Glaubenslehre des
Heiligen Robert Bellarmin
Der Heilige Robert
Bellarmin ist mehrmals in Sievernich
erschienen.
Aus seinem
Katechismus.
Kurze christliche Lehre, zum
Auswendiglernen geeignet
Im Auftrag von Papst Clemens VIII.1
1 Text übersetzt nach:
Robertus Bellarminus, Opera omnia.
Hg. von Justin Fevre. 12 Bde., Paris
1874, XII, 256-282 (= 00). - Diese
Ausgabe enthält auch verschiedene Gebete
und Gesänge sowie eine Anleitung zum
Ministrieren, die hier nicht übersetzt
sind und die wohl insgesamt oder
teilweise erst aus späterer Zeit
stammen.
Inhaltsverzeichnis
Auf die einzelnen Zeilen klicken, um zu
dem jeweiligen Text zu kommen!!!
Einleitung
Gebet zu Beginn der Unterrichtsstunde in
der christlichen Lehre
Zum Schluss.
Das Ziel des Christen und das heilige
Kreuzzeichen
Erklärung
des Glaubensbekenntnisses
Erklärung
des Vater Unser und des „Gegrüßet seist
du, Maria"
Die Gebote Gottes
Die Kirchengebote und die Räte
Die Sakramente
Die göttlichen
Tugenden und die Kardinaltugenden
Die Gaben des Heiligen Geistes
Die Werke der Barmherzigkeit
Die Sünden
Die vier letzten Dinge und der
Rosenkranz
Tugendakte
Akt des Glaubens
Akt der Hoffnung
Akt der Liebe
Akt der Reue
Unterricht
Für
den, der gefirmt werden soll, und was er
dafür wissen soll
Unterricht
über die Sakramente
Die
Beichte
Die
Eucharistie
Ausführlichere
Erklärung der christlichen Lehre
Kapitel I: Was die christliche Lehre ist
und welche Hauptstücke
sie hat
Kapitel II: Erklärung
des Kreuzzeichens
Kapitel III: Erklärung
des Glaubensbekenntnisses:
Erklärung
des ersten Artikels
Erklärung
des zweiten Artikels
Erklärung
des dritten Artikels
Erklärung
des vierten Artikels
Erklärung
des fünften Artikels
Erklärung
des sechsten Artikels
Erklärung
des siebten Artikels
Erklärung des achten Artikels
Erklärung
des neunten Artikels
Erklärung
des zehnten Artikels
Erklärung des elften Artikels
Erklärung
des zwölften Artikels
Kapitel IV: Erklärung des Vater Unser
(Gebet des Herrn)
Kapitel V: Erklärung
des „Gegrüßet seist du, Maria (Ave
Maria)"
Kapitel VI: Erklärung
der zehn Gebote Gottes
Erklärung des ersten Gebots
Erklärung der zweiten Gebots
Erklärung
des dritten Gebots
Erklärung
des vierten Gebots.
Erklärung
des fünften Gebots
Erklärung des sechsten Gebots
Erklärung
des siebten Gebots
Erklärung
des achten Gebots
Erklärung
des neunten Gebots
Erklärung
des zehnten Gebots
Kapitel VII: Erklärung
der Kirchengebote
Kapitel VIII: Erklärung der
evangelischen Räte
Kapitel IX: Erklärung
der Sakramente der heiligen Kirche
Die Taufe
Die Firmung
Die Eucharistie
Die Buße
Die Letzte Ölung
Die Weihe
Die Ehe
Kapitel X: Die Tugenden im allgemeinen
Kapitel XI: Die göttlichen Tugenden
Kapitel XII: Die Kardinaltugenden
Kapitel XIII: Die sieben Gaben des
Heiligen Geistes
Kapitel XIV: Die acht Seligpreisungen
Kapitel XV: Die sieben leiblichen und
die sieben geistlichen Werke der
Barmherzigkeit
Kapitel XVI: Die Laster und die Sünden
im allgemeinen
Kapitel XVII: Die Erbsünde
Kapitel XVIII: Die Todsünde und die
lässliche Sünde
Kapitel XIX: Die sieben Hauptsünden
Kapitel XX: Die Sünden gegen den
Heiligen Geist
Kapitel XXI: Die himmelschreienden
Sünden
Kapitel XXII: Die vier letzten Dinge
Fußnoten bis Kapitel XXII
Fußnoten 1 bis 160
Allgemeine Anmerkungen zu den
Quellen des „Großen Katechismus"
Erläuterung des Apostolischen
Glaubensbekenntnisses
Einleitung
Beim Unterricht in der christlichen
Lehre für einfache Menschen muss man auf
zweierlei achten, die Notwendigkeit und
die Fassungskraft. Aufgrund der
Notwendigkeit muss man wenigstens vier
Punkte in den Unterricht einbeziehen:
Zunächst das Glaubensbekenntnis, um das
zu wissen, was man glauben muss. Sodann
das Vater Unser mit dem Englischen Gruß,
um das zu wissen, was man hoffen muss
und zu wem man Zuflucht nehmen muss, um
es zu erlangen. Allerdings soll dadurch
der Brauch nicht verworfen werden, die
Kinder zuerst das Vater Unser mit dem „Gegrüßet
seist du, Maria" vor dem
Glaubensbekenntnis zu lehren, weil
dieses schwierig und länger ist.
Drittens die zehn Gebote Gottes zusammen
mit den Kirchengeboten, die alle
angehen, um das zu kennen, was man
entsprechend der Liebe zu Gott und dem
Nächsten tun muss. Schließlich die
sieben Sakramente, die die Werkzeuge
darstellen, die Gott dazu eingesetzt
hat, die Gnade und die himmlischen Gaben
zu erwerben, zu bewahren und wachsen zu
lassen, insbesondere die göttlichen
Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe
zusammen mit der Vergebung der Sünden.
Deshalb ist der Katechismus, der auf
Anordnung des heiligen Konzils von
Trient verfertigt wurde, zweifellos der
authentischste. Dennoch ist es wohl
nützlich, einiges (allerdings Weniges
und Einfaches) hinzuzufügen, so die
hauptsächlichen Tugenden, die die Quelle
jedes guten Werkes darstellen, und die
sieben Hauptkunden, die die Quelle aller
Sünden sind; des weiteren die Werke der
Barmherzigkeit, die Gott überaus
wohlgefällig sind, und die Sünden, die
ihm zuhöchst missfallen und über die die
Schrift sagt, dass sie im Himmel nach
Rache schreien; die evangelischen Räte;
die vier letzten Dinge; die Geheimnisse
des heiligen Rosenkranzes.
Die anderen Punkte kann man vielleicht
übergehen. Denn sie sind entweder zu
schwierig, so etwa die elf
Leidenschaften und ähnliches. Oder sie
sind zu bekannt und daher überflüssig,
so die fünf Sinne des Leibes, die drei
Seelenkräfte usw. Oder sie sind von nur
geringem Nutzen, belasten bloß das
Gedächtnis, und selbst Gelehrte kennen
sie nicht in ihrer richtigen
Reihenfolge, etwa die zwölf Früchte des
Heiligen Geistes, die acht Seligkeiten
usw. Oder das, was Kinder und einfache
Menschen auswendig lernen sollen, ist
etwas anderes als das, was die wissen
sollten, die die christliche Lehre
solcherart ungebildeten Leuten erläutern
sollen. Aus diesen Gründen schreiben wir
jetzt zuerst all das nieder, was man mit
einer kurzen Erläuterung auswendig
lernen soll, danach eine umfangreichere
Erläuterung für die, welche die
christliche Lehre unterrichten. Letztere
soll jedoch der Fassungskraft der
einfachen Menschen angemessen sein.
Gebet zu Beginn der Unterrichtsstunde in
der christlichen Lehre
„Actiones nostras,
quaesumus, Domine, aspirando praeveni,
et adjuvando prosequere, ut cuncta
nostra oratio, et operatio a te semper
incipiat, et per te coepta finiatur.
Per Christum Dominum
nostrum. R.: Amen."
„Komm unserem Beten und
Arbeiten mit deiner Gnade zuvor, Herr,
und begleite es mit deiner Hilfe, damit
alles, was wir beten und tun, bei dir
seinen Anfang nehme und durch dich
vollendet werde. Durch Christus, unseren
Herrn. (Alle:) Amen."
Zum Schluss
„Agimus tibi gratias,
omnipotens Deus, pro universis
beneficiis tuis, qui vivis, et regnas in
saecula saeculorum. R. Amen."
„Wir sagen dir Dank,
allmächtiger Gott, für alle deine Gaben,
der du lebst und herrschst in alle
Ewigkeit. (Alle:) Amen."
Das Ziel des Christen und das heilige
Kreuzzeichen
Lehrer (L):
Seid Ihr ein Christ?
Schüler (S): Ja, mit der
Gnade Gottes.
L: Was bedeutet „ein
Christ"?
S: Einer, der den
Glauben und das Gebot Christi bekennt.
L: Worin besteht der
Glaube Christi hauptsächlich?
S: In zwei
Grundgeheimnissen, die im heiligen t
Kreuzzeichen enthalten sind: die
Dreieinigkeit Gottes sowie die
Menschwerdung und der Tod unseres
Heilandes.
L: Was bedeutet die
Dreieinigkeit Gottes?
S: Dass es in Gott
eine einzige Gottheit gibt. Wir sprechen
dabei auch von einem göttlichen Wesen
oder einer Natur. Die Gottheit ist aber
in drei Personen, Vater, Sohn und
Heiliger Geist mit Namen.
L: Warum sind es drei
Personen?
S: Weil der Vater keinen
Ursprung hat und aus keiner anderen
Person hervorgeht, weil der Sohn aus dem
Vater hervorgeht und weil der Heilige
Geist aus dem Vater und dem Sohn
hervorgeht.
L: Warum sind diese drei
Personen ein einziger Gott?
S: Weil sie dasselbe
Wesen, dieselbe Macht, dieselbe Weisheit
und dieselbe Güte haben.
L: Was bedeutet die
Menschwerdung und der Tod unseres
Heilandes?
S: Dass der Sohn Gottes,
also die zweite Person der
allerseligsten Dreifaltigkeit, Mensch
geworden ist und am Kreuz zu unserer
Erlösung gestorben ist.
L: Wie sind diese beiden
Geheimnisse im heiligen
V Kreuzzeichen enthalten?
S: Weil man das heilige
Kreuzzeichen so macht: Zuerst führt man
die rechte Hand zur Stirn und sagt: „Im
Namen des Vaters", dann an die Brust mit
den Worten „und des Sohnes", schließlich
von der linken zur rechten Seite mit den
Worten „und des Heiligen Geistes. Amen."
L: Wie zeigt sich darin
also das erste Geheimnis, das der
allerseligsten Dreifaltigkeit?
S: Weil das Wort „im
Namen" die Einheit bedeutet und die
übrigen Worte die Dreifaltigkeit.
L: Zeigt Ihr jetzt auch
das zweite Geheimnis?
S: Das Aussehen des
V
Kreuzzeichens stellt den Tod des
Heilands vor Augen. Er wurde Mensch,
zeigte mit Lehren, Beispielen und
Wundern den Weg zum Heil und starb
schließlich am heiligen Holz des
Kreuzes.
Erklärung des Glaubensbekenntnisses
L: Worin besteht die
Regel des Glaubens?
S: Im Apostolischen
Glaubensbekenntnis, einfacher auch
„Credo" genannt.
L: Sagt das Credo auf!
S: 1.
Ich glaube an Gott, den Vater, den
Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels
und der Erde.
2. Und an Jesus
Christus, seinen eingeborenen Sohn,
unseren Herrn.
3. Empfangen durch
den Heiligen Geist, geboren von der
Jungfrau Maria.
4. Gelitten unter
Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben
und begraben.
5. Hinabgestiegen
in das Reich des Todes, am dritten Tage
auferstanden von den Toten.
6. Aufgefahren in
den Himmel. Er sitzt zur Rechten des
Vaters.
7. Von dort wird er
kommen, zu richten die Lebenden und die
Toten.
8. Ich glaube an
den Heiligen Geist.
9. Die heilige
katholische Kirche, Gemeinschaft der
Heiligen.
10. Vergebung der
Sünden.
11. Auferstehung
der Toten.
12. Und das ewige
Leben. Amen.
L: Wer hat das Credo
verfasst?
S: Die zwölf Apostel.
Deshalb sind es auch zwölf Artikel.
L: Was enthalten diese
zwölf Artikel insgesamt?
S: Alles, was man
hauptsächlich und ausdrücklich von Gott
und von der Kirche, seiner Braut, zu
glauben hat. Denn die ersten acht
Artikel beziehen sich auf Gott, die vier
letzten auf die Kirche.
L: Erklärt Ihr den ersten
Artikel?
S: Ich glaube fest an
einen einzigen Gott. Er ist seiner Natur
nach Vater seines eingeborenen Sohnes
und zudem aus Gnade Vater aller guten
Christen, denn sie heißen seine
angenommenen Söhne. Drittens ist er
durch die Schöpfung Vater aller übrigen
Dinge. Dieser Gott nun ist allmächtig,
weil er alles tun kann, was er will und
weil er Himmel und Erde aus dem Nichts
erschaffen hat zusammen mit allem, was
sich in ihnen findet, also das gesamte
Weltall.
L: Erklärt Ihr den
zweiten Artikel?
S: Ich glaube
ebenso an Jesus Christus, den
eingeborenen Sohn Gottes, des Vaters,
denn er ist in Ewigkeit aus dem Vater
gezeugt worden und ist selbst wie der
Vater ewig, unendlich, allmächtig,
Schöpfer, unser Herr und der Herr aller
Dinge.
L: Erklärt Ihr den
dritten Artikel?
S: Ich glaube, dass Jesus
Christus nicht nur wahrer Gott ist,
sondern auch wahrer Mensch. Denn er hat
durch die Kraft des Heiligen Geistes aus
der unbefleckten Jungfrau Maria Fleisch
angenommen.
Auf diese Weise wurde er
auf Erden von einer Mutter ohne Vater
geboren, so wie im Himmel von einem
Vater ohne Mutter.
L: Erklärt Ihr den
vierten Artikel?
S: Ich glaube, dass Jesus
Christus die Welt mit seinem kostbaren
Blut erlösen wollte und dafür unter
Pontius Pilatus, dem Herrscher über
Judäa, gelitten hat. Dabei wurde er
gegeißelt, mit Dornen gekrönt und ans
Kreuz geschlagen. Daran starb er, von
ihm wurde er abgenommen und in einem
neuen Grab beigesetzt.
L: Erklärt Ihr den
fünften Artikel?
S: Ich glaube, dass Jesus
Christus im gleichen Augenblick, als er
gestorben war, mit seiner Seele in das
Totenreich der heiligen Vorväter ging
und am dritten Tag, dem Sonntag,
glorreich und siegreich auferstand.
L: Erklärt Ihr den
sechsten Artikel?
S: Ich glaube, dass Jesus
Christus 40 Tage mit den heiligen
Aposteln zusammen war, um durch viele
Erscheinungen seine wahrhafte
Auferstehung zu beweisen.
Danach fuhr er in den
höchsten Himmel auf.
Dort sitzt er als
Herrscher und Lenker aller Geschöpfe
über allen Engeln zur Rechten des Vaters
in einer Herrlichkeit, die dem Vater
gleich ist.
L: Erklärt Ihr den
siebten Artikel?
S: Ich glaube, dass unser
Herr am Ende der Welt vom Himmel in
größter Macht und Herrlichkeit kommen
wird. Er wird alle Menschen richten und
dabei jedem den Lohn oder die Strafe
geben, die er verdient hat.
L: Erklärt Ihr den achten
Artikel?
S: Ich glaube an
den Heiligen Geist. Er ist die dritte
Person der allerseligsten Dreifaltigkeit
und geht vom Vater und vom Sohn aus. Er
ist in allem dem Vater und dem Sohn
gleich, und so ist er ewiger,
unendlicher, allmächtiger Gott, Schöpfer
und Herr aller Dinge wie der Vater und
der Sohn.
L: Erklärt Ihr den
neunten Artikel?
S: Ich glaube
ebenso, dass es eine einzige Kirche
gibt. Sie ist die Versammlung aller
Christgläubigen, die getauft sind, den
Glauben an Christus, unseren Herrn,
annehmen und bekennen und den Papst in
Rom als Stellvertreter Christi auf Erden
anerkennen.
L: Warum nennt diese
Kirche sich heilig und katholisch?
S: Heilig, weil sie den
heiligen Christus zum Haupt hat, weil
sie viele heilige Glieder besitzt sowie
den heiligen Glauben, das heilige Gesetz
und die heiligen Sakramente. Sie heißt
katholisch, sie ist nämlich überall.
L: Was bedeutet
„Gemeinschaft der Heiligen"?
S: Sie meint die
Zuwendung der Gebete und der guten
Werke, die in dieser Kirche verrichtet
werden, ganz wie am Gut eines einzelnen
Gliedes im menschlichen Leib alle
übrigen Glieder Anteil haben.
L: Erklärt Ihr den
zehnten Artikel?
S: Ich glaube, dass es in
der heiligen Kirche eine wirkliche
Vergebung der Sünden durch die heiligen
Sakramente gibt und dass die Menschen in
Ihr aus Kindern des Teufels, die zur
Hölle verurteilt sind, zu Kindern Gottes
und Erben des Paradieses werden.
L: Erklärt Ihr den elften
Artikel?
S: Ich glaube, dass am
Ende der Welt alle Menschen auferstehen
sollen. Dabei werden sie dieselben
Leiber annehmen, die sie zuvor gehabt
haben. Das geschieht in der Kraft
Gottes, dem kein Ding unmöglich ist.
L: Erklärt Ihr den
zwölften Artikel?
S: Ich glaube, dass
es für die guten Christen ein ewiges
Leben voll Glück jeder Art und frei von
jeglichem Übel gibt. Ebenso gibt es
umgekehrt für die Ungläubigen und für
die bösen Christen den ewigen Tod voll
von Elend jeder Art und ohne irgendein
Gut.
L: Was bedeutet „Amen"?
S: Es bedeutet: So ist es
wirklich.
Erklärung des Vater Unser und des
„Gegrüßet seist du, Maria"
L: Wir haben schon von
dem gesprochen, was man glauben muss.
Nun wollen wir schauen, ob Ihr das
wisst, was man hoffen muss und von wem
man es erhoffen muss. Könnt Ihr das
Vater Unser?
S: Ich kann es sehr gut,
denn es ist das erste, was ich gelernt
habe. Ich spreche es jeden Morgen und
jeden Abend zusammen mit dem „Gegrüßet
seist du, Maria" und dem
Glaubensbekenntnis.
L: Dann sagt jetzt das
Vater Unser auf!
S: Vater unser im Himmel.
1. Geheiligt werde
dein Name.
2. Dein Reich
komme.
3. Dein Wille
geschehe wie im Himmel, so auf Erden.
4. Unser tägliches
Brot gib uns heute.
5. Und vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unseren Schuldigern.
6. Und führe uns
nicht in Versuchung.
7. Sondern erlöse
uns von dem Bösen. Amen.
L: Wer hat dieses Gebet
verfasst?
S: Unser Herr Jesus
Christus. Deshalb ist es das
vorzüglichste von allen.
L: Was enthält dieses
Gebet insgesamt?
S: Alles, was man von
Gott erbitten und erhoffen kann. Deshalb
sind es sieben Bitten. In den ersten
vier bittet man darum, dass er uns etwas
Gutes gibt, in den weiteren drei, dass
er uns vom Bösen befreit. Beim Guten
bittet man zuerst um die Ehre Gottes,
dann um unser höchstes Gut, drittens um
den Erwerb der Gnade und viertens um das
Mittel, diese Gnade zu erhalten und zu
bewahren. Beim Bösen bittet man, dass er
uns vom Bösen befreit, zuerst von dem in
der Vergangenheit, dann von dem in der
Zukunft und schließlich von dem in der
Gegenwart und auf diese Weise von jedem
Bösen.
L: Erklärt die Worte vor
der ersten Bitte: „Vater unser im
Himmel"!
S: Das ist ein kurzes
Vorwort, das den Mut erklärt, einen so
großen Herrn anzusprechen, und die
Hoffnung, von ihm erhört zu werden.
Darin wird gesagt, dass Gott durch die
Schöpfung und durch die Annahme als
seine Kinder unser Vater ist. Deshalb
nehmen wir als seine Kinder unsere
Zuflucht bei ihm. Dann fügt man hinzu
„im Himmel", um darin den Herrn der Welt
anzusprechen. Daraus wissen wir, dass er
uns erhören kann, wenn er will, so wie
wir hoffen, dass er es will, weil er
Vater ist.
L: Erklärt die zweite
Bitte!
S: In der zweiten
Bitte erbitten wir, dass sein Reich, das
er uns versprochen hat, bald kommt. Wenn
also einmal unsere Kämpfe mit dem
Teufel, mit der Welt und mit dem Fleisch
beendet sein werden, werden wir zur
ewigen Seligkeit gelangen, wo wir ohne
jedes Hindernis mit Gott herrschen
werden.
L: Erklärt die dritte
Bitte!
S: In der dritten Bitte
erbitten wir die Ehre Gottes, womit wir
seinen heiligen Geboten in vollkommener
Weise gehorchen, so wie die Engel im
Himmel ihm allezeit gehorchen. Denn die
Leiter zum Aufstieg in das Himmelreich
ist der Gehorsam gegenüber den Geboten.
L: Erklärt die vierte
Bitte!
S: In der vierten Bitte
erbitten wir das tägliche Brot. Es ist
das geistliche Brot, nämlich das Wort
Gottes und die Sakramente, und ebenso
das leibliche Brot, nämlich Nahrung und
Kleidung. Denn das Wort Gottes, das die
Prediger verkündigen und das wir selbst
in den geistlichen Büchern lesen, und
die heiligen Sakramente, ganz besonders
Beichte und Kommunion, sind von sich aus
äußerst wirksame Mittel, um die Gnade
Gottes zu erwerben und zu behalten (das
heißt, wenn von uns aus nichts dazu
fehlt). Von dieser Gnade haben wir in
der vorherigen Bitte ja bereits
gesprochen. Nahrung und Kleidung sind
für uns nötig, um uns dieses Leben im
Dienst Gottes zu erhalten.
L: Erklärt die fünfte
Bitte!
S: In der fünften
Bitte erbitten wir, dass Gott uns vom
früheren Bösen, also den schon
begangenen Sünden, befreit. Dazu soll er
die Schuld und die Strafe für diese
Sünden vergeben. Dabei folgt aber noch
der Satz: „Wie auch wir vergeben unseren
Schuldigern", das heißt wie wir unseren
Feinden ihr Unrecht an uns vergeben. Es
ist nämlich ein Widerspruch, wenn Gott
uns die Sünden vergibt, die doch ganz
schweres Unrecht gegen ihn darstellen,
wir aber die an uns geschehenen Fehler
nicht vergeben wollen, die doch ein
Unrecht von geringem Gewicht darstellen.
L: Erklärt die sechste
Bitte!
S: In der sechsten
Bitte erbitten wir, dass Gott uns von
den Versuchungen befreit, also den
künftigen Übeln. Dazu soll er entweder
nicht zulassen, dass wir versucht
werden, oder uns die Gnade geben, von
ihnen nicht besiegt zu werden.
L: Erklärt die siebte
Bitte!
S: In der siebten Bitte
erbitten wir, vom gegenwärtigen Bösen
befreit zu werden, von jedem Kummer und
Elend und auch von jedem leeren
Wohlstand und irdischer Größe, wenn er
sieht, dass sie dem Seelenheil schaden.
L: Sagt das „Gegrüßet
seist du, Maria" auf!
S: Gegrüßet seist
du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist
mit dir. Du bist gebenedeit unter den
Frauen, und gebenedeit ist die Frucht
deines Leibes, Jesus. Heilige Maria,
Mutter Gottes, bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde
unseres Todes. Amen.
