enthält drei Gebote, die uns lehren, wozu wir Gott gegenüber verpflichtet sind; der zweite enthält sieben weitere Gebote, die uns lehren, wozu wir dem Nächsten gegenüber verpflichtet sind.72 Ihr müsst aber wissen, dass, obwohl auf einer Tafel nur drei Gebote und auf der anderen sieben waren, die beiden Tafeln einander doch gleich und beide ganz mit Schrift bedeckt waren. Denn die ersten drei waren mit mehr Worten aufgeschrieben, die übrigen sieben hingegen mit weniger, und so waren die sieben kürzeren Gebote den drei längeren Geboten hinsichtlich des Textumfangs gleich.

S: Warum sind auf der ersten Tafel gerade drei Gebote?

L: Weil sie uns lehren, Gott mit dem Herzen, mit den Worten und mit den Werken zu lieben.

S: Und warum sind auf der zweiten Tafel sieben Gebote?

L: Eines lehrt uns, dem Nächsten Gutes zu tun. Die anderen sechs lehren uns, ihm nichts Böses zu tun, zunächst an seiner Person, dann an seiner Ehre und schließlich an seinem Eigentum, und das weder in Werken noch mit Worten noch im Herzen.

S: Kommen wir jetzt zu den Geboten selbst. Lehren Sie mich bitte als erstes den Wortlaut, mit dem sie von Gott auf diese Tafeln geschrieben wurden!

L: Der Wortlaut ist wie folgt: Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten und aus dem Haus der Knechtschaft herausgeholt hat.

1.   Du sollst mir keinen anderen Gott vorziehen.

2.   Du sollst den Namen Gottes nicht ohne Grund nennen.

3.   Denke daran, die Feste zu heiligen.

4.   Ehre den Vater und die Mutter.

5.   Nicht töten.

6.   Keinen Ehebruch begehen.

7.   Nicht stehlen.

8.   Kein falsches Zeugnis gegen deinen Nächsten geben.

9.   Die Frau eines anderen nicht begehren.

10.  Das Eigentum eines anderen nicht begehren.73 74

S: Was bedeuten die Worte, die den Geboten vorausgehen?

L: In diesen Worten werden vier Gründe genannt, die uns zeigen sollen, dass Gott das Recht hat, uns ein Gesetz zu geben, und dass wir verpflichtet sind, es zu halten. Der erste Grund liegt in den Worten „Ich bin der Herr", denn weil Gott unser erster und oberster Herr ist, der uns aus nichts geschaffen hat, kann er uns als seinen eigenen Knechten zweifellos ein Gesetz geben. Der zweite Grund liegt in dem Wort „Gott". Denn dieses Wort zeigt uns, dass unser Herr nicht nur Herrscher ist, sondern auch oberster Richter und Lenker und als solcher ein Gesetz geben und den bestrafen kann, der es nicht hält. Der dritte Grund liegt im Wort „dein", weil wir über die Gehorsamspflicht hinaus, die wir als Knechte gegenüber dem Herrn und als Untergebene gegenüber dem Richter haben, noch eine weitere Verpflichtung aufgrund des Bundes haben, den Gott mit uns und wir mit ihm in der heiligen Taufe schließen. Denn darin nimmt er uns eigens als seine Adoptivkinder an, und wir nehmen ihn eigens als unseren Vater an, so wie Gott auch alle Gläubigen als sein besonderes Volk annimmt und die Gläubigen Gott als ihren eigenen Gott und Herrn. Der vierte Grund liegt in den Worten „der dich aus dem Land Ägypten und aus dem Haus der Knechtschaft herausgeholt hat". Denn außer so vielen anderen Verpflichtungen gibt es ja noch die Dankespflicht, hat Gott uns doch aus der Knechtschaft des Teufels und der Sünde befreit, deren biblisches Vorbild jene Knechtschaft in Ägypten unter Pharao war, woraus Gott das jüdische Volk befreite.

 

Erklärung des ersten Gebots

S  Erklären Sie mir jetzt bitte das erste Gebot!

L: Das erste Gebot besteht aus drei Teilen. Der erste ist, dass wir Gott auch wirklich als Gott ansehen sollen. Das zweite ist, dass wir nichts anderes für Gott halten sollen. Der dritte, dass wir keine Götzen, d.h. Statuen oder Bilder, anfertigen sollen, die für Gott gehalten werden sollen, und dass wir die besagten Götzen nicht anbeten sollen.

S: Erklären Sie mir bitte den ersten Teil!

L: Gott will für den gehalten werden, der er ist, d. h. für den wahren Gott. Das tut man durch die Ausübung von vier Tugenden gegenüber seiner göttlichen Majestät, nämlich Glaube, Hoffnung, Liebe und Gottesverehrung. Wer an Gott glaubt, hält Gott für Gott, denn er hält ihn für die höchste Wahrheit. Darin versündigen sich die Irrgläubigen, dass sie ihm nicht glauben. Wer auf Gott hofft, hält Gott für Gott, weil er ihn für überaus treu, barmherzig und auch mächtig hält, denn er ist voll Vertrauen, dass Gott in jeder Not helfen kann und auch will. Dagegen versündigen sich diejenigen, die an der Barmherzigkeit Gottes verzweifeln oder die mehr auf die Menschen als auf Gott oder ebenso sehr auf die Menschen wie auf Gott ihre Hoffnung setzen. Wer Gott über alles liebt, hält Gott für Gott, weil er ihn für das höchste Gut hält. Dagegen versündigen sich diejenigen, die irgendein Geschöpf mehr als Gott oder genauso sehr wie Gott lieben, und noch viel mehr sündigen die, die Gott hassen. Wer Gott schließlich mit höchster Ehrfurcht anbetet, so wie es uns die Tugend der Gottesverehrung lehrt, der hält Gott für Gott, weil er ihn für den ersten Ursprung und den Urheber aller Dinge hält. Dagegen versündigen sich diejenigen, die Gott und dem, was ihm geweiht ist, also etwa Kirchen, heiligen Gefäßen, Priestern und ähnlichem wenig Achtung entgegenbringen, aber auch diejenigen, die die Menschen genauso sehr ehren wie Gott oder sogar noch mehr als Gott.

S: Erklären Sie mir bitte den zweiten Teil dieses Gebotes!

L: Im zweiten Teil will und gebietet Gott, dass wir nichts Geschaffenes für Gott halten. Dagegen versündigten sich in alter Zeit die Heiden, die, da sie den wahren Gott nicht kannten, verschiedene Geschöpfe wie die Sonne, den Mond oder einige verstorbene Menschen für Gott hielten und anbeteten. Dagegen versündigen sich ebenfalls die Hexenmeister, die Hexen und all die Zauberer, die Geisterbeschwörer und die Wahrsager, die dem Teufel in der Hölle jene Ehre geben, die man Gott geben muss. Einige von ihnen halten ihn sogar für ihren Gott. Sie beten ihn an und meinen, mit seiner Hilfe die Zukunft vorhersagen zu können, Schätze zu finden oder ihre anderen verwerflichen Begierden befriedigen zu können. Weil der Teufel aber der größte Feind des Menschengeschlechts ist, betrügt er diese armen Leute und bringt sie dazu, wegen unbegründeter Hoffnungen viele Sünden zu begehen, so dass sie am Ende ihre Seele und oft auch ihren Leib verlieren.

S: Erklären Sie mir bitte den dritten Teil!

L: Im dritten Teil gebietet Gott, dass wir, wie gesagt, nicht nur das von ihm Geschaffene nicht für Gott halten sollen, sondern wir erst recht selbst keine Dinge herstellen sollen, um sie dann für Gott zu halten und anzubeten. Dagegen versündigten sich in alter Zeit die Heiden, die so blind waren, dass sie Götzen herstellten, d.h. Statuen aus Gold, Silber, Holz oder Marmor, und sich einbildeten, diese seien Götter, vor allem weil die Dämonen der Hölle manchmal in sie hineinführen und sie sprechen oder sich bewegen ließen. Und so brachten sie ihnen Opfer dar und beteten sie an. Weil aber die heiligen Märtyrer so etwas auf keinen Fall tun wollten, ließen die Heiden sie unter schlimmsten Qualen sterben.

S: Ist zu diesem Gebot sonst noch etwas zu sagen?

L: Diesem Gebot hat Gott eine schreckliche Drohung beigefügt für die, die es übertreten, und eine große Verheißung für die, die es befolgen. Denn nachdem Gott dieses Gebot gegeben hat, spricht er diese Worte: Ich bin ein eifernder Gott. Ich strafe nicht nur die, die mich nicht lieben, sondern auch ihre Nachkommen bis in die vierte Generation; wer mich aber liebt, dem tue ich Gutes bis in die tausendste Generation. Hier müsst ihr beachten, dass unser Herr sagt, dass er ein eifernder Gott ist. So sollen wir nämlich begreifen, dass er uns aufs strengste bestrafen kann, weil er Gott ist, und dass er uns auch aufs strengste bestrafen will, weil er eifersüchtig auf seine Ehre, auf die Gerechtigkeit und das Recht bedacht ist. Darum kann er die Gottlosigkeit und Bosheit nicht dulden. Das ist gegen die gerichtet, die fortwährend sündigen und doch fröhlich leben, so als ob das Gott gar nicht interessieren würde. Aber ihr seht schon, dass Gott sich sehr wohl darum kümmert und es zur entsprechenden Zeit auch zeigen wird.

Was bedeutet es, dass Gott den, der Böses tut, bis in die vierte Generation bestraft, dem aber, der Gutes tut, bis in die tausendste Generation belohnt?

L: Gott bestraft bis in die vierte Generation, weil der Mensch meist nur solange lebt, dass er noch die Kinder seiner Enkel sehen kann oder höchstens die Enkel seiner Enkel. Gott will aber nur in den Nachkommen strafen, die der Sünder selbst noch sehen kann. Aber Gutes erweist Gott nicht nur bis in die vierte Generation, sondern bis in die tausendste, wenn es denn so viele gäbe. Unser Herr ist nämlich mehr zum Belohnen als zum Bestrafen geneigt. Denn das Belohnen ist eine Folge seiner Güte, und so tut er es sehr gerne. Das Bestrafen dagegen ist eine Folge unserer Sünden, und so tut er es gewissermaßen widerwillig, d.h. unsere bösen Taten treiben ihn dazu.

S: Warum sind diese Drohung und diese Verheißung nur beim ersten Gebot hinzugefügt?

L: Weil es das Hauptgebot und das wichtigste von allen ist und auch weil es das erste ist. Das, was von ihm gesagt ist, kann auch von den anderen gelten.

S: Ich möchte gern wissen, wieso die Ehre, die wir den Heiligen sowie ihren Reliquien und Bildern erweisen, nicht gegen dieses Gebot ist. Es scheint doch, als würden wir all das anbeten. Denn wir knien vor ihnen nieder und beten zu ihnen, so wie wir es auch gegenüber Gott tun.

L: Die heilige Kirche ist die Braut Gottes und hat den Heiligen Geist zum Lehrer. Darum besteht keine Gefahr, dass sie betrogen wird oder dass sie etwas tut oder zu tun lehrt, was gegen die Gebote Gottes ist.75 Was aber nun diese Einzelfrage angeht, so ehren wir die Heiligen und rufen sie an als Freunde Gottes, die uns mit ihren Verdiensten und Gebeten bei Gott helfen können. Aber wir halten sie nicht für Götter und beten sie auch nicht als Gott an.76 Dagegen spricht auch nicht, dass wir uns niederknien, denn diese Ehrbezeigung wird nicht nur Gott erwiesen, sondern man macht sie auch gegenüber sehr hochgestellten Geschöpfen wie dem Papst, und vielerorts knien auch die Ordensleute vor ihrem Oberen nieder. So braucht man sich nicht zu wundern, wenn man sich gegenüber den Heiligen, die mit Christus im Himmel herrschen, so verhält, wie man sich auch gegenüber einigen Menschen auf Erden verhält.

S: Aber was ist mit den Reliquien der Heiligen? Sie können nicht hören, und trotzdem knien wir vor ihnen nieder und beten.

L: Wir beten nicht zu den Reliquien, denn wir wissen sehr wohl, dass sie nicht hören können. Stattdessen ehren wir die heiligen Reliquien als die Werkzeuge, mit denen die Heiligen ihre vielen guten Werke getan haben und die einst lebendige, verherrlichte Leiber sein werden. Jetzt sind sie für uns kostbare Zeugnisse der Liebe, die die Heiligen zu uns hatten und noch immer haben.77 Deshalb beten wir vor diesen Reliquien zu den Heiligen und bitten sie, dass sie um dieser kostbaren Zeugnisse willen, die wir von ihnen haben, an uns denken und uns helfen mögen, wie ja auch wir an sie denken und sie ehren.

S: Dann kann man wohl dasselbe auch von den Bildern sagen?

L: Genau. Wir halten die Bilder des Herrn, der Mutter Gottes und der Heiligen nicht für Götter, also sind sie auch keine Götzenbilder, wie sie die Heiden hatten.78 Vielmehr sind sie für uns Bilder, die uns an den Herrn, die Mutter Gottes und die Heiligen erinnern. So ersetzen sie denjenigen, die nicht lesen können, die Bücher, weil sie viele Geheimnisse unseres heiligen Glaubens79 und das Leben und Sterben vieler Heiliger aus den Bildern kennenlernen. Die Ehre jedoch, die wir ihnen erweisen, erweisen wir ihnen nicht, weil sie Figuren auf Papier oder aus Metall sind oder weil sie schön gemalt oder besonders künstlerisch gestaltet sind, sondern weil sie uns den Herrn, die Mutter Gottes oder die anderen Heiligen darstellen. Und weil wir wissen, dass die Bilder nicht lebendig sind und nicht hören können, da sie ja von Menschenhand gemacht sind, erbitten wir auch nichts von ihnen. Vielmehr beten wir vor ihnen zu denen, die sie zeigen, also zum Herrn, zur Mutter Gottes oder den anderen Heiligen.80

S: Wenn die Reliquien und Bilder nicht hören können, wie kommt es dann, dass sie so viele Wunder wirken für diejenigen Gläubigen, die sich ihnen anempfehlen?

L: Alle Wunder werden von Gott gewirkt, doch häufig ist es die Fürsprache der Heiligen, die ihn dazu veranlasst, vor allem die seiner heiligsten Mutter. Oft wirkt er sie für diejenigen Gläubigen, die die Heiligen vor den Reliquien und Bildern anrufen, und manchmal bedient er sich der Reliquien und der Bilder als Werkzeuge für solche Wunder, um uns zu zeigen, dass es ihm gefällt, wenn wir die Heiligen, ihre Reliquien und Bilder andächtig verehren.

S: Wenn es also heißt, dass jemand sich dieser oder jener Reliquie oder diesem oder jenem wundertätigen Bild anempfohlen hat und daraufhin die gewünschte Gnade erhalten hat, hat man das so zu verstehen, dass er sich eigentlich dem Heiligen, dessen Reliquie oder Bild es ist, anempfohlen hat und dass Gott ihm auf die Fürsprache dieses Heiligen und mittels dieser Reliquie oder dieses Bildes die Gnade gewährt hat?

L: Genau, und ich freue mich, dass ihr das, was ich gesagt habe, so gut verstanden habt.

S: Als letztes möchte ich gern noch wissen, aus welchem Grund man Gottvater als einen alten Mann, den Heiligen Geist als eine Taube und die Engel als junge Männer mit Flügeln darstellt, wo Gott und die Engel doch Geister sind und überhaupt keine körperliche Gestalt haben, die die Maler wiedergeben könnten, wie man es bei den Menschen macht.

L: Wenn man Gottvater in Gestalt eines alten Mannes, den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube und die Engel als junge Männer malt, dann malt man nicht das, was sie eigentlich sind, denn sie sind körperlose Geistwesen, wie ihr ganz richtig gesagt habt. Stattdessen werden sie in der Gestalt gemalt, in der sie manchmal erschienen sind. So malt man Gottvater als alten Mann, weil er in dieser Gestalt dem Propheten Daniel in einer Vision erschienen ist81, den Heiligen Geist malt man in Gestalt einer Taube, weil er in dieser Gestalt über Christus erschienen ist, als dieser von Johannes dem Täufer getauft wurde82, und die Engel malt man in Gestalt von jungen Männern, weil sie mehrfach so erschienen sind83. Darüberhinaus müsst ihr wissen, dass viele Dinge dargestellt werden, nicht damit wir verstehen, wie sie eigentlich sind, sondern welche besondere Eigenschaft sie haben oder welche Wirkungen sie normalerweise hervorbringen. So malt man den Glauben als Frau mit einem Kelch in der Hand und die Liebe rings umgeben von vielen Kindern. Dabei wissen wir doch genau, dass der Glaube und die Liebe keine Frauen, sondern Tugenden sind. So kann man also auch sagen, dass Gottvater in Gestalt eines alten Mannes gemalt wird, um uns verstehen zu lassen, dass er ganz alt, also ewig, ist und vor aller Schöpfung dagewesen ist. Den Heiligen Geist malt man als Taube, um uns auf die Gaben von Unschuld, Reinheit und Heiligkeit hinzuweisen, die der Heilige Geist in uns wirkt. Die Engel aber malt man als junge Männer wegen ihrer unveränderlichen Schönheit und Stärke, mit Flügeln, weil sie schnell dorthin eilen, wohin es Gott gefällt, und in weißen Kleidern und mit heiligen Paramenten, weil sie reine und unschuldige Diener der göttlichen Majestät sind.

 

Erklärung der zweiten Gebots

S: Kommen wir nun zum zweiten Gebot. Was bedeutet: „Du sollst den Namen Gottes nicht ohne Grund nennen."

L: In diesem Gebot geht es um die Ehre und die Verunehrung, die man Gott in Worten erweist bzw. zufügt, d.h. die Ehre wird geboten und die Verunehrung wird verboten. Bei diesem Gebot lassen sich vier Aussagen unterscheiden, denn auf vierfache Weise kann man Gott mit Worten ehren oder verunehren. Erstens ehrt man Gott, wenn man seinen Namen aus Liebe häufig nennt; man verunehrt ihn hingegen, indem man seinen Namen häufig gedankenlos nennt. Zweitens ehrt man ihn mit dem Eid und verunehrt ihn mit dem Meineid. Drittens ehrt man ihn, indem man Gelübde macht und verunehrt ihn, indem man die gemachten Gelübde bricht. Viertens ehrt man ihn, indem man ihn anruft und ihn lobt; man verunehrt ihn hingegen, indem man ihn lästert und ihn verflucht.

S: Erklären Sie mir bitte den ersten Teil!

L: Einfach den Namen Gottes und ebenso den der Mutter Gottes und der Heiligen zu nennen, kann eine gute oder eine schlechte Handlung sein. Die Gott innig lieben, denken oft an ihn und reden viel über ihn, und das tun sie mit Andacht und Liebe, wie man in den Briefen des hl. Paulus sieht, in denen oft der Name JESUS CHRISTUS zu lesen ist. Denn wie der hl. Paulus: Christus im Herzen hatte, so hatte er ihn auch auf den Lippen. Andere stattdessen haben die schlechte Gewohnheit, wenn sie in Zorn geraten oder scherzen, den Namen Gottes oder irgendeines Heiligen zu nennen ohne dabei zu bedenken, was sie sagen, nur weil ihnen gerade nichts anderes einfällt. Das aber ist sündhaft, weil es bedeutet, mit dem heiligsten Namen Gottes nachlässig umzugehen.84 Ich will euch ein Beispiel geben, wenn es auch nicht ganz das gleiche ist: Es ist, wie wenn jemand ein kostbares Gewand, ohne es im geringsten zu schonen und darauf zu achten, überall und jederzeit tragen würde.

S: Erklären Sie mir jetzt bitte den zweiten Teil, der dem Schwören gewidmet ist!

L: Schwören ist nichts anderes als Gott zum Zeugen für die Wahrheit anzurufen. Damit aber ein Schwur etwas Gutes ist, muss er von dreierlei begleitet sein, nämlich von Wahrheit, Gerechtigkeit und Urteil, wie uns Gott selbst durch den Mund des Propheten Jeremia lehrt.85 Mit dem unter den rechten Bedingungen geleisteten Eid ehrt man Gott, da man bekennt, dass er alles sieht, überaus wahrhaftig und ein Verteidiger der Wahrheit ist. Ebenso verunehrt man im Gegenteil Gott über alle Maßen, wenn man unwahr, ungerecht oder unüberlegt schwört. Denn wer so schwört, behauptet damit, dass Gott entweder bestimmte Dinge nicht weiß oder dass er ein Freund der Lüge und des Unrechts ist.

S: Erklären Sie mir bitte im einzelnen, was es bedeutet, wahrhaftig zu schwören!

L: Um wahrhaftig zu schwören, darf jemand nur das mit einem Eid bekräftigen, wovon er sicher weiß, dass es wahr ist, und mit einem Eid nur das versprechen, was er auch wirklich halten will. Deshalb sind diejenigen meineidig und begehen eine Todsünde, die mit einem Eid bestimmte Dinge behaupten, von denen sie wissen, dass sie falsch sind, oder wovon sie zumindest nicht wissen, ob sie tatsächlich wahr sind; ebenso aber auch diejenigen, die mit einem Eid etwas versprechen, was sie nicht vorhaben zu halten.