L: Vom wem stammen diese
Worte?
S: Zum Teil vom Erzengel
Gabriel, zum Teil von der heiligen
Elisabeth und zum Teil von der Kirche.
L: Wozu sprecht Ihr das
„Gegrüßet seist du, Maria" nach dem
Vater Unser?
S: Damit es auf die
Fürbitte der allerseligsten Jungfrau
das, was ich von Gott erbitte, leichter
erreicht. Denn sie ist die Fürsprecherin
der Sünder und voll Barmherzigkeit.
Gleichzeitig hat sie ihren Platz im
Himmel über allen Chören der Engel und
ist Gott ganz und gar wohlgefällig.
L: Wendet Ihr euch auch
an die anderen Heiligen um Hilfe?
S: Ich wende mich
an alle Heiligen, besonders an meinen
Namenspatron und an meinen Schutzengel.
Die Gebote
Gottes
L: Jetzt kommen wir zu
dem, was man tun muss, um Gott und den
Nächsten zu lieben. Sagt die zehn Gebote
auf!
S:
1. Ich bin der Herr, dein
Gott. Du sollst mir keinen anderen Gott
vorziehen.
2. Du sollst den
Namen Gottes nicht ohne Grund nennen.
3. Denke daran, die
Feste zu heiligen.
4. Ehre den Vater
und die Mutter.
5. Nicht töten.
6. Keinen Ehebruch
begehen.
7. Nicht stehlen.
8. Kein falsches
Zeugnis gegen deinen Nächsten geben.
9. Die Frau eines
anderen nicht begehren.
10. Das Eigentum eines
anderen nicht begehren.
L: Wer hat diese Gebote
gegeben?
S: Gott selbst im Gesetz
des Alten Testamentes, und später hat
Christus, unser Herr, sie im Neuen
Testament bestätigt.
L: Was enthalten diese
Gebote insgesamt?
S: Alles, was man
tun muss, um Gott und den Nächsten zu
lieben. Denn die ersten drei Gebote
lehren, wie wir uns gegenüber Gott im
Herzen, mit dem Mund und mit den Werken
verhalten sollen. Die anderen sieben
Gebote leiten uns an, dem Nächsten Gutes
zu tun, ihm nicht als Person, in seiner
Ehre oder in seinem Besitz zu schaden,
und zwar weder in Taten noch in Worten
oder in Gedanken. So besteht das Ziel
aller Gebote im Gebot der Liebe, das
gebietet, Gott über alles zu lieben und
den Nächsten wie uns selbst.
L: Erklärt das erste
Gebot!
S: Am Anfang weist
uns Gott darauf hin, dass er unser
wahrer und höchster Herr ist. Deshalb
ist es unsere Pflicht, ihm ganz
sorgfältig zu gehorchen. Er gebietet
ausdrücklich, dass wir niemand anderes
als Gott ansehen dürfen.
Darin besteht die Sünde
der Heiden, die die Geschöpfe anstelle
des Schöpfers verehren, und auch der
Zauberer und Hexer, die den Teufel für
ihren Gott halten.
L: Erklärt das zweite
Gebot!
S: Das zweite Gebot
verbietet die Flüche, was sehr große
Sünden sind, die falschen oder nicht
notwendigen Eide, die mangelnde
Erfüllung eines Gelübdes und jede andere
Art von Verunehrung, die man Gott in
Worten zufügen kann.
L: Erklärt das dritte
Gebot!
S: Das dritte Gebot
gebietet die Einhaltung der Festtage.
Sie besteht in der Enthaltung von
knechtischen Arbeiten, um Zeit für die
Betrachtung der göttlichen Wohltaten zu
haben, Kirchen zu besuchen, zu beten,
geistliche Bücher zu lesen, am
Gottesdienst und an Gebeten teilzunehmen
und andere geistliche und heilige Werke
dieser Art zu verrichten.
L: Erklärt das vierte
Gebot!
S: Das vierte Gebot
befiehlt, dass man Vater und Mutter
nicht nur mit ehrenden Worten Achtung
erweist und die Mütze vor ihnen zieht,
sondern ihnen auch in ihren Bedürfnissen
Hilfe und Unterstützung gewährt. Was
hier von Vater und Mutter gesagt wurde,
daran muss man sich auch gegenüber den
anderen Nächsten halten, auch wenn hier
nicht die gleiche Pflicht besteht wie
beim Vater und bei der Mutter, die uns
das Dasein geschenkt haben und uns mit
viel Mühe aufgezogen haben.
L: Erklärt das fünfte
Gebot!
S: Im fünften Gebot
ist uns geboten, niemanden unrecht
umzubringen oder ihm persönlich ein
anderes Übel zuzufügen. Unrecht heißt es
hier, weil die Richter, die die
Übeltäter zum Tod verurteilen, und die
Diener der Gerechtigkeit, die sie
hinrichten, ebenso wie die Soldaten in
einem gerechten Krieg nicht sündigen,
wenn sie verwunden oder töten.
L: Erklärt
das sechste Gebot!
S: Das sechste Gebot
gebietet, dass man keinen Ehebruch
begeht, das heißt Sünden mit der Frau
eines anderen. Es heißt auch, dass man
keine Unzucht oder eine andere
Fleischessünde begeht.
L: Erklärt das siebte
Gebot!
S: Das siebte Gebot
gebietet, dass niemand das Eigentum
eines anderen stiehlt, weder insgeheim
(das ist ein Diebstahl) noch offen (das
ist Raub).
Auch darf er nicht beim
Verkauf und Kauf Betrug anwenden und
dementsprechende Verträge schließen.
Schließlich darf er den Nächsten nicht
an seinen Sachen schädigen.
L: Erklärt das achte
Gebot!
S: Im achten Gebot wird
das falsche Zeugnis verboten, das
Murren, Herabsetzen, Schmeicheln, Lügen
Anwenden und andere Arten der
Schädigung, die man dem Nächsten mit der
Zunge zufügt.
L: Erklärt die beiden
letzten Gebote!
S: Gott gebietet in den
zwei letzten Geboten, dass niemand die
Frau und das Eigentum eines anderes
begehrt. Denn er, der in die Herzen
schaut, will uns heilig und rein, nicht
nur äußerlich, sondern auch innerlich,
so dass wir ganz gerecht sind.
Die Kirchengebote und die Räte
L: Nehmt nun zu den
Geboten Gottes die wenigen hinzu, die
ihnen die heilige Kirche angehängt hat!
S: Es gibt sechs
Kirchengebote:
1. Die Messe an
allen Sonntagen und an den anderen
gebotenen Festtagen zu besuchen.
2. In der
Fastenzeit, an den gebotenen Vigiltagen
und den Quatembertagen zu fasten und an
Freitagen und Samstagen kein Fleisch zu
essen.
3. Mindestens
einmal im Jahr zu beichten.
4. An Ostern die
Kommunion zu empfangen.
5. Den Zehnt zu
bezahlen.
6. Nicht in den
geschlossenen Zeiten Hochzeit zu feiern,
das heißt vom ersten Adventssonntag bis
Dreikönig und vom Aschermittwoch bis zum
Weißen Sonntag.
L: Zu diesen Geboten sind
wir alle verpflichtet. Gibt es darüber
hinaus auch noch einige Räte zur
Vollkommenheit?
S: Es gibt drei Räte, die
unser Herr Jesus Christus denen gegeben
hat, die zur Vollkommenheit gelangen
wollen.
L: Was sind diese Räte?
S: Freiwillige Armut,
lebenslange Keuschheit und Gehorsam in
allem, was keine Sünde ist.
Die Sakramente
L: Wir haben schon all
das behandelt, was man glauben, hoffen
und tun muss. Nun bleibt uns noch, dass
wir die heiligen Sakramente behandeln,
durch die man die Gnade Gottes erlangt.
So sagt, wieviele Sakramente gibt es?
S: Es gibt sieben.
1.Taufe. 2. Firmung. 3. Eucharistie. 4.
Buße. 5. Heilige Ölung. 6. Weihe. 7.
Ehe.
L: Wer hat sie
eingesetzt?
S: Jesus Christus, unser
Herr.
L: Welche Wirkung hat die
Taufe?
S: Sie macht einen
Menschen zu einem Kind Gottes und zum
Erben des Paradieses,
sie tilgt alle Sünden und
erfüllt die Seele mit Gnade und mit
geistlichen Gaben.
L: Welche Wirkung hat die
Firmung?
S: Sie stärkt den
Menschen, damit er keine Furcht hat, den
Glauben an Christus, unseren Herrn, zu
bekennen. So macht sie uns zu wahren
Soldaten des Erlösers.
L: Welche Wirkung hat die
Eucharistie?
S: Sie nährt die Liebe,
das Leben der Seele, und lässt sie Tag
für Tag mehr wachsen. Auch wenn sie
unter der Gestalt von Brot gereicht
wird, ist sie in Wirklichkeit kein Brot,
sondern der wahre Leib des Herrn. Ebenso
ist das im Kelch kein Wein, auch wenn es
Wein zu sein scheint, sondern unter der
Gestalt von Wein ist es das wahre Blut
Christi, unseres Herrn, selbst.
L: Welche Wirkung hat die
Beichte?
S: Sie vergibt die
Sünden, die man nach der Taufe begangen
hat, und lässt den zur Freundschaft
Gottes zurückkehren, der durch die Sünde
sein Feind geworden ist.
L: Was muss man tun, um
dieses Sakrament zu empfangen?
S: Zuerst muss man über
seine Sünden Reue zeigen und sich
vornehmen, sie nie mehr zu begehen. Dann
muss man alle Sünden dem Priester
beichten, der von den Oberen dafür
zugelassen ist. Schließlich muss man die
Buße verrichten, die der Priester
jemanden auferlegen wird.
L: Welche Wirkung hat die
heilige Ölung?
S: Sie tilgt die
Überbleibsel der Sünden, sie gibt der
Seele Freude und Stärke, um in dieser
letzten Stunde mit dem Teufel zu
kämpfen, und sie hilft, die Gesundheit
des Leibes wiederzuerlangen, wenn sie
dem Heil der Seele von Nutzen ist.
L: Welche Wirkung hat das
Sakrament der Weihe?
S: Es gibt den Priestern
Vollmacht und Gnade und den übrigen
Dienern der Kirche die Fähigkeit, ihre
Aufgaben gut zu erfüllen.
L: Welche Wirkung hat das
Sakrament der Ehe?
S: Es gibt denen, die
sich in erlaubter Weise miteinander zum
gemeinsamen Leben in der Ehe verbinden,
Kraft und Gnade. Weiterhin gibt sie
ihnen Frieden und Liebe, damit sie
Kinder in heiliger Gottesfurcht zeugen
und aufziehen. So sollen sie daraus
Freude in diesem und im jenseitigen
Leben erhalten.
Die göttlichen Tugenden und die
Kardinaltugenden
L: Wir haben eben die
vier Hauptteile der Lehre abgeschlossen,
das Glaubensbekenntnis, das Gebet des
Herrn, die Gebote und die Sakramente.
Jetzt möchte ich, dass wir von den
Tugenden und Lastern und von einiger
anderen Gegenständen sprechen, die viel
dazu beitragen, entsprechendem Willen
Gottes zu leben. So sagt, wieviele
Haupttugenden gibt es?
S: Sieben. Drei göttliche
Tugenden und vier Kardinaltugenden.
L: Was sind die
göttlichen Tugenden?
S: Glaube, Hoffnung und
Liebe.
L: Warum heißen sie
göttlich?
S: Weil das Wort
„göttlich" etwas meint, das sich auf
Gott bezieht oder ihn gehört.
L: Wie gehört dann der
Glaube zu Gott?
S: Weil er bewirkt, dass
wir alles glauben, was Gott der heiligen
Kirche geoffenbart hat.
L: Warum gehört die
Hoffnung zu Gott?
S: Weil sie bewirkt, dass
wir unser Vertrauen auf Gott setzen und
von ihm das ewige Leben erhoffen. Dies
geschieht durch die Gnade Gottes und
durch unsere Verdienste, die aber auch
aus seiner Gnade entspringen.
L: Warum gehört die Liebe
zu Gott?
S: Weil sie bewirkt, dass
wir Gott über alles und den Nächsten aus
Liebe zu Gott wie uns selbst lieben.
L: Was sind die
Kardinaltugenden?
S: Klugheit,
Gerechtigkeit, Mäßigkeit und Tapferkeit.
L: Warum heißen sie
Kardinaltugenden?
S: Weil sie die
hauptsächlichen Tugenden sind und wie
Quellen für gute Werke.
L: Erklärt ihr die
Aufgabe dieser Tugenden?
S: Die Klugheit macht uns
bei allem bedächtig und behutsam, damit
wir nicht betrogen werden und niemanden
anderes betrügen. Die Gerechtigkeit
macht, dass wir anderen das Ihre geben.
Die Mäßigkeit macht, dass wir Unordnung
zügeln. Die Tapferkeit macht, dass wir
für den Dienst Gottes keine Gefahr
fürchten, noch nicht einmal den Tod.
Die Gaben des Heiligen Geistes
L: Wieviele Gaben des
Heiligen Geistes gibt es?
S: Sieben: 1.
Weisheit. 2. Erkenntnis. 3. Rat. 4.
Stärke. 5. Wissenschaft. 6. Frömmigkeit.
7. Gottesfurcht.
L: Wozu dienen diese
Gaben?
S: Sie dienen der
Unterstützung der Tugenden und um uns
auf dem Weg Gottes vollkommen zu machen.
Denn durch die Furcht halten wir uns von
den Sünden fern. Durch die Frömmigkeit
sind wir andächtig und Gott gehorsam.
Durch die Wissenschaft werden wir
gelehrt, den Willen Gottes zu kennen.
Durch die Stärke erhalten wir die Hilfe,
ihn auch auszuführen. Durch den Rat
werden wir auf die Betrügereien des
Teufels aufmerksam. Durch die Erkenntnis
werden wir dazu erhoben, die
Glaubensgeheimnisse zu ergründen. Durch
die Weisheit werden wir vollkommen,
indem wir unser ganzes Leben und unsere
Taten auf die Ehre Gottes ausrichten.
Denn der Weise kennt stets das letzte
Ziel und richtet alles darauf aus.
Die Werke der Barmherzigkeit
L: Wieviele Werke der
Barmherzigkeit gibt es, über die von uns
am Tag des Gerichtes im einzelnen
Rechenschaft verlangt wird?
S: Es gibt vierzehn,
sieben leibliche und sieben geistliche
Werke.
L: Sagt Ihr die
leiblichen auf?
S:
1. Die Hungrigen speisen.
2. Die Dürstenden
tränken.
3. Die Nackten
bekleiden.
4. Die Pilger
beherbergen.
5. Die Kranken
besuchen.
6. Die Gefangenen
besuchen.
7. Die Toten
begraben.
L: Sagt jetzt die
geistlichen Werke auf!
S:
1. Den Zweifelnden raten.
2. Die Unwissenden
lehren.
3. Die Sünder
ermahnen.
4. Die Traurigen
trösten.
5. Die
Beleidigungen vergeben.
6. Die lästigen
Leute geduldig ertragen.
7. Für die Lebenden
und die Toten beten.
Die
Sünden
L: Jetzt kommen wir zu
den Sünden. Welche Arten von Sünden gibt
es?
S: Zwei, die Erbsünde und
die Tatsünde. Die Tatsünde unterteilt
sich in Todsünde und lässliche Sünde.
L: Was ist die Erbsünde?
S: Sie ist das, womit wir
alle geboren werden und was wir von
unserem Stammvater Adam als Erbe haben.
L: Wie wird sie bei uns
ausgelöscht?
S: Mit der heiligen
Taufe.
Wer deshalb ohne Taufe
stirbt, kommt in den Limbus und ist in
Ewigkeit der Herrlichkeit des Paradieses
beraubt.
L: Was ist die Todsünde?
S: Sie ist das, was man
gegen die Liebe zu Gott und zum Nächsten
begeht. Sie heißt Todsünde, weil sie der
Seele ihr geistliches Leben wegnimmt,
das heißt die Gnade Gottes.
L: Wie wird sie uns
vergeben?
S: Mit der heiligen
Taufe, wenn jemand in einem Alter, in
dem er schon Tatsünden begangen hat,
getauft wird, oder mit dem Bußsakrament,
wie es schon gesagt wurde. Wer aber in
der Todsünde stirbt, kommt in die Qualen
der Hölle.
L: Was ist die lässliche
Sünde?
S: Sie ist das, was
sich nicht gegen die Liebe richtet, die
Seele nicht der Gnade beraubt und sie
nicht in die Qualen der Hölle kommen
lässt. Dennoch missfällt sie Gott, weil
sie nicht seinem Willen entspricht und
die Glut der Liebe verringert. Aus
diesem Grund muss man sich von ihr in
dieser Welt oder im Fegfeuer, also im
anderen Leben, reinigen.
L: Wieviele Hauptsünden
gibt es, die wie Quellen für alle Sünden
sind?
S: Es gibt sieben,
und ihr Gegenteil ist jeweils eine
entsprechende Tugend.
1. Stolz, das
Gegenteil der Demut.
2. Habgier gegen
Großmut.
3. Unkeuschheit
gegen Keuschheit.
4. Zorn gegen
Geduld.
5. Völlerei gegen
Enthaltsamkeit.
6. Neid gegen
Bruderliebe.
7. Trägheit gegen
Eifer.
L: Wieviele Sünden gegen
den Heiligen Geist gibt es?
S: Sechs.
1. Verzweiflung am
Heil.
2. Anmaßung, ohne
Verdienste gerettet zu werden.
3. Bekämpfung der
einmal erkannten Wahrheit.
4. Neid auf die
Gnaden anderer.
5. Verstockung in
den Sünden.
6. Unbußfertigkeit
bis zuletzt.
L: Wieviele
himmelschreiende Sünden gibt es, die vor
dem Angesicht Gottes nach Rache
schreien?
S: Vier.
1. Vorsätzliche
Tötung.
2. Widernatürliche
fleischliche Sünde.
3. Unterdrückung
der Armen.
4. Den Arbeitern
den Lohn vorzuenthalten.
Die vier letzten Dinge und der
Rosenkranz
L: Wieviele letzten Dinge
des Menschen gibt es, die die Schrift
die jüngsten nennt und die uns von den
Sünden abhalten, wenn man sie recht
bedenkt?
S: Vier. 1. Der Tod. 2.
Das Gericht. 3. Die Hölle. 4. Das
Paradies.
L: Welche Übung habt ihr,
die die Andacht erhält?
S: Ich bete den
Rosenkranz zur Muttergottes und
betrachte dabei die 15 Geheimnisse
dieses Rosenkranzes, in denen das Leben
unseres Herrn Jesus Christus enthalten
ist.
L: Was sind die fünfzehn
Geheimnisse des Rosenkranzes?
S: Zuerst die fünf
freudenreichen:
1. Die Verkündigung
durch den Engel.
2. Der Besuch bei
Elisabeth.
3. Die Geburt des
Herrn.
4. Die Darstellung
im Tempel.
5. Das Gespräch des
jungen Jesus mit den Gelehrten.
Fünf weitere sind die
schmerzhaften Geheimnisse:
1. Das Gebet im
Garten.
2. Die Geißelung an
der Säule.
3. Die
Dornenkrönung.
4. Das Tragen des
Kreuzes.
5. Die Kreuzigung
und der Tod des Heilands.
Die fünf letzten sind die
glorreichen:
1. Die Auferstehung
des Herrn.
2. Seine
Himmelfahrt.
3. Das Kommen des
Heiligen Geistes.
4. Die Aufnahme
Mariens in den Himmel.
5. Ihre Krönung und
Erhebung über alle Chöre der Engel.
Tugendakte
Man soll sie aus ganzem
Herzen sprechen. Sie sind für das Heil
notwendig.
Akt des
Glaubens
Ich glaube fest, weil der
unfehlbare Gott die Wahrheit so der hl.
Kirche und durch sie auch uns
geoffenbart hat: Es gibt einen einzigen
Gott in drei einander gleichen und
voneinander verschiedenen Personen. Sie
heißen Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Der Sohn wurde Mensch und hat dafür im
Schoß der allerreinsten Jungfrau Maria
Fleisch und eine menschliche Seele
angenommen durch das Wirken des Heiligen
Geistes. Er starb für uns am Kreuz,
erstand vom Grab, fuhr zum Himmel auf,
von wo er kommen wird am Ende der Welt,
zu richten alle Lebenden und Toten, um
den Guten für immer das Paradies, den
Bösen aber die Hölle zu geben. Aus
demselben Grund glaube ich außerdem
alles, was dieselbe katholische,
apostolische und römische Kirche glaubt.
Akt der
Hoffnung
Mein Gott, weil Ihr
vollkommen treu, allmächtig und
unendlich gut und barmherzig seid, hoffe
ich, dass Ihr mir kraft des Leidens und
Todes Jesu Christi, unseres Heilandes,
das ewige Leben geben werdet, das Ihr
jedem verheißen habt, der die Werke
eines guten Christen vollbringt. Das
nehme auch ich mir vor, es mit Ihrem
heiligen Beistand zu tun.
Akt der Liebe
Mein Gott, weil Ihr das
höchste und vollkommenste Gut seid,
liebe ich Euch von ganzem Herzen und
über alles. Bevor ich Euch beleidige,
bin ich bereit, alles zu verlieren. Aus
Liebe zu Euch will ich meinen Nächsten
lieben wie mich selbst.
Akt der Reue
Mein Gott, ich bereue
meine Sünden. Sie tun mir von ganzem
Herzen leid, nicht nur wegen der Hölle,
die ich verdient habe, und wegen des
Paradieses, das ich verloren habe,
sondern ich bereue sie noch viel mehr,
weil ich im Sündigen einen unendlich
guten Gott verachtet habe. Lieber wäre
ich zuvor gestorben, als Euch beleidigt
zu haben. In Zukunft will ich lieber
eher sterben, als Euch noch einmal zu
beleidigen, und will auch jede nächste
Gelegenheit zur Sünde meiden.
Unterricht
Für den, der gefirmt werden soll, und
was er dafür wissen soll
1. Das Vater
Unser, das „Gegrüßtet seist du, Maria"
und das Glaubensbekenntnis.
2. Die zehn
Gebote des Herrn und die fünf Gebote der
heiligen Kirche.
3. Die
Hauptsünden, die man meiden muss.
4. Die Sakramente der
heiligen Kirche.
5. Wieviele
Personen der allerheiligsten
Dreifaltigkeit es gibt und wer sie sind.
6. Wer die
Person ist, die für uns Fleisch
angenommen und uns mit ihrem Tod erlöst
hat. Darüber hinaus muss man wissen, was
die Firmung ist, die man empfangen soll,
welche Wirkung sie in der Seele des
Firmlings hervorruft und um welche
Disposition man sich für ihren Empfang
bemühen muss.
L: Auf welche Weise wird
das Sakrament der Firmung gespendet?
S: Der Bischof legt die
Hände auf den Kopf dessen, der gefirmt
wird. Dann salbt er die Stirn mit dem
heiligen Chrisam.
L: Ich möchte
wissen, was das Chrisam ist.
S: Das Chrisam enthält
eine Mischung aus Öl und Balsam und ist
mit einer feierlichen Weihe des Bischofs
bereitet worden.
L: Was bedeutet das Öl?
S: Es bedeutet den Glanz
eines guten Gewissens.
L: Und was bedeutet das
Balsam?
S: Es bedeutet den
Wohlgeruch eines guten Lebens.
L: Würdest du mir bitte
erklären, welche Wirkung dieses
Sakrament für die Seele hat?
S: Es vermehrt die Gnade
und stärkt den Menschen, damit er
unbeugsam den Glauben an Christus
bekennt. Denn es heißt ursprünglich auch
Konfirmation, also Stärkung.
L: Ich möchte wissen, ob
die Firmung auch eine andere Wirkung
besitzt.