S: Was bedeutet, gerecht zu schwören?

L: Es bedeutet, dass jemand mit einem Schwur nur das zu tun verspricht, was gerecht und erlaubt ist. Deshalb begehen diejenigen eine Todsünde, die schwören, sich für ein erlittenes Unrecht zu rächen oder sonst irgend etwas zu tun, was Gott missfällt. Auch darf man solche Versprechen nicht halten. Sie sind keinesfalls bindend, denn niemand kann verpflichtet sein, Böses zu tun, da uns das Gesetz Gottes ja im Gegenteil dazu verpflichtet, das Böse nicht zu tun.

S: Was bedeutet, mit Urteil zu schwören?

L: Es bedeutet, mit Klugheit und reiflicher Überlegung zu schwören. D.h. man muss bedenken, dass es nur im Notfall und in Angelegenheiten von großer Wichtigkeit recht ist, Gott zum Zeugen anzurufen, und dass dies selbst dann in ehrfürchtiger Scheu geschehen muss. Deshalb sündigen diejenigen, die für jede Kleinigkeit, ja sogar aus Spielerei oder im Scherz, schwören. Durch eine solche schlechte Gewohnheit, oft und leichtfertig zu schwören, geraten sie in die Gefahr, schließlich auch falsch zu schwören, und der Meineid ist eine der größten Sünden, die man begehen kann. Darum gebietet uns der Herr im Evangelium und auch der hl. Jakobus in seinem Brief, dass wir nicht schwören sollen, d.h. nicht ohne Notwendigkeit.86 Den Grund dafür geben uns die Heiligen an. Der Eid wurde als Heilmittel für das schwache Vertrauen der Menschen erfunden, weil die Menschen einander nur schwer Glauben schenken.87 Darum muss man den Eid so gebrauchen, wie wir uns auch sonst der Arzneimittel bedienen: man nimmt sie nicht häufig ein, sondern so selten wie möglich.

S: Erklären Sie mir bitte den dritten Teil des Gebotes, der die Gelübde betrifft!

L: Das Gelübde ist ein Gott gegebenes Versprechen einer guten und seiner göttlichen Majestät wohlgefälligen Sache.88 Dabei habt ihr dreierlei zu bedenken. Erstens dass das Gelübde ein Versprechen ist. So reicht, um ein Gelübde abzulegen, nicht der bloße Vorsatz und erst recht nicht der Wunsch, etwas zu tun, sondern ein Gelübde ist ein ausdrückliches Versprechen mit dem Mund oder wenigstens mit dem Herzen. Sodann habt ihr zu beachten, dass man dieses Versprechen an Gott richtet, denn im eigentlichen Sinn steht es nur Gott zu, ein Gelübde entgegenzunehmen. Wenn ihr also hört, dass man der Mutter Gottes oder Heiligen etwas als ein Gelübde macht, müsst ihr das so verstehen, dass man dieses Gelübde in erster Linie Gott macht, jedoch zur Ehre der Mutter Gottes oder der Heiligen, in denen Gott in besonderer und erhabenerer Weise wohnt als in den anderen Geschöpfen. Infolgedessen ist das einem Heiligen gemachte Gelübde nichts anderes, als dass man Gott verspricht, das Gedenken dieses Heiligen mit einer Gabe zu ehren, was bedeutet, dass man Gott selbst in seinen Heiligen ehrt. Drittens müsst ihr wissen, dass man in einem Gelübde nur eine gute und Gott wohlgefällige Sache versprechen kann, etwa die heilige Jungfräulichkeit oder die freiwillige Armut und ähnliches. Wenn darum jemand ein Gelübde ablegen würde, eine Sünde zu begehen, eine Handlung zu verrichten, die mit der Verehrung Gottes in keinerlei Zusammenhang steht, oder auch irgendetwas Gutes zu tun, das aber zugleich ein Hindernis für ein größeres Gut wäre, dann würde er damit keine Sache versprechen, die der göttlichen Majestät wohlgefällig wäre. Er würde also mit dem Gelübde Gott nicht ehren, sondern ihn stattdessen verunehren und damit gegen dieses zweite Gebot sündigen. Ebenso versündigt man sich schwer gegen dieses Gebot, wenn man ein Gelübde ablegt, es aber nicht sobald wie möglich erfüllt. Denn Gott gebietet in der Heiligen Schrift, dass derjenige, der ein Gelübde ablegt, nicht nur daran denken soll, es auch zu erfüllen, sondern dass er die Erfüllung auch nicht aufschieben soll.89

S: Erklären Sie mir bitte den letzten Teil, der vom Lob Gottes und von der Gotteslästerung handelt!

L: Im letzten Teil dieses zweiten Gebotes verlangt Gott, dass man seinen heiligen Namen nicht lästert, sondern dass man ihn im Gegenteil lobt und preist. Was dabei zunächst das Lob angeht, so gibt es da keinerlei Unklarheit. Es ist ja offenkundig, dass wir alles Gute von Gott haben und dass alle Werke Gottes voll von Weisheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind. So ist es vernünftig, dass er für alles gelobt und gepriesen wird. Was aber nun die Lästerung angeht, so müsst ihr wissen, dass die Gotteslästerung nichts anderes ist, als dass man Gott selbst mit Worten beleidigt oder seine Heiligen, wodurch ebenfalls Gott selbst beleidigt wird.90 Es gibt aber sechs Arten von Gotteslästerungen. Die erste liegt vor, wenn man Gott etwas zuschreibt, was ihm nicht angemessen ist, wie dass er Hörner habe und ähnliche abscheuliche Dinge. Die zweite liegt vor, wenn man Gott etwas abspricht, was ihm zukommt, wie die Macht, Weisheit, Gerechtigkeit oder andere Vorzüge, etwa wenn man sagt, dass Gott etwas nicht tun könne, etwas nicht sehe oder er nicht gerecht sei. Die dritte, wenn man einem Geschöpf eine Eigenschaft Gottes zuschreibt, so wie es diejenigen tun, die sagen, der Teufel wisse Zukünftiges oder er könne echte Wunder wirken. Die vierte, wenn man Gott, die Mutter Gottes oder andere Heilige verflucht. Die fünfte, wenn man einzelne Glieder Christi oder der Heiligen nennt, um sie zu beleidigen, so als wären sie bei ihnen unehrenhaft, wie bei uns. Die sechste, wenn man bestimmte Teile Christi oder von Heiligen nennt, um mit ihnen einen Scherz zu machen, so wie es diejenigen machen, die sagen: „beim Bart Christi" oder „beim Bart des hl. Petrus" oder andere solche Dinge, die der Neid des Teufels und die Schlechtigkeit des Menschen erfunden hat.

S: Ich möchte gern wissen, eine wie große Sünde die Gotteslästerung ist.

L: Sie ist eine so große Sünde, dass sie gewissermaßen die größte von allen ist. Das kann man an der Strafe erkennen, die sie verdient. Denn im Alten Testament gebot Gott, dass die Gotteslästerer sofort vom ganzen Volk gesteinigt werden sollten, und auch die weltlichen Gesetze bestrafen die Gotteslästerer mit dem Tod.91 Der hl. Gregor schreibt, dass ein fünfjähriger Junge, nachdem er Gott zu lästern gelernt hatte und dafür vom Vater nicht zurechtgewiesen worden war, in den Armen des Vaters starb und dass die Seele des Jungen von Dämonen, die sichtbar erschienen, in das Feuer der Hölle getragen wurde.92 Dass so etwas einmal wegen einer anderen Sünde geschehen wäre, ist nirgendwo zu lesen. Folglich muss man unbedingt alle Sorgfalt darauf verwenden, sich vor einer so großen Beleidigung der göttlichen Majestät zu hüten. Diese Sünde zu meiden müsste aber umso leichter fallen, als man aus ihr keinerlei Nutzen oder Lust gewinnt wie bei manchen anderen Sünden, sondern bloß den Schaden, den die Sünde mit sich bringt. Freilich darf man niemals sündigen, was für einen Nutzen oder was für ein Vergnügen auch immer man damit erlangen würde.

 

Erklärung des dritten Gebots

S: Die beiden ersten Gebote habe ich bereits verstanden. Nun möchte ich gern, dass Sie mir das dritte erklären.

L: Das dritte Gebot, nämlich die Feiertage zu heiligen, ist etwas anders als die übrigen. Denn alle anderen, d.h. die beiden vorherigen und die sieben folgenden, sind vollständig mit der Natur gegeben und nicht nur für die Christen, sondern auch für die Juden und für die Heiden verpflichtend. Dieses dritte dagegen ist teilweise natürlich und für alle Menschen verpflichtend, teilweise ist es aber auch nicht aus der Natur abgeleitet und verpflichtet nicht alle. Denn den Feiertag zu heiligen, d.h. irgendeinen Tag heilig zu halten, den man in frommen Werken und vor allem mit dem Gottesdienst verbringen muss, ist eine mit der Natur gegebene Vorschrift, ist es doch so, dass die natürliche Vernunft dies alle Menschen lehrt und man so in jedem Teil der Welt irgendeinen bestimmten Feiertag beachtet. Jedoch die genaue Festlegung eines solchen Tages, d.h. dass es eher dieser als jener ist, entspringt nicht der menschlichen Natur. Deshalb ist der Hauptfesttag bei den Juden der Sabbat, bei den Christen aber der Sonntag.

S: Aus welchem Grund gebot Gott den Juden, den Sabbat zu halten, und warum gerade diesen und nicht einen anderen Tag?

L: Zwei Hauptgründe gibt es dafür. Der erste ist, dass Gott am Sabbat die Erschaffung der Welt vollendete und deshalb wollte, dass man diesen Tag zum Gedenken an diese große Wohltat der Erschaffung der Welt heilig halte. Das diente auch dazu, den Irrtum bestimmter Philosophen niederzuschmettern, die behaupteten, die Welt sei schon immer da gewesen. Denn indem man den Feiertag zum Gedenken an die Erschaffung der Welt beging, gestand man auch ein, dass die Welt einen Anfang gehabt hat. Der zweite Grund ist: Weil der Mensch seine Knechte, Mägde und Tiere sechs Tage der Woche arbeiten und sich abmühen lässt, wollte Gott, dass diese Untergebenen, Männer wie Frauen, und auch Ochs und Esel am siebten Tag, dem Sabbat, ausruhen können und dass die Herren lernen, freundlich und nicht grausam zu ihren Arbeitern zu sein und selbst mit den Tieren Mitleid zu haben.

S: Was bedeutet es, dass wir Christen nicht wie die Juden den Sabbat halten, wo es doch so gute Gründe gibt, ihn zu halten?

L: Ganz zu Recht hat Gott den Sabbat gegen den Sonntag ausgetauscht, ganz wie die Beschneidung gegen die Taufe, das Osterlamm gegen das allerheiligste Sakrament und alle anderen guten Einrichtungen des Alten Testamentes gegen die noch besseren des Neuen Testamentes. Wenn man darum den Sabbat zum Gedenken an die Erschaffung der Welt feierte, weil an diesem Tag das Schöpfungswerk beendet wurde, feiert man mit noch größerem Recht den Sonntag zum Gedenken an die Schöpfung, denn am Sonntag nahm die Schöpfung ihren Anfang.93 Wenn die Juden Gott den letzten Tag der Woche schenkten, so tun die Christen noch besser daran, ihm den ersten zu schenken. Darüber hinaus gedenkt man am Sonntag der drei hauptsächlichen Wohltaten der Erlösung. Denn an einem Sonntag wurde Christus geboren, an einem Sonntag ist er auferstanden und an einem Sonntag sandte er den Heiligen Geist auf die Apostel herab. Schließlich bedeutet der Sabbat die Ruhe, die die heiligen Seelen in der Vorhölle genossen. Der Sonntag bedeutet die Herrlichkeit, die die heiligen Seelen bereits jetzt und einst auch die Leiber im Himmel haben. Deshalb feierten die Juden den Sabbat, weil sie bei ihrem Tod in die Ruhe der Vorhölle eingingen; die Christen aber müssen den Sonntag feiern, weil sie bei ihrem Tod in die Seligkeit des Paradieses eingehen, d.h. selbstverständlich, wenn sie gute Werke entsprechend dem heiligen Gesetz, das Gott ihnen gegeben hat, getan haben.

S: Muss man außer dem Sonntag auch noch andere Feiertage halten?

L: Man muss viele andere Feiertage halten, die des Herrn ebenso wie die der Mutter Gottes oder der anderen Heiligen, d.h. all jene, die von der heiligen Kirche geboten sind. Wir haben jedoch insbesondere vom Sonntag gesprochen, weil er der älteste Feiertag ist und häufiger als alle anderen gefeiert wird. So gab es auch bei den Juden viele Feiertage, aber der älteste, häufigste und größte von allen war der Sabbat. Deshalb wird in den zehn Geboten nur der Sabbat eigens erwähnt, dessen Nachfolge, wie gesagt, der Sonntag angetreten hat.

S: Was muss man tun, um die Feiertage zu halten?

L: Zweierlei ist nötig: Zum einen sich von knechtischen Arbeiten zu enthalten, welche diejenigen sind, die man für gewöhnlich von Dienstboten und Handwerkern machen lässt, die körperlich arbeiten. Denn diejenigen Arbeiten, bei denen hauptsächlich der Verstand tätig ist, kann man nicht knechtisch nennen, auch wenn man zur Unterstützung des Verstandes ebenfalls die Zunge, die Hand oder ein anderes Körperteil gebraucht. Zum anderen sind wir verpflichtet, an den gebotenen Festtagen dem heiligen Messopfer beizuwohnen. Obwohl uns die heilige Kirche aber zu nichts anderem verpflichtet, ist es dennoch sehr angemessen, den ganzen Tag oder doch den größeren Teil von ihm mit Gebeten, geistlichen Lesungen, dem Besuch von Kirchen, Hören von Predigten und ähnlichen frommen Übungen zu verbringen, ist dies doch der Zweck, wozu diese Festtage eingesetzt worden sind.

S: Wenn man am Feiertag keine knechtische Arbeit verrichten darf, dann kann man doch nicht einmal die Glocken läuten, den Tisch decken und erst recht nicht das Essen kochen, weil all das knechtische Arbeiten sind.

L: Das Verbot knechtischer Arbeiten gilt unter zwei Bedingungen. Erstens dass sie nicht für das menschliche Leben notwendig sind. Deshalb ist Essen kochen, den Tisch decken und ähnliches mehr, was man nicht am Vortag erledigen kann, erlaubt. Zweitens dass sie nicht zum Dienst Gottes notwendig sind. Deshalb ist Glocken läuten gestattet ebenso wie andere Dienste in der Kirche, die man nicht an anderen Tagen erledigen kann. Über diese Bedingungen hinaus ist es auch erlaubt, knechtische Arbeiten am Feiertag zu tun, wenn es eine Erlaubnis des kirchlichen Vorgesetzten gibt und ein vernünftiger Grund vorliegt.

 

Erklärung des vierten Gebots

S: Es folgt das vierte Gebot, das darin besteht, Vater und Mutter zu ehren. Ich möchte gern wissen, warum die Gebote der zweiten Tafel mit der Ehre von Vater und Mutter beginnen.

L: Die Gebote der zweiten Tafel beziehen sich auf den Nächsten, so wie die der ersten Tafel sich auf Gott beziehen. Weil aber Vater und Mutter uns unter allen Menschen am nächsten sind und wir ihnen am meisten verpflichtet sind, haben wir von ihnen doch das Sein und das Leben, welches die Grundlage aller anderen zeitlichen Güter ist, darum beginnt die zweite Tafel ganz zu Recht mit der Ehre von Vater und Mutter.

S: Was versteht man unter dieser Ehre, die man Vater und Mutter schuldet?

L: Man versteht darunter dreierlei: Hilfe, Gehorsam und Ehrerbietung. Zum ersten sind wir dazu verpflichtet, Vater und Mutter in ihren Bedürfnissen zu helfen und zu unterstützen. Diese Hilfe heißt in der Heiligen Schrift Ehre94, und es ist sehr vernünftig, dass die Kinder, die doch von Vater und Mutter das Leben empfangen haben, dafür sorgen, diesen wiederum das Leben zu erhalten. Darüber hinaus sind wir dazu verpflichtet, Vater und Mutter, wie der hl. Paulus sagt, in allem im Herrn zu gehorchen,95 d.h. in allem, was dem Willen des Herrn entspricht. Denn wenn der Vater oder die Mutter etwas gebietet, was gegen den Willen Gottes ist, dann muss man nach dem Gebot Christi Vater und Mutter hassen, d.h. ihnen nicht gehorchen und sie nicht anhören, nicht anders, als wären sie unsere Feinde.96 Schließlich sind wir dazu verpflichtet, Vater und Mutter Ehrerbietung zu erweisen, indem wir sie achten und sie mit Worten und mit äußeren Zeichen ehren, so wie es sich gehört. Im Alten Testament sah Gott dies als so schwerwiegend an, dass er befahl, den zu töten, der es gewagt hatte, Vater und Mutter zu fluchen.97

S: Ich verstehe nicht, warum das Gesetz Gottes den Kindern gebietet, Vater und Mutter zu helfen und zu unterstützen, nicht aber ebenso den Vätern und Müttern gebietet, den Kindern zu helfen und sie zu unterstützen, vor allem solange sie noch klein sind und Hilfe nötig haben.

L: Tatsächlich besteht die Pflicht wechselseitig zwischen Eltern und Kindern. So wie letztere verpflichtet sind, erstere zu unterstützen, zu ehren und ihnen zu gehorchen, ebenso sind erstere dazu verpflichtet, nicht nur für Nahrung und Kleidung der Kinder zu sorgen, sondern auch für ihre Erziehung und Bildung. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist aber so natürlich und normal, dass kein weiteres geschriebenes Gesetz nötig war, die Eltern an die Pflicht, die sie gegenüber den Kindern haben, zu erinnern. Dagegen sieht man häufig, dass die Kinder die Liebe der Eltern nicht erwidern. Deshalb war es notwendig, sie mit diesem Gebot auf ihre Pflicht aufmerksam zu machen. Gott hat sich nicht mit dem bloßen Gebot begnügt, sondern er hat ihm eine Verheißung und eine Drohung hinzugefügt, damit es auch befolgt wird.

S: Ich möchte gerne wissen, was für eine Verheißung bzw. Drohung das ist.

L: Gott fügte diesem vierten Gebot die folgenden Worte hinzu: „damit du lange lebst auf der Erde". Das heißt, dass diejenigen, die Vater und Mutter ehren, als Lohn erhalten werden, dass sie lange leben; diejenigen hingegen, die sie nicht ehren, neben anderen Strafen insbesondere diese erhalten werden, dass sie nicht alt werden. Das ist eine sehr angemessene Strafe, weil es nicht recht ist, dass derjenige lange das Leben genießt, der diejenigen verunehrt, von denen er dieses Leben empfangen hat.

S: Als letztes kommt mir noch die Frage, ob das, was von Vater und Mutter gesagt worden ist, nicht auch für die anderen Vorgesetzten gilt, die uns gegenüber Vaterstelle einnehmen.

L: Ihr habt euch darüber sehr gut Gedanken gemacht, denn dieses Gebot muss man auf alle kirchlichen ebenso wie weltlichen Vorgesetzten ausdehnen.

 

Erklärung des fünften Gebots

S: Erklären Sie mir jetzt bitte das fünfte Gebot!

L: Dieses Gebot verbietet zunächst den Mord, d.h. Menschen umzubringen. Denn Tiere umzubringen ist durch dieses Gebot nicht untersagt. Der Grund dafür ist, dass Tiere für den Menschen geschaffen sind. Wenn der Mensch sich also des Lebens der Tiere zu seinem Nutzen bedienen kann, dann darf er sie töten. Der Mensch aber ist nicht für einen anderen Menschen geschaffen, sondern für Gott. Deshalb ist der Mensch nicht Herr über das Leben eines anderen Menschen. Folglich ist es ihm nicht erlaubt, ihn zu töten.

S: Wir sehen aber doch, dass die Fürsten und Regierenden Räuber und andere Übeltäter hinrichten lassen, die doch auch Menschen sind; und man ist der Ansicht, dass sie dabei nicht falsch, sondern richtig handeln.

L: Wenn die Fürsten und Regierenden, die die staatliche Gewalt innehaben, die Verbrecher hinrichten lassen, dann handeln sie dabei nicht etwa als Herren über das Leben der Menschen, sondern als Diener Gottes, wie der hl. Paulus sagt.98 Gott will nämlich und gebietet, dass die Verbrecher bestraft und, wenn sie es verdienen, auch getötet werden, damit die rechtschaffenen Menschen in Sicherheit und in Frieden leben können. Dafür hat Gott selbst den Fürsten und Regierenden das Schwert in die Hand gegeben, um für Gerechtigkeit zu sorgen, indem sie die Guten verteidigen und die Schuldigen bestrafen. Wenn darum durch die staatliche Gewalt ein Verbrecher getötet wird, heißt das nicht Mord, sondern Hinrichtung. Und wenn das Gebot Gottes lautet: „Nicht töten!", dann ist damit gemeint: nicht aus eigener Vollmacht.