S: Sie prägt einen
Charakter ein, das heißt ein
unauslöschliches Zeichen in der Seele.
Deshalb kann man sie jemandem auch nur
einmal erteilen.
L: Warum werden bei
diesem Sakrament wie bei der Taufe Paten
benötigt?
S: Wie ein Soldat nicht
ohne einen Hauptmann auf das
Schlachtfeld geht, so benötigt der
gefirmte Christ, der doch ein wahrer
Soldat Jesu Christi ist, einen Führer im
geistlichen Kampf, und dies ist der
Pate.
L: Warum wird die Stirn
in Form eines Kreuzes gesalbt?
S: Damit der Gefirmte
sich nicht schämt, den Namen Christi zu
bekennen, und damit er den
Einflüsterungen des teuflischen Feindes
widerstehen kann.
L: Warum gibt der Bischof
dem Firmling einen Backenstreich?
S: Damit der Gefirmte
sich daran erinnert, dieses Sakrament
empfangen zu haben, das man kein zweites
Mal empfangen kann. Genauer gesagt,
damit er sich daran erinnert, ein
tapferer Soldat Christi zu sein, dazu
bereit, für den heiligen Glauben jede
Art von Unrecht zu erdulden.
L: Ich möchte gerne
wissen, was der Friedensgruß bedeutet,
der am Ende ausgetauscht wird.
S: Der Friedensgruß
bedeutet die Fülle der himmlischen
Gnade.
L: Legt mir dar, welche
Disposition in der Seele eines Firmlings
gefordert ist!
S: Es ist erforderlich,
sich im Gnadenstand zu befinden, denn
dieses Sakrament verleiht Wachstum in
der Gnade. Deshalb müsste ein Firmling
vorher beichten, wenn er sich im Zustand
der Todsünde befinden sollte.
L: Welche Disposition ist
im Blick auf den Leib erforderlich?
S: Es ist überaus
angemessen, dass der Firmling nüchtern
ist, in einfacher Kleidung, mit
gewaschenem Gesicht und mit Haaren, die
die Stirn freilassen.
Unterricht über die Sakramente
Die Beichte
L: Wie reinigt man die
Seele von der Todsünde?
S: Mit einer guten
Beichte.
L: Worum muss man sich
für eine gute Beichte bemühen?
S: Um fünf Dinge.
1. Man muss sein
Gewissen gut erforschen.
2. Reue darüber
haben, dass man Gott beleidigt hat.
3. Einen festen
Vorsatz fassen, ihn von jetzt an nie
mehr zu beleidigen und die Gelegenheit,
ihn zu beleidigen, zu vermeiden.
4. All seine Sünden
dem Beichtvater bekennen und erklären.
5. Gott mit der
auferlegten Buße Genugtuung leisten und,
wenn es nötig ist, auch dem Nächsten mit
der Wiedergutmachung.
L: Was muss man tun,
um sein Gewissen gut zu erforschen?
S: Zweierlei.
Erstens Gott um
Erleuchtung bitten, seine Sünden zu
erkennen. Zweitens sich für eine genaue
Nachforschung über die Sünden, die man
in Gedanken, Worten, Werken und
Unterlassungen begangen hat, etwas Zeit
nehmen.
L: Muss man dem
Beichtvater unbedingt genau die Zahl
sagen, wie oft man gesündigt hat?
S: Bei den Todsünden ist
es unbedingt nötig, genau die Zahl
sagen, wie oft man gesündigt hat. Wenn
man diese Zahl aber nicht mehr genau
kennt, muss man die Zahl sagen, die man
dafür am wahrscheinlichsten hält.
L: Aber ist es dann nicht
besser, in der Beichte eine größere Zahl
dafür, was man falsch gemacht hat, zu
nennen?
S: Es ist überhaupt nicht
besser. Denn dann würde man ja dem
Beichtvater in einer schwerwiegenden
Sache eine Lüge sagen.
L: Wie soll derjenige
aber die Zahl der Sünden nennen, der
sich noch nicht einmal in etwa erinnern
kann, wie oft er gefallen ist?
S: In diesem Fall muss er
sagen, für einen wie langen Zeitraum er
gesündigt hat und wie oft er dabei
normalerweise jede Woche oder jeden
Monat gesündigt hat.
L: Welcher
verschiedenen Art kann die Reue sein,
die man bei der Beichte haben muss?
S: Zweierlei Art,
nämlich die unvollkommene und die
vollkommene Reue.
L: Was ist die
unvollkommene Reue?
S: Die unvollkommene Reue
ist die Reue, mit der man die Sünde
insgesamt verabscheut. Das geschieht
entweder aus Furcht vor der Hölle oder
für den Verlust des Paradieses oder für
die Hässlichkeit der Sünde selbst. Sie
nennt sich Furchtreue.
L: Wie macht man einen
Akt der Furchtreue?
S: Mein Gott, ich habe
mit meinen Sünden die Hölle verdient und
das Paradies verloren. Deshalb bereue
ich, und es schmerzt mich von ganzem
Herzen, dich beleidigt zu haben. Mit
deiner allerheiligsten Gnade nehme ich
mir fest vor, dich nie mehr zu
beleidigen.
L: Was ist die
vollkommene Reue?
S: Die vollkommene
Reue ist die Reue, mit der man die Sünde
mehr als alles Übel aus Liebe zu Gott,
dem höchsten Gut, verabscheut. Sie nennt
sich Liebesreue.
L: Wie können wir eine
solche Reue erwerben?
S: Zunächst dadurch, dass
wir sie vom Herrn erbitten, denn sie ist
seine Gabe. Dann dadurch, dass wir
aufmerksam daran denken, dass die
Todsünde eine höchste Beleidigung für
Gott darstellt. Dabei verdient er es
doch für seine unendliche
Vollkommenheit, über alles geliebt zu
werden und dass alle Geschöpfe ihm mit
all ihren Kräften dienen.
L: Wie macht man also
einen Akt der Liebesreue?
S: Man spricht mit
aufrichtigem Herzen zum Herrn: Mein
Gott, du bist die unendliche Güte und
würdig, über alles geliebt zu werden.
Darum liebe ich dich aus ganzem Herzen
und über alles. Deshalb bereue ich und
es schmerzt mich von ganzem Herzen, dich
beleidigt zu haben. Mit deiner
allerheiligsten Gnade nehme ich mir fest
vor, dich nie mehr zu beleidigen.
L: Welchen größeren Wert
hat diese vollkommene Reue im Vergleich
zur unvollkommenen Reue?
S: Wer einen Akt der
vollkommenen Reue macht, dem ist die
Sünde sofort vergeben, auch wenn er noch
verpflichtet ist, sie zu gegebener Zeit
zu beichten. Wer dagegen einen Akt der
unvollkommenen Reue macht, dem ist sie
noch nicht vergeben, bis er die
Lossprechung vom Priester erhält.
L: Wenn sich jemand ohne
Beichte in Todesgefahr befindet, wie
kann er sich dann von der Sünde
befreien?
S: Er könnte sich mit
einem Akt vollkommener Reue befreien.
Man muss sich jedoch daran gewöhnen, ihn
häufig zu sprechen, um ihn im Notfall
auch sofort zu können.
L: Wenn jemand ohne Reue
und ohne Vorsatz beichten würde,
erhielte er dann die Vergebung seiner
Sünden?
S: Er würde sie
nicht erhalten, und wenn er in diesem
Zustand ohne Reue sterben würde, würde
er wie gesagt für immer verloren gehen.
L: Wenn jemand in
einer Beichte eine Todsünde ausgelassen
hätte, wäre die Beichte dann gültig?
S: Wenn er sie auslässt,
weil er sich nicht daran erinnert hat,
ist die Beichte gültig. Wenn er sich
aber wieder daran erinnert, muss er sie
auch beichten. Wenn er sie aber aus
Schlechtigkeit oder aus Scham oder wegen
einer ungenügenden Gewissenserforschung
auslässt, ist die Beichte ungültig, und
er beginge ein Sakrileg. Die Sünden
wären ihm nicht vergeben.
L: Was muss jemand
demnach tun, der in dieser Art und Weise
schlecht gebeichtet hat?
S: Drei Dinge muss er
tun.
Erstens muss er die Sünde
bekennen, die er nicht gebeichtet hat,
und dabei ausdrücklich sagen, dass er
sie absichtlich ausgelassen hat, nämlich
aus Schlechtigkeit, aus Scham oder wegen
einer ungenügenden Gewissenserforschung.
Zweitens muss er noch
einmal alle Sünden, die er bei dieser
Beichte bekannt hat, von neuem sagen.
Drittens muss er sagen,
wie oft er gebeichtet oder die Kommunion
empfangen hat, seitdem er diese Sünde
bei der Beichte ausgelassen hat.
L: Erläutere uns jetzt,
wie man das Bekenntnis unserer Sünden
vor dem Beichtvater machen soll!
S: Es soll folgendermaßen
vor sich gehen.
Erstens vollständig mit
allen Sünden: Dabei sagt man die Zahl,
die Art und die Umstände, die die Art
verändern.
Zweitens demütig, ohne
sich zu entschuldigen, sondern indem man
sich anklagt und bereitwillig den Tadel
des Beichtvaters entgegennimmt.
Drittens aufrichtig,
indem man auf die Fragen des
Beichtvaters die Wahrheit sagt.
Außerdem rasch, indem man
nichts Überflüssiges sagt, die Sünden
anderer aufzählt oder diejenigen nennt,
die bei der Sünde mitgewirkt haben.
L: Wann soll man die
Buße, die der Beichtvater einem
auferlegt hat, verrichten?
S: Sobald wie möglich.
Man soll sie auch fromm, demütig und in
der Weise, wie sie der Beichtvater
auferlegt hat, verrichten.
L: Kann der Priester
jemals die Sünden, die er in der Beichte
vernommen hat, einem anderen preisgeben?
S: Er kann sie in keinem
Fall preisgeben, noch nicht einmal, wenn
er sonst sein Leben verlieren müsste
oder die ganze Welt zugrunde ginge.
Ebenso wäre jemand in der Nähe, der eine
Sünde von jemandem in de Beichte
mithören würde, dazu mit ähnlicher
Strenge verpflichtet, sie für immer
geheim zu halten.
L: Wann soll man
beichten?
S: Das Gebot verpflichtet
dazu einmal im Jahr. Ein guter Rat
leitet dazu an, zur Beichte zu gehen,
bevor man wieder in die Sünde fällt oder
zumindest sofort danach. Es ist ja
schrecklich, auch nur einen Augenblick
in der Todsünde zu leben, wenn der
Sünder doch jederzeit sterben könnte und
dann verloren ginge.
L: Welches große Gut
verschafft eine so verrichtete Beichte
der Seele?
S: Sie verschafft sieben
Güter.
1. Sie tilgt die
Todsünde.
2. Sie versetzt uns
wieder in die Freundschaft Gottes.
3. Sie verwandelt
die ewige Strafe der Hölle in eine
zeitliche Strafe in dieser Welt oder im
Fegfeuer.
4. Sie macht den
Verdienst der guten Werke wieder
lebendig, die man vor der Sünde getan
hat oder die die Sünde hat sterben
lassen.
5. Sie verschafft
das Recht auf das Erbe des Paradieses.
6. Sie gibt die
Kraft, den Versuchungen zu widerstehen
und ihnen nicht von neuem zu erliegen.
7. Für gewöhnlich
bringt sie auch einen großen Frieden mit
sich, ein ruhiges Gewissen in unserem
Herzen.
Die
Eucharistie
L: Was sind die
Sakramente, die ein Christ häufiger
empfangen muss?
S: Die allerheiligste
Eucharistie und die Beichte.
L: Was ist das Sakrament
der Eucharistie?
S: Es ist ein Sakrament,
das den Leib, das Blut, die Seele und
die Gottheit Jesu Christi unter der
Gestalt von Brot in der Hostie und von
Wein im Kelch in sich birgt.
L: Was ist demnach die
Hostie, bevor sie gewandelt ist?
S: Ein wenig Brot.
L: Ist sie nach der
Wandlung immer noch Brot?
S: Nein, sie ist
nicht mehr Brot, sondern dr wahre Leib
Jesu Christi. Weil aber der Leib
lebendig ist und mit der Person des
Sohnes Gottes vereint ist, ist darin
mit dem Leib auch das Blut und mit dem
Blut auch die Seele und die Gottheit
zugegen.
L: Und was ist der Wein
im Kelch vor der Wandlung?
S: Er ist einfach Wein
mit ein wenig Wasser.
L: Und was ist er nach
der Wandlung?
S: Er ist das wahre Blut
Jesu Christi. Weil aber nun das Blut mit
dem Leib Christi vereint ist, ist darin
mit dem Blut auch der Leib, und mit dem
Leib ist die Seele und die Gottheit des
Heilands zugegen.
L: Ist denn nicht
gleichzeitig noch die Substanz des
Brotes in der Hostie und die des Weins
im Kelch?
S: Ganz und gar
nicht mehr, denn durch die Wandlung hat
sie sich ganz in die Substanz des Leibes
und Blutes des Herrn verändert. Es
bleiben nur die Gestalten von Brot und
Wein.
L: Was versteht man unter
den Gestalten des Brotes und des Weines,
die in der Hostie und im Kelch bleiben?
S: Das, was als
solches den Sinnen erscheint: Farbe,
Geschmack, Geruch und andere ähnliche
Eigenschaften.
L: Empfängt der, der eine
halbe gewandelte Hostie empfängt, den
ganzen Herrn?
S: Er empfängt ihn ganz,
denn Jesus Christus befindet sich in der
ganzen Hostie ganz so wie in jedem Teil
dieser Hostie.
L: Wenn der Priester die
Hostie bricht, bricht er dann auch den
Leib Jesu Christi?
S: Nein, denn er
bricht nur die Gestalten und die äußere
Erscheinungsweise des Brotes.
L: Wenn er diesen Leib
nicht bricht, in welchem Teil bleibt
dann der Herr?
S: Er bleibt ganz
in jedem der Teile.
L: Wie bleibt er darin,
lebendig oder tot?
S: Er bleibt darin
lebendig und so schön, groß und
herrlich, wie er im Paradies ist.
L: Wenn der Herr in die
Hostie kommt, verlässt er dann das
Paradies?
S: Er verlässt es nicht,
sondern zur gleichen Zeit, da er im
Himmel zur Rechten des Vaters sitzt,
befindet er sich im allerheiligsten
Sakrament.
L: Welche Haltung an Leib
und Seele muss jemand aufbringen, um
würdig zu kommunizieren?
S: Der Leib muss von
Mitternacht an nüchtern sein, es sei
denn, er empfängt die Kommunion als
Wegzehrung. Die Seele muss von jeder
Todsünde gereinigt sein.
L: Wenn sich jemand nach
der Beichte vor der Kommunion an eine
Todsünde erinnert, was soll er tun?
S: Wenn er sich daran
erst an der Kommunionbank erinnert, soll
er den Herrn um Verzeihung bitten und
die Kommunion empfangen. Später soll er
dann zu gegebener Zeit beichten. Wenn er
sich dagegen daran erinnert, bevor er
dazu hingetreten ist, soll er zum
Beichtvater zurückkehren.
L: Muss jemand in der
Nacht vor der Kommunion wenigstens eine
gewisse Zeit lang geschlafen haben?
S: Nein, mein Herr, wenn
er nur überhaupt geschlafen hat und dann
aufgestanden ist, kann er kommunizieren.
L: Wie lange muss er die
heilige Hostie im Mund behalten, nachdem
er sie empfangen hat?
S: Er soll sie sofort
hinunterschlucken.
L: Wenn ihm die Hostie
aber am Gaumen kleben bleibt, was kann
er da machen?
S: Er soll sie mit der
Zunge loslösen, nicht mit einem Finger.
Wenn das nicht hilft, soll er etwas
Wasser oder Wein trinken und sie
zusammen mit der Hostie
hinunterschlucken.
L: Was sollte jemand vor
der Kommunion tun, um von ihr Frucht zu
haben?
S: Er sollte seine Seele
schmücken, indem er die Größe des Herrn
betrachtet, die er empfängt und sich
aneignet.
L: Und was sollte er nach
der Kommunion tun?
S: Wenigstens eine
Viertelstunde lang sollte er die Seele
damit beschäftigen, den Herrn anzubeten,
ihm zu danken, von ihm Vergebung zu
erbitten und von ihm Gnaden erflehen,
nicht so wie viele Leute, die gleich
nach der Kommunion aus der Kirche gehen
und zu reden anfangen.
L: Wie lange sollte man
nach der Kommunion nicht auf die Erde
spucken?
S: Etwa eine
Viertelstunde. Wenn es aber ganz
dringend erscheint, soll man zum
Ausdruck von Ehrfurcht dazu ein
Taschentuch verwenden.
L: Besteht eine gute
Frömmigkeit darin, häufig zu
kommunizieren?
S: Würdig zu
kommunizieren ist die beste aller
Frömmigkeitsformen und ist für die Seele
die nützlichste von allen. Denn in der
Kommunion empfängt man nicht nur die
Gnade, sondern den Urheber der Gnade und
die Quelle jedes unserer Güter, nämlich
Jesus Christus. Deshalb sollte jeder
gute Christ wenigstens einmal im Monat
kommunizieren.
L: Wer die Kommunion im
Zustand der Todsünde empfangen würde,
würde er den Herrn empfangen?
S: Ja, aber er würde ein
übergroßes Sakrileg begehen, weil er die
Kommunion dann wie Judas empfangen
würde.2
2 In der der Übersetzung
zugrundeliegenden Fassung folgt noch
eine Sammlung von Gebeten und Liedern
sowie eine Anleitung zum Ministrieren.
Ausführlichere Erklärung der
christlichen Lehre
Zum Gebrauch für
diejenigen, die Kinder und andere
einfache Menschen unterrichten. In
Gesprächsform verfasst
Kapitel I: Was die christliche Lehre ist
und welche Hauptstücke sie hat
Schüler (= S): Weil ich
begreife, dass es notwendig ist, die
christliche Lehre zu kennen, um gerettet
zu werden, möchte ich, dass Sie mir
erklären, was diese Lehre ist.
Lehrer (= L): Die
christliche Lehre ist eine Kurzfassung
oder Zusammenfassung all dessen, was
Christus, unser Herr, uns gelehrt hat,
um uns den Weg zum Heil zu zeigen.
S: Was sind die
hauptsächlichen und notwendigeren Stücke
dieser Lehre?
L: Es sind vier, nämlich
das Glaubensbekenntnis, das Vater Unser,
die zehn Gebote und die sieben
Sakramente.
S: Warum sind es vier,
nicht mehr und nicht weniger?
L: Weil es drei
Haupttugenden gibt: Glaube, Hoffnung und
Liebe. Das Glaubensbekenntnis ist
notwendig für den Glauben, weil es uns
lehrt, was wir glauben müssen. Das Vater
Unser ist notwendig für die Hoffnung,
weil es uns das lehrt, was wir hoffen
müssen. Die zehn Gebote sind notwendig
für die Liebe, weil sie uns das lehren,
was wir tun müssen, um Gott zu gefallen.
Die Sakramente sind notwendig, weil sie
die Werkzeuge sind, mit denen man die
Tugenden empfängt und bewahrt, die wie
gesagt notwendig sind, um gerettet zu
werden.
S: Ich hätte gern von
Ihnen einen Vergleich, um die
Notwendigkeit dieser vier Teile der
christlichen Lehre besser zu begreifen.
L: Der hl. Augustinus
gibt uns den Vergleich mit einem Haus.1
Denn wie man beim Hausbau zuerst das
Fundament legen, dann die Wände
hochziehen und es am Ende mit einem Dach
bedecken muss und wie man dazu einige
Werkzeuge benötigt, so braucht man, um
in der Seele das Gebäude des Heils zu
errichten, das Fundament des Glaubens,
die Mauern der Hoffnung, das Dach der
Liebe sowie Werkzeuge dazu, nämlich die
heiligen Sakramente.
Kapitel II: Erklärung des Kreuzzeichens
S: Bevor wir zum ersten
Teil der Lehre kommen, würde ich mich
freuen, wenn Sie mir einen Vorgeschmack
dessen geben könnten, was man zu glauben
hat. Könnten Sie mir dazu
zusammenfassend und in groben Zügen die
notwendigsten Geheimnisse erklären, die
im Glaubensbekenntnis enthalten sind?
L: Ihr habt recht, so
will ich es auch halten. Ihr müsst also
wissen, dass es zwei Hauptgeheimnisse
unseres Glaubens gibt und dass beide in
jenem Zeichen enthalten sind, das das
heilige Kreuzzeichen heißt.
Das erste Geheimnis ist
die Einheit und Dreifaltigkeit Gottes.
Das zweite ist die Fleischwerdung und
Passion des Heilands.
S: Was bedeutet „Einheit
und Dreifaltigkeit Gottes"?
L: Diese Dinge sind
überaus erhaben, und sie werden nach und
nach im Lauf dieser Lehre erklärt. Fürs
erste wird es genügen, wenn ihr die
Bedeutung der Worte kennenlernt und
etwas Weniges davon, so weit es möglich
ist, versteht. Einheit Gottes bedeutet,
dass über allen erschaffenen Dingen ein
Wesen steht, das keinen Anfang gehabt
hat, sondern immer schon gewesen ist und
immer sein wird; das alle anderen Dinge
gemacht hat; das sie erhält und lenkt
und über allen das höchste, edelste,
schönste und mächtigste Wesen ist und
über alles uneingeschränkt herrscht.
Dieses Wesen heißt Gott. Er ist einer,
weil es nur eine einzige wahre Gottheit
geben kann, das heißt eine einzige Natur
oder Wesen, das unendlich mächtig,
weise, gut usw. ist. Dennoch befindet
sich diese Gottheit in drei Personen,
die Vater, Sohn und Heiliger Geist
heißen. Diese drei Personen sind ein
einziger Gott, da sie dieselbe Gottheit
und dasselbe Wesen haben. Das ist, als
ob hier auf der Erde drei Personen
namens Peter, Paul und Johannes dieselbe
Seele und denselben Leib hätten. Dann
würde man sie doch als drei Personen
bezeichnen, weil eine Peter, eine Paul
und eine Johannes wäre. Trotzdem wären
sie ein einziger Mensch und nicht drei
Menschen, weil sie nicht drei Leiber und
auch nicht drei Seelen hätten, sondern
nur einen Leib und eine Seele. Bei den
Menschen ist das nicht möglich, denn das
Sein des Menschen ist gering und
endlich. Es kann deshalb nicht in
mehreren Personen sein. Aber das Sein
Gottes und seine Gottheit ist unendlich,
und darum kann sich dasselbe Sein und
dieselbe Gottheit im Vater, im Sohn und
im Heiligen Geist befinden und befindet
sich auch tatsächlich darin. Es sind
also drei Personen, denn die erste ist
der Vater, die zweite der Sohn und die
dritte der Heilige Geist. Trotzdem sind
sie nur ein Gott, denn sie haben
dieselbe Gottheit, dasselbe Sein,
dieselbe Macht, Weisheit, Güte usw.
S: Jetzt sagen Sie mir
bitte, was „Fleischwerdung und Passion
des Heilands" bedeutet!
L: Die zweite göttliche
Person, die wie gesagt Sohn heißt, hat
außer ihrem göttlichen Sein, welches sie
schon besaß, bevor die Welt erschaffen
wurde, ja sogar von Ewigkeit her, auch
noch menschliches Fleisch und eine
menschliche Seele, also unsere ganze
menschliche Natur, im Schoß einer ganz
reinen Jungfrau angenommen. So fing der,
der zuvor nur Gott war, an, Gott und
Mensch zugleich zu sein. Nachdem er etwa
33 Jahre unter den Menschen geweilt
hatte, wobei er sie den Weg zum Heil
gelehrt und viele Wunder getan hatte,
ließ er sich schließlich ans Kreuz
nageln und starb an ihm, um Gott für die
Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu
leisten. Doch nach drei Tagen erstand er
vom Tod zum Leben und fuhr nach 40 Tagen
zum Himmel auf. Davon werden wir noch
bei der Erklärung des
Glaubensbekenntnisses sprechen. Das also
ist die Fleischwerdung und die Passion
des Heilands.