S: Dabei kommt mir ein Gedanke. Untersagt dieses Gebot auch, sich selbst zu töten, so wie es verbietet, einen anderen zu töten?

L: Ohne jeden Zweifel untersagt dieses Gebot auch, sich selbst zu töten", weil niemand Herr über das eigene Leben ist. Denn der Mensch ist nicht für sich selbst geschaffen, sondern für Gott. Deshalb kann sich niemand eigenmächtig das Leben nehmen. Wenn aber manche heiligen Männer oder Frauen sich selbst getötet haben, um nicht den Glauben oder die Keuschheit zu verlieren, muss man annehmen, dass Gott ihnen eigens ganz klar eingegeben hat, so etwas zu tun. Andernfalls könnte man eine solche Handlung nicht von schwerster Sünde freisprechen. Denn wer sich selbst tötet, tötet einen Menschen und begeht so einen Mord, welches die Sünde ist, die hauptsächlich in diesem fünften Gebot des Gesetzes verboten wird.

S: Warum sagen Sie: hauptsächlich?

L: Weil nicht nur das Töten verboten ist, sondern auch das Verwunden, Schlagen und jedes beliebige andere Unrecht am Leben oder an der Person des Nächsten. Ja, wo Christus, unser Herr, im heiligen Evangelium dieses Gebot erklärt, verbietet er zugleich sogar den Zorn, den Hass, den heimlichen Groll, die Schmähung und andere ähnliche Gefühle oder Worte, die normalerweise die Ursache und Wurzel von Tötungsverbrechen sind.100 Er will, dass wir im Gegenteil sanftmütig und entgegenkommend sind und uns um Frieden und Eintracht mit allen bemühen.

 

Erklärung des sechsten Gebots

S: Was ist im sechsten Gebot enthalten?

L: Es enthält in erster Linie das Verbot des Ehebruchs, also das Sündigen mit der Frau eines anderen. Weil aber nach dem Leben das am meisten geschätzte Gut in dieser Welt die Ehre ist, wird nach dem Gebot, nicht zu töten, ganz zu Recht der Ehebruch verboten, durch den man seine Ehre verliert.

S: Warum sagen Sie: in erster Linie?

L: Die zehn Gebote sind ein Gesetz der Gerechtigkeit. Darum werden in ihnen in erster Linie die Sünden verboten, durch die man eine offensichtliche Ungerechtigkeit begeht; eine solche ist der Ehebruch. Dennoch werden darin in zweiter Linie auch alle anderen Arten von fleischlichen Sünden verboten, so das Sakrileg, also das Sündigen mit einer gottgeweihten Person; der Inzest, also das Sündigen mit einem Verwandten; die Schändung, also das Sündigen mit einer Jungfrau; die Unzucht, also das Sündigen mit einer lasterhaften, aber nicht gebundenen Frau, etwa einer Witwe oder einer Prostituierten; und andere Arten von noch abscheulicheren Sünden, die man unter Christen nicht einmal beim Namen nennen soll.

S: Auch wenn ich glaube, dass all das wahr ist, was Sie gesagt haben, möchte ich doch gerne verstehen, worauf es beruht, dass die Unzucht eine Sünde ist. Denn anscheinend fügt man doch niemandem einen Schaden oder eine Beleidigung zu, wenn man diese einfache, zuletzt genannte Form der Unzucht begeht.

L: Dies ist in allen Gesetzen begründet, im Naturgesetz, im Gesetz der Heiligen Schrift und im Gesetz der Gnade. Im Naturgesetz findet man, dass der Patriarch Juda eine Frau namens Thamar töten lassen wollte. Sie war seine Schwiegertochter gewesen, und als sie Witwe war, stellte sich heraus, dass sie schwanger war.102 Daran sieht man, dass die Menschen zu jener Zeit, noch bevor das Gesetz an Mose gegeben worden war, durch einen natürlichen Instinkt erkannten, dass die Unzucht Sünde ist. Im Gesetz des Mose ist dann an verschiedenen Stellen die Unzucht verboten103, und in den Briefen des hl. Paulus lesen wir häufig, dass die Unzüchtigen nicht in die Herrlichkeit des Paradieses gelangen werden.104 Es ist auch nicht wahr, dass die Unzucht niemandem Schaden oder eine Beleidigung zufügt. Denn sie fügt der Frau selbst Schaden zu, weil sie dadurch ehrlos wird; sie fügt der Nachkommenschaft Schaden zu, die als illegitim zur Welt kommt. Sie fügt Christus eine Beleidigung zu, denn wir sind alle Glieder Christi, und wer Unzucht begeht, macht aus den Gliedern Christi Glieder von Dirnen.105 Schließlich fügt sie dem Heiligen Geist eine Beleidigung zu, denn unsere Leiber sind Tempel des Heiligen Geistes, und wer den Leib durch Unzucht besudelt, entweiht somit den Tempel des Heiligen Geistes.106

S: Verbietet dieses Gebot noch anderes außer der Art von Sünden, die Sie genannt haben?

L: Es verbietet auch alle übrigen schamlosen Handlungen, die wie breite Straßen zum Ehebruch oder zur Unzucht führen, nämlich die lüsternen Blicke, die wollüstigen Küsse und ähnliche andere Dinge. So hat es uns unser Herr im heiligen Evangelium gelehrt, wo er bei der Erklärung dieses sechsten Gebots sagt, wer eine Frau mit bösem Begehren anschaue, habe in seinem Herzen bereits Ehebruch begangen.107 Wer deshalb ähnliche Sünden ernstlich meiden will, der muss unbedingt sorgfältig über seine Sinne wachen, vor allem über seine Augen, die wie Türen sind, durch die der Tod in die Seele hineingelangt.

 

Erklärung des siebten Gebots

S: Was enthält das siebte Gebot?

L: Es enthält das Verbot des Diebstahls, d.h. das Eigentum eines anderen gegen den Willen des Besitzers an sich zu nehmen. In schöner Ordnung folgt das Verbot des Diebstahls auf das Verbot des Mordes und des Ehebruchs, denn unter den Gütern dieser Welt schätzt man nach dem Leben die Ehre und nach der Ehre das Eigentum am meisten.

S: Wie viele Arten gibt es, gegen dieses Gebot zu handeln?

L: Im Grunde sind es zwei Arten, auf die sich alle anderen zurückführen lassen. Die erste Art besteht darin, das Eigentum eines anderen heimlich zu entwenden, und das ist Diebstahl im eigentlichen Sinn. Die zweite Art besteht darin, das Eigentum eines anderen ganz offen zu entwenden, so wie es die Straßenräuber machen, und das nennt man Raub. Obwohl nun das Gebot Gottes mit den Worten „nicht stehlen" das erste verbietet, gilt es doch auch für das zweite. Wer nämlich das kleinere Übel verbietet, verbietet zweifellos auch das größere.

S: Welches sind die Sünden, die sich auf Diebstahl und Raub zurückführen lassen und die damit in diesem Gebot ebenfalls verboten sind?

L: Es sind die folgenden. Erstens jeder Betrug und jede Täuschung, bei Kauf, Verkauf und anderen Verträgen.108 Das lässt sich auf Diebstahl zurückführen, denn wer heimlich solche Betrügereien macht, nimmt vom Nächsten mehr, als dieser ihm schuldig ist. Zweitens jeder Wucher, indem man jemandem Geld leiht unter der Bedingung, dass man es mit Zinsen zurückerhält, und das lässt sich auf Raub zurückführen. Denn wer Wucher treibt, verlangt ganz offen mehr, als er gegeben hat. Drittens jeder dem Nächsten zugefügte Schaden, auch wenn der Schädiger davon keinerlei Gewinn hat, wie etwa wenn er das Haus eines anderen niederbrennt. Das lässt sich bald auf Diebstahl und bald auf Raub zurückführen, je nachdem ob der Schaden heimlich oder ganz offen zugefügt wird. Viertens sündigt gegen dasselbe Gebot, wer etwas nicht zurückgibt, obwohl er dazu verpflichtet ist, und das ist, als würde er stehlen, weil er das Eigentum des anderen gegen den Willen des Eigentümers behält. Fünftens sündigt gegen dasselbe Gebot und begeht einen Diebstahl, wer etwas findet, was andere verloren haben, und es für sich behält. Dabei sage ich „was andere verloren haben", weil es keine Sünde ist, das an sich zu nehmen, was niemandem gehört, so wie die kostbaren Steine, die man manchmal am Meeresstrand findet. Sechstens ist auf Diebstahl oder Raub die Aneignung von Gemeingut zurückzuführen, denn wer sich Gemeingut aneignet, beraubt die Gefährten des Gebrauchs der Dinge, die ihnen gehören.

S: Ich möchte wissen, ob der Diebstahl eine große Sünde ist.

L: Alle Todsünden kann man große Sünden nennen, da sie den Menschen des ewigen Lebens berauben. Der Diebstahl aber hat die besondere Eigenschaft, zu ganz großen Übeln zu führen. So sehen wir, dass Judas durch die Gewohnheit zu stehlen (er behielt das für sich, was ihm zur gemeinsamen Nutzung durch den Herrn und die Apostel anvertraut war) schließlich so weit gebracht wurde, seinen heiligsten Meister zu verraten. Auch sehen wir ständig, wie Straßenräuber sich daran machen, andere Menschen umzubringen, die sie nie zuvor gesehen haben und gegen die sie weder Hass noch Feindschaft im Herzen tragen, nur um ihnen das Wenige, was sie bei sich tragen, zu stehlen. Gott aber lässt es zu, dass, wer anderen etwas wegnimmt, nur wenig Freude daran hat, und so hat Judas sich selbst erhängt, und die Räuber werden meist vom Arm des Gesetzes erreicht.

 

Erklärung des achten Gebots

S: Was enthält das achte Gebot?

L: Es wurde bereits vom Unrecht gesprochen, das man gegen den Nächsten durch Werke begeht. Nun folgt das Unrecht, das man gegen ihn durch Worte begeht. Darum verbietet das achte Gebot das falsche Zeugnis, das eine der bedeutendsten Ungerechtigkeiten ist, die man mit Worten begehen kann.

S: Ich möchte gern wissen, ob es gegen dieses Gebot ist, wenn jemand Unwahres sagt, ohne damit jemandem zu schaden.

L: Es gibt normalerweise drei Formen, wie man die Unwahrheit sagt. Erstens um dem Nächsten zu schaden, wie etwa wenn vor dem Richter jemand als Zeuge über einen anderen aussagt, er habe gestohlen oder jemanden umgebracht, dabei aber genau weiß, dass das überhaupt nicht wahr ist. Das nennt man Schadenlüge bzw. bösartige Lüge. Zweitens dem Nächsten zu helfen, wie etwa wenn jemand eine Lüge sagt, um einen anderen aus einer Gefahr zu befreien, und das nennt man Nutzlüge (Notlüge, Dienstlüge). Drittens ohne zu schaden und ohne zu nützen, und das nennt man grundlose Lüge oder Scherzlüge. Die erste dieser Formen ist ausdrücklich in diesem Gebot verboten, denn dabei handelt es sich nicht nur um ein falsches, sondern auch um ein ungerechtes Zeugnis, und dies ist eine sehr schwere Sünde. Die anderen beiden Formen sind, obwohl sie keine Ungerechtigkeit enthalten und keine so schweren Sünden wie die erste sind, ebenfalls wirkliche Sünden, zumindest lässliche.109 Man darf nämlich um keinen Preis der Welt eine Lüge sagen.

S: Enthält dieses Gebot noch etwas anderes neben dem Verbot der Lüge?

L: Es enthält das Verbot von drei anderen Arten von Sünden, die man mit Worten begeht und die sich in gewisser Weise auf das falsche Zeugnis zurückführen lassen, nämlich Schmähung, Verleumdung und Verwünschung.

S: Was bedeutet Schmähung?

L: Eine Schmähung ist ein verletzendes Wort, das man ausspricht, um den Nächsten zu entehren, wie etwa wenn jemand zu einem anderen sagt, er sei dumm, er habe Stroh im Kopf, er sei gemein, ehrlos und ähnliches mehr. Dass es aber eine große Sünde ist, wenn man etwas in der Absicht sagt zu beleidigen, zeigt der Heiland im heiligen Evangelium, wo er sagt, wer seinen Nächsten einen Dummkopf nennt, habe das Feuer der Hölle verdient.110 Ich habe dabei gesagt, „wenn es in der Absicht gesagt ist zu beleidigen", denn wenn man es zum Scherz oder zur Mahnung oder zur Besserung sagt, so wie es manchmal der Vater mit dem Kind und der Lehrer mit dem Schüler macht, ohne einen Gedanken daran, damit zu verletzen, dann heißt das nicht Schmähung und ist auch keine Sünde, allenfalls vielleicht eine lässliche.

S: Was ist Verleumdung?

L: Verleumdung ist, den guten Ruf des Nächsten zu schädigen, indem man schlecht über ihn redet. Das tut man entweder, indem man vom Nächsten Böses erzählt, was nicht wahr ist, oder Böses, was zwar wahr ist, aber nicht allgemein bekannt, und ihn so den guten Ruf verlieren lässt, den er bei denen hatte, die von seiner Sünde nichts wussten. Eine solche Verleumdung ist ein unter den Menschen sehr verbreitetes Übel. Sie ist eine schwere und gefährliche Sünde, weil der Ruf wichtiger ist als das Eigentum und von einigen sogar höher als das Leben geschätzt wird. Darum ist es ein großes Übel, die Ursache für seinen Verlust zu sein. Außerdem ist es bei den anderen Übeln leicht, eine Abhilfe zu finden; den geschädigten Ruf dagegen kann man nur mit größter Schwierigkeit wiederherstellen. Daher kommt es, dass derjenige, der ihn durch seine Verleumdung geschädigt hat, dazu verpflichtet ist, ihn wiederherzustellen. So ist es denn ein äußerst nützlicher Entschluss, stets gut über alle zu reden, wenn man es kann, ohne die Wahrhaftigkeit zu verletzen; wenn man es aber nicht kann, zu schweigen.

S: Was bedeutet Verwünschung?

L: Verwünschung ist es, wenn einer seinen Nächsten verwünscht mit den Worten: „Sei verflucht!", oder ihm verschiedene Arten von Verwünschungen nachschickt mit den Worten: „Dieses oder jenes Übel komme über dich!" Dieses Verwünschen ist eine sehr schwere Sünde, wenn man es aus Hass und mit dem Verlangen tut, dass diese Übel dem Nächsten tatsächlich widerfahren. Wenn man es dagegen ohne Hass und böse Wünsche aus Scherz, Leichtsinn oder einem augenblicklichen Zorn tut, ohne darauf zu achten, was man sagt, ist es nicht ganz so schlimm, aber es ist doch immer noch etwas Böses, weil aus dem Mund eines Christen, der von Gott an Kindes Statt angenommen worden ist, nur Segensworte kommen sollten.

 

Erklärung des neunten Gebots

S: Was beinhaltet das neunte Gebot?

L: Es beinhaltet das Verbot, nach der Frau des Nächsten zu verlangen. Denn obwohl im sechsten Gebot bereits der Ehebruch verboten worden ist, hat Gott noch gesondert das Verlangen nach dem Ehebruch verboten, um uns verstehen zu lassen, dass das zwei unterschiedliche Sünden sind.

S: Es scheint, dass in diesem Gebot nicht der Wunsch der Frau, mit dem Mann einer anderen die Ehe zu brechen, sondern nur der Wunsch des Mannes, mit der Frau eines anderen die Ehe zu brechen, enthalten ist. Es heißt doch: „Du sollst nicht begehren die Frau eines anderen!"

L: Das stimmt nicht. Der Wunsch nach dem Ehebruch ist in gleicher Weise für den Mann wie für die Frau verboten. Es heißt zwar: „Du sollst nicht begehren die Frau eines anderen!", aber bei dem, was zum Mann gesagt ist, ist auch die Frau mit gemeint, weil im Mann als edlerem auch die Frau eingeschlossen ist. Mehr noch, jeder weiß, dass (zumindest für die Welt) der Ehebruch der Frau schändlicher ist als der des Mannes, so wie auch an der Frau die Ehrbarkeit und Schamhaftigkeit mehr gelobt wird als am Mann. Wenn es also dem Mann verboten ist, die Frau eines anderen zu begehren, dann ist es zweifellos auch für die Frau verboten, den Mann einer anderen zu begehren.

S: Vorhin haben Sie gesagt, dass zugleich mit dem Ehebruch auch alle anderen Arten von fleischlichen Sünden verboten sind. Ich möchte gern wissen, ob dasselbe auch für das Verlangen gilt.

L: Es gibt nicht den geringsten Zweifel, dass, wenn das Verlangen nach dem Ehebruch verboten ist, darin auch das Verlangen nach Unzucht und nach allen anderen schamlosen Dingen eingeschlossen ist, weil es ein und dieselbe Ursache für alle diese Sünden ist.

S: Ich möchte gern wissen, ob jedes Verlangen nach der Frau eines anderen Sünde ist, auch wenn man einem solchen Verlangen nicht mit dem Willen zustimmt.

L: Der hl. Papst Gregor hat uns gelehrt, dass es beim bösen Verlangen drei Stufen gibt: die erste nennt man Verlockung, die zweite Wohlgefallen und die dritte Zustimmung.111 Die Verlockung liegt vor, wenn der Teufel uns einen schamlosen Gedanken in den Sinn kommen lässt, der vom plötzlichen Beginn eines bösen Verlangens begleitet ist. Wenn man einer solchen Verlockung sofort Widerstand leistet, so dass sie nicht zu einem Wohlgefallen wird, sündigt der Mensch nicht, ja er hat sogar bei Gott ein Verdienst erworben. Wenn jedoch die Verlockung in ein sinnliches Wohlgefallen übergeht, der Verstand und der Wille jedoch nicht zustimmen, dann ist der Mensch nicht ohne eine lässliche Sünde. Wenn jedoch zur Verlockung und zum sinnlichen Wohlgefallen die Zustimmung des Verstandes und des Willens tritt, so dass der Mensch sich dessen bewusst wird, was er denkt und wonach er verlangt, und sich absichtlich bei einem solchen Verlangen und Gedanken aufhält, begeht er eine Todsünde, und das ist es, was im eigentlichen Sinn in diesem

 

Erklärung des zehnten Gebots

S: Was beinhaltet das zehnte Gebot?

L: Es enthält das Verbot des Wunsches nach dem Eigentum anderer, und zwar nach dem unbeweglichen Besitz wie Häuser und Besitzungen ebenso wie nach dem beweglichen Besitz wie Geld, Vieh, Früchte und ähnliches mehr. Auf diese Weise erfüllt man die vollkommene Gerechtigkeit, indem wir dem Nächsten weder in Werken noch in Worten Unrecht tun, ja nicht einmal mit Gedanken oder durch bloße Wünsche.

S: Ich wundere mich, dass Gott, der doch den Mord, den Ehebruch und den Diebstahl verboten hat, nicht auch den Wunsch nach dem Mord verbietet, so wie er den Wunsch nach dem Ehebruch und dem Diebstahl verbietet.

L: Der Grund ist der, dass der Mensch in erster Linie nur das begehrt, was ihm irgendein Gut verschafft, zumindest scheinbar. So wünscht er den Ehebruch, weil er ihm Lust bringt, und den Diebstahl, weil er ihm Nutzen bringt. Der Mord verschafft ihm dagegen kein Gut. Und deshalb wünscht er nicht den Mord an sich, sondern nur um zum Ehebruch, Diebstahl oder der Verwirklichung sonst irgendeinem seiner Pläne zu gelangen. Obwohl das Verlangen nach dem Mord eine sehr schwere Sünde ist, verbot es Gott darum nicht gesondert. Denn es konnte zugleich mit dem Mord selbst als verboten gelten. Hatte er außerdem einmal dem ungeordneten Verlangen nach Lüsten und nutzbringenden Dingen einen Riegel vorgeschoben, so hatte er schließlich auch dem Wunsch nach dem Mord einen Riegel vorgeschoben. Denn der Wunsch nach dem Mord entsteht meist nur, um auf diesem Wege zu irgendeiner Lust oder einem Nutzen zu gelangen.

S: Ich möchte wissen, warum in den menschlichen Gesetzen nie das Verlangen verboten ist, so wie man es im Gesetz Gottes sieht.

L: Der Grund dafür ist offensichtlich, dass die Menschen, mögen sie auch Bischöfe und Kaiser sein, nicht in die Herzen sehen können, sondern nur das Äußere. Weil sie darum nicht über die Gedanken oder das Verlangen urteilen können, können sie diese auch nicht bestrafen. So ist es nicht angemessen, dass sie sich damit belasten, sie zu verbieten. Gott aber, der die Herzen aller Menschen kennt, kann die bösen Gedanken und Wünsche bestrafen, und aus diesem Grund verbietet er sie in seinem heiligen Gesetz.

 

Kapitel VII: Erklärung der Kirchengebote

S: Ich möchte gern wissen, ob man außer den Geboten Gottes noch andere befolgen muss.

L: Da sind noch die Gebote der heiligen Kirche, und zwar folgende:

1. An gebotenen Feiertagen zur Hl. Messe zu kommen.

2. In der Fastenzeit, an den Quatembertagen und an den gebotenen Vigiltagen zu fasten und sich am Freitag und am Samstag der Fleischspeisen zu enthalten.

3. Mindestens einmal im Jahr zu beichten.

4. Wenigstens an Ostern die hl. Kommunion zu empfangen.

5. Den Zehnt an die Kirche zu zahlen.

6. Nicht in den geschlossenen Zeiten Hochzeit zu feiern, d.h. vom ersten Adventssonntag bis Dreikönig und vom Aschermittwoch bis zum Weißen Sonntag.

Ich denke, zu diesen Geboten brauche ich euch nichts weiter zu sagen: teils weil sie leicht zu verstehen sind, teils weil wir gleich, bei der Erklärung der hl. Sakramente, von Messe, Beichte und Kommunion sowie vom Fasten reden werden.

 

Kapitel VIII: Erklärung der evangelischen Räte

S: Ich möchte gern wissen, ob der Herr außer den Geboten auch noch einige Räte für ein vollkommeneres Leben gegeben hat.

L: Es gibt viele ganz heilige und nützliche Räte, um die Gebote in größerer Vollkommenheit zu befolgen, doch am wichtigsten sind drei: die freiwillige Armut, die Keuschheit und der Gehorsam.

S: Worin besteht der Rat der Armut?

L: Darin, überhaupt nichts eigenes mehr zu haben, indem man sein Eigentum den Armen gibt oder es zum gemeinsamen Besitz hinzufügt, was das gleiche ist. Diesen Rat lehrte Christus nicht nur mit Worten112, sondern auch durch sein Beispiel. Und nach Christus haben ihn die Apostel ebenso wie auch die ersten Christen in ihrer Gesamtheit, die in Jerusalem zur Zeit der Kirche des Anfangs lebten, befolgt.113 Schließlich legen alle Ordensleute das Gelübde ab, diesen heiligen Rat der freiwilligen Armut zu befolgen.

S: Worin besteht der Rat der Keuschheit?

L: Im Vorsatz, für immer keusch zu bleiben, indem man sich nicht nur jeder Form der Fleischessünde enthält, sondern auch der Ehe. Auch diesen Rat hat unser Herr mit Worten114 und durch sein Beispiel gelehrt, und die Mutter Gottes, der hl. Johannes der Täufer sowie alle Apostel, nachdem sie von Christus zum Apostelamt berufen worden waren, haben ihn befolgt. Darum legen alle Ordensleute ein besonderes Gelübde der Keuschheit ab, ebenso wie die Kleriker, die die heiligen Weihen haben.

S: Worin besteht der Rat des Gehorsams?

L: Darin, auf das eigene Urteil und den eigenen Willen zu verzichten, was das heilige Evangelium „sich selbst verleugnen" nennt115, und sich in allem, was sich nicht gegen Gott richtet, dem Willen des Oberen zu unterwerfen. Auch diesen Rat hat der Erlöser der Welt nicht nur mit Worten, sondern auch durch sein Beispiel gelehrt, indem er in allem dem ewigen Vater gehorchte, und außerdem, indem er sich als Kind seiner Mutter und dem hl. Joseph unterordnete.116 Dieser wurde für seinen Vater gehalten, weil er der Bräutigam der Mutter Gottes war. Dennoch war er in Wirklichkeit nicht sein Vater, war der Erlöser doch von einer allzeit jungfräulichen Mutter geboren worden. Dies ist der dritte Rat, zu dem sich alle Ordensleute mit einem Gelübde verpflichten.

S: Warum gibt es nur drei hauptsächliche Räte und nicht mehr?

L: Weil die hauptsächlichen Räte dazu dienen, die Hindernisse für die Vollkommenheit zu beseitigen. Die Vollkommenheit besteht in der Liebe, und Hindernisse dafür gibt es drei: die Liebe zum Besitz, die durch die Armut beseitigt wird; die Liebe zu fleischlichen Lüsten, die durch die Keuschheit beseitigt wird; und die Liebe zu Ehre und Macht, die durch den Gehorsam beseitigt wird. Ein weiterer Grund liegt darin, dass der Mensch nur drei Arten von Gütern hat, die Seele, den Leib und die äußeren Dinge. Wenn er darum Gott die äußeren Güter in der Armut, den Leib in der Keuschheit und die Seele im Gehorsam schenkt, dann bringt er Gott alles, was ihm gehört, als Opfer dar. Auf diese Weise macht er sich auf die beste Art, die in diesem Leben überhaupt möglich ist, geeignet für die vollkommene Liebe.

 

Kapitel IX: Erklärung der Sakramente der heiligen Kirche

S: Mit Hilfe der Gnade Gottes habe ich die drei Hauptstücke der christlichen Lehre gelernt. Nun müssen Sie mir noch den vierten Teil erklären, der, wenn ich mich recht erinnere, die sieben Sakramente der Kirche enthält.

L: Dieser Teil der Lehre ist von großem Nutzen. Deshalb müsst ihr ihn besonders sorgfältig lernen. Ihr müsst also wissen, dass es in der heiligen Kirche einen großen Schatz gibt, die heiligen Sakramente, durch die wir die Gnade Gottes erwerben, sie bewahren, sie vermehren und, falls wir sie aus eigener Schuld verlieren, sie wieder gewinnen.117 Ich will euch also erklären, was ein Sakrament ist, wie viele Sakramente es gibt, von wem sie eingesetzt worden sind und einige wenige andere Punkte. Danach gehen wir zur Erklärung jedes einzelnen von ihnen über.

S: Beginnen Sie bitte mit der Erklärung, was ein Sakrament ist! Das möchte ich nämlich besonders gern wissen.

L: Ein Sakrament ist ein heiliges Geheimnis, durch das Gott uns seine Gnade mitteilt und uns dabei zugleich äußerlich die unsichtbare Wirkung darstellt, die die Gnade in unserer Seele vollbringt. Denn wenn wir körperlose Geistwesen wären, wie es die Engel sind, würde Gott uns seine Gnade auf geistliche Weise geben. Da wir aber aus Seele und Leib zusammengesetzt sind, gibt uns unser Herr seine Gnade mittels bestimmter leiblicher Handlungen, um unserer Natur entgegenzukommen.118 Wie gesagt erklären uns diese Handlungen durch bestimmte äußere Ähnlichkeiten die innere Wirkung der Gnade. Zum Beispiel erfolgt die heilige Taufe, eines der Sakramente der Kirche, dadurch, dass der Leib mit Wasser abgewaschen wird und gleichzeitig die allerheiligste Dreifaltigkeit angerufen wird. Mittels dieses Ritus einer Waschung gibt Gott seine Gnade und legt sie in die Seele dessen, der getauft wird. Und er zeigt uns, dass die Gnade die Seele so wäscht und von jeglicher Sünde reinigt, wie jenes Wasser den Leib abwäscht.

S: Wenn ich das richtig verstanden habe, müssen drei Bedingungen erfüllt sein, um etwas zu einem Sakrament zu machen: erstens dass es ein Ritus, d.h. eine äußere Handlung ist, zweitens dass Gott durch sie seine Gnade gibt und drittens dass dieser Ritus eine Ähnlichkeit mit der Wirkung der Gnade aufweist und sie so darstellt und äußerlich auf sie hinweist.

L: Das habt Ihr sehr gut verstanden. Darüber hinaus müsst Ihr nun wissen, dass es insgesamt sieben Sakramente gibt und dass sie Taufe, Firmung oder Firmsalbung, Eucharistie, Buße, Letzte Ölung, Weihe und Ehe heißen.119 Dass es sieben sind, hat folgenden Grund: Bei der Verleihung des geistlichen Lebens wollte Gott genauso vorgehen, wie er normalerweise bei der Verleihung des leiblichen Lebens vorgeht. Beim leiblichen Leben ist es wie folgt: man muss zuerst geboren werden; zweitens wachsen; drittens Nahrung erhalten; viertens, wenn man krank ist, geheilt werden; fünftens, wenn man zu kämpfen hat, eine Rüstung erhalten; sechstens muss es jemanden geben, der die bereits geborenen und aufgewachsenen Menschen anleitet und führt; siebtens muss es jemanden geben, der sich der Vermehrung des Menschengeschlechts widmet, denn wenn die einmal Geborenen ohne Nachfolger sterben würden, würde die Menschheit bald aussterben. Beim geistlichen Leben nun muss in uns zuerst die Gnade Gottes geboren werden, und das geschieht durch die Taufe. Zweitens muss diese Gnade wachsen und stark werden, und das geschieht durch die Firmung. Drittens muss sie genährt und erhalten werden, und das tut die Eucharistie. Viertens muss sie wiedergewonnen werden, wenn sie verloren wurde, und das geschieht durch die Arznei der Buße. Fünftens muss der Mensch an der Schwelle des Todes gegen den höllischen Feind bewaffnet werden, und das geschieht durch die Letzte Ölung. Sechstens muss es in der Kirche jemanden geben, der uns in diesem geistlichen Leben anleitet und führt, und dazu ist die Weihe da. Siebtens muss es in der Kirche ebenso jemanden geben, der sich in heiliger Weise der Vermehrung des Menschengeschlechts widmet, weil sich so die Zahl der Gläubigen mehrt, und dazu ist das Ehesakrament da.

S: Wer hat denn so wunderbare Dinge erdacht und eingesetzt?

L: Diese so wunderbaren Sakramente konnte nur die göttliche Weisheit selbst erfinden, und einsetzen konnte sie ebenfalls nur Gott selbst, da er die Gnade verleihen kann.120 Und so hat Christus, unser Herr, der Gott und Mensch ist, sie erdacht und eingesetzt. Außerdem sind alle Sakramente wie Kanäle, durch die die Kraft des Leidens Christi zu uns fließt. Es ist also klar, dass dieser Schatz des Leidens Christi auch nur in der Weise und mit den Mitteln ausgeteilt werden kann, die Christus selbst festgelegt hat.

S: Ich möchte gerne wissen, ob es zur Zeit des Alten Testamentes auch Sakramente gab und ob sie so vortrefflich waren wie unsere.

L: Im Alten Testament gab es viele Sakramente, jedoch unterschieden sie sich von den unseren in vier Punkten.121 Erstens war ihre Zahl größer als bei unseren. Darum war das alte Gesetz auch schwieriger als das neue. Zweitens waren die damit verbundenen Erfordernisse schwieriger einzuhalten als bei unseren. Drittens waren sie dunkler, weshalb ihre Bedeutung auch nur von wenigen verstanden wurde, während unsere eine so klare Bedeutung haben, dass jeder sie begreifen kann. Viertens teilten sie nicht wie unsere die Gnade mit, sondern gaben von ihr nur ein Vorausbild und eine Verheißung. So sind unsere Sakramente viel vortrefflicher, weil sie geringer an Zahl, leichter, klarer und wirksamer als jene sind.

S: Ich möchte auch gern wissen, welches von unseren Sakramenten das bedeutendste ist.

L: Sie alle sind bedeutsam, jedes von ihnen besitzt eine ganz eigene erhabene Größe. Das größte von allen ist das allerheiligste Sakrament der Eucharistie, weil in ihm der Urheber der Gnade und alles Guten selbst enthalten ist, Christus, unser Herr. Was allerdings die Notwendigkeit angeht, sind die Taufe und die Buße die wichtigsten. Was die Würde dessen, der die Sakramente spenden kann, angeht, sind die Firmung und die Weihe die bedeutendsten, weil diese beiden Sakramente normalerweise nur der Bischof spenden kann. Was die Leichtigkeit angeht, so nimmt die Letzte Ölung den ersten Platz ein, weil bei ihr die Sünden ohne die Mühe der Buße vergeben werden. Was die Ebene des Sinnbildes angeht, so ist die Ehe das größte, weil sie die Verbindung Christi mit der Kirche darstellt.

 

Die Taufe

S: Beginnen Sie nun, wenn es Ihnen recht ist, das erste Sakrament zu erklären, und sagen Sie mir zuerst, warum es Taufe („baptisma") heißt!

L: Dieser Begriff „baptisma" ist ein griechisches Wort und heißt übersetzt Waschung. Die heilige Kirche wollte jedoch diesen griechischen Begriff verwenden, da der Begriff Waschung zu gewöhnlich ist und er täglich für die banalsten Dinge gebraucht wird. Damit dieses Sakrament also einen eigenen Namen hat und klarer unterschieden und höher geschätzt wird, wurde es Taufe, „baptisma" genannt.

S: Was braucht man, um die Taufe zu spenden?

L: Man benötigt mindestens drei Dinge. Merkt sie euch gut! In bestimmten Notfällen kann nämlich, wie wir gleich sehen werden, jeder taufen. Darum ist es gut, wenn auch jeder weiß, wie es geht. Erstens braucht man echtes, natürliches Wasser; damit übergießt man denjenigen, den man tauft. Zweitens muss man im gleichen Moment, da man das Wasser über ihn gießt, folgende Worte sprechen: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Drittens ist es erforderlich, dass derjenige, der tauft, wirklich die Absicht hat zu taufen, d.h. das Sakrament zu spenden, das Christus eingesetzt hat und das die Kirche spendet, wenn sie tauft. Wenn jemand also dabei nur die Absicht hätte, einen Scherz zu machen oder vom Leib irgendeinen Schmutz abzuwaschen, beginge er eine sehr schwere Sünde, und der arme Mensch wäre dann nicht wirklich getauft.

S: Welche Wirkungen hat die Taufe?

L: Sie hat drei Wirkungen. Erstens erneuert sie den Menschen vollkommen, indem sie ihm die Gnade Gottes verleiht, durch die er von einem Kind des Teufels zu einem Kind Gottes wird und von einem Sünder zu einem Gerechten. Sie wäscht die Seele nicht nur von jedem Makel der Schuld rein, sondern befreit sie auch von jeder Strafe der Hölle oder des Fegfeuers, so dass jemand, der sofort nach der Taufe sterben würde, direkt ins Paradies käme, so als ob er nie eine Sünde begangen hätte. Zweitens hinterlässt die Taufe in der Seele ein bestimmtes geistiges Zeichen, das man in ihr in keiner Weise wieder auslöschen kann. Deshalb wird man auch bei denen, die in die Hölle kommen, noch erkennen, dass jemand die Taufe empfangen und zur Herde Christi gehört hat, so wie man in dieser Welt an einer Brandmarke erkennt, wem bestimmte Sklaven oder Tiere gehören. Das ist auch der Grund, warum man die Taufe nur ein einziges Mal empfangen kann: Sie geht nie verloren, denn die Wirkung dieser Taufe bleibt allezeit in die Seele eingeprägt. Drittens tritt dieser Mensch durch die Taufe in die heilige Kirche ein, er hat als Kind dieser Kirche an all ihren Gütern Anteil und er bekennt öffentlich, dass er ein Christ ist und denen gehorchen will, die die Kirche an Christi Stelle lenken.

S: Wessen Sache ist es an sich, die heilige Taufe zu spenden?

L: Von Amts wegen ist es die Sache des Priesters, besonders dessen, der an einem Ort für die Seelsorge verantwortlich ist. Wenn aber der Priester nicht da ist, ist es die Aufgabe des Diakons, und im Notfall, d. h. wenn die Gefahr besteht, dass das Kind ohne Taufe stirbt, ist es die Aufgabe eines jeden, Priester oder Laie, Mann oder Frau. Stets hat man dabei jedoch die Ordnung zu wahren, dass die Frau nicht tauft, wenn ein Mann da ist, und dass ein Laie nicht tauft, wenn ein Kleriker anwesend ist, und bei den Klerikern hat der höhere Rang stets den Vortritt.

S: Mich wundert, dass die Taufe Neugeborenen gespendet wird, die doch das, was sie empfangen, gar nicht verstehen.

L: Die Taufe ist so notwendig, dass jemand, der stirbt, ohne sie empfangen zu haben oder sie wenigstens zu begehren, nicht ins Paradies kommen kann.122 Weil aber die kleinen Kinder besonders in Gefahr sind zu sterben und zugleich unfähig, die Taufe zu begehren, ist es erforderlich, sie sobald wie möglich zu taufen. Sie verstehen zwar nicht, was sie empfangen, doch die Kirche ersetzt es. Sie antwortet nämlich anstelle des Kindes durch den Mund des Paten oder der Patin und gibt Versprechen ab, und das genügt. Denn wie wir durch Adam in die Sünde und die Ungnade Gottes gefallen sind, ohne dass wir irgendetwas davon gewusst hätten, so begnügt sich Gott damit, dass wir durch die Taufe und die heilige Kirche von der Sünde befreit werden und in seine Gnade zurückkehren, auch wenn wir uns dessen zu dem Zeitpunkt nicht bewusst sind.

S: Sie haben den Paten und die Patin erwähnt. Was genau ist das, und was ist ihre Aufgabe?

L: Nach altem Brauch der Kirche braucht man zur Spendung der Taufe einen Mann, der Pate heißt, eine Art zweiten Vater, und manchmal eine Frau, die Patin heißt, eine Art zweite Mutter. Diese beiden oder einer von ihnen hält das Kind auf dem Arm, während es getauft wird, und antwortet an seiner Stelle, wenn der Priester es fragt, ob es getauft werden will und ob es die Artikel des Glaubensbekenntnisses glaubt usw. Wenn das Kind dann heranwächst, sind Pate und Patin verpflichtet, dafür zu sorgen, es im Glauben und den guten Sitten zu unterweisen, falls Vater und Mutter darin nachlässig sind. Außerdem ist zu beachten, dass sie durch die Taufe die geistlichen Verwandten des Täuflings und seiner Eltern werden, und zwar sowohl der Tauf Spender als auch Pate und Patin, jedoch diese nicht untereinander.

 

Die Firmung

S: Über die Taufe weiß ich jetzt genug. Sagen Sie mir nun, was Firmung oder Firmsalbung bedeutet, also das zweite Sakrament!

L: Das zweite Sakrament heißt Firmung, weil seine Wirkung darin besteht, einen Menschen im Glauben firm, also fest zu machen, wie wir in Kürze darlegen werden. Es heißt auch Salbung mit dem „Chrisma". Das ist ein griechischer Begriff und bedeutet Salbung, weil bei diesem Sakrament die Stirn dessen, der dieses Sakrament empfängt, gesalbt wird. Denn wie bei der Taufe der Täufling mit Wasser gewaschen wird, um zu zeigen, dass die Gnade Gottes ihm die Seele vom Schmutz aller Sünden reinwäscht, so wird bei der Firmsalbung die Stirn gesalbt, um zu zeigen, dass die Gnade Gottes die Seele salbt und sie so kräftigt und stärkt, damit sie in der Lage ist, gegen den Teufel zu kämpfen und tapfer den heiligen Glauben zu bekennen ohne Furcht vor Qualen, ja selbst vor dem Tod.

S: In welchem Alter soll man dieses Sakrament empfangen?

L: Man soll es empfangen, wenn man zum Vernunftgebrauch gelangt ist. Denn dann fängt man an, den Glauben zu bekennen, und hat es damit auch nötig, in der Gnade Gottes gestärkt und gefestigt zu werden.

S: Hat dieses Sakrament noch eine andere Wirkung als die, die Seele zu kräftigen?

L: Es hinterlasst ein unveränderliches, in die Seele geprägtes Zeichen, das man in Ewigkeit nicht auslöschen kann. Deshalb kann man dieses Sakrament nur einmal empfangen.

S: Weshalb muss in die Seele ein zweites Zeichen geprägt werden? Genügt denn nicht das von der Taufe?

L: Dieses zweite Zeichen wird nicht ohne Grund eingeprägt, weil man an dem ersten nur erkennt, dass jemand ein Christ ist, also zur Familie Christi gehört. An diesem zweiten erkennt man dagegen, dass er ein Soldat Christi ist. Er trägt nämlich das Abzeichen seines Heerführers in der Seele, so wie die Soldaten in der Welt es an ihren Kleidern tragen. Wer dieses Sakrament empfangen hat, danach aber in die Hölle kommt, wird sich über alle Maßen schämen müssen, weil jeder sehen wird, dass er den Fahneneid der Soldaten Christi abgelegt hat, sich aber dann so ruchlos gegen ihn aufgelehnt hat.

 

Die Eucharistie

S: Erklären Sie mir jetzt das dritte Sakrament? Sagen sie mir bitte zuerst, was Eucharistie bedeutet.

L: Auch das ist ein griechisches Wort. Es bedeutet dankbares Gedenken* oder Danksagung, weil man in diesem Geheimnis der hocherhabenen Wohltat des heiligsten Leidens des Heilands gedenkt und Gott dafür dankt. Dabei wird uns zugleich der wahre Leib und das wahre Blut des Herrn gegeben, wofür es unsere Pflicht ist, Gott unablässig Dank zu sagen.

 

* Anmerkung: Vermutlich handelt es sich hier um eine falsche Übersetzung.

Statt Gedenken muss es Gedächtnis heißen. Hinter dem griechischen Wort, das sich an dieser Stelle findet (anamnesis), steht aber ein hebräischer Begriff -  lezikkarôn (nicht zakar.

Lehre des Trienter Konzils zum Heiligen Messopfer

(13.12.1545 - 4. Dezember 1563):

Die Messe ist ein wahres, sichtbares Opfer - nicht symbolische Vergegenwärtigung - , durch welches das, was ein einziges Mal am Kreuze auf blutige Weise zu vollbringen war, vergegenwärtigt und seine heilbringende Kraft zur Nachlassung der Sünden, die von uns täglich begangen werden, angewendet werden sollte.