S: Warum sind das die
Hauptgeheimnisse des Glaubens?
L: Weil im ersten die
erste Ursache und das letzte Ziel des
Menschen enthalten ist und im zweiten
das einzige und sehr wirksame Mittel, um
diese erste Ursache zu erkennen und zu
diesem letzten Ziel zu gelangen. Ein
weiterer Grund ist, dass wir uns, indem
wir diese beiden Geheimnisse glauben und
bekennen, von allen falschen
Parteiungen, d.h. von Heiden, Türken,
Juden und Irrgläubigen unterscheiden.
Und schließlich kann niemand gerettet
werden, ohne diese beiden Geheimnisse zu
glauben und zu bekennen.
S: Wie sind diese beiden
Geheimnisse im Kreuzzeichen enthalten?
L: Das Kreuzzeichen macht
man, indem man sagt: „Im Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen
Geistes" und sich gleichzeitig in Form
eines Kreuzes bezeichnet. Dabei führt
man die rechte Hand zuerst zur Stirn und
spricht: „Im Namen des Vaters", dann
hinab zur Brust unter den Worten: „und
des Sohnes", und schließlich von der
linken zur rechten Schulter unter den
Worten: „und des Heiligen Geistes". Der
Ausdruck „im Namen" zeigt uns die
Einheit Gottes, weil man sagt „im Namen"
und nicht „in den Namen". Unter dem
Namen versteht man aber die göttliche
Macht und Autorität, die in den drei
Personen eine einzige ist. Die Worte
„des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes" zeigen uns die
Dreifaltigkeit der Personen. Sich in
Form eines Kreuzes zu bezeichnen führt
uns die Passion und darum auch die
Fleischwerdung des Sohnes Gottes vor
Augen. Die Hand von der linken zur
rechten Seite zu führen und nicht von
der rechten zur linken bedeutet, dass
wir durch die Passion des Herrn von den
vergänglichen Dingen zu den ewigen
gebracht worden sind, von der Sünde zur
Gnade und vom Tod zum Leben.
S: Zu welchem Zweck macht
man dieses Kreuzzeichen?
L: Erstens macht man es,
um zu zeigen, dass wir Christen sind,
das heißt Soldaten unseres höchsten
Feldherrn, Christus. Denn dieses Zeichen
ist wie ein Banner oder eine Uniform,
wodurch sich die Soldaten Christi von
allen Feinden der heiligen Kirche
unterscheiden, nämlich von den Heiden,
den Juden, den Türken und den
Irrgläubigen. Außerdem macht man dieses
Zeichen, um die Hilfe Gottes bei unseren
Werken anzurufen. Denn mit diesem
Zeichen ruft man die allerheiligste
Dreifaltigkeit kraft der Passion des
Heilands zu Hilfe. Aus diesem Grund
haben die guten Christen die Gewohnheit,
dieses Kreuz über sich zu schlagen, wenn
sie sich vom Bett erheben, wenn sie das
Haus verlassen, wenn sie sich zu Tisch
setzen, wenn sie sich schlafen legen und
auch am Beginn jeder anderen Sache, die
sie zu tun haben.2
Schließlich macht man dieses Zeichen, um
sich gegen jegliche Versuchung des
Teufels zu wappnen. Denn der Teufel
erschrickt vor diesem Zeichen und flieht
vor ihm, so wie es die Verbrecher
machen, wenn sie das Zeichen der Polizei
sehen. Häufig entgeht jemand mittels
dieses Zeichens des heiligen Kreuzes
vielen geistlichen und weltlichen
Gefahren, wenn er es mit Glauben macht
und mit Vertrauen auf die göttliche
Barmherzigkeit und die Verdienste
Christi, unseres Herrn.3
Kapitel III: Erklärung des
Glaubensbekenntnisses
Erklärung des ersten Artikels
S: Jetzt kommen wir zum
ersten Teil der Lehre. Ich würde gern
das Glaubensbekenntnis lernen.
L: Das Glaubensbekenntnis
enthält 12 Teile. Sie heißen Artikel,
und 12 sind es entsprechend der Zahl der
12 Apostel, die es verfasst haben.4
Sie lauten so:
1. Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen, den
Schöpfer des Himmels und der Erde. 2.
Und an Jesus Christus, seinen
eingeborenen Sohn, unsern Herrn, 3.
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria, 4.
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben, 5.
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den
Toten, 6. aufgefahren in den Himmel; er
sitzt zur Rechten Gottes, des
allmächtigen Vaters; 7. von dort wird er
kommen, zu richten die Lebenden und die
Toten. 8. Ich glaube an den Heiligen
Geist, 9. die heilige katholische
Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, 10.
Vergebung der Sünden, 11. Auferstehung
der Toten 12. und das ewige Leben. Amen.
S: Erklären Sie mir bitte
den ersten Artikel Wort für Wort. Was
heißt „Ich glaube"?
L: Es heißt: Ich halte
all das, was in diesen 12 Artikeln
enthalten ist, für gewiss und für ganz
wahr. Der Grund dafür ist der, dass Gott
selbst die heiligen Apostel diese Sätze
gelehrt hat, die heiligen Apostel sie
die Kirche gelehrt haben und die Kirche
sie uns lehrt. Und weil es unmöglich
ist, dass Gott lügt, deshalb glaube ich
diese Dinge fester als das, was ich mit
den Augen sehe und mit den Händen
berühre.
S: Was heißt „an Gott"?
L: Es heißt, dass wir
fest glauben müssen, dass es Gott gibt,
auch wenn wir ihn nicht mit den
leiblichen Augen sehen. Dieser Gott ist
einer, denn man sagt ja „an Gott" und
nicht „an die Götter". Auch dürft ihr
euch Gott nicht so ähnlich wie etwas
Körperliches vorstellen, so groß und
schön es auch sein mag. Vielmehr müsst
ihr denken, dass Gott etwas Geistiges
ist, das immer war und immer sein wird,
das alles gemacht hat, alles erfüllt und
alles regiert. Er weiß und sieht alles.
Kurz und gut, wenn ihr irgendetwas vor
Augen habt oder es euch vorstellt, so
müsst ihr sagen: Was mir da jetzt vor
Augen steht, ist nicht Gott, weil Gott
etwas unendlich Besseres ist.
S: Warum wird dann
gesagt, dass Gott Vater ist?
L: Weil er wirklich der
Vater seines eingeborenen Sohnes ist,
von dem wir im zweiten Artikel sprechen
werden. Des weiteren, weil er Vater
aller rechtschaffenen Menschen ist,
freilich nicht der Natur nach, sondern
dadurch, dass er sie sozusagen adoptiert
hat. Schließlich weil er Vater aller
Geschöpfe ist, jedoch weder der Natur
nach noch dadurch, dass er sie an Kindes
statt angenommen hat, sondern durch die
Schöpfung, wie wir es im selben Artikel
gleich sagen werden.
S: Warum sagt man „den
Allmächtigen"?
L: Weil dies ein nur Gott
zukommender, ihm eigener Titel ist.
Obwohl Gott viele ihm eigene Titel hat,
wie zum Beispiel ewig, unendlich,
unermesslich usw., ist es an dieser
Stelle doch der passendste, dass er
allmächtig ist. So fällt es uns leicht
zu glauben, dass er den Himmel und die
Erde aus nichts geschaffen hat, wie es
ja in den folgenden Worten gesagt wird.
Denn für den, der alles tun kann, was er
will, und somit allmächtig ist, muss
alles leicht sein. Wenn ihr mir jetzt
aber sagen würdet, dass Gott ja nicht
sterben und nicht sündigen kann und er
so anscheinend nicht alles kann, würde
ich euch folgendes antworten: Sterben
und sündigen können ist kein Ausdruck
von Macht, sondern von Ohnmacht. Bei
einem überaus tapferen Soldaten, der
alle besiegen kann und selbst von
niemandem besiegt werden kann, setzt man
doch nicht seine Stärke herab, indem man
sagt, er könne nicht besiegt werden.
Denn besiegt werden zu können ist keine
Stärke, sondern eine Schwäche.
S: Was heißt „Schöpfer"?
L: Es bedeutet, dass Gott
alle Dinge aus nichts gemacht hat und
dass er allein sie auch wieder zu nichts
machen kann. Wohl können die Engel und
die Menschen wie auch die bösen Geister
etwas machen oder vernichten. Aber sie
können es nur aus einer Materie machen,
die schon vorher vorhanden war. Ebenso
können sie es nur zerstören, indem sie
es in etwas anderes verwandeln. Es ist
wie bei einem Maurer, der ein Haus nicht
aus nichts machen kann, sondern aus
Steinen, Kalk und Holz, und es auch
nicht zu nichts werden lassen kann, wenn
er es niederreißt, sondern nur wieder zu
Steinen, Staub, Holz und dergleichen.
Darum heißt nur Gott Schöpfer und ist
es, weil nur er keine Materie braucht,
um die Dinge zu machen.
S: Warum sagt man
„Schöpfer des Himmels und der Erde"? Hat
Gott nicht auch die Luft, das Wasser,
die Steine, die Bäume, die Menschen und
alles übrige gemacht?
L: Unter Himmel und Erde
versteht man hier auch alles, was im
Himmel und auf Erden ist. Wenn jemand
sagt, dass der Mensch Leib und Seele
hat, meint er damit ja auch, dass er
alles hat, was sich im Leib befindet,
also Adern, Blut, Knochen, Nerven usw.,
sowie alles, was sich in der Seele
befindet, wie Verstand, Willen,
Gedächtnis, innere und äußere Sinne usw.
Ebenso versteht man unter Himmel auch
die Luft, die Vögel und alle Dinge, die
noch weiter oben sind, dort, wo die
Wolken und die Sterne sind - darum
spricht man ja auch von den Vögeln des
Himmels, den Wolken am Himmel, den
Sternen am Himmel -, und schließlich die
Engel. Unter Erde versteht man alles,
was von der Luft umschlossen ist wie das
Wasser des Meeres und der Flüsse, die in
den niedrigeren Teilen der Erde gelegen
sind, und auch alle Tiere, Pflanzen,
Steine, Metalle und alles übrige, was
sich in der Erde oder im Meer befindet.
Man spricht also von „Gott, dem Schöpfer
des Himmels und der Erde", weil dies die
beiden Hauptteile der Welt sind, ein
oberer, in dem die Engel, und ein
unterer, in dem die Menschen wohnen.
Dies sind nämlich die beiden Geschöpfe,
die edler als alle anderen sind und
denen alle anderen dienen, so wie die
beiden wiederum die Pflicht haben, Gott
zu dienen, der sie aus nichts geschaffen
und ihnen eine so hohe Würde verliehen
hat.
Erklärung des zweiten Artikels
S: Erklären Sie mir jetzt
bitte den zweiten Artikel. Was heißt
„und an Jesus Christus, seinen
eingeborenen Sohn, unseren Herrn"?
L: Gott, der Allmächtige,
von dem wir im ersten Artikel gesprochen
haben, hat einen wahren Sohn, der seiner
Natur entstammt und Jesus Christus
heißt. Damit ihr aber einigermaßen
versteht, wie Gott diesen Sohn gezeugt
hat, nehmt den Vergleich mit dem
Spiegel. Wenn jemand sich in einem
Spiegel anschaut, bringt er im gleichen
Moment ein Bild von sich selbst hervor,
das ihm selbst so ähnlich ist, dass man
überhaupt keinen Unterschied feststellen
kann, weil es nicht nur im Aussehen,
sondern auch in der Bewegung ähnlich
ist, so dass sich, wenn der Mensch sich
bewegt, auch das Bild bewegt. Und dieses
Bild wird nicht mit Mühe, mit
Zeitaufwand oder mit einem Werkzeug
erzeugt, sondern sofort und durch einen
einzigen Blick. So also habt ihr euch zu
denken, dass Gott sich selbst mit dem
Auge des Verstandes im Spiegel seiner
Gottheit anschaut und dabei ein ihm
selbst vollkommen gleiches Bild erzeugt.
Weil Gott diesem seinem Bild aber sein
ganzes Wesen und sein ganzes Sein
gegeben hat, wozu wir, wenn wir uns im
Spiegel anschauen, nicht in der Lage
sind, ist dieses Bild der wahre Sohn
Gottes, während unsere Bilder, die wir
in den Spiegeln sehen, nicht unsere
Kinder sind. Daran müsst ihr begreifen,
dass der Sohn Gottes wie der Vater Gott
ist und ein und derselbe Gott mit dem
Vater, weil er dasselbe Wesen wie der
Vater hat. Weiterhin müsst ihr
verstehen, dass der Sohn Gottes nicht
jünger ist als der Vater, sondern immer
war, so wie der Vater immer war, weil er
allein dadurch gezeugt wurde, dass Gott
sich selbst anschaut, und Gott schaute
sich selbst von Ewigkeit her an.
Schließlich müsst ihr begreifen, dass
der Sohn Gottes nicht mit der Hilfe
einer Frau, in einer bestimmten
Zeitdauer, unter niedriger fleischlicher
Begierde oder unter anderen
Unvollkommenheiten gezeugt wurde, weil
er wie gesagt allein vom Vater durch den
einfachen Blick auf sich selbst vom
allerreinsten Auge des göttlichen
Verstandes gezeugt wurde.
S: Warum wird dieser Sohn
Jesus Christus genannt?
L: Der Name Jesus
bedeutet Heiland und Christus (also sein
Beiname) bedeutet Hoherpriester und
König aller Könige, weil, wie ich euch
bei der Erklärung des Kreuzzeichens
sagte, der Sohn Gottes Mensch wurde, um
uns mit seinem Blut loszukaufen und uns
zum ewigen Heil zu führen. Und so nahm
er, als er Mensch wurde, diesen Namen
„Heiland" an, um zu zeigen, dass er
gekommen ist, um uns zu retten, und er
wurde vom Vater mit dem Titel des
höchsten Priesters und des obersten
Königs geehrt. Dies beides bedeutet der
Name Christus, und nach ihm heißen wir
Christen.
S: Aus welchem Grund
nehmen alle den Hut ab oder verneigen
sich, wenn der Name Jesus genannt wird,
was bei den anderen Namen Gottes nicht
geschieht?
L: Der Grund ist, dass
dies der Eigenname des Sohnes Gottes
ist, alle anderen Namen aber gemeinsam
sind. Außerdem weil dieser Name uns vor
Augen führt, wie Gott sich für uns
erniedrigt hat, indem er Mensch geworden
ist. Darum verneigen wir uns aus
Dankbarkeit vor ihm. Doch nicht nur wir
Menschen, sondern auch die Engel des
Himmels und die Dämonen der Hölle
verneigen sich vor diesem Namen, die
einen aus Liebe, die anderen gezwungen.
Denn Gott wollte, dass alle
vernunftbegabten Geschöpfe*sich vor
seinem Sohn verneigen, weil dieser sich
aus Liebe zu uns erniedrigt hat bis zum
Tod am Kreuz.
S: Warum wird gesagt,
dass Jesus Christus unser Herr ist?
L: Weil er uns gemeinsam
mit dem Vater erschaffen hat, ist er
unser Gebieter und Herr ebenso wie der
Vater. Darüber hinaus hat er uns noch
mit seiner Mühsal und seinen Leiden aus
der Gefangenschaft des Teufels befreit
hat, wie wir gleich erläutern werden.
Erklärung des dritten Artikels
S: Der Reihenfolge nach
erklären Sie mir jetzt den dritten
Artikel. Was bedeutet: „Empfangen durch
den Heiligen Geist, geboren von der
Jungfrau Maria"?
L: In diesem Artikel wird
die neue und wunderbare Weise der
Fleischwerdung des Sohnes Gottes
erklärt. Ihr wisst, dass alle anderen
Menschen von Vater und Mutter ihre
Geburt haben und dass die Mutter nach
der Empfängnis und der Geburt des Kindes
nicht mehr Jungfrau ist. Nun wollte der
Sohn Gottes, als er beschloss Mensch zu
werden, keinen irdischen Vater haben,
sondern nur eine Mutter mit Namen Maria.
Sie war und blieb allezeit eine ganz
reine Jungfrau, weil der Heilige Geist,
der die dritte göttliche Person ist und
mit dem Vater und dem Sohn ein und
derselbe Gott ist, mit seiner
unendlichen Macht aus dem allerreinsten
Blut dieser Jungfrau in ihrem Schoß den
Leib eines ganz vollkommenen Kindes und
gleichzeitig eine ganz edle Seele formte
und diese mit dem Leib dieses Kindes
verband. Das Ganze verband der Sohn
Gottes mit seiner Person. So fing Jesus
Christus, der zuvor nur Gott war, an,
Gott und Mensch zugleich zu sein, und
wie er als Gott einen Vater, aber keine
Mutter hat, so hat er als Mensch eine
Mutter, aber keinen Vater.
S: Ich möchte gern ein
Beispiel oder einen Vergleich, um zu
verstehen, wie eine Jungfrau empfangen
kann.
L: Die Geheimnisse Gottes
muss man glauben, auch wenn man sie
nicht versteht. Denn Gott kann mehr tun,
als wir begreifen können. Darum sagt man
ja am Beginn des Glaubensbekenntnisses,
dass Gott allmächtig ist. Dennoch gibt
es ein schönes Gleichnis für die
jungfräuliche Empfängnis, und zwar bei
der Erschaffung der Welt. Ihr wisst,
dass die Erde normalerweise kein
Getreide hervorbringt, wenn sie nicht
zuvor gepflügt, besät, mit Regen benetzt
und von der Sonne erwärmt worden ist. Am
Anfang hingegen, als zum ersten Mal Korn
gewachsen ist, da war die Erde nicht
gepflügt, besät, befeuchtet und erwärmt.
So war sie in ihrer Art vollkommen
jungfräulich. Damals brachte sie auf das
bloße Geheiß Gottes, des Allmächtigen,
durch die Kraft Gottes in einem
Augenblick das Getreide hervor.5
Ebenso brachte der jungfräuliche Schoß
Mariens, ohne dass sie mit einem Mann
Umgang gehabt hätte, auf bloßen Geheiß
Gottes durch das Wirken des Heiligen
Geistes jenes kostbare Weizenkorn des
beseelten Leibes des Sohnes Gottes
hervor.
S: Wenn Jesus Christus
durch den Heiligen Geist empfangen ist,
dann kann man doch anscheinend sagen,
dass der Heilige Geist für ihn als
Mensch der Vater ist?
L: So ist es nicht, denn
um Vater zu sein reicht es nicht, etwas
zu machen, sondern man muss es auch aus
dem eigenen Wesen machen. Deshalb nennen
wir den Maurer auch nicht den Vater des
Hauses, weil er es aus Ziegelsteinen und
nicht aus seinem eigenen Fleisch macht.
Nun hat der Heilige Geist zwar den Leib
des Sohnes Gottes gemacht, aber er hat
ihn aus dem Fleisch der Jungfrau gemacht
und nicht aus seinem eigenen Wesen.
Deshalb ist der Sohn Gottes nicht der
Sohn des Heiligen Geistes, sondern als
Gott der Sohn Gottes, des Vaters, weil
er von ihm die Gottheit hat, und als
Mensch der Sohn der Jungfrau, weil er
von ihr das menschliche Fleisch hat.
S: Warum sagt man, dass
der Heilige Geist dieses Werk der
Fleischwerdung vollbracht hat? Haben
daran nicht auch der Vater und der Sohn
mitgewirkt?
L: Was eine göttliche
Person wirkt, das wirken auch zugleich
die beiden anderen, weil sie dieselbe
Macht, Weisheit und Güte haben. Dennoch
werden die Taten der Macht dem Vater
zugeschrieben, die der Weisheit dem Sohn
und die der Liebe dem Heiligen Geist.
Weil aber die Fleischwerdung das Werk
der höchsten Liebe Gottes zum
Menschengeschlecht war, wird es dem
Heiligen Geist zugeschrieben.
S: Ich möchte gern ein
Gleichnis, um zu verstehen, wie alle
drei göttlichen Personen bei der
Fleischwerdung zusammengewirkt haben und
dennoch nur der Sohn allein Fleisch und
Mensch geworden ist.
L: Wenn ein Mensch ein
Gewand anlegt und zwei andere ihm beim
Ankleiden behilflich sind, dann sind es
drei, die beim Ankleiden zusammenwirken,
und doch wird nur einer angekleidet.
Ebenso haben alle drei göttlichen
Personen bei der Fleischwerdung des
Sohnes zusammengewirkt, aber nur der
Sohn ist Fleisch und Mensch geworden.
S: Warum ist in diesem
Artikel hinzugefügt „geboren von der
Jungfrau Maria"?
L: Weil sich auch hierin
etwas nie Dagewesenes ereignete, dass
nämlich der Sohn Gottes am Ende des
neunten Monats aus dem Schoß der
Jungfrau Maria ohne Schmerzen und
Schaden der Mutter hervorkam und kein
Anzeichen seines Hervorgangs hinterließ,
so wie er es machte, als er auferstanden
aus dem versiegelten Grab hervorkam und
als er dann in den Abendmahlssaal, wo
sich seine Jünger befanden, bei
geschlossenen Türen eintrat und wieder
hinausging. Deshalb sagt man, dass die
Mutter unseres Herrn Jesus Christus
allezeit Jungfrau war, vor der Geburt,
in der Geburt und nach der Geburt.
Erklärung des vierten Artikels
S: Was bedeutet das, was
im vierten Artikel folgt: „gelitten
unter Pontius Pilatus, gekreuzigt,
gestorben und begraben"?
L: Dieser Artikel enthält
das überaus heilbringende Geheimnis
unserer Erlösung. Kurz zusammengefasst
besteht es darin: Christus hat etwa 33
Jahre auf dieser Erde geweilt und durch
sein ganz heiliges Leben, durch seine
Lehre und durch Wunder den Weg des Heils
gelehrt. Dann ließ ihn Pontius Pilatus,
der Herrscher über Judäa, zu Unrecht
geißeln und an ein Kreuz nageln. An
diesem Kreuz starb er. Dann wurde er von
einigen frommen Menschen begraben.
S: Bei diesem Geheimnis
kommen mir einige Fragen. Ich möchte sie
gern von Ihnen geklärt haben, damit ich
Gott um so dankbarer bin für eine solche
große Wohltat, je mehr ich sie verstehe.
So sagen Sie mir bitte, wenn Christus
der Sohn des allmächtigen Gottes ist,
warum wurde er dann nicht von seinem
Vater aus der Hand des Pilatus befreit,
ja, wenn Christus selbst Gott ist, warum
befreite er sich dann nicht selbst?
L: Wenn Christus es
gewollt hätte, hätte er sich auf
tausenderlei Arten aus der Hand des
Pilatus befreien können, ja die ganze
Welt wäre nicht in der Lage gewesen, ihm
irgendein Leid zuzufügen, wenn er es
nicht selbst gewollt hätte. Das kann man
klar an folgendem erkennen: Er wusste
und sagte es seinen Jüngern auch vorher,
dass ihn die Juden suchen würden, um ihn
zu töten, und dass sie ihn geißeln,
verhöhnen und schließlich umbringen
würden. Dennoch versteckte er sich
nicht, sondern ging seinen Feinden sogar
entgegen. Und als sie ihn ergreifen
wollten, ihn aber nicht erkannten, sagte
er selbst, dass er der sei, den sie
suchten, und im gleichen Moment, als sie
alle wie tot zu Boden gefallen waren,
lief er nicht davon, wie er gekonnt
hätte, sondern wartete, dass sie wieder
zu sich kämen und sich aufrichteten.
Dann ließ er sich festnehmen, fesseln
und wie ein sanftes Lamm wegführen,
wohin sie wollten.
S: Aus welchem Grund ließ
sich Christus unschuldig kreuzigen und
umbringen?
L: Aus vielen Gründen,
hauptsächlich jedoch, um Gott für die
Sünden der ganzen Welt Genugtuung zu
leisten. Denn ihr müsst wissen, dass die
Beleidigung sich nach der Würde dessen
bemisst, der beleidigt wurde, die
Genugtuung dagegen nach der Würde
dessen, der sie erbringt. Wenn also zum
Beispiel ein Diener einem Fürsten eine
Ohrfeige gäbe, würde man das
entsprechend der Größe des Fürsten für
ein sehr schweres Vergehen halten. Wenn
dagegen der Fürst dem Diener eine
Ohrfeige gäbe, würde er entsprechend des
niedrigen Standes des Dieners nur etwas
Unbedeutendes tun. Oder andersherum:
Wenn ein Diener vor dem Fürsten seinen
Hut zieht, hat das keine große
Bedeutung. Wenn aber der Fürst ihn vor
dem Diener zieht, wird er ihm damit
entsprechend der erwähnten Regel eine
bemerkenswerte Gunst erweisen. Weil nun
der erste Mensch und mit ihm wir alle
Gott beleidigt haben, der eine
unendliche Würde besitzt, verlangte die
zugefügte Beleidigung eine unendliche
Genugtuung. Aber es gab weder einen
Menschen noch einen Engel mit einer so
großen Würde. Darum kam der Sohn Gottes,
der Gott ist und damit von unendlicher
Würde, nahm sterbliches Fleisch an und
unterwarf sich in diesem Fleisch zur
Ehre Gottes dem Tod am Kreuz. So
leistete er mit seiner Strafe für unsere
Schulden eine vollständige Genugtuung.
S: Was ist der andere
Grund, warum Christus einen so bitteren
Tod erleiden wollte?
L: Um uns durch sein
Vorbild die Tugenden der Geduld, der
Demut, des Gehorsams und der Liebe zu
lehren. Diese vier Tugenden sind nämlich
mit den vier Enden des Kreuzes
ausgedrückt. Denn man kann keine größere
Geduld finden, als dass jemand zu
Unrecht einen so schändlichen Tod
erleidet; keine größere Demut, als dass
der Herr aller Herren sich dem
unterwarf, inmitten von Räubern
gekreuzigt zu werden; keinen größeren
Gehorsam, als lieber zu sterben statt
den Befehl des Vaters nicht zu erfüllen;
und keine größere Liebe, als sein Leben
hinzugeben, um sogar die Feinde zu
retten. Ihr müsst nämlich wissen, dass
sich die Liebe eher in Werken als in
Worten und eher durch Leiden als durch
Taten zeigt. So hat Christus, indem er
uns nicht nur unendliche Wohltaten
erweisen wollte, sondern für uns auch
leiden und sterben wollte, gezeigt, dass
er uns über alle Maßen liebt.
S: Wenn Christus Gott und
Mensch ist, wie Sie bereits gesagt
haben, und wenn Gott offensichtlich
nicht leiden und sterben kann, wieso
sagen wir dann hier, dass er gelitten
hat und gestorben ist?
L: Genau dadurch, dass
Christus Gott und Mensch ist, kann er
zugleich leiden und nicht leiden,
sterben und nicht sterben. Insofern er
Gott ist, konnte er weder leiden noch
sterben. Insofern er aber Mensch ist,
konnte er leide und sterben. Deshalb
habe ich euch gesagt, dass er, der Gott
war, Mensch geworden ist, um für unsere
Sünden Genugtuung zu leisten, indem er
an seinem allerheiligsten Fleisch die
Strafe des Todes erduldet hat. Das hätte
er nicht tun können, wenn er nicht
Mensch geworden wäre.
S: Wenn Christus dem
Vater für die Sünden aller Menschen
Genugtuung geleistet hat, wie kommt es
dann, dass so viele Menschen verdammt
werde und dass auch wir selbst für
unsere Sünden Buße tun müssen?
L: Christus hat für alle
Sünden aller Menschen Genugtuung
geleistet. Dies Genugtuung muss jedoch
im einzelnen diesem oder jenem
zugewendet werden. Dies geschieht durch
den Glauben, die Sakramente, die guten
Werke und besonders durch die Buße. Aus
diesem Grund muss man also Buße tun und
gute Werke verrichten, obwohl Christus
für uns gelitten und gewirkt hat. Aus
diesem Grund gehen auch viele verloren
und bleiben Feinde Gottes, weil sie
entweder wie die Juden, Türken und
Häretiker den Glauben nicht annehmen
wollen oder weil sie die Sakramente
nicht empfange wollen wie diejenigen,
die sich nicht taufen lassen oder
beichten wollen oder weil sie nicht für
ihre Sünden Buße tun wollen, wie es
angemessen ist, und sich nicht dazu
entschließen wollen, dem Gesetz Gottes
entsprechend zu leben.
S: Um das zu verstehen,
möchte ich gern ein Gleichnis.
L: Stellt euch jemanden
vor, der sich gewaltig abmühen würde und
der unter großer Anstrengung im Schweiße
seines Angesichts so viel Geld verdienen
würde, dass es reicht, die gesamten
Schulden dieser Stadt zu begleichen.
Dieses Geld würde er nun auf die Bank
geben, damit es all jenen gegeben würde,
die einen Gutschein von ihm vorweisen
könnten. Dieser Mann hatte damit von
seiner Seite aus gewiss für alle die
Schulden beglichen. Dennoch könnte es
geschehen, dass viele trotzdem
verschuldet bleiben, weil sie aus Stolz,
aus Faulheit oder aus einem anderen
Grund den Gutschein nicht erbitten
wollen und ihn nicht zur Bank bringen
wollen, um das Geld zu erhalten.
Erklärung des fünften Artikels
S: Der fünfte Artikel
lautet: „hinabgestiegen in das Reich des
Todes, am dritten Tage auferstanden von
den Toten". Um ihn zu verstehen, möchte
ich gern wissen: Was ist mit diesem Ort
„Reich des Todes" (Unterwelt) gemeint?
L: Die Unterwelt ist der tiefste und am
weitesten unten gelegene Ort, den es auf
der Welt gibt, nämlich der Mittelpunkt
der Erde. Deshalb stellt die Schrift an
vielen Stellen den Himmel als den
höchsten Punkt der Unterwelt als dem
tiefsten gegenüber. In dieser Tiefe der
Erde gibt es aber vier
Teile6, die wie gewaltige
Höhlen sind. Eine für die Verdammten,
das ist die tiefste von allen. Und so
ist es ganz passend, dass die stolzen
Dämonen und ihre Anhänger unter den
Menschen sich am tiefsten Punkt
befinden, dem am weitesten vom Paradies
entfernten Ort, den es überhaupt gibt.
In der zweiten Höhle, die etwas höher
gelegen ist, befinden sich die Seelen,
die die Strafen des Fegfeuers erleiden.
In der dritten, die noch etwas höher
gelegen ist, befinden sich die Seelen
der Kinder, die ohne Taufe gestorben
sind; sie erdulden keine Feuerqualen,
sondern nur den immerwährenden
Ausschluss von der ewigen Seligkeit. In
der vierten, der höchsten von allen,
befanden sich die Seelen der
Patriarchen, Propheten und anderer
Heiliger, die vor dem Kommen Christi
gestorben waren. Denn obwohl diese
heiligen Seelen keiner Reinigung
bedurften, konnten sie doch nicht in die
ewige Seligkeit eingehen, bevor nicht
Christus durch seinen Tod das Tor zum
ewigen Leben geöffnet hatte. Deshalb
befanden sie sich an diesem am höchsten
gelegenen Ort, Limbus der heiligen Väter
oder Schoß Abrahams genannt, wo sie
keinerlei Strafe erduldeten, ja eine
süße Ruhe genossen, während sie mit
großer Freude das Kommen des Herrn
erwarteten. Daher lesen wir im
Evangelium, dass die Seele des heiligen
Bettlers Lazarus von den Engeln zur Ruhe
in Abrahams Schoß getragen wurde, wo sie
vom reichen Prasser gesehen wurde.
Während dieser in den Flammen der Hölle
brannte, blickte er empor und sah
Lazarus an einem sehr viel höher
gelegenen Ort, wo er sich in großer
Freude und Trost befand und den Lohn für
seine Geduld genoss.7
S: In welchen dieser vier
Teile der Unterwelt stieg Christus nach
seinem Tod hinab?
L: Ohne Zweifel stieg er
in den Limbus der heiligen Väter hinab,
machte sie augenblicklich selig und
führte sie dann auch mit sich ins
Himmelreich. Er zeigte sich auch in
allen anderen Teilen der Unterwelt.
Dabei setzte er als feierlich
einziehender Sieger die Dämonen in
Schrecken, drohte als oberster Richter
den Verdammten und tröstete als
Fürsprecher und Befreier die Seelen im
Fegfeuer. Christus stieg so in die
Unterwelt hinab, wie ein König manchmal
in die Kerker hinabzusteigen pflegt, um
sie zu besichtigen und um zu begnadigen,
wen er will.
S: Wenn Christus schon
tot war und sein Leib im Grab ruhte,
dann ist doch nicht der ganze Christus
in die Unterwelt hinabgestiegen, sondern
nur die Seele Christi. Wie kann man dann
sagen, dass Christus in die Unterwelt
hinabgestiegen ist?
L: Der Tod
hatte wohl die Macht, die Seele Christi
von seinem Leib zu trennen, doch er
konnte weder die Seele noch den Leib von
der göttlichen Person Christi trennen.
Deshalb glauben wir, dass die göttliche
Person Christi sich mit dem Leib im Grab
befand und dieselbe göttliche
Person mit der Seele
zur Unterwelt abstieg.
S: Wie kann
man aufzeigen, dass der Herr am dritten
Tage vom
Tod erstand,
wenn doch
zwischen dem Freitagabend, als Christus
begraben wurde, und der Nacht vor dem
Sonntag, als er auferstand, nicht einmal
zwei ganze
Tage lagen?
L: Wir
sagen nicht, dass Christus nach drei
ganzen Tagen
auferstand, sondern am
dritten Tag. Das ist auch vollkommen
richtig, weil er am Freitag
im Grab lag,
(das ist der erste Tag, wenn auch kein
ganzer), und
den ganzen
Samstag,
also
dem zweiten Tag, und einen Teil des
Sonntags, also
den dritten Tag,
weil die natürlichen Tage am Vorabend
beginnen, wenn
unsere Uhren
18 Uhr geschlagen haben.
S: Aus
welchem Grund erstand Christus nicht
unmittelbar nach
dem Tod, sondern
wollte drei Tage warten?
L: Weil er
zeigen wollte, dass er wirklich tot war.
Er wollte so lange
im Grabe bleiben,
wie nötig war, um diese Wahrheit zu
beweisen. Auch
möcht ich, dass
ihr bedenkt, dass Christus, wie er 33
oder 34 Jahre unter den Menschen lebte,
so auch wenigstens 33 oder 34 Stunden
unter den Verstorbenen weilen wollte,
was tatsächlich so viel ergibt, wenn Ihr
7 Stunden des Freitags (weil er am
Freitag um 17 Uhr begraben wurde), 24
Stunden des Samstags und 2 oder 3
Stunden des Sonntags zusammenzählt, weil
Christus nach Mitternacht auferstand,
beim Anbruch der Morgendämmerung. 8
S:
Was bedeutet es, dass man von Christus
sagt, er sei auferstanden, und von den
anderen Toten wie Lazarus und dem Sohn
der Witwe
aber, sie seien auferweckt
worden?
L: Der
Grund ist, dass Christus, da er der Sohn
Gottes ist, von sich
aus auferstand, d.h.
kraft seiner Gottheit die Seele wieder
mit dem Leib vereint hat und so von
neuem zu leben begann. Die anderen Toten
dagegen können nicht aus eigener Kraft
ins Leben zurückkehren. Deshalb sagt
man, dass sie von anderen auferweckt
wurden, so wie wir einst alle am Tag des
Gerichts durch Christus auferweckt
werden.
S: Gibt es
noch einen anderen Unterschied zwischen
der Auferstehung Christi und der der
anderen, die vor ihm zum Leben
zurückkehrten?
L: Es gibt
den Unterschied, dass die anderen als
Sterbliche auferstanden sind und deshalb
noch ein zweites Mal gestorben sind.
Christus dagegen war nach der
Auferstehung unsterblich
und kann
niemals mehr sterben.9
Erklärung des sechsten Artikels
S: Jetzt kommen wir zum
sechsten Artikel, der von der
Himmelfahrt handelt. Ich möchte gern
wissen, wie lange und aus welchem Grund
der Herr nach der Auferstehung auf Erden
weilte.
L: Er weilte hier 40
Tage, wie Ihr begreifen könnt, wenn Ihr
die Tage zusammenzählt, die vom
Osterfest, dem Fest der Auferstehung,
bis zum Fest der Himmelfahrt vergehen.
Der Grund dieses langen Aufenthalts war,
dass Christus mit vielen und ganz
unterschiedlichen Erscheinungen das
Geheimnis seiner wahren Auferstehung
bekräftigen wollte. Denn dieses
Geheimnis ist das, was gewissermaßen am
schwersten zu glauben ist, und wenn man
das glaubt, hat man keine Probleme mehr,
die anderen Geheimnisse auch zu glauben.
Denn wer aufersteht, muss zuvor wirklich
tot gewesen sein, und wer tot gewesen
ist, muss zuvor auch geboren worden
sein. Wer demnach die Auferstehung
Christi glaubt, dem macht es keine
Schwierigkeiten, auch den Tod und die
Geburt zu glauben. Und wer die
Auferstehung des Heilands glaubt, wird
ebenso mühelos auch seine Himmelfahrt
glauben, weil für verherrlichte Leiber
nicht der Aufenthalt auf der Erde,
sondern im Himmel angemessen ist.
S: Ich möchte gern
wissen, warum man sagt, dass Christus in
den Himmel aufgefahren ist, während man
von seiner Mutter, der allerseligsten
Jungfrau, sagt, dass sie aufgenommen
wurde, und nicht, dass sie aufgefahren
ist.
L: Der Grund ist einfach:
weil Christus, da er Gott und Mensch
war, aus eigener Kraft zum Himmel
auffuhr, wie er auch aus eigener Kraft
auferstanden war. Die Mutter aber, die
ein Geschöpf war, wenn auch das
erhabenste von allen, wurde nicht aus
eigener Kraft, sondern durch die Kraft
Gottes auferweckt und ins Himmelreich
geführt.
S: Was bedeutet: „er
sitzt zur Rechten Gottes des
allmächtigen Vaters"?
L: Ihr
dürft es euch nicht etwa so vorstellen,
dass der Vater sich zur Linken des
Sohnes befindet, oder dass der Vater
sich in der Mitte befindet und im
leiblichen Sinn zur Rechten den Sohn und
zur Linken den Heiligen Geist hat. Denn
wie der Vater, so befindet sich der Sohn
seiner Gottheit nach überall, und
genauso der Heilige Geist, und man kann
nicht sagen, dass der eine sich im
eigentlichen Sinn zur Rechten oder zur
Linken des anderen befindet.10
Sich zur Rechten befinden bedeutet
dagegen in diesem Artikel, die gleiche
Hoheit, die gleiche Herrlichkeit und
Majestät zu besitzen. Denn wer sich an
der Seite eines anderen befindet, steht
weder höher noch niedriger als er. Um
uns aber diese Redeweise begreiflich zu
machen, sagt die Heilige Schrift an
einer Stelle im Psalm 109 (110), der mit
den Worten beginnt „Dixit Dominus Domino
meo (Es sprach der Herr zu meinem
Herrn)", dass der Sohn zur Rechten des
Vaters sitzt, und an einer anderen
Stelle sagt sie, dass der Vater zur
Rechten des Sohnes steht.11
Damit will
sie uns begreiflich machen, dass sie den
gleichen hohen Rang innehaben, wie wir
es gesagt haben. Als Christus in den
Himmel auffuhr, stieg er somit über alle
Chöre und Ordnungen der Engel sowie der
heiligen Seelen, die er mit sich
führte, empor und gelangte zum hoch
erhabenen Thron Gottes. Dort blieb er
und stieg nicht etwa über den Vater
hinaus oder blieb unter ihm, sondern
setzte sich ihm sozusagen zur Seite, ihm
gleich an Herrlichkeit und Hoheit.
S: Da Christus Gott und
Mensch ist, möchte ich gern wissen, ob
er nur als Gott zur Rechten des Vaters
sitzt oder auch als Mensch.
L: Christus ist als Gott
dem Vater gleich und als Mensch geringer
als der Vater. Weil aber Christus als
Gott und Mensch keine zwei Christus oder
zwei Personen ist, sondern nur ein
Christus und nur eine Person, deshalb
sagen wir, dass Christus als Gott und
Mensch zur Rechten des Vaters sitzt. So
befindet sich die Menschheit des Herrn,
d.h. sein Fleisch und seine Seele, auf
dem Thron Gottes zur Rechten Gottes, des
Vaters, nicht weil sie dessen würdig
wäre, sondern weil sie verbunden ist mit
der Person des wahren Sohnes Gottes, der
der Natur des Vaters entstammt.
S: Ich möchte gern
ein Gleichnis, um das zu verstehen.
L: Stellt euch zum
Vergleich den königlichen Purpur vor.
Wenn ein König mit dem Purpur angetan
auf seinem Königsthron sitzt und alle
Fürsten des Reiches tiefer als er
sitzen, dann befindet sich der Purpur
des Königs an einem hervorragenderen
Platz als die genannten Fürsten, weil er
sich auf dem Thronsessel des Königs
selbst befindet. Dies geschieht aber
nicht deshalb, weil der Purpur die
gleiche Würde wie der König hat, sondern
weil er mit dem König verbunden ist als
sein ihm eigentümliches Gewand. So also
sitzt auch das Fleisch und die Seele
Christi über allen Cherubim und Seraphim
auf dem Thron Gottes selbst, nicht wegen
der Würde ihrer Natur, sondern wegen der
Vereinigung mit Gott. Und diese
Verbindung ist nicht etwa nur wie bei
dem König und seinem Gewand, sondern
sehr viel enger. Sie besteht nämlich in
der Einheit der Person, wie bereits
gesagt wurde.
Erklärung des siebten Artikels
S: „Von dort wird er
kommen, zu richten die Lebenden und die
Toten." Wann wird dieses Kommen des
Herrn sein?
L: Es wird
am Ende der Welt sein.12
Darum muss man wissen, dass diese Welt
ein Ende haben
und in einer Feuerflut untergehen muss, die alles,
was auf der Erde ist, verbrennen wird.13
Dann wird es keine Tage und keine Nächte mehr geben, keine Hochzeiten,
keinen Handel oder sonst irgendetwas von
dem, was ihr jetzt seht. So wird am
letzten Tag dieser Welt, dem
„Jüngsten
Tag", von dem niemand wissen kann, wie
nahe oder fern er ist 14,
Christus vom Himmel kommen, um das
Allgemeine Gericht, das Weltgericht, zu
halten. Diese Worte aber
„von
dort wird er kommen" mahnen uns, keinem
zu glauben, der behauptet, Christus zu
sein, und uns betrügen will, so wie es
der Antichrist am Ende der Welt machen
wird. Der wahre Christus wird nämlich
nicht aus irgendeinem Wald oder einem
unbekannten Ort kommen, sondern vom
höchsten Himmel mit so großer
Herrlichkeit und Majestät, dass niemand
mehr im Zweifel sein können wird, ob er
es ist oder nicht. Es ist, wie wenn die
Sonne aufgeht: Sie erscheint mit einer
so großen Helligkeit, dass niemand im
Zweifeln sein kann, ob es die Sonne ist
oder nicht.
S:
Warum sagen wir, dass er die Lebenden
und die Toten richten wird? Sind denn
dann nicht alle Menschen gestorben und
auch alle wieder auferstanden?
L:
Unter Lebenden und Toten kann man die
Guten, welche dem Geist nach durch die
Gnade lebendig sind, und die Bösen, die
wegen der Sünde geistigerweise tot sind,
verstehen. Aber es ist auch wahr,
dass Christus kommen wird, die zu
richten, die hinsichtlich des Leibes
lebendig sind und die hinsichtlich des
Leibes tot sind. Denn an jenem Tag wird
es viele geben, die bereits gestorben
sind, aber auch viele, die noch am Leben
sind. Obwohl die letzteren an jenem
letzten Tag am Leben sein werden,
darunter manche Jugendliche oder Kinder,
werden sie doch alle in einem Augenblick
sterben und sofort auferstehen, damit
auch sie die Todesschuld bezahlen.15
S: Ich
habe aber doch schon oft gehört, dass
derjenige, der in Todsünde stirbt,
sofort in die Hölle kommt, und dass
derjenige, der in der Gnade Gottes
stirbt, sofort in das Fegfeuer oder in
den Himmel kommt. Wenn also das Urteil
schon gesprochen ist, wieso müssen dann
alle noch gerichtet werden?
L:
Beim Tod eines jeden erfolgt das
besondere Gericht über diese Seele, die
eben den Leib verlässt. Am Jüngsten Tag
aber wird dann ein allgemeines Gericht
über die ganze Welt gehalten, und dies
aus mehreren Gründen. Erstens wegen der
Ehre Gottes: Jetzt sehen viele, dass es
den Bösen gut geht, den Guten aber
schlecht, und so denken sie, dass Gott
die Welt schlecht regiert. Dann aber
wird man klar erkennen, dass Gott sehr
wohl alles gesehen und bemerkt hat und
dass er in seiner großen Gerechtigkeit
den Bösen ein gewisses Wohlergehen auf
Zeit gegeben hat, um sie für ihre
wenigen guten Werke von geringer
Bedeutung zu belohnen, weil er ihnen
danach für ihre Todsünden die ewige
Strafe geben musste. Umgekehrt hat er
den Guten
eine auf
Erden vorübergehende Bedrängnis gegeben,
um sie für einige lässliche Sünden zu
bestrafen oder um ihnen eine Gelegenheit
zur Buße zu geben, weil er sie danach
mit einem unendlichen Schatz an
Herrlichkeit für ihre guten Werke reich
belohnen musste. Zweitens wegen der Ehre
Christi: Er war zu Unrecht verurteilt
worden und von vielen nicht erkannt und
nicht so geehrt worden, wie es ihm
zukam. Darum war es recht, dass ein Tag
kommen sollte, an dem die ganze Welt ihn
erkennen und als wahren König und Herrn
des Weltalls ehren wird, sei es
gezwungenermaßen oder sei es aus Liebe.
Drittens wegen der Ehre der Heiligen:
Alle sollen sehen, wie Gott die, die in
der Welt verfolgt und gequält worden
sind, verherrlicht hat. Viertens zur
Beschämung der stolzen Feinde Gottes.
Fünftens damit der Leib zusammen mit der
Seele seinen Urteilsspruch erhalte:
entweder Seligkeit oder Strafe.
Erklärung des achten Artikels
S: Der achte Artikel
lautet: „Ich glaube an den Heiligen
Geist." Was bedeutet „Heiliger Geist"?
L: Hier wird die dritte
Person der allerheiligsten
Dreifaltigkeit erklärt, so wie im ersten
die erste Person und in den folgenden
sechs die zweite Person. So ist also der
Heilige Geist weder Vater noch Sohn,
sondern eine dritte Person, die aus dem
Vater und dem Sohn hervorgeht und wie
der Vater und der Sohn wahrer Gott ist.
Ja, sie ist derselbe Gott, weil sie
dieselbe Gottheit hat, die auch im Vater
und im Sohn ist.
S: Ich möchte dafür gern
ein Gleichnis.