Das Messopfer ist ein wahres Sühnopfer und NICHT ein "bloßes Gedenken an das am Kreuz vollbrachte Opfer".

"Wenn jemand sagt, das Messopfer sei nur Lob und Danksagung oder ein bloßes Gedenken des am Kreuz vollbrachten Opfers, nicht aber ein sühnendes, oder es nütze nur dem, der es genießt, aber es dürfe nicht für die Lebenden und Verstorbenen, für die Sünden, Strafen, Genugtuungen und anderen Anliegen dargebracht werden, anathema sit ( = der sei verflucht = der sei ewig verdammt).")

 

S: Erklären Sie mir bitte alles ausführlicher, was in diesem heiligen Sakrament enthalten ist. Denn wenn ich weiß, wie vortrefflich es ist, kann ich es umso besser ehren.

L: Bevor die Hostie, die ihr auf dem Altar seht, konsekriert ist, ist sie nichts anderes als ein wenig Brot, das in Form einer dünnen Oblate gebacken ist. Sobald aber der Priester die Wandlungsworte ausgesprochen hat, befindet sich in dieser Hostie der wahre Leib des Herrn. Weil aber der wahre Leib des Herrn lebendig und mit der Gottheit vereint ist in der Person des Sohnes Gottes, befindet sich in der Hostie zusammen mit dem Leib auch das Blut, die Seele und die Gottheit und damit der ganze Christus, Gott und Mensch. In gleicher Weise ist im Kelch vor der Konsekration nichts anderes als ein wenig Wein mit etwas Wasser. Sobald aber die Wandlung beendet ist, befindet sich im Kelch das wahre Blut Christi. Weil aber das Blut Christi nicht außerhalb seines Leibes ist, befindet sich im Kelch zusammen mit dem Blut auch der Leib, die Seele und die Gottheit Christi und damit der ganze Christus, Gott und Mensch.

S: Ich sehe doch aber, dass die Hostie nach der Konsekration die Gestalt von Brot hat wie zuvor, und das, was im Kelch ist, die Gestalt von Wein hat wie zuvor.

L: Das ist richtig. Die Hostie behält die Gestalt und auch die Farbe und den Geschmack von Brot, genau wie zuvor. Doch die Substanz des Brotes, die zuvor darin war, ist nun nicht mehr darin: So ist unter der Gestalt des Brotes kein Brot mehr, sondern der Leib des Herrn. Ich will euch einen Vergleich geben, damit ihr es versteht. Ihr habt gelernt, dass die Frau Lots sich in eine Salzsäule verwandelt hat. Wer nun also diese Säule sah, sah die Gestalt der Frau Lots, und dennoch war dies nicht mehr die Frau Lots, sondern Salz in Gestalt einer Frau. Wie sich also in dieser Verwandlung die Substanz innen veränderte, die Gestalt außen aber erhalten blieb, so verwandelt sich bei diesem Geheimnis die innere Substanz des Brotes in den Leib des Herrn, außen aber bleibt die Gestalt des Brotes erhalten, die zuvor schon da war. Dasselbe gilt vom Kelch. Die Gestalt, der Geschmack, die Farbe und der Geruch von Wein sind vorhanden, nicht jedoch die Substanz des Weines, sondern stattdessen das Blut des Herrn unter dieser Gestalt des Weines.

S: Das kommt mir als etwas Außerordentliches vor, dass ein so großer Leib wie der des Herrn sich unter einer so kleinen Gestalt wie der der gewandelten Hostie befinden kann

L: Gewiss ist es etwas Außerordentliches, aber außerordentlich groß ist auch die Macht Gottes. Sie kann Dinge tun, die das Begreifen übersteigen. Als Christus im heiligen Evangelium sagte, Gott könne es machen, dass ein Kamel, also ein Tier, das größer als ein Pferd ist, durch ein Nadelöhr gehe, fügte er deshalb hinzu: Solche Dinge sind für die Menschen unmöglich, aber für Gott ist alles möglich.123

S: Ich hätte gerne ein Beispiel, um zu verstehen, wie ein und derselbe Leib des Herrn in so vielen Hostien sein kann, die sich wiederum in so vielen Tabernakeln befinden.

L: Die Wunder Gottes braucht man nicht zu verstehen. Es genügt, sie zu glauben, da wir sicher sind, dass Gott uns nicht betrügen kann. Trotzdem gebe ich euch einige Beispiele, um euch zu bestärken. Wir haben ohne Zweifel jeder eine einzige Seele. Und doch befindet sie sich ganz in allen Gliedern des Leibes, ganz im Kopf, ganz im Fuß, ganz auch in jedem beliebigen Teilchen unseres Leibes. Was muss man sich da wundern, dass Gott machen kann, dass sich der Leib seines Sohnes in vielen Hostien befindet, wenn er doch machen kann, dass ein und dieselbe Seele sich ganz und vollständig in so vielen, so verschiedenen und von einander entfernten Teilen des Leibes befindet? In der Lebensbeschreibung des hl. Antonius von Padua ist zu lesen, dass dieser Heilige einmal in einer Stadt Italiens predigte, sich zur gleichen Zeit aber durch die Macht Gottes in Portugal befand, um dort irgendein anderes gutes Werk zu tun. Wenn Gott also bewirken konnte, dass der hl. Antonius gleichzeitig an zwei so weit voneinander entfernten Orten sein konnte, und dies noch dazu in seiner eigenen Gestalt, warum sollte er es dann nicht bewirken können, dass Christus in vielen Hostien ist, und zwar unter der Gestalt dieser Hostien?S: Sagen Sie mir bitte, verlässt Christus den Himmel, wenn er in die Hostie kommt, oder befindet er sich dann noch im Himmel?

L: Wenn Christus, unser Herr, in der Hostie gegenwärtig wird, verlässt er den Himmel nicht, sondern befindet sich durch göttliche Kraft gleichzeitig im Himmel und in der Hostie. Haltet euch das Beispiel unserer Seele vor Augen! Wie ihr seht, ist jemand als Säugling von wenigen Tagen ganz klein, und wer ihn messen würde, würde auf etwa einen halben Meter kommen. Wenn er dann aber wächst, ist er irgendwann doppelt so groß wie vorher, und beim Messen käme man auf mehr als einen ganzen Meter. Jetzt frage ich euch: Wenn die Seele vorher nur in einem halben Meter war, hat sie dann diese erste Hälfte des Meters verlassen, um in die zweite zu kommen, oder nicht? Natürlich hat sie diese nicht verlassen und sich auch nicht ausgedehnt, denn die Seele ist unteilbar. Ohne also die erste zu verlassen, ist sie auch in der zweiten gegenwärtig geworden. Ebenso verlässt Christus, unser Herr, den Himmel nicht, um in der Hostie gegenwärtig zu sein, und er verlässt auch nicht die eine Hostie, um sich in der anderen zu befinden, sondern er befindet sich zugleich ganz im Himmel und in allen Hostien.

S: Nun habe ich gelernt, was dieses Sakrament enthält. Jetzt möchte ich gern wissen, was nötig ist, um es würdig zu empfangen.

L: Drei Dinge sind erforderlich. Erstens muss man seine Sünden beichten und dafür sorgen, dass man im Gnadenstand ist, wenn man zur Kommunion geht. Denn einer der Gründe, warum uns dieses Sakrament unter der Gestalt von Brot gereicht wird, ist, dass wir begreifen sollen, dass es Lebenden gereicht wird und nicht Toten, und zwar um die Gnade Gottes zu nähren und sie wachsen zu lassen. Zweitens müssen wir vollkommen nüchtern sein, das heißt, dass wir wenigstens seit Mitternacht nichts zu uns genommen haben, nicht einmal einen Schluck Wasser. Drittens ist es notwendig, dass wir begreifen, was wir tun, und dass wir eine fromme und andächtige Haltung gegenüber einem so großen Geheimnis haben. Aus diesem Grund reicht man dieses Sakrament auch nicht Kleinkindern, Geistesgestörten oder anderen, die keinen Vernunftgebrauch haben.

S: Wie oft sollen wir kommunizieren?

L: Das Gebot der heiligen Kirche verlangt, wenigstens einmal im Jahr zu kommunizieren, und zwar an Ostern.124 Dennoch ist es wünschenswert, dass man häufiger kommuniziert, und zwar entsprechend der Entscheidung des Beichtvaters.

S: Erklären Sie mir jetzt bitte, welche Früchte man aus diesem Sakrament erlangen kann, und den Zweck, wozu es eingesetzt worden ist!

L: Aus drei Gründen hat Christus, unser Herr, dieses überaus erhabene Sakrament eingesetzt. Erstens als Speise für die Seelen. Zweitens als Opfer des neuen Bundes. Drittens zum immerwährenden Gedenken an sein Leiden und als untrüglichen Beweis seiner Liebe zu uns.

S: Welche Wirkung hat es als Speise für die Seele?

L: Es hat die Wirkung, die die materielle Speise im Leib hat. Deshalb wird es auch in der Gestalt von Brot gereicht. Wie nämlich das Brot die natürliche Körperwärme erhält, worin das Leben des Leibes besteht, so erhält dieses allerheiligste Sakrament, wenn es würdig empfangen wird, die Liebe, die das Leben der Seele ist, und lässt sie wachsen.

S: Welche Wirkung hat es als Opfer?

L: Es versöhnt Gott und erlangt viele Wohltaten nicht nur für die Lebenden, sondern auch für die Verstorbenen im Fegfeuer. Ihr müsst folgendes wissen. Im Alten Bund wurden Gott Tiere geopfert. Im Neuen Bund aber ist an die Stelle all dieser Opfer das heilige Messopfer getreten.125 In ihm wird Gott durch die Hand des Priesters das ganz wohlgefällige Opfer des Leibes und Blutes seines Sohnes dargebracht. Darauf haben all jene Opfer des Alten Bundes hingewiesen.

S: Welche Wirkung hat es als Gedenken und Beweis der Liebe des Herrn zu uns?

L: Es bewirkt, dass wir für eine so große Wohltat dankbar sind und uns selbst dazu anspornen, den wiederzulieben, der uns so sehr geliebt hat. Wie deshalb Gott im Alten Bund wollte, dass die Juden das Manna nicht nur aßen, das er ihnen vom Himmel sandte, sondern auch wollte, dass sie ein Gefäß voll von diesem Manna aufbewahrten zum Gedächtnis an all die Wohltaten, die Gott ihnen erwiesen hatte, als er sie aus Ägypten herausführte126, so hat Christus auch gewollt, dass dieses allerheiligste Sakrament von uns nicht nur gegessen, sondern auch auf dem Altar im Tabernakel aufbewahrt und bisweilen in einer Prozession umhergetragen werden sollte, damit wir uns jedesmal, wenn wir es sehen, an seine unendliche Liebe zu uns erinnern. Doch insbesondere ist die Heilige Messe eine Zusammenfassung des ganzen Lebens des Herrn, damit es uns nie aus dem Sinn gehe.

S: Ich möchte gern verstehen, inwiefern die Messe eine Zusammenfassung des ganzen Lebens Christi ist, damit es mir hilft, bei der Heiligen Messe frommer und aufmerksamer zu sein.

L: Ich will es ganz kurz machen. Der Vers zur Eröffnung („Introitus") der Messe bedeutet die Sehnsucht der heiligen Väter nach der Ankunft des Herrn. Das „Kyrie eleison" bedeutet die Rufe der Patriarchen und Propheten, die von Gott dieses so lange ersehnte Kommen erbaten. Das „Gloria in excelsis" bedeutet die Geburt des Herrn. Das Gebet, das unmittelbar darauf folgt, bedeutet die Darstellung und Aufopferung im Tempel. Die Epistel, die auf der linken Seite des Altars gelesen wird, bedeutet die Predigt des hl. Johannes des Täufers, der die Menschen zu Christus führte. Der Gradualvers bedeutet die Bekehrung des Volkes auf die Predigt des hl. Johannes hin. Das Evangelium, das auf der rechten Seite (Anmerkung: linke Seite muss es heißen) des Altars gelesen wird, bedeutet die Predigt des Herrn, der uns von der linken auf die rechte Seite (Anmerkung: von der rechten auf die linke Seite muss es heißen) versetzt, also von den zeitlichen zu den ewigen Dingen und von der Sünde zur Gnade. Dabei werden die Leuchter und der Weihrauch mitgetragen, um zu zeigen, dass das heilige Evangelium die Welt erleuchtet und mit dem Wohlgeruch der Ehre Gottes erfüllt hat. Das Glaubensbekenntnis bedeutet die Bekehrung der heiligen Apostel und der anderen Jünger des Herrn. Die Stillgebete, die nach dem Glaubensbekenntnis beginnen, bedeuten die geheimen Pläne der Juden gegen Christus. Die Präfation, die mit lauter Stimme gesungen wird und die mit dem „Hosanna in der Höhe" endet, bedeutet den feierlichen Einzug, den Christus in Jerusalem am Palmsonntag hielt. Die stillen Gebete, die darauf folgen, bedeuten die Passion des Herrn. Die Erhebung der Hostie bedeutet die Erhöhung Christi am Kreuz. Das Vater Unser bedeutet das Gebet des Herrn, während er am Kreuz hing. Die Brechung der Hostie bedeutet die Wunde durch die Lanze. Das „Agnus Dei" bedeutet die Klage der Marien, als Christus vom Kreuz abgenommen wurde. Die Kommunion des Priesters bedeutet das Begräbnis. Das Gebet nach der Kommunion, das freudig gesungen wird, bedeutet die Auferstehung. Das „Ite Missa est" bedeutet die Himmelfahrt. Der Segen des Priesters bedeutet das Kommen des Heiligen Geistes. Das Evangelium am Schluss der Messe bedeutet die Predigt der heiligen Apostel, als sie, erfüllt vom Heiligen Geist, begannen, in der ganzen Welt das Evangelium zu predigen, und so den Anfang zur Bekehrung der Heiden legten.

 

Die Buße

S: Nun folgt das vierte Sakrament namens Buße. Erklären Sie mir bitte: Was ist das für ein Sakrament?

L: Das Wort Buße hat drei Bedeutungen. Erstens bedeutet es eine bestimmte Tugend, durch die der Mensch seine Sünden bereut. Das entgegengesetzte Laster heißt Unbußfertigkeit, also wenn der Mensch nicht bereuen, sondern in der Sünde verharren will. Zweitens bedeutet „Buße" den Schmerz, den der Mensch sich zufügt, um Gott für das Böse, das er getan hat, Sühne zu leisten. So sprechen wir davon, dass jemand schwere Buße tut, weil er sich mit Fasten und anderen strengen Dingen großen Schmerz zufügt. Drittens ist „Buße" ein Sakrament, das von Christus eingesetzt wurde, um denen die Sünden zu vergeben, die nach der Taufe die Gnade Gottes verloren haben, dann aber ihre Fehler bereut haben und in seine Gnade zurückkehren wollen.

S: Was ist das Wesentliche an diesem Sakrament?

L: Zweierlei: die Beichte des Sünders und die Lossprechung durch den Priester. Denn Christus hat die Priester zu Richtern über diejenigen Sünden gemacht, die nach der Taufe begangen wurden, und er will, dass sie an seiner Stelle die Vollmacht haben, sie zu vergeben127, wenn der Sünder sie bekennt und entsprechend innerlich vorbereitet ist. Demnach besteht das Bußsakrament in folgendem: Wie der Sünder äußerlich wahrnehmbar seine Sünden bekennt und der Priester äußerlich wahrnehmbar die Lossprechung ausspricht, so löst Gott im Inneren durch diese Worte des Priesters die Fesseln, womit die Seele gebunden war, schenkt ihr wieder seine Gnade und erlässt ihr die Strafe, die sie sich zugezogen hatte, nämlich, in die Hölle gestürzt zu werden.

S: Was ist zum Empfang dieses Sakramentes notwendig?

L: Dreierlei ist notwendig: Reue, Bekenntnis und Genugtuung. Dies sind die drei Teile des Bußsakramentes.

S: Was bedeutet Reue?

L: Dass das harte Herz des Sünders weich wird und gewissermaßen am Schmerz darüber zerbricht, Gott beleidigt zu haben. Doch näherhin enthält die Reue zweierlei, und das eine genügt nicht ohne das andere. Erstens dass dem Sünder wirklich alle seit der Taufe begangenen Sünden leid tun. Aus diesem Grund muss man sich gut erforschen, all seine Taten bedenken und Schmerz darüber erwecken, dass man sie nicht so verrichtet hat, wie es das heilige Gesetz Gottes vorschreibt. Zweitens ist notwendig, dass der Sünder den festen Vorsatz hat, nicht mehr zu sündigen.

S: Was bedeutet Bekenntnis?

L: Dass der Sünder es nicht mit der Reue gut sein lässt, sondern vor dem Priester niederkniet, so wie Magdalena vor Christus niederkniete128, und dort seine Sünden aufrichtig bekennt, ohne etwas hinzuzufügen, zu verkleinern oder irgendeine Lüge einfließen zu lassen; des weiteren einfach, ohne sich zu entschuldigen, anderen die Schuld zu geben oder viele überflüssige Worte zu machen; vollständig, indem er alle Sünden nennt, ohne irgendetwas aus Scham auszulassen, und indem er sagt, wie oft er jede von ihnen begangen hat, und die bedeutenderen Umstände nennt, soweit er sich daran erinnern kann; schließlich zerknirscht und demütig, indem er die Sünden nicht wie eine Geschichte erzählt, sondern sie wie etwas Beschämendes und eines Christen Unwürdiges bekennt und demütig dafür um Vergebung bittet.

S: Was bedeutet Bußwerk?

L: Dass der Sünder die Absicht hat, Buße zu tun, und aus diesem Grund die Buße, die ihm der Beichtvater auferlegt, bereitwillig annimmt und sie so bald wie möglich verrichtet. Dabei muss er bedenken, dass Gott ihm ja die allergrößte Gnade erweist, indem er ihm die ewige Strafe der Hölle erlässt und sich mit einer zeitlichen Strafe begnügt, die noch dazu viel geringer ist, als die Sünden es verdient hätten.

S: Sagen Sie mir jetzt, welche Nutzen dieses Sakrament bringt!

L: Viererlei sehr großen Nutzen haben wir von diesem Sakrament. Der erste ist schon genannt worden, dass Gott uns nämlich die nach der Taufe begangenen Sünden vergibt und uns die ewige Strafe der Hölle in eine zeitliche umwandelt, die in diesem Leben oder im Fegfeuer zu erdulden ist. Der zweite besteht darin, dass die guten Werke, die wir verrichtet haben, als wir in der Gnade Gottes waren, und die wir dann durch die Sünde verloren haben, uns durch dieses Sakrament wieder angerechnet werden. Der dritte besteht darin, dass wir von der Fessel der Exkommunikation befreit werden, falls wir vielleicht damit gebunden waren. Denn ihr müsst wissen, dass die Exkommunikation eine sehr schwere Strafe ist, die bewirkt, dass uns die Gebete der heiligen Kirche nicht mehr zugute kommen, dass wir die Sakramente nicht mehr empfangen können, mit den anderen Gläubigen keinen Umgang mehr haben können und schließlich nicht in geweihter Erde begraben werden können. Von dieser so schrecklichen Strafe werden wir also durch das Bußsakrament befreit, und zwar entsprechend der Vollmacht, die die Beichtväter vom Bischof oder vom Papst bekommen haben. Allerdings kann diese Auflösung einer Exkommunikation auch außerhalb des Sakramentes gewährt werden, und zwar vom kirchlichen Oberen, auch wenn er kein Priester ist. Der vierte und letzte Nutzen besteht darin, dass wir fähig werden, aus dem Schatz der Kirche Ablässe zu gewinnen, welche häufig von den Päpsten gewährt werden.

S: Was versteht man unter Ablass?

L: Der Ablass ist ein Mittel Gottes, den Gläubigen gegenüber freigebig zu sein, indem er ihnen nämlich die zeitliche Strafe ganz oder teilweise erlässt, die sie für ihre Sünden in dieser Welt oder im Fegfeuer hätten leiden müssen. Dazu bedient er sich seines Stellvertreters.

S: Welche Voraussetzung braucht man, um in den Genuss von Ablässen zu kommen?

L: Der Mensch muss in der Gnade Gottes sein - d.h. falls er in der Sünde ist, muss er beichten -, und er muss das erfüllen, was der Papst vorschreibt, wenn er den Ablass gewährt.

S: Wie oft muss man das Bußsakrament empfangen?

L: Die heilige Kirche schreibt vor, dass jeder wenigstens einmal im Jahr beichtet.129 Jedoch muss man jedesmal beichten, wenn man kommunizieren will, sich aber einer Todsünde bewusst ist, und ebenso, wenn man im Sterben liegt oder sich an etwas begibt, was einen in Todesgefahr bringt. Doch über diese Verpflichtungen hinaus ist es sehr gut, häufig zu beichten und das Gewissen rein zu halten, ganz besonders weil der, der nur selten beichtet, nur schwer gut beichten kann.

S: Schließlich möchte ich Sie gern noch fragen, welches die guten und Gott wohlgefälligen Werke sind, mit denen man für die Sünden Genugtuung leisten kann.

L: Sie alle lassen sich auf drei zurückführen, nämlich auf Gebet, Fasten und Almosen, wie es der Engel Raphael den Tobias lehrte.130 Der Grund dafür ist, dass der Mensch Seele, Leib und äußere Güter besitzt. Mit dem Gebet bringt er Gott Güter der Seele dar, mit dem Fasten Güter des Leibes und mit dem Almosen äußere Güter. Unter Gebet versteht man dabei auch den Messbesuch, die sieben Bußpsalmen beten, das Totenoffizium beten und weitere vergleichbare Dinge. Unter Fasten versteht man dabei auch alle anderen leiblichen Kasteiungen wie Bußgürtel tragen, sich geißeln, auf dem Boden schlafen, Wallfahrten unternehmen und ähnliches. Unter Almosen versteht man auch jedes andere Werk der Nächstenliebe und jeden Dienst, welche man aus Liebe zu Gott dem Nächsten erweist.

S: Was ist nötig, um in rechter Weise zu fasten?

L: Drei Dinge sind nötig: an dem betreffenden Tag nur einmal zu essen, und zwar gegen Mittag (je später man es tun kann, desto besser), auf Fleischspeisen zu verzichten sowie auf Eier und Milchspeisen, wo diese ebenfalls nicht erlaubt sind.

S: Ist es besser, Gott mit diesen Werken selbst Genugtuung zu leisten oder einen Ablass zu erwerben?

L: Es ist besser, selbst mit diesen Werken Genugtuung zu leisten, weil man mit dem Ablass nur für die verdiente Strafe Genugtuung leistet, mit diesen Werken dagegen Genugtuung leistet und gleichzeitig das ewige Leben verdient. Das Beste von allem aber ist, sich beider Dinge zu bedienen, indem man, soviel man nur kann, selbst Genugtuung leistet und außerdem auch Ablässe erwirbt

 

Die Letzte Ölung

S. Was ist die Letzte Ölung?

L: Die Letzte Ölung ist ein Sakrament, das unser Herr für die Kranken eingesetzt hat. Es heißt „Ölung", weil es in der Salbung des Kranken mit heiligem Öl und im Verrichten einiger Gebete über ihn besteht. „Letzte" heißt es, da sie unter den Salbungen mit Öl, die bei den Sakramenten der Kirche vollzogen werden, die letzte ist. Denn die erste wird bei der Taufe vollzogen, die zweite bei der Firmung, die dritte bei der Priesterweihe und die letzte in der Krankheit. Man kann sie auch die letzte nennen, weil sie am Ende des Lebens gespendet wird.

S: Welche Wirkungen hat dieses Sakrament?

L: Es sind drei. Erstens die Vergebung der Sünden, die manchmal nach den anderen Sakramenten noch verbleiben, also die, an die man sich nicht erinnert oder die man nicht erkennt - die man aber, wenn man sie erkennen würde oder sich an sie erinnern würde, bereitwillig bereuen und auch beichten würde. Zweitens die Aufmunterung und Stärkung des Kranken zu der Zeit, da er von der Krankheit und den Versuchungen des Teufels niedergedrückt wird. Drittens die Wiederherstellung der Gesundheit des Leibes, wenn dies dem ewigen Heil des Kranken förderlich ist.131 Auf diese drei Wirkungen deutet das Öl hin, das bei diesem Sakrament verwendet wird, denn das Öl stärkt, bringt Linderung und heilt.

S: Zu welchem Zeitpunkt soll man dieses Sakrament empfangen?

L: Viele begehen darin den großen Irrtum, dass sie dieses Sakrament erst empfangen wollen, wenn sie im Sterben liegen. Der rechte Zeitpunkt, dieses Sakrament zu spenden, ist dann, wenn die Ärzte die Krankheit als gefährlich beurteilen und ihrer Ansicht nach menschliche Mittel wohl nicht mehr ausreichen. Dann nimmt man also seine Zuflucht zu himmlischen Mitteln, und so passiert es nicht selten, dass der Kranke durch das heilige Öl wieder gesund wird. Darum darf man dieses Sakrament nicht erbitten, wenn keine Todesgefahr besteht, aber ebensowenig darf man so lange warten, bis überhaupt keine Hoffnung aufs Überleben mehr besteht. Das ist auch der Grund, warum man dieses Sakrament denen nicht spendet, die aufgrund eines Gerichtsurteils hingerichtet werden. Denn sie sind nicht krank und haben auch keine Hoffnung aufs Überleben.

 

Die Weihe

S: Was ist das Weihesakrament?

L: Das ist ein Sakrament, wodurch die Vollmacht verliehen wird, die Allerheiligste Eucharistie zu konsekrieren sowie die anderen Sakramente dem Volk zu spenden oder kraft eigenen Amtes denen zu dienen, die diese Vollmacht empfangen haben. Es heißt auch „Ordo"-Sakrament (von „ordo" = Ordnung), weil es bei diesem Sakrament viele Stufen gibt, eine jeweils unter der anderen, nämlich Priester, Diakon und andere niedrigere Stufen. Doch es ist nicht nötig, dass ich Euch dazu noch mehr erkläre, weil dieses Sakrament nicht alle betrifft, sondern nur schon erwachsene und gelehrte Männer, die den Katechismus nicht mehr zu lernen brauchen, weil sie ihn selbst anderen beizubringen haben.

 

Die Ehe

S: Was ist das Ehesakrament?

L: Das Ehesakrament ist die Verbindung von Mann und Frau. Diese Verbindung ist wiederum ein Hinweis auf die Verbindung Christi mit der Kirche durch die Fleischwerdung132 sowie auf die Verbindung Gottes mit der Seele durch die Gnade, und sie ist ein Abbild davon.

S: Was bewirkt dieses Sakrament?

L: Erstens verleiht es die Gnade, sich in der Ehe gut miteinander zu vertragen und zugleich einander geistig zu lieben, so wie Christus die Kirche liebt133 und Gott die treue und gerechte Seele liebt. Zweitens verleiht es die Gnade, die Kinder in der Furcht Gottes erziehen zu können und zu wollen. Drittens bringt es ein so festes Band zwischen Ehemann und Ehefrau hervor, dass es auf keine Weise gelöst werden kann, so wie es ebenfalls unmöglich ist, das Band zwischen Christus und der Kirche aufzulösen. Daraus folgt, dass niemand die Erlaubnis dazu geben kann, dass der Mann seine erste Frau verlässt und sich eine andere nimmt und ebenso dass die Frau den ersten Mann verlässt und sich einen anderen nimmt.134

S: Was ist nötig, um eine Ehe zu schließen?

L: Drei Dinge sind nötig. Erstens dass die Personen dazu in der Lage sind, sich verbinden zu können, d.h. dass sie das gesetzliche Mindestalter erreicht haben, dass sie nicht vom vierten Grad aufwärts miteinander verwandt sind und dass sie kein feierliches Keuschheitsgelübde abgelegt haben und dergleichen. Zweitens dass bei der Eheschließung Zeugen zugegen sind und insbesondere dass der zuständige Seelsorger oder besser gesagt Pfarrer anwesend ist. Drittens dass das Jawort beider Teile frei gegeben wird, also nicht durch eine schwere Furcht erpresst, und dass es mit Worten oder einem anderen gleichwertigen Zeichen gegeben wird. Wenn aber eines dieser drei Dinge fehlt, ist die Ehe ungültig.

S: Was ist besser, das Ehesakrament zu empfangen oder jungfräulich zu bleiben?

L: Der hl. Apostel Paulus hat diese Frage für uns gelöst. Er hat geschrieben, dass derjenige gut handelt, der sich in der Ehe verbindet, dass aber, wer sich nicht darin verbindet, um die Jungfräulichkeit zu bewahren, besser handelt.135 Der Grund dafür ist, dass die Ehe etwas Menschliches ist, die Jungfräulichkeit dagegen etwas Engelhaftes. Die Ehe entspricht der Natur, die Jungfräulichkeit überschreitet die Natur.136 Doch nicht nur die Jungfräulichkeit, sondern auch die Witwenschaft ist besser als die Ehe. Als darum der Heiland in einem Gleichnis gesagt hatte, dass der gute Samen auf einem Feld dreißigfach, auf einem anderen sechzigfach und wieder auf einem anderen hundertfach Frucht brachte137, da haben die heiligen Kirchenlehrer es dahingehend erklärt, dass die dreißigfache Frucht von der Ehe, die sechzigfache von der Witwenschaft und die hundertfache von der Jungfräulichkeit hervorgebracht wird.138

 

Kapitel X: Die Tugenden im allgemeinen

S: Sie haben bereits die vier Hauptstücke der christlichen Lehre erklärt. Nun möchte ich gern wissen, ob es sonst noch etwas zu lernen gibt.

L: Diese vier Stücke, die ich euch schon vorgelegt habe, muss jeder wissen. Doch es gibt noch einiges andere, dessen Kenntnis sehr nützlich ist, um das Ziel zu erreichen, das wir anstreben, das ewige Heil: dazu gehören die Tugenden und die Laster, die guten Werke und die Sünden. Davon war zwar schon nebenbei die Rede bei der Erklärung des Glaubensbekenntnisses und der Gebote. Trotzdem wird es von großem Nutzen sein, davon gesondert und im einzelnen zu reden.

S: So sagen Sie mir bitte: Was ist Tugend?

L: Die Tugend ist eine Eigenschaft der Seele, die bewirkt, dass man gut ist. Wie die Wissenschaft bewirkt, dass jemand ein guter Gelehrter ist, und die Kunst, dass jemand ein guter Künstler ist, so bewirkt die Tugend, dass jemand ein guter Mensch ist, und darüber hinaus, dass er das Gute mühelos, rasch und vollkommen tut. Wer diese Tugend dagegen nicht besitzt, wird zwar auch bisweilen das Gute tun, jedoch nur mit Mühe und in mangelhafter Weise. Dafür gebe ich euch einen Vergleich. Mit der Tugend ist es nämlich wie mit der Kunst und der praktischen Übung. Da ist einer, der die Kunst erlernt hat, Zither oder Laute zu spielen, und der viel Übung darin hat. Er spielt ausgezeichnet und ganz mühelos, obwohl er nicht einmal auf die Saiten schaut. Ein anderer dagegen, der keine Übung darin hat, wird zwar die Saiten berühren können und auch spielen, aber weder schnell noch gut. Wer darum etwa die Tugend der Mäßigkeit besitzt, wird wenn nötig ganz mühelos und freudig fasten, und er fastet in vollkommener Weise, indem er die für das Essen vorgesehene Zeit abwartet, nur eine Mahlzeit am Tag zu sich nimmt und dabei nur erlaubte Speisen. Wer dagegen diese Tugend nicht besitzt oder im Gegenteil sogar gierig ist, für den ist es der Weltuntergang, wenn er fasten muss, und wenn er doch fastet, dann kann er die Stunde der Mahlzeit nicht abwarten, und am Abend will er dann statt der kleinen Stärkung, wie sie beim Fasten üblich ist, eine so große Mahlzeit zu sich nehmen, dass sie am Ende kaum weniger als ein normales Abendessen darstellt.

S: Wie viele Tugenden gibt es?

  • L: Es gibt zahlreiche Tugenden, doch die hauptsächlichen, auf die sich alle anderen zurückführen lassen, sind sieben an der Zahl: die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe139, und die vier Kardinaltugenden, Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigkeit.140 Sieben an der Zahl sind auch die Gaben des Heiligen Geistes141 und die Seligpreisungen aus dem Evangelium, die uns zu einem vollkommenen christlichen Leben anleiten.142 Auch leibliche Werke der Barmherzigkeit gibt es sieben143 und ebenso sieben geistige Werke der Barmherzigkeit. Von alledem will ich euch kurz in Kenntnis setzen.

 

Kapitel XI: Die göttlichen Tugenden

S: Was ist Glaube?

L: Der Glaube ist die erste göttliche Tugend. Das sind diejenigen Tugenden, die Gott zum Ziel haben. Dabei besteht die besondere Aufgabe des Glaubens darin, den Verstand zu erleuchten und ihn dahin zu erheben, all das fest zu glauben, was Gott uns durch die Kirche offenbart, auch wenn es etwas Schwieriges und die natürliche Vernunft Übersteigendes ist.

S: Aus welchem Grund muss man die Glaubensgegenstände so fest glauben?

L: Der Grund ist, dass der Glaube sich auf die unfehlbare Wahrheit, nämlich Gott, stützt. Denn alles, was der Glaube uns vorlegt, wurde von Gott geoffenbart, und Gott ist die Wahrheit selbst. Darum ist es unmöglich, dass das, was Gott sagt, falsch ist. Wenn uns der Glaube darum etwas vorstellt, was gegen die Vernunft zu sein scheint - so etwa, dass eine Jungfrau geboren hat - , dann muss man entschlossen sagen, dass die menschliche Vernunft schwach ist und leicht irren kann; Gott aber kann nicht irren, und er kann uns auch nicht täuschen.

S: Auf welche Dinge muss sich diese Tugend des Glaubens unbedingt erstrecken?

L: Unbedingt muss man alle einzelnen Artikel des Glaubensbekenntnisses ausdrücklich glauben, die wir bereits erklärt haben, und ganz besonders die, für die es in der heiligen Kirche im Lauf des Jahres ein eigenes Fest gibt: die Fleischwerdung des Herrn, die Geburt, die Passion, die Auferstehung, die Himmelfahrt, die Herabkunft des Heiligen Geistes, die allerheiligste Dreifaltigkeit usw. Darüber hinaus muss man bereit sein, all das zu glauben, was uns die heilige Kirche sagt. Und schließlich muss man sich auch vor allen äußeren Dingen in acht nehmen, die ein Zeichen dafür sind, ein Ungläubiger zu sein. Das wäre etwa der Fall, wenn man sich wie ein Türke oder ein Jude kleiden würde, wenn man wie die Irrgläubigen freitags und samstags Fleisch essen würde und ähnliches mehr. Es ist also notwendig, nicht nur im Herzen und mit dem Mund, sondern auch mit dem äußeren Verhalten den wahren Glauben zu bekennen144 und deutlich zu zeigen, dass man mit den Abspaltungen, die der heiligen Kirche feindlich gegenüberstehen, nichts zu tun hat.

S: Was ist Hoffnung?

L: Die Hoffnung ist die zweite göttliche Tugend, denn auch sie hat Gott zum Ziel. Durch den Glauben glauben wir an Gott, durch die Hoffnung hoffen wir auf Gott.

S: Was für eine Aufgabe hat die Hoffnung?

L: Sie soll unseren Willen dazu erheben, die ewige Seligkeit zu erhoffen. Weil dies ein so großes Gut ist, dass man es unmöglich mit menschlichen Kräften erreichen kann, darum gibt Gott uns diese übernatürliche Tugend, so dass wir durch sie darauf vertrauen, dieses große Gut erlangen zu können.

S: Worauf gründet sich diese Hoffnung, worauf stützt sie sich?

L: Sie gründet und stützt sich auf die unendliche Güte und Barmherzigkeit Gottes, für die wir ganz sichere Beweise haben. Denn er hat uns doch seinen eigenen Sohn gegeben, uns durch ihn als seine Kinder angenommen und uns das Himmelreich als Erbe versprochen, wenn wir Werke tun, die dieser Würde entsprechen, die wir erhalten haben. Und zugleich hat er uns ja auch die Gnade und genügend Hilfe gegeben, um solche Werke zu tun.

S: Was ist Liebe?

L: Das ist die dritte göttliche Tugend, das heißt, sie hat Gott zum Ziel, denn mit ihr erhebt sich unsere Seele dazu, Gott über alles zu lieben, nicht nur als den Schöpfer und Urheber unserer natürlichen Güter, sondern außerdem auch als den Geber der Gnade und der Herrlichkeit, welche übernatürliche Güter sind.

S: Ich möchte gern wissen, ob sich die Liebe auch auf die Geschöpfe erstreckt.

L: Die Liebe erstreckt sich tatsächlich auf alle Menschen und alle Dinge, die Gott geschaffen hat, mit dem Unterschied freilich, dass man Gott um seiner selbst willen zu lieben hat, da er ein unendliches Gut ist. Die Liebe erstreckt sich jedoch auch auf alle anderen Dinge, die man um Gottes willen lieben muss. Insbesondere muss man den Nächsten lieben, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist, so wie wir. Deshalb hat man unter dem Nächsten nicht nur den Verwandten oder den Freund zu verstehen, sondern jeden Menschen, wäre es auch unser Feind, weil jeder Mensch ein Bild Gottes ist und als solches geliebt werden muss.

S: Ist die Liebe eine große Tugend?

L: Sie ist die größte von allen145 und sie ist so groß, dass jeder, der sie besitzt, das Heil nicht verlieren kann, wenn er nicht zuvor die Liebe verliert. Wer sie aber nicht besitzt, kann keinesfalls gerettet werden, wenn er auch alle anderen Tugenden und Gaben Gottes besäße.

 

Kapitel XII: Die Kardinaltugenden

S: Was ist Klugheit?

L: Das ist die erste der vier Kardinaltugenden. Sie tragen diesen Namen, weil sie die vier Haupttugenden sind, aus ihnen entspringen gewissermaßen alle anderen moralischen und menschlichen Tugenden. Denn die Klugheit lenkt den Verstand, und die Gerechtigkeit leitet den Willen, die Mäßigkeit das Begehren und die Tapferkeit die Zorneskraft.

S: Worin besteht die Aufgabe der Klugheit?

L: Sie zeigt bei jeder Handlung das rechte Ziel, die passenden Mittel und alle Umstände, d.h. die Zeit, den Ort, die Art und Weise und ähnliches mehr, so dass das Werk voll und ganz gut getan ist. Aus diesem Grund heißt sie auch die Lehrerin der übrigen Tugenden und ist das, was das Auge für den Leib, was das Salz für die Speisen und was die Sonne für die Welt ist.

S: Was sind die der Klugheit entgegengesetzten Laster?

L: Die Tugend steht immer in der Mitte und hat deshalb zwei entgegengesetzte Laster, welche in den beiden Extremen liegen. Das eine der Klugheit entgegenstehende Laster ist die Unklugheit, d.h. Leichtsinn und Verwegenheit. Es ist bei Leuten zu finden, die nicht bedenken, was sie zu tun haben, und darum nicht das wahre Ziel anstreben und nicht die richtigen Mittel anwenden. Das andere Laster ist die Verschlagenheit oder Klugheit des Fleisches. Es ist bei denen zu finden, die mit aller Sorgfalt an das Ziel und an die Mittel denken, jedoch alles auf den Erwerb irgendwelcher irdischen Güter und damit auf den eigenen Nutzen hin ausrichten. In scharfsinniger Weise bemühen sie sich, den Nächsten zu betrügen, um die Angelegenheiten nach ihrem Sinn ausgehen zu lassen. Doch am Ende wird man sehen, dass solche Leute am allerdümmsten gewesen sind, da sie aus Liebe zu einem verschwindend kleinen Gut das höchste Gut verloren haben.

S: Was ist Gerechtigkeit und welche Aufgabe hat sie?

L: Die Gerechtigkeit ist eine Tugend, die jedem das Seine gibt. So besteht ihre Aufgabe darin, die Dinge ins Gleichgewicht zu bringen und das Geben und Nehmen der Menschen in Gleichheit zu gestalten, was die Grundlage von Ruhe und Frieden ist. Denn wenn jeder sich mit dem Seinen zufrieden gäbe und nicht etwas, was einem anderen gehört, begehrte, gäbe es niemals Krieg oder Streit.

S: Welches sind die der Gerechtigkeit entgegengesetzten Laster?

L: Es sind zwei. Das eine ist die Ungerechtigkeit, d.h. wenn jemand sich aneignet, was einem anderen gehört, oder bei Verträgen weniger geben will, als er schuldig ist, oder mehr verlangt, als ihm zusteht. Das andere ist die übertriebene Gerechtigkeit, d.h. wenn jemand zu streng ist und die Dinge noch genauer ausgleichen will, als es die Vernunft verlangt. Denn in vielen Fällen muss man mit der Gerechtigkeit das Mitleid verbinden. Wenn zum Beispiel ein Armer nicht alles, was er schuldig ist, ohne schwersten Nachteil unverzüglich zahlen kann, dann ist es vernünftig und gerecht, ihm etwas Zeit zu lassen; sie ihm dagegen nicht gewähren zu wollen, wäre zu streng.

S: Was ist Tapferkeit und worin besteht ihre Aufgabe?

L: Die Tapferkeit ist eine Tugend, die uns bereit macht, alle Schwierigkeiten zu überwinden, die uns vom Tun des Guten abhalten, und sie geht bis dahin, für die Ehre Gottes oder, um unsere Pflicht nicht zu verletzen, wenn nötig den Tod zu erleiden. Und so haben alle Märtyrer mittels dieser Tugend über ihre Verfolger den Sieg errungen. In ähnlicher Weise haben sich alle mutigen Soldaten, die in den gerechten Kriegen große Heldentaten vollbracht haben, mittels dieser Tugend mit Ruhm bedeckt.

S: Welches sind die der Tapferkeit entgegengesetzten Laster?