L: Göttliches kann man
nicht vollkommen mit Vergleichen aus dem
geschöpflichen Bereich, vor allem nicht
anhand von körperlichen Dingen,
erklären. Stellt euch trotzdem zum
Vergleich einen See vor, der von einem
Fluss hervorgebracht wird. Der Fluss
wiederum wird von einer Quelle
hervorgebracht, und doch ist alles
dasselbe Wasser. So bringt also der
ewige Vater wie eine Quelle den Sohn wie
einen Fluss hervor, und der Vater und
der Sohn bringen wie Quelle und Fluss
den Heiligen Geist wie einen See hervor.
Dennoch sind Vater, Sohn und Heiliger
Geist nicht drei Götter, sondern ein
einziger Gott.
S: Warum wird die dritte
Person der allerheiligsten
Dreifaltigkeit „Heiliger Geist" genannt?
Sind nicht auch alle Engel und alle
Seelen der Heiligen Geister und heilig?
L: Gott heißt im
eigentlichen Sinn des Wortes Heiliger
Geist, weil er der erhabenste Geist ist
und die größte Heiligkeit besitzt und
weil er der Urheber aller geschaffener
Geister und aller Heiligkeit ist. Es
gibt unter den Menschen viele, die durch
ihr Amt oder durch ihr vorbildliches
Leben Väter und heilig sind, wie etwa
viele fromme Bischöfe, Priester oder
Ordensgeistliche. Trotzdem nennt man nur
den Papst „Heiliger Vater", weil nur ihm
dieser Name im eigentlichen Sinn des
Wortes zukommt, da er das Haupt aller
anderen Väter ist und weil er durch sein
vorbildliches Leben der heiligste von
allen sein muss, so wie er es durch sein
Amt ist, weil er die Stelle der Person
Christi vertritt.
S: Wenn der Name
„Heiliger Geist" Gott im eigentlichen
Sinn des Wortes zukommt, warum nennt man
dann nur die dritte Person so? Sind denn
nicht auch der Vater und der Sohn im
eigentlichen Sinn des Wortes Geist und
heilig?
L: So ist es. Aber weil
die erste Person einen Eigennamen hat,
nämlich Vater, und auch die zweite einen
Eigennamen hat, nämlich Sohn, so ist für
die dritte Person der gemeinsame Name
geblieben, um sie von den anderen beiden
zu unterscheiden. Außerdem müsst ihr
wissen, dass, wenn man die dritte Person
Heiliger Geist nennt, diese beiden Worte
einen einzigen Namen bilden, so wie wenn
ein Mann Johannes Maria heißt, diese
zwei Worte Johannes Maria einen einzigen
Namen bilden, während sie sonst für
gewöhnlich zwei Namen sind, nämlich
Johannes und Maria.
S: Was bedeutet es, dass
der Heilige Geist in Gestalt einer Taube
dargestellt wird, vor allem über
Christus und über der Mutter Gottes?
L: Ihr dürft nicht
denken, dass der Heilige Geist einen
Leib hat, den man mit den leiblichen
Augen sehen kann, sondern man stellt ihn
so dar, damit wir verstehen, welche
Wirkungen er in den Menschen
hervorbringt. Und weil die Taube
einfältig, rein, voll aufopfernder
Fürsorge und fruchtbar ist, stellt man
sie über Christus und über der Mutter
Gottes dar. Dadurch sollen wir
verstehen, dass Christus und die Mutter
Gottes voll von allen Gnaden und allen
Gaben des Heiligen Geistes waren,
besonders von heiliger Einfalt, von
Reinheit, Seeleneifer und von
geistlicher Fruchtbarkeit, durch die sie
unzählige Kinder erhalten haben, nämlich
alle Gläubigen und frommen Christen.
S: Was bedeutet es, dass
über den Aposteln der Heilige Geist in
Form einer Feuerzunge dargestellt wird?
L: Weil der Heilige Geist
zehn Tage nach der Himmelfahrt des Herrn
über die Apostel kam und sie mit Wissen,
Liebe und Redegabe erfüllte. Dabei
lehrte er sie, in allen Sprachen zu
sprechen, damit sie den heiligen Glauben
in der ganzen Welt predigen konnten. Zum
Zeichen dieser wunderbaren Wirkungen
aber ließ er jene Feuerzungen
erscheinen, denn das Licht dieses Feuers
ist ein Sinnbild für die Weisheit, seine
Glut für die Liebe und die Form einer
Zunge für die Redegabe. Weil Gott damit
der Kirche eine unschätzbare Wohltat
erwiesen hat, feiert man jenes große
Fest, das Pfingsten oder Fest des
Heiligen Geistes heißt.
Erklärung des neunten Artikels
S: Was bedeutet das, was
man im neunten Artikel sagt: „die
heilige katholische Kirche, Gemeinschaft
der Heiligen"?
L: Hier
beginnt der zweite Teil des
Glaubensbekenntnisses, denn der erste
Teil handelt von Gott und der zweite von
der Kirche, der Braut Gottes. Und
wie wir in Gott eine Gottheit und drei
Personen glauben, so glauben wir bei der
Kirche, dass sie eine einzige Kirche ist
und dass sie drei ganz kostbare Güter
besitzt: das erste für die Seele,
nämlich die Vergebung
der Sünden, das zweite für den Leib, das
in der Auferstehung des Fleisches
bestehen wird, und das dritte für die
Seele und den Leib zusammen, was das
ewige Leben sein wird, wie wir in den
folgenden Artikeln sehen werden.
S: Erklären Sie mir bitte
Wort für Wort den ganzen Artikel! Was
bedeutet zunächst „Kirche"?
L: Das Wort bedeutet
Versammlung und Vereinigung von
Menschen, die sich taufen lassen und
sich zum Glauben und Gesetz Christi
bekennen im Gehorsam gegenüber dem
Heiligen Vater in Rom. Die Kirche heißt
Versammlung, weil wir zwar als
Italiener, Franzosen oder Angehörige
sonst irgendeines Landes geboren werden,
nicht aber als Christen. Statt dessen
werden wir von Gott berufen und treten
mittels der Taufe, die sozusagen die Tür
zur Kirche ist, in diese Vereinigung
ein. Es genügt aber nicht, getauft zu
sein, um in der Kirche zu sein. Man muss
auch glauben und sich zum heiligen
Glauben und zum Gesetz Christi bekennen,
so wie es uns die Hirten und Prediger
der Kirche lehren. Doch auch das genügt
noch nicht, sondern man muss sich im
Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater in
Rom als dem Stellvertreter Christi
befinden, d.h. ihn als höchstes
Oberhaupt an der Stelle Christi
anerkennen und ihn dafür halten.
S: Wenn die Kirche also
eine Vereinigung von Menschen ist, warum
verwenden wir dann das Wort „Kirche" für
die Gebäude, in denen die Heilige Messe
und das Stundengebet gehalten wird?
L: Weil die Gläubigen,
die die eigentliche Kirche sind, in
diesen Gebäuden zusammenkommen, um den
christlichen Gottesdienst abzuhalten.
Darum heißen diese Gebäude ebenfalls
Kirchen, vor allem wenn sie der
Verehrung Gottes eigens geweiht und
konsekriert sind. In diesem Artikel des
Glaubensbekenntnisses sprechen wir aber
nicht von den Kirchen, die aus Stein und
Holz gebaut sind, sondern von der
lebendigen Kirche, also den getauften
und dem Stellvertreter Christi
gehorsamen Gläubigen, wie ich bereits
sagte.
S: Warum heißt es „die
Kirche" und nicht „die Kirchen", wo es
doch viele solche Versammlungen von
Gläubigen in den verschiedenen Teilen
der Welt gibt?
L: Weil die Kirche nur
eine einzige ist, auch wenn sie alle
Gläubigen, die in der ganzen Welt
zerstreut sind, umfasst, und zwar nicht
nur diejenigen, die jetzt leben, sondern
auch diejenigen, die seit Anbeginn der
Welt gelebt haben, und diejenigen, die
bis zum Ende der Welt noch leben werden.
Darum heißt sie nicht nur die eine
Kirche, sondern auch noch die
katholische, d.h. die allumfassende
Kirche, weil sie sich auf alle Orte und
alle Zeiten erstreckt.
S: Aus welchem Grund wird
von der Kirche gesagt, sie sei eine
einzige, wenn sie doch eine so große
Menge von Menschen umfasst?
L: Sie ist eine einzige,
weil sie ein einziges Haupt hat, nämlich
Christus, und an seiner Stelle den
Heiligen Vater in Rom, und auch weil sie
von ein und demselben Geist belebt wird
und ein und dasselbe Gesetz hat. Ebenso
sagt man ja auch von einem Reich, es sei
ein einziges, weil es einen einzigen
König und ein und dasselbe Gesetz hat,
obwohl es in diesem Reich viele
Provinzen und noch mehr Städte und
Ortschaften gibt.
S: Warum sagt man, dass
diese Kirche heilig ist, wo es doch in
ihr viele böse Menschen gibt?
L: Aus drei Gründen heißt
sie heilig. Erstens weil ihr Haupt,
nämlich Christus, ganz heilig ist. Man
sagt ja auch von jemandem, der ein
schönes Gesicht hat, er sei ein schöner
Mensch, selbst wenn er einen verkrümmten
Finger oder irgendeinen Makel an Brust
oder Rücken hat. Zweitens weil alle
Gläubigen aufgrund des Glaubens und des
Bekenntnisses heilig sind. Denn sie
haben einen ganz wahren Glauben, der von
Gott stammt, und bekennen sich zu ganz
heiligen Sakramenten und zu einem ganz
gerechten Gesetz, das nichts fordert,
außer was gut ist, und nichts verbietet,
außer was böse ist. Drittens weil es in
der Kirche zu jeder Zeit einige
wirkliche Heilige gibt, nicht nur
aufgrund von Glaube und Bekenntnis,
sondern auch hinsichtlich Tugend und
Sitten, während es bei Juden, Türken,
Häretikern und ähnlichen Leuten, die
außerhalb der Kirche sind, keine
wirklich Heiligen geben kann.
S: Was bedeutet
„Gemeinschaft der Heiligen"?
L: Es bedeutet, dass der
Leib der heiligen Kirche derart geeint
ist, dass am Gut eines Gliedes alle
anderen Anteil haben.16 So
kommt es, dass, obwohl viele in fernen
Ländern sind und wir sie nicht kennen,
auch uns ihre Messen, Gebete,
Stundengebet und anderen guten Werke
nützen. Diese Gemeinschaft gibt es nicht
nur hier auf Erden, sondern unsere
Messen, Gebete und guten Werke helfen
auch denen im Fegfeuer, und die Gebete
derer, die im Paradies sind, helfen uns
und den Seelen im Fegfeuer.
S: Wenn das so ist, dann
braucht man doch keine Gebete für jemand
Bestimmtes zu verrichten noch die Messe
für diese oder jene Seele im Fegfeuer
lesen zu lassen, weil doch alles allen
gemeinsam zugute kommt.
L: So ist es nicht. Die
Messe, das Gebet und die anderen guten
Werke gehören zwar in gewisser Weise
allen, aber sie nützen dennoch denen,
für die man sie verrichtet, in viel
größerem Maß als den anderen.
S: Und was ist mit den
Exkommunizierten? Haben auch sie an den
Gütern der Gläubigen Anteil oder nicht?
L: Sie heißen deshalb
Exkommunizierte, weil sie nicht in der
Gemeinschaft der Heiligen stehen und wie
vom Baum abgeschnitten oder wie vom Leib
abgetrennte Glieder sind, die nicht an
dem guten Saft Anteil haben, der die
anderen Äste oder die mit dem Leib
verbundenen Glieder durchfließt. Daran
erkennt ihr, was für eine schwerwiegende
Sache die Exkommunikation ist: Denn der
kann Gott nicht zum Vater haben, der die
Kirche nicht zur Mutter hat.17
S: Dann befinden sich die
Exkommunizierten wie die Juden und die
anderen Ungläubigen außerhalb der
Kirche?
L: Ja, so ist es. Es gibt
freilich den Unterschied, dass die Juden
und die Türken außerhalb der Kirche
sind, weil sie die heilige Taufe nicht
empfangen haben und so nicht in sie
eingetreten sind. Die Häretiker, die
getauft sind, den Glauben jedoch
verloren haben, sind außerhalb, weil sie
die Kirche verlassen haben und von sich
aus davongelaufen sind. Deshalb setzt
ihnen die Kirche auch mit verschiedenen
Strafen zu, damit sie zum heiligen
Glauben zurückkehren. Es ist wie bei
einem Schaf, das von der Herde
weggelaufen ist und das der Hirte dann
mit dem Stock zurücktreibt. Die
Exkommunizierten dagegen haben den
Glauben und die Taufe und sind somit in
die Kirche hineingegangen, und sie
verlassen sie auch nicht von selbst
wieder, sondern sie werden mit Gewalt
davongejagt, so wie manchmal ein Hirt
ein räudiges Schaf davonjagt und es den
Wölfen zur Beute überlässt.18
Aber die Kirche jagt die
Exkommunizierten nicht davon, damit sie
für immer draußen bleiben. Sondern sie
sollen ihren Ungehorsam bereuen und
demütig darum bitten, zurückkehren zu
dürfen, um von neuem in den mütterlichen
Schoß der Kirche und in die Gemeinschaft
der Heiligen aufgenommen zu werden.
Erklärung des zehnten Artikels
S: Was versteht man unter
„Vergebung der Sünden", dem zehnten
Artikel?
L: Das ist das erste
dieser drei kostbarsten Güter, die es in
der Kirche gibt. Dazu muss man wissen,
dass alle Menschen als Sünder und Feinde
Gottes geboren werden und dass sie, wenn
sie dann aufwachsen, immer schlimmer
werden, solange ihnen nicht durch die
Gnade Gottes die Sünde vergeben wird und
sie dazu gelangen, Freunde und Kinder
Gottes zu werden. Nun findet sich diese
so große Gnade aber nirgendwo als allein
in der heiligen Kirche, in der es die
heiligen Sakramente, vor allem die Taufe
und die Buße, gibt,19 die als
himmlische Arznei die Menschen von allen
Krankheiten der Seele, den Sünden,
heilen.
S: Ich möchte gern, dass
Sie mir ein wenig genauer erklären, was
für ein Schatz diese Vergebung der
Sünden ist.
L: Auf der Welt gibt es
kein größeres Übel als die Sünde, nicht
nur weil aus ihr alle anderen Übel in
diesem und im jenseitigen Leben
entspringen, sondern auch, weil die
Sünde den Menschen zu einem Feind Gottes
macht. Was aber kann es Schlimmeres
geben, als ein Feind dessen zu sein, der
alles tun kann, was er will, und dem
niemand Widerstand leisten kann? Wer
wird den verteidigen können, dem Gott
zürnt? Und umgekehrt kann man in diesem
Leben kein größeres Gut finden, als in
der Gnade Gottes zu sein. Denn wer wird
dem schaden können, den Gott verteidigt,
wo doch alles in Gottes eigener Hand
ist? Ihr wisst ja, dass überhaupt unter
allen leiblichen Gütern das Leben am
meisten geschätzt wird, weil es die
Grundlage aller anderen Güter ist, und
dass der Tod am meisten verabscheut
wird, weil er das Gegenteil des Lebens
ist. Weil nun die Sünde der geistige Tod
der Seele ist, die Vergebung der Sünden
aber das Leben derselben Seele, so könnt
ihr euch leicht vorstellen, was für ein
großes Gut die Kirche besitzt, indem es
allein in ihr die Vergebung der Sünden
gibt.
Erklärung des elften Artikels
S: Was versteht man unter
„der Auferstehung des Fleisches", dem
elften Artikel?
L: Dies ist das zweite
der kostbarsten Güter der heiligen
Kirche, nämlich dass am Jüngsten Tag
alle, die die Vergebung der Sünden
erhalten haben, wieder lebendig werden.
S: Die anderen aber, die
außerhalb der Kirche sind oder die die
Vergebung der Sünden nicht erlangt
haben, werden jene nicht wieder lebendig
werden?
L: Was das natürliche
Leben angeht, werden alle wieder
lebendig werden20, die Guten
ebenso wie die Bösen. Weil aber die
Auferstehung der Bösen dazu erfolgen
wird, dass sie für immer Qualen
erleiden, nicht aber, damit sie
irgendein Gut erlangen, so muss man ihr
Leben eher einen ständigen Tod nennen
statt wahres Leben. So wird die wahre
Auferstehung, d. h. das erstrebenswerte
Leben, nur für die Guten sein, die ohne
Sünde angetroffen werden.
S: Ich möchte gern
wissen, ob genau diese Leiber, die wir
jetzt haben, auferstehen werden oder
andere, ihnen ähnliche?
L: Ohne Zweifel werden
genau diese Leiber auferstehen21,
weil es sonst keine wahre Auferstehung
wäre, wenn nicht genau das, was
hingesunken ist, auferstehen würde, und
nicht genau das, was gestorben ist,
wieder lebendig würde. Zudem wird es die
Auferstehung geben, damit der Leib am
Lohn oder an der Strafe teilnimmt, so
wie er an den guten Werken oder an den
Sünden beteiligt war. Darum muss es
derselbe Leib sein, weil ein anderer
weder Strafe noch Lohn verdient hätte.
S: Wie ist es möglich,
dass das wieder lebendig wird, was
verbrannt worden ist und dessen Asche in
den Wind gestreut oder in den Fluss
geworfen worden ist?
L: Aus dem Grund heißt es
am Anfang des Glaubensbekenntnisses,
dass Gott allmächtig ist, weil er das
tun kann, was uns unmöglich erscheint.
Wenn ihr aber bedenkt, dass Gott den
Himmel und die Erde aus nichts gemacht
hat, dann wird es euch auch nicht
schwerfallen zu glauben, dass er
dasjenige wieder in sein früheres Dasein
rufen kann, was zu Asche geworden ist.22
S: Ich möchte gern
wissen, ob die Männer wieder Männer und
die Frauen wieder Frauen sein werden
oder ob alle in einer einzigen Weise
existieren werden?
L: Für den Glauben ergibt
es sich zwangsläufig, dass die Männer
Männer und die Frauen Frauen sein werden23,
weil es sonst nicht dieselben Leiber
wären wie vorher. Und dass es dieselben
sein müssen, habe ich euch ja schon
gesagt. Wenn auch im anderen Leben keine
Kinder mehr gezeugt werden und es weder
Ehemann noch Ehefrau geben wird, wird es
doch die Verschiedenheit von Mann und
Frau geben, damit jeder den Lohn für die
besonderen Tugenden, die er gerade als
Mann oder als Frau ausgeübt hat,
genießt. Und wie im Paradies die
Herrlichkeit der Märtyrer und der
Bekenner einen schönen Anblick bieten
wird, so wird es ebenfalls schön sein,
die Herrlichkeit der Jungfrauen und ganz
besonders der Mutter des Herrn zu
schauen.
S: Ich möchte gern, dass
Sie mir sagen, in welchem Alter und in
welcher Gestalt sie auferstehen werden,
da doch einige als Kinder, andere als
Jugendliche und wieder andere als Alte
sterben.
L: Alle werden in der
Gestalt und in dem Zustand auferstehen,
welchen sie im Alter von 33 Jahren, in
dem unser Herr auferstanden ist, gehabt
haben oder gehabt hätten.24
So werden die Kinder so groß
auferstehen, wie sie gewesen wären, wenn
sie 33 Jahre alt geworden wären, und die
Alten werden in jener Lebensfrische
auferstehen, die sie hatten, als sie 33
Jahre alt waren. Und wenn jemand in
diesem Leben blind, lahm oder
zwergwüchsig oder sonst irgendwie
entstellt war, wird er unversehrt,
gesund und mit jeder Vollkommenheit
auferstehen. Die Werke Gottes sind
nämlich vollkommen25, und so
wird er in der Auferstehung, die ganz
sein eigenes Werk sein wird, die Fehler
und Mängel der Natur beseitigen.
Erklärung des zwölften Artikels
S: Was versteht man unter
„dem ewigen Leben", dem letzten Artikel?
L: Darunter versteht man
eine vollendete Glückseligkeit der Seele
und des Leibes. Dies ist das höchste Gut
und das letzte Ziel, das wir dadurch
erreichen, dass wir in der Kirche sind.
S: Sagen Sie mir bitte im
einzelnen, welche Güter es im ewigen
Leben gibt!
L: Ich möchte euch dieses
Geheimnis durch einen Vergleich mit den
Dingen dieser Welt lehren. Wie ihr
wisst, wünscht sich in diesem Leben
jeder einen Leib, der gesund, schön,
beweglich und widerstandsfähig ist,
sowie eine Seele, die hinsichtlich des
Verstandes weise, klug und gelehrt ist
und hinsichtlich des Willens voll von
jeglicher Tugend. Darüber hinaus wünscht
man sich äußere Güter, also Reichtümer,
Ehren, Macht und Vergnügungen. Im ewigen
Leben wird nun der Leib anstelle der
Gesundheit sogar die Unsterblichkeit,
verbunden mit Leidensfreiheit, haben26,
d.h. dass nichts ihm schaden kann;
anstelle der Schönheit sogar die
Verklärung, d.h. einen Glanz, wie ihn
die Sonne hat; anstelle der
Beweglichkeit sogar die Subtilität, also
die Feinheit, d.h. dass er sich in einem
Augenblick ohne die geringste
Anstrengung von einem Teil der Welt zum
andern und von der Erde zum Himmel
bewegen kann; anstelle der
Widerstandsfähigkeit wird der Leib sogar
so kräftig sein, dass er dem Geist in
allem, was ihm nötig sein wird, ohne zu
essen, ohne zu trinken, ohne zu schlafen
und ohne sich auszuruhen dienen kann und
dass er vor gar nichts Angst haben wird.
Was die Seele angeht, so wird der
Verstand voll Weisheit sein, weil er den
Grund aller Dinge schauen wird, nämlich
Gott. Der Wille wird von einer so großen
Güte und Liebe erfüllt sein, dass er
nicht in der Lage sein wird, auch nur
eine lässliche Sünde zu begehen. Die
Reichtümer der Seligen werden darin
bestehen, nichts zu brauchen, da sie in
Gott jedes Gut besitzen. Die Ehre wird
darin bestehen, Kinder Gottes zu sein,
den Engeln gleich,27 und auf
ewig Könige und geistliche Priester zu
sein.28 Die Macht wird darin
bestehen, dass sie gemeinsam mit Gott
über die ganze Welt herrschen und all
das tun, was sie wollen. Sie werden
nämlich mit dem Willen Gottes vereint
sein, dem nichts widerstehen kann.
Schließlich wird die Freude
unaussprechlich sein, denn alle Kräfte
der Seele wie des Leibes werden mit den
Gegenständen, auf die hin sie
ausgerichtet sind, vereint sein, woraus
eine vollständige Zufriedenheit, ein
Friede, wie man ihn nie zuvor erlebt
hat, sowie ewige Wonne und Jubel
erwachsen werden.29
S: Wenn alle dies haben
werden und alle in derselben Weise
zufrieden sein werden, wird dann im
Paradies das Maß der Glückseligkeit für
alle gleich sein?
L: Nein, wer in diesem
Leben mehr Verdienst erworben hat, wird
auch einen größeren Lohn haben und
seliger sein. Es wird aber trotzdem
keinen Neid und keine Unzufriedenheit
geben, weil alle ihrer Fassungskraft
entsprechend erfüllt sein werden, und so
diejenigen, die mehr Verdienste haben,
auch mehr fassen können und damit eine
größere Herrlichkeit haben werden.30
Es ist, wie wenn beispielsweise ein
Vater viele Kinder hätte, entsprechend
ihrem Alter eines jeweils größer als das
andere, und allen ein Kleid aus
Goldbrokat machen ließe, jedem in der
passenden Größe. Dann würden die Großen
zweifellos ein größeres, wertvolleres
Kleid haben, und trotzdem wären alle
zufrieden, und die Kleinen würden nicht
die Kleider der Großen haben wollen,
weil sie ihnen nämlich gar nicht passen
würden.