L: Es sind die Furcht und die Waghalsigkeit. Die Furcht bewirkt, dass jemand sich zu rasch ergibt, was aus mangelnder Tapferkeit erwächst. Die Waghalsigkeit bewirkt, dass ein Mensch sich ohne Notwendigkeit in offenkundige Gefahren begibt, was sozusagen ein Übermut ist. Er verdient kein Lob, sondern Tadel und ist darum keine Tugend, sondern ein Laster.

S: Was ist Mäßigkeit und worin besteht ihre Aufgabe?

L: Die Mäßigkeit ist eine Tugend, die den sinnlichen Genüssen Zügel anlegt und bewirkt, dass jemand sich dieser Freuden in dem Maß bedient, wie es die Vernunft gebietet.

S: Welches sind die der Mäßigkeit entgegengesetzten Laster?

L: Es sind die Unmäßigkeit und die Gefühllosigkeit. Unmäßigkeit liegt dann vor, wenn jemand zu sehr den Genüssen ergeben ist und es deshalb beim Essen, Trinken und ähnlichen Dingen übertreibt, was der Seele und dem Leib schadet. Gefühllosigkeit liegt dann vor, wenn jemand ins andere Extrem fällt und alle Freuden in dem Ausmaß meidet, dass er zur Gesundheit Notwendiges nicht essen will, um nicht das Wenige an Genuss zu empfinden, das eine geeignete Speise natürlicherweise mit sich bringt. Bei den Menschen ist das Laster der Unmäßigkeit allerdings viel verbreiteter als das der Gefühllosigkeit. Aus diesem Grund haben uns alle Heiligen mit Wort und Beispiel zum Fasten und zur Abtötung des Fleisches ermuntert.

 

Kapitel XIII: Die sieben Gaben des Heiligen Geistes

S: Welches sind die Gaben des Heiligen Geistes?

L: Es sind jene, die uns der Prophet Isaias gelehrt hat, nämlich Weisheit, Erkenntnis, Rat, Stärke, Wissenschaft, Frömmigkeit und Gottesfurcht.

S: Wozu nützen uns diese Gaben?

L: Um zu einem vollkommenen christlichen Leben zu gelangen. Denn sie sind wie eine Leiter, die uns vom Zustand des Sünders über verschiedene Stufen bis zum Gipfel der Heiligkeit führt. Ihr müsst jedoch wissen, dass der Prophet diese Stufen von oben nach unten aufzählte, denn er sah sie wie eine Leiter, die vom Himmel ausgeht. Wir dagegen nehmen sie in umgekehrter Reihenfolge, um aufzusteigen und von der Erde zum Himmel zu gelangen. So ist die erste Stufe die Gottesfurcht, die den Sünder erschreckt, wenn er bedenkt, dass er den allmächtigen Gott zum Feind hat. Die zweite Stufe ist die Frömmigkeit, denn wer die Strafen fürchtet, die Gott dem Sünder androht, beginnt fromm zu werden und wünscht, Gott zu gehorchen und ihm zu dienen und in allem seinen heiligen Willen zu tun. Die dritte Stufe ist die Wissenschaft, denn wer den Willen Gottes tun will, bittet Gott, dass er ihn seine heiligen Gebote lehrt. Dann lässt ihn Gott alles für ihn Notwendige wissen, teils durch Predigten, teils durch Bücher und teils durch innere Eingebungen. Die vierte Stufe ist die Stärke, denn derjenige, der in allem Gott dienen will, stößt auf viele Schwierigkeiten und Versuchungen der Welt, des Fleisches und des Teufels. Deshalb gibt ihm Gott dann die Gabe der Stärke, damit er alle Schwierigkeiten überwindet. Die fünfte Stufe ist der Rat, weil der Teufel, wenn er nicht mit Gewalt zu siegen vermag, es mit List versucht und sich bemüht, den Gerechten zu Fall zu bringen, indem er ihm etwas Gutes vorspiegelt. Doch Gott lässt ihn nicht im Stich und gibt ihm die Gabe des Rates, damit er auf die Täuschungen des Feindes nicht hereinfällt. Die sechste Stufe ist die Gabe der Erkenntnis, denn wenn sich jemand im tätigen Leben schon gut geübt hat und viele Siege über den Teufel davongetragen hat, dann lenkt und erhebt Gott ihn zum Leben der Beschauung und lässt ihn mit der Gabe der Erkenntnis die göttlichen Geheimnisse verstehen und durchdringen. Die siebte Stufe ist die Gabe der Weisheit, worin die Vollendung der Vollkommenheit besteht. Denn weise ist der, der die Erstursache kennt und ihr entsprechend all seine Taten ordnet. Das gelingt nur dem, der zur Gabe der Erkenntnis die vollkommene Liebe hinzufügt. Mit dem Verstand nämlich erkennt er die Erstursache und durch die Liebe richtet er alles auf sie als das letzte Ziel hin aus. Weil aber die Weisheit mit dem Verstand das Gefühl verbindet, heißt sie Weisheit (lat. „sapientia" von „sapere" = schmecken, verkosten), d.h. köstliche Erkenntnis, wie uns der hl. Bernhard lehrt.

 

Kapitel XIV: Die acht Seligpreisungen

S: Was sind die acht Seligpreisungen, die uns unser Herr im Evangelium gelehrt hat?

L: Sie sind wie eine zweite Leiter, um zur Vollkommenheit aufzusteigen, ähnlich der Gaben des Heiligen Geistes. Denn in sieben Sätzen sind sieben Stufen enthalten, um zur Seligkeit zu gelangen; der achte nennt uns dann ein deutliches Zeichen, an dem man erkennen kann, ob jemand diese Leiter erstiegen hat oder nicht.

S: Erklären Sie mir bitte kurz diese Leiter!

L: Christus, unser Herr, lehrt uns auf den ersten drei Stufen, die Hindernisse für die Vollkommenheit und damit für die Seligkeit beiseitezuräumen. Die allgemeinen und gewöhnlichen Hindernisse sind drei: der Wunsch nach Besitz, nach Ehren und nach Vergnügungen. Deshalb sagt uns Christus auf der ersten Stufe: Selig sind die Armen im Geiste, d.h. diejenigen, die freiwillig auf eigenen Besitz verzichten. Auf der zweiten Stufe sagt er: Selig sind die Sanftmütigen, d.h. diejenigen, die allen nachgeben und denen keinen Widerstand leisten, die sich vor sie drängen und sie selbst zurücksetzen. Auf der dritten Stufe sagt er: Selig sind die Weinenden, d.h. diejenigen, die nicht den Vergnügungen und Freuden der Welt nachlaufen, sondern sich der Buße widmen und ihre Sünden beweinen. Auf den folgenden zwei Stufen lehrt er uns das vollkommene tätige Leben, das darin besteht, all das zu erfüllen, was die Gerechtigkeit und die Liebe fordern. Darum sagt er auf der vierten Stufe: Selig sind die, die Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit haben. Auf der fünften Stufe sagt er: Selig sind die Barmherzigen. Auf den letzten beiden Stufen lenkt er uns hin zum vollkommenen Leben der Beschauung. Darum sagt er auf der sechsten Stufe: Selig sind die, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. D. h. sie werden ihn im Jenseits in der Herrlichkeit schauen, und noch in diesem Leben werden sie ihn in der gnadenhaften Beschauung erkennen. Auf der siebten Stufe sagt er: Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. D.h. selig sind diejenigen, die der Beschauung die vollkommene Liebe hinzugefügt haben und die so alles auf Gott hingeordnet haben und in deren Seele Frieden herrscht. So werden sie Söhne Gottes sein, ihrem Vater ähnlich, heilig und vollkommen. Im achten Satz ist keine neue Stufe der Vollkommenheit mehr enthalten, wie der hl. Augustinus treffend bemerkt146, sondern hier wird ein deutliches Zeichen genannt, an dem man erkennen kann, ob jemand zur Vollkommenheit gelangt ist. Dieses Zeichen besteht darin, dass jemand ungerechte Verfolgung bereitwillig erduldet, denn wie Gold im Feuer geprüft wird, so wird der Gerechte und Vollkommene in den Prüfungen erprobt.

 

Kapitel XV: Die sieben leiblichen und die sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit

S: Nun sind noch die leiblichen und die geistlichen Werke der Barmherzigkeit übrig. Bitte erklären Sie sie mir.

L: Leibliche Werke der Barmherzigkeit gibt es sieben, von denen wir sechs im heiligen Evangelium haben: den Hungrigen zu essen geben, den Dürstenden zu trinken geben, die Nackten bekleiden, die Pilger beherbergen, die Kranken besuchen und die Gefangenen trösten.147 Das siebte Werk, nämlich die Toten begraben, haben uns der heilige Tobias und der Erzengel Raphael gelehrt.148 Geistliche Werke der Barmherzigkeit gibt es ebenfalls sieben: die Unwissenden lehren, den Zweifelnden raten, die Traurigen trösten, die Irrenden zurechtweisen, die Beleidigungen vergeben, die Fehler anderer ertragen und für die Lebenden und die Toten beten.

S: Gibt es einen Grund, der uns von der Pflicht, diese Werke der Barmherzigkeit zu verrichten, entbindet?

L: Drei Gründe können uns davon entbinden. Der erste liegt vor, wenn jemand nicht die Mittel hat, sie zu tun. So hat der gute Lazarus, der Bettler, von dem man im Evangelium liest, kein einziges leibliches Werk der Barmherzigkeit getan, weil er selbst fast alle diese Werke nötig hatte, und so erhielt er stattdessen seinen Lohn dafür, dass er geduldig war. So hat es nämlich Gott eingerichtet, dass die Reichen durch die Barmherzigkeit gerettet werden und die Armen durch die Geduld. So ist auch, wer selbst keine Kenntnisse und keine Klugheit besitzt, nicht verpflichtet, andere zu lehren oder ihnen Ratschläge zu geben. Der zweite Grund liegt vor, wenn jemand Gott in einem höheren Stand als dem tätigen Leben dient und aufgrund dieses Standes keine Gelegenheit hat, viele Werke der Nächstenliebe zu tun. So sind die Einsiedler, die sich an einsame Orte oder in ihre Zellen zurückgezogen haben, um sich in die Betrachtung der himmlischen Dinge zu versenken, nicht dazu verpflichtet, auf diese gottgefällige Übung zu verzichten, um loszugehen und jemanden zu suchen, dem sie ein Werk der Barmherzigkeit erweisen können. Ein dritter Grund liegt dann vor, wenn jemand niemanden findet, der seiner Barmherzigkeit in nennenswerter Weise bedarf. Wir sind also nur verpflichtet, denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können und sonst niemanden haben, der ihnen helfen kann und will. Die vollkommene Barmherzigkeit wartet allerdings nicht, bis sie verpflichtet ist zu handeln, sondern sie ist bereit, zu helfen, wo sie nur kann und so gut sie kann.

S: Mir scheint, dass das letzte Werk der Barmherzigkeit, nämlich zu Gott für den Nächsten zu beten, jeder ausüben kann.

L: So ist es. Deshalb verrichten auch die heiligen Einsiedler Werke der Barmherzigkeit, denn sie beten zu Gott, dass er mit seiner Gnade doch allen zu Hilfe kommen wolle, die ihrer bedürfen.

 

Kapitel XVI: Die Laster und die Sünden im allgemeinen

S: Sie haben mich bereits über die Tugenden und die guten Werke belehrt, damit ich mich in rechter Weise darum bemühen kann. Belehren Sie mich nun bitte auch über das Laster und die Sünde, damit ich sie meiden kann.

L: Die Sünde ist nichts anderes als eine absichtliche Handlung oder Unterlassung, die dem Gesetz Gottes widerspricht. Dabei müsst ihr bedenken, dass drei Dinge zusammenkommen müssen, damit etwas eine Sünde ist: Erstens muss es eine Handlung oder eine Unterlassung sein, d.h. dass man etwas Verbotenes tut bzw. bewirkt oder etwas Gebotenes nicht tut. So ist z. B. Fluchen eine Handlung und nicht in die Messe zu gehen eine Unterlassung. Zweitens muss diese Handlung oder Unterlassung gegen das Gesetz Gottes gerichtet sein, denn das Gesetz Gottes ist die allgemeine Regel für das richtige Handeln, so wie die Baukunst die Regel für das richtige Bauen ist. Wie darum ein Baumeister kein guter Baumeister ist und nicht richtig baut, wenn er sich nicht an die Regeln der Kunst hält, so lebt jemand nicht in der richtigen Weise und ist kein guter Mensch, wenn er das Gesetz Gottes nicht befolgt. Unter dem Gesetz Gottes hat man aber nicht nur das zu verstehen, das er selbst gegeben hat, wie die zehn Gebote, sondern auch das, das er uns durch den Papst und die anderen geistlichen und weltlichen Vorgesetzten gibt, denn sie sind alle Diener Gottes und haben von ihm ihre Autorität. Drittens muss die Handlung oder Unterlassung absichtlich sein. Deshalb ist das, was jemand ohne Zustimmung des Willens tut, keine Sünde, wie etwa wenn jemand flucht, während er schläft oder wenn er noch nicht das Alter des Vernunftgebrauchs erreicht hat oder wenn er nicht weiß, dass dieses Wort ein Fluch ist. In diesem Fall sündigt die betreffende Person nicht, weil keine Zustimmung des Willens vorliegt.

S: Was eine Sünde ist, habe ich verstanden. Sagen Sie mir jetzt bitte, was ein Laster ist!

L: Ein Laster ist eine schlechte Neigung und eine schlechte Gewohnheit zu sündigen, die durch häufiges Sündigen erworben wurde und dazu führt, dass jemand leichter und mit größerer Frechheit und Lust sündigt. Wir sagen ja von jemandem, dass er ein Flucher oder ein Spieler ist, wenn er die Gewohnheit hat, zu fluchen oder zu spielen. In diesem Fall ist das Fluchen die Sünde und ein Flucher zu sein das Laster. Ebenso verhält es sich auch mit allem Bösen.

S: Ist die Sünde etwas sehr Schlimmes?

L: Sie ist das Schlimmste, was es überhaupt gibt; ja sie allein ist schlechthin böse und missfällt Gott mehr als alles andere. Das kann man daran erkennen, dass es Gott nicht kümmert, die edelsten Dinge zu zerstören und zu verderben, die er hat, nur um die Sünde zu strafen. Wenn ein Fürst ein wunderschönes, ganz wertvolles Gefäß aus Silber oder Gold hätte, darin aber eine stinkende Flüssigkeit fände und diese ein so großes Missfallen bei ihm erregte, dass er dieses Gefäß zerbrechen und in die Tiefen des Meeres werfen ließe, da würdet ihr sicher sagen, dass dieser Fürst diese Flüssigkeit über alle Maßen hasst. Nun hat Gott zwei sehr kostbare Gefäße gemacht, eines aus Silber, das ist der Mensch, und eines aus Gold, das ist der Engel. Weil er aber diese stinkende Flüssigkeit der Sünde im einen wie im anderen gefunden hat, hat er all die Engel, die gesündigt haben, zerschmettert und in die Tiefe der Hölle geworfen, in die ewige Pein. Und Tag für Tag wirft er all die Menschen, die mit der Sünde beladen sterben, an denselben Ort der Verdammnis. Einmal ließ er auch aufgrund der Sünden der Welt die Sintflut kommen und tötete alle Menschen außer Noah mit seiner Familie, der gerecht geblieben war.

S: Wie viele Arten von Sünden gibt es?

L: Es gibt zwei Arten der Sünde. Die eine heißt Erbsünde und die andere Tatsünde. Bei der Tatsünde gibt es wiederum zwei Arten, einerseits die Todsünde und andererseits die lässliche Sünde.

 

Kapitel XVII: Die Erbsünde

S: Was ist die Erbsünde?

L: Die Erbsünde ist diejenige Sünde, mit der wir geboren wurden und die wir als Erbe von unserem Stammvater Adam haben. Dabei müsst ihr wissen, dass Gott, als er den ersten Mann und die erste Frau namens Adam und Eva erschuf, ihnen sieben Gaben verlieh. Erstens gab er ihnen seine Gnade, durch die sie gerecht waren, Freunde Gottes und seine angenommenen Kinder. Zweitens gab er ihnen eine große Einsicht, damit sie das Gute tun und das Böse meiden konnten. Drittens verlieh er ihnen die Gabe, dass das Fleisch dem Geist gehorcht, so dass es nicht von unerlaubten, vernunftwidrigen Begierden angestachelt wurde. Viertens gab er ihnen eine sehr große Bereitschaft und Gewandtheit darin, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, und er gab ihnen lediglich ein einziges sehr leichtes Gebot. Fünftens befreite er sie von aller Mühe und Furcht, weil die Erde von selbst Früchte hervorbrachte, die für den Menschen zum Leben ausreichten, und weil es nichts gab, was dem Menschen hätte schaden können. Sechstens machte er sie unsterblich, d. h. dass sie niemals hätten sterben müssen, wenn sie nicht gesündigt hätten. Siebtens wollte er sie dann nach einiger Zeit in den Himmel versetzen zu einem ewigen Leben voll Herrlichkeit, so wie es die Engel haben. Doch betrogen vom Teufel, befolgten der erste Mann und die erste Frau dieses Gebot nicht und sündigten so gegen Gott. Deshalb verloren sie alle diese genannten sieben Gaben. Weil aber Gott ihnen diese Gaben nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle ihre Nachkommen verliehen hatte, deshalb haben sie diese Gaben für sich selbst und zugleich für uns alle verloren und uns an ihrer Sünde und an all ihrem Elend Anteil gegeben, so wie wir an ihrer Gnade und an den übrigen Gütern teilgehabt hätten, wenn sie nicht gesündigt hätten. Das also ist die Erbsünde: Feindschaft mit Gott und Verlust seiner Gnade. Und da wir mit diesem Mangel geboren werden, so geht aus ihm die Unwissenheit, die Neigung zum Bösen, die Schwerfälligkeit im Tun des Guten und die Leichtigkeit im Tun des Bösen hervor, die Plage und Mühsal in der Sorge ums Überleben, die Ängste und Gefahren, in denen wir uns befinden, die Gewissheit des Todes des Leibes und noch dazu der ewige Tod der Seele, wenn wir nicht vor dem Tod von der Sünde befreit werden und die Gnade Gottes wiedererlangen.

S: Welches Mittel haben wir denn gegen diese Erbsünde?

L: Wir haben vorhin bereits gesagt, dass das Leiden und der Tod Christi, unseres Herrn, das Mittel gewesen ist. Denn Gott hat gewollt, dass derjenige, der für die Sünde Adams Genugtuung leisten wollte, ohne Sünde, ja Gott und Mensch wäre, damit er Gott unendlich wohlgefällig wäre. Und er sollte nicht in etwas Leichtem gehorsam sein, wie es von Adam gefordert war, sondern in etwas überaus Schwerem wie dem schändlichen Tod am Kreuz. Wie schon gesagt, wird uns dieses Mittel durch die heilige Taufe zugewandt. Gott wollte uns zwar nicht sofort all jene sieben Gaben wiedergeben, wohl aber die wichtigste, nämlich seine Gnade, durch die wir gerecht sind, Freunde und Kinder Gottes und Erben des Paradieses. Die anderen Gaben werden wir dann mit viel Zugewinn im Jenseits erhalten, wenn wir uns in diesem Leben auf Erden gut verhalten haben.

 

Kapitel XVIII: Die Todsünde und die lässliche Sünde

S: Erklären Sie mir jetzt bitte, was die Tatsünde ist und wie sie einmal eine Todsünde und einmal eine lässliche Sünde ist!

L: Eine Tatsünde ist eine Sünde, die wir aus eigenem Willen begehen, nachdem wir zum Vernunftgebrauch gelangt sind, indem wir z.B. stehlen, töten, falsch schwören oder ähnliches tun, was dem Gesetz Gottes widerspricht. Diese Sünde ist eine Todsünde, wenn sie den Menschen der Gnade Gottes beraubt, die das Leben der Seele ist, und den ewigen Tod in der Hölle verdient. Eine lässliche Sünde ist sie, wenn sie Gott zwar missfällt, aber nicht so sehr, dass sie den Menschen seiner Gnade beraubt. Sie verdient zwar ebenfalls Strafe, aber keine ewige.

S: Wie kann ich erkennen, ob eine Sünde eine Todsünde oder eine lässliche Sünde ist?