S: Warum wird die
Seligkeit des Paradieses ewiges Leben
genannt? Leben denn nicht auch die
Verdammten in der Hölle ewig?
L: Von dem, was sich von
selbst bewegt, sagt man, dass es im
eigentlichen Sinne lebt. Deshalb nennt
man auch in gewisser Weise das Wasser
einer Quelle lebendiges Wasser, weil es
sich von selbst bewegt, das der Sümpfe
dagegen tot, weil es ein stehendes
Gewässer ist. Ebenso sagt man von den
Seligen im Himmel, dass sie ewiges Leben
haben, weil sie ohne jede
Beeinträchtigung mit ihren inneren und
äußeren Kräften alles wirken können, was
sie wollen, und weil sie so allezeit
wirken und sich betätigen, wie es ihnen
gefällt. Die Verdammten in der Hölle
leben zwar, weil sie niemals aufhören,
verzehrt zu werden, trotzdem haben sie,
wie man sagt, einen ewigen Tod, weil sie
dem Feuer und den Qualen nicht entrinnen
können und gezwungen sind, allezeit das
zu leiden, was sie nicht wollen, und
nichts von dem, was sie wollen, auch tun
können. So genießen die Seligen im
Himmel jegliches Gut ohne Beimischung
irgendeines Übels, und die Verdammten in
der Hölle erleiden jegliches Übel, ohne
je irgendetwas von dem, was sie
ersehnen, erlangen zu können.
S: Was bedeutet das Wort
„Amen", das man an das Ende des
Glaubensbekenntnisses setzt?
L: Es bedeutet: Das ist
die Wahrheit, d.h. alles, was gesagt
wurde, ist wahr und gewiss.
Kapitel IV: Erklärung des Vater Unser
(Gebet des Herrn)
S: Mit der Gnade Gottes
habe ich nun das gelernt, was ich
glauben muss. Jetzt möchte ich gern,
dass Sie mich das lehren, was ich hoffen
und wünschen darf und mit welchen
Mitteln ich es erlangen kann.
L: Alles, was ihr jetzt
von mir wissen wollt, ist im Gebet des
Herrn, das wir das Vater Unser nennen,
enthalten. Denn in diesem Gebet wird
erklärt, was man wünschen soll und wen
man darum bitten soll. Und dieses Gebet
ist zugleich das Mittel, es auch zu
erlangen.
S: Was ist das Gebet des
Herrn?
L: Es lautet: „Vater
Unser im Himmel..."
S: Warum geben Sie dem
Vater Unser den Vorzug vor allen anderen
Gebeten?
L: Erstens weil es das
hervorragendste von allen ist, ist es
doch von Christus selbst, der höchsten
Weisheit, verfasst. Zweitens weil dieses
Gebet ganz kurz ist, was zum Erlernen
und zum Auswendigbehalten von Vorteil
ist; gleichzeitig ist es aber reich an
Inhalt, umfasst es doch alles, was man
von Gott erbitten soll31.
Drittens weil es das nützlichste und das
wirksamste Gebet ist, ist es doch von
dem verfasst, der zugleich unser Richter
und unser Fürsprecher ist und deshalb
besser als jeder andere weiß, wie man
bitten muss, um auch etwas zu empfangen.
Viertens weil es das notwendigste von
allen ist, wenn man sich vor Augen hält,
dass alle Christen dazu verpflichtet
sind, es sprechen zu können und es jeden
Tag auch zu beten.32 Darum
heißt es auch das tägliche Gebet, d.h.
Gebet, das jeden Tag zu verrichten ist.
S: Beginnen Sie nun bitte
damit, mir diese ersten Worte zu
erklären: „Vater unser im Himmel".
L: Diese wenigen Worte
sind gewissermaßen eine kurze Einleitung
oder eine Vorbereitung zum Gebet. Denn
indem wir sagen, dass Gott unser Vater
ist, fassen wir Mut und Vertrauen, zu
ihm zu beten. Indem wir dann sagen, dass
er im Himmel ist, erinnern wir uns
daran, dass wir mit großer Furcht und
Demut zu ihm kommen müssen, weil er kein
irdischer, sondern ein himmlischer Vater
ist. Weiterhin führen wir uns dadurch,
dass wir sagen, er sei Vater, vor Augen,
dass er unsere Bitten gerne auch
erfüllen will. Indem wir sagen, dass er
im Himmel ist als Herr und Gebieter der
Welt, begreifen wir, dass er tun kann,
was er will. Ein letzter Grund ist
schließlich, dass, indem wir sagen, dass
er Vater ist, wir uns daran erinnern,
dass wir Kinder Gottes und Erben des
Paradieses sind. Indem wir sagen, dass
'er im Himmel ist, und uns vor Augen
führen, dass wir dagegen auf der Erde
sind, erinnern wir uns daran, dass wir
noch nicht im Besitz unseres Erbes sind,
sondern Pilger und Wanderer im
Feindesland, so dass wir seine Hilfe
dringend nötig haben.
S: Erklären Sie mir bitte
alle Worte im einzelnen!
L: Das Wort „Vater" kommt
Gott zwar insofern zu, als er durch die
Schöpfung Vater aller Dinge ist. In
diesem Gebet aber wird Gott Vater
genannt, insofern er Vater aller frommen
Christen ist, dadurch dass er sie als
seine Kinder angenommen hat.33
Es stimmt aber ebenfalls, dass auch
diejenigen zu Gott „unser Vater" sagen
können, die sich bekehren wollen und
Kinder Gottes werden wollen,34
so dass nur diejenigen nicht in Wahrheit
„Vater unser" sagen können, die keine
Kinder Gottes sind und es auch nicht
werden wollen, da sie nicht einmal daran
denken, sich zu bekehren.
S: Warum heißt es „Vater
unser" und nicht „mein Vater"?
L: Man sagt „Vater
unser", damit wir begreifen, dass wir
alle Brüder und Schwestern sind und uns
als Geschwister lieben und untereinander
eins sein müssen, sind wir doch Kinder
desselben Vaters. Es heißt auch „Vater
unser", um uns zu belehren, dass das
gemeinsame Gebet besser als das private
ist;35 außerdem ist es für
den, der betet, selbst auch nützlicher.
Denn während alle sagen „Vater unser",
betet jeder einzelne für alle und alle
beten für jeden einzelnen.36
S: Warum sagt man „im
Himmel"? Ist Gott nicht überall?
L: Man sagt, dass Gott im
Himmel wohnt, nicht weil er nicht
überall wäre, sondern weil der Himmel
der edlere Teil der Welt ist und weil in
ihm die Größe, Macht und Weisheit Gottes
mehr widerscheint37, und
schließlich weil Gott sich in ihm den
Engeln und den seligen Menschen von
Angesicht zu Angesicht zeigt.38
Man kann auch sagen, Gott ist im Himmel,
weil er in besonderer Weise in den
Engeln und in den heiligen Menschen
wohnt, die so im geistlichen Sinne
Himmel sind.
S: Kommen wir nun zur
ersten Bitte. Was bedeutet „geheiligt
werde dein Name"?
L: Das Wort „Name"
bedeutet an dieser Stelle den Ruf und
die Bekanntheit, so wie wir sagen,
jemand habe einen großen Namen, weil er
bei vielen bekannt ist. Oder wir sagen,
jemand habe einen guten oder einen
schlechten Namen, weil er einen guten
oder einen schlechten Ruf hat, da er bei
vielen bekannt ist und als ein Guter
gelobt oder als ein Böser getadelt wird.
Den Namen Gottes zu heiligen beinhaltet
darum nichts anderes als den Glauben an
Gott in der Welt zu verbreiten und ihn
rein und heilig in den Herzen und im
Mund der Menschen zu erhalten, so wie er
es an sich ja ist.39 Weil es
aber auf der Welt viele Ungläubige gibt,
die Gott nicht kennen, und viele
schlechte Christen, die ihn lästern und
verfluchen, beten diejenigen, die Kinder
Gottes sind und Eifer für die Ehre ihres
Vaters haben, mit großem Verlangen, dass
sein Name geheiligt werde, d.h. dass er
so, wie er es verdient, auf der ganzen
Erde erkannt, angebetet, bekannt, gelobt
und gepriesen wird.
S: Wenn wir danach
verlangen, dass Gott von den Menschen
erkannt und gelobt wird, wäre es dann
nicht besser, die Menschen darum zu
bitten und nicht Gott?
L: Der Mensch ist nicht
von sich aus in der Lage, Gott zu
erkennen und zu loben. Deshalb bitten
wir Gott, dass er mit seiner heiligen
Gnade so wirke, dass die Ungläubigen und
die anderen Sünder sich bekehren und,
einmal bekehrt, beginnen, seinen
heiligen Namen zu erkennen und zu loben.
S: Warum beginnt das
Gebet mit der Bitte darum, dass der Name
Gottes geheiligt werde?
L: Wir sind dazu
verpflichtet, Gott über alles und mehr
als uns selbst zu lieben. Darum muss
unser erstes und häufigstes Verlangen
das nach der Ehre Gottes sein. Dazu
nämlich wurden wir erschaffen und mit
Vernunft geschmückt, dass wir Gott
erkennen und loben. Darin besteht denn
auch unser höchstes Gut, wie wir gleich
sagen werden.
S: Erklären Sie mir jetzt
bitte die zweite Bitte, d. h. „dein
Reich komme".
L: Der rechten Ordnung
entsprechend erbittet man in dieser
Bitte das eigene Heil, denn in der
ersten hat man die Ehre Gottes erbeten.
S: Was muss man unter
Reich Gottes verstehen?
L: In dreierlei Weise
kann man das Reich Gottes verstehen.
Denn es gibt ein Reich der Natur, ein
Reich der Gnade und ein Reich der
Herrlichkeit. Das Reich der Natur ist
das, wo Gott alle Geschöpfe als
absoluter Herr aller Dinge lenkt und
regiert. Obwohl nämlich die gottlosen
Menschen sich bemühen, Unheil
anzurichten, und das Gesetz Gottes nicht
beachten, herrscht Gott dennoch über
sie, weil er ihre Pläne vereitelt, wenn
es ihm gefällt. Wenn er es aber doch
manchmal zulässt, dass sie das erlangen,
was sie wollen, bestraft er sie danach
streng, und es gibt niemanden, der
seinem Willen widerstehen kann oder
etwas tun kann, wenn er es nicht
befiehlt oder zulässt. Das Reich der
Gnade ist das, wo Gott die Seelen und
Herzen der guten Christen lenkt und
regiert, indem er ihnen die Gesinnung
und die Gnade gibt, ihm bereitwillig zu
dienen und seine Ehre mehr als alles
andere zu suchen. Das Reich der
Herrlichkeit wird im Jenseits nach dem
Tag des Gerichts sein, weil Gott dann
mit allen Heiligen über alles
Geschaffene herrschen wird, ohne dass es
irgendeinen Widerstand geben wird. Denn
dann wird den Dämonen und allen
gottlosen Menschen alle Macht genommen
sein, und sie werden in den ewigen
Kerkern der Hölle gefangen sein. In
jener Zeit wird dann auch der Tod
ausgelöscht sein sowie der Zustand der
Verderbnis samt allen Versuchungen der
Welt und des Fleisches, die die Diener
Gottes jetzt plagen. Infolgedessen wird
es ein friedliches Reich sein, in dem
jeder die vollkommene, ewige
Glückseligkeit als unverlierbaren Besitz
hat.
S: Um welches dieser drei
Reiche geht es in dieser Bitte?
L: Es geht nicht um das
erste, weil es nicht erst kommen muss,
sondern schon gekommen ist, und auch
nicht um das zweite, weil davon die
erste Bitte handelt und es zum Teil
bereits gekommen ist. Vielmehr spricht
man vom dritten, das kommen soll40
und das all jene mit großem Verlangen
erwarten, die das Elend dieses Lebens
kennen. Darum betet man in dieser Bitte
um unser höchstes Gut und die
vollkommene Herrlichkeit für die Seele
und den Leib.
S: Wenn das Reich Gottes,
nach dem wir verlangen und von dem wir
erbitten, dass es bald komme, erst nach
dem Tag des Gerichts beginnt, dann
verlangen wir also danach und erbitten,
dass die Welt bald ein Ende nimmt und
dass bald der Tag des Gerichts kommt?
L: Ja, so ist es. Denn
während es für die, die die Welt lieben,
keine schlimmere Nachricht geben kann,
als vom Tag des Gerichts zu hören,
sehnen sich die Bürger des Himmels, die
jetzt als Pilger und Verbannte hier
unten auf der Erde leben, nach nichts
mehr als gerade danach. Darum sagt der
hl. Augustinus, dass wie vor dem Kommen
Christi in die Welt alles Verlangen der
Heiligen des alten Bundes sich auf das
erste Kommen Christi richtete, sich so
jetzt alles Verlangen der Heiligen des
neuen Bundes auf die Wiederkunft
desselben Christus richtet, der uns die
vollkommene Seligkeit bringen wird.41
S: Lassen Sie uns zur
dritten Bitte übergehen. Was bedeuten
die Worte: „Dein Wille geschehe, wie im
Himmel, so auf Erden"?
L: Mit diesen Worten
erbittet man die Gnade, das Gesetz
Gottes in rechter Weise zu befolgen.
Weil man nämlich in der zweiten Bitte
das ewige Leben erbeten hat, welches das
Ziel des Menschen ist, ist es
angemessen, dass man nun das wichtigste
Mittel erbittet, um zu diesem letzten
Ziel auch zu gelangen. Dieses wichtigste
Mittel ist aber die Befolgung der Gebote
Gottes, wie es uns unser Herr gesagt
hat: „Wenn du ins ewige Leben eingehen
willst, befolge die Gebote!"42
Weil wir aber nicht von selbst in der
Lage sind, alle Gebote in angemessener
Weise zu befolgen, bitten wir Gott, dass
sein Wille von uns getan wird, d.h. dass
er uns die Gnade gibt, seinen Willen zu
erfüllen, indem wir in jeder Hinsicht
seinen heiligen Geboten gehorchen.
S: Wir sind also dazu
verpflichtet, den Willen Gottes zu tun,
indem wir seine Gebote befolgen. Sind
wir außerdem auch verpflichtet, unseren
Willen nach dem Willen Gottes
auszurichten, wenn er uns Leiden
schickt?
L: Zumindest sind wir
dazu verpflichtet, nicht zu murren und
uns nicht über die göttliche Vorsehung
zu beklagen,43 denn all das,
was er uns schickt oder zulässt, tut er
mit guter Absicht. Falls wir gut sind,
will er uns damit Gelegenheit geben,
mehr Verdienste zu erwerben; falls wir
böse sind, will er uns dadurch reinigen.
S: Warum ist hinzugefügt:
„wie im Himmel, so auf Erden"?
L: Um uns zu lehren, dass
wir danach trachten müssen, mit
derselben Vollkommenheit,
Bereitwilligkeit und Freude Gott zu
gehorchen und seine Gebote zu befolgen,
wie die Engel im Himmel es tun, die alle
Gebote ohne den geringsten Verstoß
befolgen.44
Man kann auch sagen, dass wir danach
verlangen und es erbitten, dass die
Sünder, die mit „Erde" gemeint sind,
Gott so gehorchen wie die Heiligen, die
mit „Himmel" gemeint sind.45
Oder auch, dass die ganze Kirche, für
die hier „Erde" steht, Gott ganz und gar
gehorche, wie ihm Christus gehorcht hat,
für den hier „Himmel" steht.46
S: Kommen wir zur vierten
Bitte. Was bedeutet: „Unser tägliches
Brot gib uns heute"?
L: Mit gutem Grund
erbittet man das Brot, das das Leben
erhält, nachdem man die Gnade erbeten
hat, die das Leben selbst ist. Denn das
erste, wonach jemand verlangt, der zu
leben beginnt, ist nichts anderes als
die Speise, mit der man sich am Leben
erhält. Ihr müsst aber wissen, dass man
in diesem Gebet hauptsächlich das
geistliche Brot erbittet, das die Speise
für die Seele ist, und erst in zweiter
Linie das materielle Brot, das die
Speise für den Leib ist. Unter
geistlichem Brot versteht man aber das
allerheiligste Altarsakrament, das
göttliche Brot des Himmels, das auf
wunderbare Weise das Leben der Seele
nährt. Ebenso versteht man darunter das
Wort Gottes, das in den Predigten und in
der Lesung geistlicher Bücher nicht
wenig dazu beiträgt, dieses Leben der
Seele zu nähren. Schließlich versteht
man darunter auch die Eingebung Gottes,
das Gebet, und alles andere, was dazu
hilft, in uns die Gnade zu erhalten und
zu vermehren, die wie gesagt das Leben
der Seele ist. Unter leiblichem Brot
versteht man all das, was nötig ist, um
das Leben des Leibes zu erhalten, der
für die Seele das Werkzeug ist, mit dem
sie ihre guten Werke verrichtet.
S: Warum nennt man es
„unser" Brot?
L: Darin liegt eine tiefe
verborgene Bedeutung, dass wir es als
„unser" Brot erbitten. Denn wenn wir vom
allerheiligsten Sakrament sprechen, dann
ist dies unser Brot, weil es um unseres
Heiles willen vom Heiligen Geist im
Schoß der seligen Jungfrau gebildet ist
sowie, so könnte man bildhaft sagen, im
glühenden Ofen des heiligen Kreuzes
gebacken und durch die Hand des
Priesters auf dem Altar für uns
aufgetragen wird. Darüber hinaus ist es
unser, weil es das Brot ist, das den
Kindern gehört47 und das man
nicht den Hunden, d.h. den Ungläubigen,
geben kann und auch nicht denen, die
sich in Todsünde befinden. Wenn wir von
der Lehre sprechen, erbitten wir
ebenfalls „unser" Brot, nämlich das, was
die wahren Prediger den Kindern der
heiligen Kirche austeilen, nicht aber
das fremde Brot, d.h. das, was die
Häretiker ihren Anhängern geben, ein
verdorbenes, verseuchtes Brot. Wenn wir
dagegen vom leiblichen Brot sprechen,
wünschen wir, dass Gott uns unser
Brot gibt und nicht das der anderen,
d.h. dass er uns beim gerechten und
ordentlichen Broterwerb helfe und dass
er auch unsere Besitztümer, Weinberge
und all unsere Mühe segne, damit wir uns
den Lebensunterhalt ohne Diebstahl und
Betrug verschaffen können.48
S: Warum nennt man dieses
Brot das tägliche?
L: Es heißt täglich, d.h.
Brot für jeden Tag, damit wir keine
übertriebenen oder außergewöhnlichen
Dinge wünschen, sondern nur das, was als
einfache tägliche Nahrung ausreicht, und
zwar für die Seele ebenso wie für den
Leib, vor allem weil wir ja wissen, dass
wir in diesem Leben Pilger und Fremde
sind.49
S: Warum sagt man „gib
uns"?
L: Wir müssen uns zwar
abmühen, um unser geistliches und
leibliches Brot zu bekommen, aber wir
sollen dabei doch wissen, dass all
unsere Mühe umsonst wäre, wenn Gottes
Gnade nicht mit uns mitwirkte. So sehen
wir es ja häufig, dass die Menschen sich
zwar beim Säen und Ernten abmühen, aber
trotzdem wegen der Sünden der Welt
Hungersnöte kommen. Auch erbitten wir,
dass Gott uns unser Brot gibt, nämlich
indem er uns nicht nur hilft, es zu
beschaffen und zu erwerben, sondern es
auch segnet und heiligt, wenn wir es
genießen, damit es uns auch wirklich von
Vorteil ist bzw. der Seele und dem Leibe
nützt.50
S: Warum wird das Wort
„heute" hinzugefügt?
L: Das Wort „heute" steht
für die ganze Zeit, die man auf Erden
lebt.51 So bitten wir Gott,
dass er uns während dieser ganzen
Pilgerschaft mit geistlichem und
leiblichem Brot unterstütze, bis wir zur
himmlischen Heimat gelangen, wo wir dann
keine Sakramente und Predigten, ja nicht
einmal mehr leibliches Brot brauchen
werden.52 Man kann auch
sagen, dass wir Gott bitten, dass er uns
heute dieses Brot geben möge, weil wir
nicht darum besorgt sein wollen, was wir
morgen brauchen werden.53 Wir
wissen ja nicht, ob wir morgen überhaupt
noch am Leben sein werden. So hat uns
auch unser Herr gelehrt, nur für die
Gegenwart zu sorgen. Und so erbitten wir
das Brot, das uns für heute reicht, auch
am heutigen Tag; das von morgen werden
wir auch erst morgen erbitten.
S: Bei dem, was Sie
sagen, kommen mir aber Bedenken. Wenn
wir nämlich unsere Mühe nur auf die
Gegenwart richten sollen, dann handeln
ja diejenigen schlecht, die sich für ein
ganzes Jahr Vorräte an Korn, Wein und
anderem Notwendigen anlegen.
L: Wenn unser Herr uns
lehrt, unsere Mühe bloß auf die
Gegenwart zu richten, will er uns damit
nur von überflüssigen Sorgen befreien,
die das Gebet und andere wichtigere
Dinge stark behindern, die auf den
Gewinn des ewigen Lebens gerichtet sind.
Wenn also das Denken an die Zukunft
nicht überflüssig, sondern notwendig ist
wie etwa beim Anlegen von Vorräten,
wovon ihr gesprochen habt, dann ist es
nicht schlecht, an die Zukunft zu
denken. Ja, ein solcher Gedanke richtet
sich nicht auf morgen, sondern auf
heute. Würden wir damit nämlich bis
morgen warten, dann würden wir die
rechte Stunde dafür verpasst haben.
S: Es folgt die fünfte
Bitte. Was bedeutet: „Und vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben
unseren Schuldigern"?
L: In den vorangegangenen
vier Bitten haben wir Gott bereits
gebeten, dass er uns jegliches ewige
sowie zeitliche Gut gebe. In den drei
folgenden bitten wir nun, dass er uns
von jeglichem vergangenen, gegenwärtigen
und zukünftigen Übel befreie. Ihr seht
also, es stimmt, was ich euch schon
anfangs sagte, dass nämlich in diesem
Gebet alles, wonach man verlangen kann,
enthalten ist. In dieser Bitte flehen
wir also nun, Gott möge uns vom
vergangenen Übel befreien, d.h. von den
Sünden, die wir begangen haben. Unser
Herr hat ja den heiligen Aposteln, als
er sie dieses Gebet lehrte, erklärt,
dass man unter Schuld die Sünden
verstehen muss.55
S: Warum heißen die
Sünden „Schuld"?
L: Aus drei Gründen:
Erstens weil jeder Mensch, der sündigt,
Gott beleidigt. Er schuldet Gott die
Genugtuung für das Unrecht, das er ihm
gegenüber begangen hat. Zweitens weil
ein Sünder das Gesetz Gottes übertritt.
Weil besagtes Gesetz aber demjenigen
Lohn verheißt, der es beachtet, Strafe
aber dem, der es nicht beachtet, bleibt
der, der es nicht beachtet, die
Bezahlung der genannten Strafe schuldig.
Drittens weil jeder von uns dazu
verpflichtet ist, den Weinberg seiner
Seele zu bebauen und Gott die Frucht der
guten Werke abzuliefern. Wer darum keine
guten Werke tut, und erst recht, wer
böse anstelle von guten Werken tut, ist
Schuldner Gottes, der der wahre Besitzer
all dieser Weinberge ist. Da wir uns
aber alle häufig verfehlen, indem wir
einerseits tun, was wir nicht dürfen,
und andererseits nicht tun, wozu wir
verpflichtet sind, ist es ganz recht,
dass wir mehrmals am Tag Gott ganz
demütig darum bitten, dass er uns unsere
Schuld vergibt.
S: Warum fügt man hinzu:
„wie auch wir vergeben unseren
Schuldigern"?