L: Um zu erkennen, ob die Sünde eine Todsünde ist, muss man zwei Regeln im Auge behalten. Die eine Regel besteht darin, dass die Sünde gegen die Gottes- oder die Nächstenliebe verstößt. Die zweite, dass sie mit voller Zustimmung des Willens geschieht. Wenn ihr also eine dieser zwei Bedingungen fehlt, ist sie keine Todsünde, sondern eine lässliche Sünde. Eine Sünde verstößt dann gegen die Liebe, wenn sie bei einem schwerwiegenden Tatbestand gegen das Gesetz gerichtet ist, so dass sie eine Beleidigung darstellt, die groß genug ist, um die Freundschaft zu zerstören. Wenn sie aber bei einem geringfügigen Tatbestand geschieht und nicht reicht, um die Freundschaft zu zerstören, dann ist sie nicht gegen die Liebe, sondern man spricht davon, dass sie nicht der Liebe gemäß ist. Ebenso sagt man bei ersterer, dass sie gegen das Gesetz ist, weil sie gegen die Liebe ist, die das Ziel des Gesetzes darstellt. Bei zweiterer sagt man nicht, dass sie gegen das Gesetz ist, sondern nur, dass sie nicht dem Gesetz gemäß ist, weil sie nicht gegen die Liebe, sondern nur der Liebe nicht gemäß ist. Führt euch folgendes Beispiel vor Augen: Eine große Summe Geld zu stehlen ist eine Todsünde, weil es gegen das Gesetz Gottes ist, weil es einen schwerwiegenden Tatbestand darstellt und weil es, wie jeder weiß, ausreicht, um eine Freundschaft zu zerstören. Somit verstößt es gegen die Liebe. Einen Groschen, eine Stecknadel oder etwas ähnliches zu stehlen ist dagegen keine Todsünde, sondern eine lässliche Sünde, weil es sich um einen geringfügigen Tatbestand handelt, und obwohl es nicht der Liebe gemäß ist, ist es dennoch auch nicht gegen die Liebe, weil es nichts ist, was normalerweise ausreicht, um eine Freundschaft zu zerstören. Ähnliches können wir von der zweiten Bedingung, der Freiwilligkeit, sagen. Wenn etwas in einem schwerwiegenden Tatbestand gegen das Gesetz gerichtet ist und völlig freiwillig geschieht, ist es eine Todsünde. Wenn es dagegen nicht völlig freiwillig wäre, wie wenn jemand plötzlich den Gedanken oder Wunsch hätte zu stehlen, zu morden oder zu fluchen, sich aber gleich korrigierte, bevor er mit dem Willen vollkommen zugestimmt hätte, so wäre es nur eine lässliche Sünde. Man muss freilich sorgfältig auf sich acht geben, und sobald man sich eines schlechten Gedankens oder Wunsches bewusst ist, muss man ihn verjagen, bevor der Wille ihm zustimmt.

 

Kapitel XIX: Die sieben Hauptsünden

S: Jetzt möchte ich gern wissen, welches die bedeutendsten Sünden sind, damit ich sie sorgfältiger meiden kann.

L: Einige Sünden sind bedeutender, weil sie wie die Quelle und die Wurzel für viele andere Sünden sind; sie heißen Hauptsünden und sind sieben an der Zahl. Andere sind bedeutender, weil sie nur schwer vergeben werden; sie heißen Sünden gegen den Heiligen Geist und sind sechs an der Zahl. Andere schließlich sind bedeutender, weil sie offenkundiger ganz ungeheuer sind und ganz und gar gegen die Vernunft; darum nennt man sie himmelschreiende Sünden, denn sie schreien zum Himmel um Rache. Davon gibt es vier.

S: Welches sind die Hauptsünden?

L: Es sind Hochmut (oder, wie andere sagen, eitle Ehre), Habgier, Unkeuschheit, Neid, Völlerei, Zorn und Trägheit.149

S: Warum heißen sie Hauptsünden?

L: Sie heißen nicht etwa Hauptsünden, weil sie Todsünden sind. Denn viele Sünden sind Todsünden, aber keine Hauptsünden, wie das Fluchen oder der Mord. Und viele sind Hauptsünden, aber nicht immer auch Todsünden, wie der Zorn, die Völlerei und die Trägheit. Sie heißen stattdessen Hauptsünden, weil sie Anfang vieler anderer Sünden sind, die aus ihnen wie frische Triebe aus der Wurzel und wie Bäche aus der Quelle hervorgehen.

S: Was ist der Hochmut, welche Sünden bringt er hervor und welches Gegenmittel gibt es dafür?

L: Hochmut ist eine Sünde, die darin besteht, dass jemand denkt, er sei mehr, als er in Wirklichkeit ist. Deshalb will er über den anderen stehen und niemanden über sich und neben sich haben. Die Sünden, die der Hochmut hervorbringt, sind Angeberei und eitle Selbstgefälligkeit, das Streiten mit anderen, die Zwietracht, der Ungehorsam und ähnliches. Das Gegenmittel besteht darin, sich mit großem Eifer um die heilige Tugend der Demut zu bemühen. Sie besteht darin zu wissen, dass man von sich aus nichts ist und dass alles, was wir haben, eine Gabe Gottes ist, und darin zu denken, dass die anderen besser als wir sind, und sich deshalb für geringer als alle anderen zu halten und sich innerlich allen unterzuordnen, äußerlich aber alle entsprechend ihrem Rang zu ehren. Weiterhin hilft es sehr zu bedenken, dass der Stolz einen Menschen dem Teufel ähnlich macht und dass er Gott über alle Maßen missfällt. Denn es steht geschrieben, dass Gott den Stolzen widersteht, den Demütigen hingegen sich zuneigt; jene macht er zuschanden, diese hingegen erhöht er.150

S: Was ist Habgier, welche Sünden bringt sie hervor, und welches Mittel gibt es gegen sie?

L: Die Habgier ist eine ungeordnete Anhänglichkeit an materiellen Besitz. Sie besteht in dreierlei Dingen. Erstens darin, dass man nach dem Besitz anderer verlangt und nicht mit dem eigenen zufrieden ist. Zweitens darin, dass man mehr haben will, als für einen ausreichend ist, und das Überflüssige nicht den Armen geben will, wie man verpflichtet ist. Drittens darin, dass man seinen Besitz zu sehr liebt, sei es auch der eigene und sei er unentbehrlich. Das erkennt man daran, dass jemand nicht bereit ist, seinen Besitz zu verlieren, falls es die Ehre Gottes verlangt. Darum nennt der heilige Paulus die Habgier auch eine Art von Götzendienst151, denn dem Habgierigen ist sein Besitz wichtiger als Gott. Sünden, die aus der Habgier hervorgehen, gibt es viele, so z.B. Diebstahl, Raub, Betrug beim Kaufen und beim Verkaufen, Grausamkeit gegenüber den Armen und dergleichen mehr. Das Gegenmittel besteht darin, sich in der Tugend der Freigebigkeit zu üben, indem man bedenkt, dass wir in diesem irdischen Leben Pilger sind, die zu Fuß unterwegs sind, und dass es darum von großen Nutzen ist, sich nicht mit Besitz zu beladen, sondern ihn lieber mit den Reisegefährten zu teilen. Sie tragen ihn dann für uns in die Heimat. So kommen wir selbst auf unserer Reise schneller voran, weil wir weniger zu tragen haben.

S: Und was ist die Unkeuschheit? Welche Sünden bringt sie hervor, und welches Gegenmittel gibt es dafür?

L: Die Unkeuschheit ist eine ungeordnete Neigung zu fleischlichen Genüssen und Freuden. Sünden, die daraus entstehen, sind Verblendung, Verwegenheit und Unbeständigkeit, und darüber hinaus Ehebruch, Unzucht, unanständige Reden und alles mögliche andere Schmutzige. Das Gegenmittel besteht darin, sich in Fasten und Gebet zu üben und schlechte Gesellschaft zu fliehen. Dies sind nämlich die Mittel, um die Keuschheit zu bewahren. Vor allem darf man nie auf sich selbst vertrauen, auch nicht auf die eigene Tugend oder Frömmigkeit, sondern muss sich von der Gefahr fernhalten und sorgfältig über seine Sinne und seine Gedanken wachen. Dabei soll man sich vor Augen halten, dass ein Samson, der so stark war, ein Salomo, der so weise war, und ein David, der so fromm war, von diesem Laster überlistet worden sind und in eine große Verblendung geraten sind, ganz besonders Salomo, mit dem es soweit kam, dass er sogar alle Götzenbilder seiner Nebenfrauen anbetete.

S: Was ist Neid, welche Sünden bringt er hervor, und worin besteht das Gegenmittel?

L: Der Neid ist eine Sünde, die darin besteht, dass einem Menschen das Gute, was die anderen haben, missfällt. Er meint nämlich, dass dadurch seine eigene Größe angetastet wird. Insofern müsst ihr folgendes beachten. Wenn euch missfällt, dass ein anderer etwas Gutes hat, weil er es nicht verdient oder weil er schlecht damit umgeht, dann ist das keine Sünde. Ebenso ist es, wenn euch missfällt, dass ihr etwas Gutes noch nicht habt, was andere bereits besitzen, vor allem die Tugend, die Frömmigkeit und ähnliches. Auch das ist keine Sünde, ja man nennt das sogar einen heiligen und lobenswerten Neid. Wenn euch aber missfällt, dass ein anderer etwas Gutes hat, weil ihr denkt, dass er euch dadurch in den Schatten stellt, und ihr nicht wollt, dass er dieses Gute hat, damit er euch nicht gleichgestellt wird oder euch gar übertrifft, dann ist das eine Sünde des Neides. Der Neid bringt viele Sünden hervor, wie ungerechtes Urteil über andere, Freude darüber, wenn anderen Böses widerfährt, üble Nachrede und Verleumdung. Denn der Neidische ist bestrebt, den guten Ruf des Nächsten zu beeinträchtigen. Schließlich führt der Neid auch bisweilen zum Mord. So hat ja Kain seinen Bruder aus Neid getötet, und die Juden haben aus Neid den Tod des Herrn herbeigeführt. Das Gegenmittel besteht darin, sich in der Nächstenliebe zu üben und fortwährend daran zu denken, dass der Neid dem Neidischen selbst mehr schadet als dem Beneideten, weil der Neidische sich quält und innerlich verzehrt. Und oft kommt es vor, dass Gott gerade dadurch den Beneideten erhöht, wodurch ihn der Neidische herabsetzen wollte. So hat der Teufel aus Neid den Menschen um das irdische Paradies gebracht, und Gott hat dies zum Anlass genommen, um Christus auf die Erde zu senden und uns das himmlische Paradies zu schenken. Der Patriarch Josef wurde von seinen Brüdern aus Neid verkauft, und Gott hat dies zum Anlass genommen, alles so zu fügen, dass Josef der Herr seiner Brüder wurde. Der König Saul verfolgte David aus Neid, und Gott ließ Saul das Königtum verlieren und gab es David.

S: Was ist Völlerei? Welche Sünden entstehen aus ihr, und was für ein Mittel gibt es dagegen?

L: Völlerei ist ein ungeordnetes Begehren danach, zu essen und zu trinken. Diese Ungeordnetheit zeigt sich darin, dass man mehr isst, als man verträgt, dass man sich um teure, auserlesene Speisen bemüht, dass man verbotene Speisen zu haben wünscht, wie z.B. Fleischspeisen am Freitag, dass man die Essenszeit nicht abwarten kann, besonders an Fasttagen, und schließlich darin, dass man das Essen zu gierig hinunterschlingt und sich den Bauch vollschlägt. Die Sünden, die aus der Völlerei entstehen, sind Trübung des Geistes, alberne Ausgelassenheit und Geschwätzigkeit. Sehr häufig entsteht aus Völlerei Unkeuschheit mit allen Sünden, die sie im Gefolge hat. Das Gegenmittel besteht darin, dass man sich mit großem Eifer um Mäßigkeit und Enthaltsamkeit bemüht, denn sie nützen sowohl der Seele als auch dem Leib. Von besonderem Nutzen ist es zu bedenken, dass eine solche Gaumenfreude nur eine kleinen Augenblick dauert, aber oft lang andauernde Magenschmerzen, Kopfschmerzen und dergleichen hinterlässt.

S: Was ist Zorn? Welche Sünden entspringen aus ihm, und welches Mittel gegen den Zorn gibt es?

L: Der Zorn ist ein ungeordnetes Verlangen danach, sich zu rächen. Dabei müsst ihr aber wissen, dass ein gemäßigter und geordneter Zorn gut ist. Daher heißt es im Psalm: Zürnt, aber sündigt nicht.152 Der heilige Basilius sagt, dass der Zorn wie ein Hund ist: Er ist brav, wenn er Feinde anbellt, aber nicht, wenn er auch Freunde verletzt.153 Ein ungeordneter Zorn zeigt sich in dreierlei. Erstens darin, dass man an jemandem Rache üben will, der keine Strafe verdient hat und einen gar nicht beleidigt hat. Zweitens darin, dass man sich auf eigene Faust rächen will. Das Recht, an den Übeltätern Rache zu nehmen und sie zu strafen, steht nämlich allein der Obrigkeit zu, d.h. dem Fürsten bzw. den örtlichen Justizbehörden. Und weil Gott der oberste Herrscher über alle ist, darum sagt er, dass es vor allem seine Sache ist, Rache zu nehmen.154 Drittens zeigt sich der ungeordnete Zorn darin, dass man Rache üben will aus Hass, nicht aus Eifer für die Gerechtigkeit, und darin, dass man dabei in Art und Weise und anderem das rechte Maß überschreitet. Sünden, die aus dem ungeordneten Zorn hervorgehen, sind Streitereien, verletzende Worte, Misshandlungen sowie ungebührliches Verhalten, als ob man den Verstand verloren hätte. Der ungeordnete Zorn ähnelt nämlich dem Wahnsinn. Das Gegenmittel besteht darin, sich in den Tugenden der Sanftmut und der Geduld zu üben und sich dabei das Beispiel, das uns die Heiligen und Christus selbst gegeben haben, vor Augen zu halten. Indem sie alles geduldig ertragen und gelitten haben, haben sie schließlich viel großartiger triumphiert als die weltlich gesinnten Menschen, denen es gelingt, sich an ihren Feinden zu rächen.

S: Was ist Trägheit? Welche Sünden bringt sie hervor, und was für ein Gegenmittel gibt es?

L: Trägheit (lateinisch „acedia", ein Wort, das ursprünglich aus dem Griechischen stammt) bedeutet hier Überdruss, Widerwillen, Unlust. Die betreffende Hauptsünde liegt dann vor, wenn es einen anwidert, das Gute zu tun, und es einem lästig ist und man es satt hat, sich den Geboten Gottes zu unterwerfen und auf dem Weg der Tugend voranzuschreiten. Sünden, die daraus hervorgehen, sind die Missachtung der Gebote, sich den Lastern überlassen, daran verzweifeln, dass man überhaupt Gutes tun kann, Hass und heimlicher Groll gegen diejenigen, die einen drängen, die Sünde aufzugeben und wieder den rechten Weg einzuschlagen. Das Mittel gegen die Trägheit besteht darin, niemals müßig zu sein, geeignete Bücher zu lesen und sich den reichen Lohn vor Augen zu halten, den Gott denen verspricht, die seine Gebote gewissenhaft befolgen, sowie die ewige, unerträgliche Strafe, die die Nachlässigen erwartet.

 

Kapitel XX: Die Sünden gegen den Heiligen Geist

S: Wieviele Sünden gegen den Heiligen Geist gibt es und welche sind es?

L: Es sind sechs: Verzweiflung am Heil, Anmaßung, ohne Verdienste gerettet zu werden, Bekämpfung der erkannten Wahrheit, Neid auf die Gnade anderer, Verstockung in den Sünden und Unbußfertigkeit bis zuletzt.

S: Warum heißen sie Sünden gegen den Heiligen Geist?

L: Weil sie aus reiner Bosheit begangen werden, am meisten die dritte, die noch eigentlicher als alle anderen eine Sünde gegen den Heiligen Geist ist, nämlich wenn jemand die Wahrheit kennt und trotzdem hartnäckig widerspricht und beweisen will, dass sie unwahr ist. Die Sünde aus Bosheit wird eine Sünde gegen den Heiligen Geist genannt, weil dem Heiligen Geist die Güte als etwas ihm besonders Eigenes zuerkannt wird, die der Bosheit entgegengesetzt ist. Ebenso nennt man die Sünde aus Unwissenheit eine Sünde gegen den Sohn, dem die Weisheit zuerkannt wird und die Sünde aus Schwäche eine Sünde gegen den Vater, dem die Macht zuerkannt wird.

S: Was ist das Besondere an diesen Sünden?

L: Das Besondere daran ist, dass sie weder in dieser Welt noch im Jenseits vergeben werden, wie uns der Herr im Evangelium mahnt.155 Das ist allerdings so zu verstehen, dass es schwer ist, dafür Vergebung zu erlangen. Es ist nämlich sehr schwierig und kommt nur sehr selten vor, dass diejenigen, die in diese Sünden fallen, zu wirklicher Buße gelangen. Es ist ähnlich wie wenn wir sagen, dass eine Krankheit unheilbar ist. Wir wollen damit ja nicht sagen, dass es absolut unmöglich ist, sie zu heilen, sondern nur, dass man davon nur sehr selten wieder gesund wird, normalerweise überhaupt nicht.

 

Kapitel XXI: Die himmelschreienden Sünden

S: Wieviele himmelschreiende Sünden gibt es und welche sind es?

L: Es sind vier: vorsätzliche Tötung156, widernatürliche fleischliche Sünde157, Unterdrückung der Armen, besonders der Waisen und Witwen158, und dem Arbeiter den Lohn vorzuenthalten159.

S: Warum heißen sie „himmelschreiend"?

L: Weil die Ungerechtigkeit dieser Sünden so offensichtlich ist, dass man sie weder zudecken noch sonst in irgendeiner Weise verbergen kann.

 

Kapitel XXII: Die vier letzten Dinge

S: Nennen Sie mir bitte ein umfassendes Hilfsmittel, um die Sünde fliehen zu können.

L: Der Weise sagt: Denke an die letzten Dinge, und du wirst niemals sündigen.160 Vier letzte Dinge gibt es: Tod, Allgemeines Gericht, Hölle und Paradies.

S: Warum heißen diese vier Dinge „die letzten"?

L: Weil der Tod das Ende des Lebens ist und das letzte, was uns in dieser Welt unvermeidlich zustoßen wird. Das Endgericht ist das letzte von allen Gerichten, die je erfolgen werden; deshalb gibt es dagegen dann keinerlei Berufung mehr. Die Hölle ist das letzte Übel, das die Übeltäter bekommen werden, und in diesem Zustand müssen sie für immer bleiben, ohne ihn je ändern zu können. Das Paradies ist das letzte Gut, das die Guten bekommen werden, und sie werden es nie mehr verlieren.

S: Ich hätte von Ihnen gern einige Anregungen, wie ich über diese letzten Dinge nachdenken kann, denn wenn ich mich oft an sie erinnere, werde ich nie mehr sündigen, wie der von Ihnen zitierte Weise sagt.

L: Was den Tod angeht, könnt ihr diese vier Punkte bedenken: Erstens, dass der Tod unweigerlich jeden treffen wird und niemand ihm entfliehen kann. Zweitens, dass sein Zeitpunkt ungewiss ist und viele dann sterben, wenn sie am wenigsten daran denken. Drittens, dass es im Tod mit allen Plänen dieses Lebens aus ist und man dann die Nichtigkeit dieser Welt erkennen wird. Viertens, dass jeder angesichts des Todes das Böse, das er getan hat, bereut und ebenso das Gute, das er nicht getan hat, und es deshalb eine große Torheit ist, etwas zu tun, was wir einmal bereuen werden.

Was das Gericht angeht, könnt ihr diese vier Punkte betrachten: Erstens, dass es bei diesem Gericht um etwas außerordentlich wichtiges gehen wird, nämlich um das größte Gut oder das größte Übel. Zweitens, dass es vom obersten Richter gehalten wird, der alles weiß und dem gegenüber sich niemand verteidigen kann. Drittens, dass es vor den Augen der ganzen Welt geschehen wird und niemand sich verstecken kann. Viertens wird es keinerlei Hoffnung geben, dem Urteilsspruch oder der Vollstreckung des Urteils durch die göttliche Gerechtigkeit zu entgehen.

Was die Hölle angeht, so bedenkt, dass sie breit, lang, hoch und tief ist: breit, weil sie alle nur denkbaren Strafen enthält; lang, weil diese Strafen ewig sind; hoch, weil sie alle in höchstem Grad schmerzlich sind; tief, weil sie reine Strafen sind ohne jegliche Beimischung von Trost. Was das Paradies angeht, so bedenkt, dass es ebenfalls breit ist, weil es alle nur denkbaren Güter enthält, noch mehr als die, die wir uns ausdenken oder ersehnen können; dass es lang ist, weil alle diese Güter ewig sind; dass es hoch ist, weil es die höchsten und edelsten Güter sind; dass es tief ist, weil es reine Güter ohne jegliche Beimischung von Übel sind. Hier könnt ihr noch anfügen, dass die Güter des irdischen Lebens keine dieser vier Eigenschaften besitzen, denn sie sind gering an der Zahl, kurz, klein und allzeit mit Sorgen und Ängsten vermischt. Ebenso sind die Übel dieser Welt gering an der Zahl, kurz, klein und allzeit vermischt mit irgendeinem Trost. Daraus könnt ihr schließen, dass all jene wirklich den Verstand verloren haben, die aus Liebe zu den Gütern dieses irdischen Lebens und aus Furcht vor den gegenwärtigen Bedrängnissen die zukünftigen Güter verlieren und in die zukünftigen Übel stürzen.

 

Fußnoten bis Kapitel XXII
Fußnoten 1 bis  160

 

Allgemeine Anmerkungen zu den Quellen des „Großen Katechismus"

 

Erläuterung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses

 

Aktuelle Fortsetzung

 

Auslegung des Vater unser

 

 

 
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