L: Unter Schuld versteht
man hier erneut die Beleidigungen und
Kränkungen, die uns von unserem Nächsten
zugefügt werden. Wir sagen Gott dabei,
dass er uns die Beleidigungen verzeihen
möge, so wie wir sie dem verzeihen, der
uns beleidigt hat. Wie folglich jemand,
der die ihm vom Nächsten zugefügten
Beleidigungen verzeiht, bereiter wird,
die Verzeihung für die Beleidigungen,
die er Gott zugefügt hat, zu erlangen,
so macht sich umgekehrt jemand, der dem
Nächsten die Kränkungen selbst nicht
verzeihen will, damit unwürdig, von Gott
verziehen zu bekommen. Und indem wir
sagen, dass wir unseren Feinden die
Kränkungen verzeihen, werden wir
schließlich zeigen, dass wir
Barmherzigkeit für etwas
Erstrebenswertes halten und dass wir es
für ein Zeichen eines großmütigen und
edlen Charakters halten zu verzeihen.
Infolgedessen kann Gott, wenn wir ihn um
Barmherzigkeit bitten, uns nicht
antworten: Wie willst du, dass ich dir
Barmherzigkeit erweise, wo du doch die
Barmherzigkeit hasst? Und wie kannst du
bitten, dass ich dir vergebe, wo du es
für ein Zeichen von Charakterschwäche
hältst zu verzeihen?56
S: Erklären Sie mir bitte
die sechste Bitte: „Und führe uns nicht
in Versuchung!"
L: In dieser Bitte
erfleht man Hilfe gegen das zukünftige
Böse, d.h. gegen die Versuchungen. Sie
sind die Mittel, um uns in Sünde fallen
zu lassen. Nun müsst ihr wissen, dass
man hauptsächlich erfleht, Gott möge es
nicht zulassen, dass wir von der
Versuchung besiegt bzw. überwunden
werden.57 Weil die
Versuchungen aber sehr gefährlich sind
und der Sieg unsicher ist, erfleht man
auch, Gott möge es nicht zulassen, dass
wir in Versuchung geraten,58
vor allem, wenn er sieht, dass nicht
wir, sondern der Teufel siegen würde.
Daraus könnt ihr eine schöne Lehre
ziehen, dass nämlich der Teufel uns
nicht nur nicht besiegen kann, sondern
uns noch nicht einmal in Versuchung
führen kann, wenn es Gott nicht zulässt.
S: Die Worte: „Führe uns
nicht in Versuchung!" verstehe ich nicht
recht. Das scheint doch zu bedeuten,
dass Gott die Menschen normalerweise in
Versuchung führt und wir ihn nun darum
bitten, dass er es nicht tut.
L: In Versuchung führen,
sei es zum Bösen versuchen oder sei es
in die Sünde stürzen, ist eine
Eigenschaft des Teufels, in keinerlei
Hinsicht dagegen die Sache Gottes, der
ganz im Gegenteil die Sünde aufs
äußerste hasst.59 Wenn es von
Gott heißt, dass er jemanden in
Versuchung führt, dann bedeutet das nach
der Redeweise der Heiligen Schrift
nichts anderes, als dass er zulässt,
dass jemand versucht wird oder von der
Versuchung besiegt wird. Folglich istder
Sinn dieser Bitte genau so wie wir es
bereits gesagt haben: In Kenntnis
unserer Schwäche und Hinfälligkeit und
zugleich der List und Macht des Teufels
bitten wir Gott, er möge nicht nur nicht
zulassen, dass wir von der Versuchung zu
Boden gestreckt werden, sondern auch
nicht, dass wir versucht werden, wenn er
sieht, dass wir nicht Sieger bleiben
würden.
S: Nun bleibt noch die letzte Bitte:
„Sondern erlöse uns von dem Bösen!" Von
was für einem Bösen ist hier die Rede?
L: Teils bekräftigt diese letzte Bitte
die zuvor ausgesprochenen Bitten und
teils fügt sie etwas Neues hinzu. Darum
lautet sie: „sondern erlöse uns von dem
Bösen!" D.h. wir bitten nicht nur: Du
mögest uns die Sünden der Vergangenheit
vergeben und uns vor den zukünftigen
bewahren, sondern auch noch: Du mögest
uns von allem gegenwärtigen Bösen
befreien.60 Beachtet dabei,
dass unser Herr uns in großer Weisheit
lehrt, die Befreiung vom Bösen insgesamt
zu erflehen, nicht aber einzelnes nennt,
etwa Armut, Krankheit, Verfolgungen und
ähnliches. Uns scheint es nämlich oft,
dass etwas für uns gut sei, Gott sieht
aber, dass es für uns schlecht ist.
Umgekehrt scheint uns, etwas sei für uns
schlecht, Gott aber sieht, dass es für
uns gut ist. Deshalb bitten wir, wie es
uns der Herr gelehrt hat, er möge uns
von all dem befreien, von dem er sieht,
dass es für uns schlecht ist, sei es
Wohlstand, sei es Elend.
S: Was bedeutet „Amen"?
L: Dieses Wort ist hebräisch und
bedeutet, wie ich euch schon sagte, „So
sei es" oder „So ist es". Am Ende des
Glaubensbekenntnisse bedeutet „Amen":
„So ist es" und „So glaube ich es".
Genauso bedeutet „Amen" am Ende des
Vater Unser „So sei es", „So wünsche ich
es" und „So bitte ich, dass es geschehen
möge."
Kapitel V: Erklärung des „Gegrüßet seist
du, Maria (Ave Maria)"
S: Da Sie mir das Vater Unser erklärt
haben, wünsche ich mir, dass Sie mir
auch das „Gegrüßet seist du, Maria"
erklären.
L: Sehr gerne will ich das tun, denn ich
wünsche mir, dass ihr die Mutter Gottes
eifrig verehrt. In unserer Sprache
lautet das „Ave Maria": „Gegrüßet seist
du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist
mit dir. Du bist gebenedeit unter den
Frauen, und gebendeit ist die Frucht
deines Leibes, Jesus. Heilige Maria,
Mutter Gottes, bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen."
S: Warum wird dem Vater Unser gerade das
„Gegrüßet seist du, Maria" angefügt und
nicht irgendein anderes Gebet?
L: Weil wir bei Christus keinen
mächtigeren Fürsprecher und Mittler
haben als seine Mutter. Wenn wir deshalb
das Gebet gesprochen haben, das Christus
uns gelehrt hat, wenden wir uns an die
Mutter, damit sie uns mit ihrer Fürbitte
hilft, das auch zu erlangen, worum wir
im Vater Unser gebetet haben. In ganz
ähnlicher Weise empfehlen wir ja in
dieser Welt, nachdem wir eine
Bittschrift an den Fürsten gerichtet
haben, diese Angelegenheit dem
Einflussreichsten am Hof.
S: Wer hat das „Gegrüßt seist du, Maria"
verfasst?
L: Gott selbst hat es verfasst, wenn er
es uns auch nicht persönlich gelehrt
hat, sondern durch den Mund des
Erzengels Gabriel, der hl. Elisabeth und
der Kirche. Denn die Worte „Gegrüßt
seist du, Maria, voll der Gnade, der
Herr ist mit dir, du bist gebenedeit
unter den Frauen" hat der Erzengel
Gabriel gesprochen.61 Er
sprach sie jedoch als Gesandter Gottes
und darum im Namen Gottes, und Gott
sprach sie durch den Mund seines Boten.
Die weiteren Worte „und gebenedeit ist
die Frucht deines Leibes" sprach
Elisabeth, aber sie sprach sie, als sie
voll des Heiligen Geistes war, wie der
Evangelist Lukas berichtet.62
Daran kann man sehen, dass der Heilige
Geist diese Worte durch den Mund der hl.
Elisabeth sprach. Den Rest hat die
heilige Kirche angefügt, die vom
Heiligen Geist gelenkt und belehrt wird.
So kann man also mit Recht sagen, dass
das „Gegrüßt seist du, Maria" nach dem
Vater Unser, das uns Christus selbst
gelehrt hat, das hervorragendste Gebet
ist, das es gibt, ist es doch ebenfalls
von Gott selbst verfasst und uns durch
den Mund seiner Diener gelehrt worden.
S: Kommen wir nun zur Erklärung. Warum
sagen wir: „Gegrüßt seist du, Maria"?
L: Das ist ein Gruß, mit dem wir sie
ansprechen, um zu zeigen, dass wir ihre
Freunde und Bekannten sind und dass wir
aus diesem Grund den Mut haben, sie
anzusprechen. Dabei gebrauchen wir die
Worte des Engels, weil wir wissen, dass
sie sich sehr darüber freut, häufig
diese gute Kunde zu vernehmen, die ihr
der Engel brachte, als er diese Worte zu
ihr sagte. Und sie freut sich auch, dass
wir uns daran erinnern und Gott für eine
so große Wohltat dankbar sind.
S: Was bedeutet „voll der Gnade"?
L: Die Gnade Gottes übt auf die Seele
drei Hauptwirkungen aus: Sie löscht die
Sünden aus, die wie Makel sind, die die
Seele beschmutzen; sie schmückt die
Seele mit Gaben und Tugenden;
schließlich gibt sie ihr die Kraft,
verdienstliche und der göttlichen
Majestät wohlgefällige Werke zu tun. Die
Mutter Gottes ist voll der Gnade, weil
sie aufgrund der ersten Wirkung niemals
einen Makel irgendeiner Sünde hatte,63
weder der Erbsünde noch der persönlichen
Sünde, weder der lässlichen noch der
Todsünde. Aufgrund der zweiten Wirkung
hat sie in höchstem Maß alle Tugenden
und Gaben des Heiligen Geistes besessen.
Aufgrund der dritten Wirkung hat sie
Werke getan, die Gott so wohlgefällig
und so verdienstvoll waren, dass sie
würdig war, mit Seele und Leib über alle
Chöre der Engel emporzusteigen.
S: Anscheinend hat die Mutter Gottes
nicht mehr Gnade als andere Heilige
gehabt, denn ich habe oft gehört, dass
auch der hl. Stephanus und andere
Heilige voll der Gnade waren.
L: Obwohl man auch von den anderen
Heiligen sagt, sie seien voll der Gnade
gewesen, so hat doch die Mutter Gottes
mehr Gnade als alle gehabt, denn sie ist
von Gott zur Aufnahme größerer Gnaden
befähigt worden als irgendein anderer
Heiliger. Ebenso sind ja, wenn man
mehrere Gefäße, eines jeweils größer als
das andere, mit Balsam füllt, alle voll.
Trotzdem wird dann im größeren mehr
Balsam als in den anderen sein. Der
Grund dafür ist, dass Gott die Menschen
zu größerer oder geringerer Gnade fähig
macht, je nach der Aufgabe, die er ihnen
gibt. Weil aber die größte Aufgabe, die
je einem bloßen Geschöpf übertragen
worden ist, darin bestand, die Mutter
Gottes zu sein, ist die Mutter Gottes
zur Aufnahme größerer Gnade fähig
gemacht und mit größerer Gnade erfüllt
worden als sonst irgendein Geschöpf.
S: Was bedeutet: „der Herr ist mit dir"?
L: Das ist das zweite unvergleichliche
Lob der seligen Jungfrau. Es zeigt uns,
dass der Herr vom Anfang ihrer
Empfängnis an mit einem immerwährenden
Beistand bei der Mutter Gottes war,
indem er sie führte und schützte.64
Daher kam es, dass sie niemals in
Gedanken, Worten oder Werken eine Sünde
begangen hat. Deshalb hat Gott diese
allerheiligste Jungfrau nicht nur mit
allen Gnaden geschmückt, sondern er
wollte auch stets bei ihr sein, um über
einen so großen Schatz zu wachen.
S: Was bedeutet: „du bist gebenedeit
unter den Frauen"?
L: Das ist das dritte Lob, das man der
Mutter Gottes spendet. Darin gibt man
kund, dass sie nicht nur voll von allen
Gnaden war, die eine Jungfrau haben
kann, sondern auch von denen, die eine
Ehefrau haben kann. So aber überragt sie
in jeder Hinsicht alle anderen Frauen,
die es je gegeben hat und je geben wird.
Der Segen der Ehefrauen ist ja die
Fruchtbarkeit, und daran fehlte es der
seligen Jungfrau nicht, hat sie doch
einen Sohn geboren, der mehr wert ist
als hunderttausend Söhne. Man kann auch
sagen, dass sie sehr, sehr viele Kinder
hat, denn alle guten Christen sind
Brüder und Schwestern Christi und
folglich Kinder der Mutter Gottes, wenn
auch nicht aufgrund der Geburt und von
Natur aus, denn in dieser Weise ist
Christus ihr einziger Sohn. Doch sie
sind ihre Kinder aufgrund der Liebe und
der mütterlichen Zärtlichkeit, die sie
für alle hat. Darum sagt man mit Recht
„du bist gebenedeit unter den Frauen",
weil die anderen entweder den Ruhm der
Jungfräulichkeit, aber ohne
Fruchtbarkeit, oder den Segen der
Fruchtbarkeit, aber ohne
Jungfräulichkeit haben. Allein sie hat
von Gott das besondere Privileg
verliehen bekommen, dass sie die Ehre
der vollkommenen Jungfräulichkeit mit
dem Segen der höchsten und überaus
heilbringenden Fruchtbarkeit verband.
S: Was bedeutet: „und gebenedeit ist die
Frucht deines Leibes, Jesus"?
L: Das ist das vierte Lob, das man der
Mutter Gottes spendet, d.h. dass sie
nicht nur hinsichtlich ihrer eigenen
Vorzüge ehrwürdig ist, sondern auch
hinsichtlich der Vorzüge der Frucht
ihres Leibes. Denn das Lob der Frucht
fällt auf den Baum zurück, und der Ruhm
des Sohnes auf die Mutter. Weil Jesus
aber nicht nur wahrer Mensch ist und
gebenedeit unter den Menschen, sondern
Gott, gepriesen über allem, wie uns der
hl. Paulus lehrt,65 darum ist
seine Mutter nicht nur gebenedeit unter
den Frauen, sondern gebenedeit unter
allen Geschöpfen auf Erden und im
Himmel.
S: Erklären Sie mir bitte den Rest des
„Gegrüßet seist du, Maria"!
L: In den folgenden Worten bittet die
heilige Kirche die Mutter Gottes, dass
sie für uns Fürbitte einlegen möge, dass
wir das sehr nötig haben, weil wir
Sünder sind, und dass sie uns stets
helfen möge, solange wir leben,
besonders aber an der Schwelle des
Todes, wenn die Gefahr für uns am
größten sein wird. Dabei wiederholt die
heilige Kirche das größte Lob der Mutter
Gottes, nämlich eben dass sie die Mutter
Gottes ist, und zeigt so, dass diese von
Gott alles erlangen kann, was sie will.
S: Ich möchte gern wissen, warum man
dreimal am Tag zum „Gegrüßet seist du,
Maria" läutet, nämlich morgens, mittags
und abends".
L: Damit wir verstehen, dass wir es
nötig haben, häufig Gott und die
Heiligen um ihre Hilfe anzurufen, sind
wir doch von sichtbaren und unsichtbaren
Feinden umgeben. Und wir sollen auch
begreifen, dass wir uns nicht damit
zufrieden geben dürfen, zu Beginn
unserer Werke zu den Waffen des Gebetes
zu greifen, sondern dasselbe auch im
Verlauf und am Ende tun sollen. Noch ein
weiterer verborgener Grund für dieses
dreimalige Läuten des „Gegrüßet seist
du, Maria" liegt darin, dass uns die
heilige Kirche fortwährend die drei
Hauptgeheimnisse unserer Erlösung in
Erinnerung rufen will, d.h. die
Menschwerdung, die Passion und die
Auferstehung. Deshalb will sie, dass wir
die Mutter Gottes morgens im Gedenken an
die Auferstehung des Herrn grüßen,
mittags im Gedenken an die Passion und
abends im Gedenken an die Menschwerdung.
Denn wir wissen sicher, dass unser Herr
mittags ans Kreuz geschlagen wurde und
morgens auferstand, und wir glauben,
dass die Menschwerdung nachts geschah.66
Kapitel VI: Erklärung der zehn Gebote
Gottes
S: Da ich die Erklärung des
Glaubensbekenntnisses, des Vater Unser
und des „Gegrüßet seist du, Maria"
bereits verstanden habe, möchte ich
gern, dass Sie mir nun die zehn Gebote
des Gesetzes Gottes erklären. Denn das
ist der dritte Teil des Katechismus, wie
Sie mir am Anfang gesagt haben.
L: Ihr habt recht, dass ihr die zehn
Gebote des Gesetzes Gottes lernen und
gut verstehen wollt, denn der Glaube und
die Hoffnung reichen ohne die Liebe und
ohne die Befolgung des göttlichen
Gesetzes nicht, um gerettet zu werden.
S: Es gibt doch in der Welt und in der
Kirche so viele Gesetze und so viele
Gebote, warum ist dieses Gesetz, das die
zehn Gebote enthält, wichtiger als alle
anderen?
L: Für die überragende Bedeutung dieses
Gesetzes lassen sich viele Gründe
anführen. Denn zum ersten ist dieses
Gesetz von Gott gemacht und von ihm
selbst zuerst in die Herzen der Menschen
und danach auch auf zwei Marmortafeln67
geschrieben worden. Zum zweiten ist
dieses Gesetz das älteste von allen und
gleichsam die Quelle aller anderen.
Drittens ist es das Gesetz mit der
uneingeschränktesten Geltung, das es
gibt. Denn es verpflichtet nicht nur die
Christen, sondern auch die Juden und die
Heiden, Männer wie Frauen, Reiche wie
Arme, Fürsten wie einfache Bürger,
Gelehrte wie Unwissende. Viertens ist
dieses Gesetz unveränderbar, und man
kann davon kein einziges Wort wegnehmen
oder jemanden davon entpflichten.68
Fünftens ist es für alle notwendig, um
gerettet zu werden, wie uns unser Herr
mehrfach in seinem heiligen Evangelium
gelehrt hat.69 Und
schließlich ist es mit höchster
Feierlichkeit auf dem Berg Sinai unter
dem Klang von Engelsposaunen, lautem
Donner und Blitzen vom Himmel in
Gegenwart des ganzen Volkes Gottes
verkündet worden.70
S: Bevor wir zur Erklärung der Gebote im
einzelnen kommen, würde ich zunächst
gern ihren Inhalt insgesamt und die
Reihenfolge der Gebote begreifen.
L: Das Ziel all dieser Gebote ist die
Liebe zu Gott und zum Nächsten, weil
alle uns lehren, weder Gott noch den
Nächsten zu beleidigen.71
Darum sind sie in zwei Teile gegliedert
und wurden, wie schon gesagt, auf zwei
Marmortafeln geschrieben. Der erste Teil
enthält drei Gebote, die uns lehren,
wozu wir Gott gegenüber verpflichtet
sind; der zweite enthält sieben weitere
Gebote, die uns lehren, wozu wir dem
Nächsten gegenüber verpflichtet sind.72
Ihr müsst aber wissen, dass, obwohl auf
einer Tafel nur drei Gebote und auf der
anderen sieben waren, die beiden Tafeln
einander doch gleich und beide ganz mit
Schrift bedeckt waren. Denn die ersten
drei waren mit mehr Worten
aufgeschrieben, die übrigen sieben
hingegen mit weniger, und so waren die
sieben kürzeren Gebote den drei längeren
Geboten hinsichtlich des Textumfangs
gleich.
S: Warum sind auf der ersten Tafel
gerade drei Gebote?
L: Weil sie uns lehren, Gott mit dem
Herzen, mit den Worten und mit den
Werken zu lieben.
S: Und warum sind auf der zweiten Tafel
sieben Gebote?
L: Eines lehrt uns, dem Nächsten Gutes
zu tun. Die anderen sechs lehren uns,
ihm nichts Böses zu tun, zunächst an
seiner Person, dann an seiner Ehre und
schließlich an seinem Eigentum, und das
weder in Werken noch mit Worten noch im
Herzen.
S: Kommen wir jetzt zu den Geboten
selbst. Lehren Sie mich bitte als erstes
den Wortlaut, mit dem sie von Gott auf
diese Tafeln geschrieben wurden!
L: Der Wortlaut ist wie folgt: Ich bin
der Herr, dein Gott, der dich aus dem
Land Ägypten und aus dem Haus der
Knechtschaft herausgeholt hat.
1. Du sollst mir keinen
anderen Gott vorziehen.
2. Du sollst den Namen
Gottes nicht ohne Grund nennen.
3. Denke daran, die Feste zu
heiligen.
4. Ehre den Vater und die
Mutter.
5. Nicht töten.
6. Keinen Ehebruch begehen.
7. Nicht stehlen.
8. Kein falsches Zeugnis
gegen deinen Nächsten geben.
9. Die Frau eines anderen
nicht begehren.
10. Das Eigentum eines anderen
nicht begehren.73 74
S: Was bedeuten die Worte, die den
Geboten vorausgehen?
L: In diesen Worten werden vier Gründe
genannt, die uns zeigen sollen, dass
Gott das Recht hat, uns ein Gesetz zu
geben, und dass wir verpflichtet sind,
es zu halten. Der erste Grund liegt in
den Worten „Ich bin der Herr", denn weil
Gott unser erster und oberster Herr ist,
der uns aus nichts geschaffen hat, kann
er uns als seinen eigenen Knechten
zweifellos ein Gesetz geben. Der zweite
Grund liegt in dem Wort „Gott". Denn
dieses Wort zeigt uns, dass unser Herr
nicht nur Herrscher ist, sondern auch
oberster Richter und Lenker und als
solcher ein Gesetz geben und den
bestrafen kann, der es nicht hält. Der
dritte Grund liegt im Wort „dein", weil
wir über die Gehorsamspflicht hinaus,
die wir als Knechte gegenüber dem Herrn
und als Untergebene gegenüber dem
Richter haben, noch eine weitere
Verpflichtung aufgrund des Bundes haben,
den Gott mit uns und wir mit ihm in der
heiligen Taufe schließen. Denn darin
nimmt er uns eigens als seine
Adoptivkinder an, und wir nehmen ihn
eigens als unseren Vater an, so wie Gott
auch alle Gläubigen als sein besonderes
Volk annimmt und die Gläubigen Gott als
ihren eigenen Gott und Herrn. Der vierte
Grund liegt in den Worten „der dich aus
dem Land Ägypten und aus dem Haus der
Knechtschaft herausgeholt hat". Denn
außer so vielen anderen Verpflichtungen
gibt es ja noch die Dankespflicht, hat
Gott uns doch aus der Knechtschaft des
Teufels und der Sünde befreit, deren
biblisches Vorbild jene Knechtschaft in
Ägypten unter Pharao war, woraus Gott
das jüdische Volk befreite.
Erklärung des ersten Gebots
S Erklären Sie mir jetzt bitte das
erste Gebot!
L: Das erste Gebot besteht aus drei
Teilen. Der erste ist, dass wir Gott
auch wirklich als Gott ansehen sollen.
Das zweite ist, dass wir nichts anderes
für Gott halten sollen. Der dritte, dass
wir keine Götzen, d.h. Statuen oder
Bilder, anfertigen sollen, die für Gott
gehalten werden sollen, und dass wir die
besagten Götzen nicht anbeten sollen.
S: Erklären Sie mir bitte den ersten
Teil!
L: Gott will für den gehalten werden,
der er ist, d. h. für den wahren Gott.
Das tut man durch die Ausübung von vier
Tugenden gegenüber seiner göttlichen
Majestät, nämlich Glaube, Hoffnung,
Liebe und Gottesverehrung. Wer an Gott
glaubt, hält Gott für Gott, denn er hält
ihn für die höchste Wahrheit. Darin
versündigen sich die Irrgläubigen, dass
sie ihm nicht glauben. Wer auf Gott
hofft, hält Gott für Gott, weil er ihn
für überaus treu, barmherzig und auch
mächtig hält, denn er ist voll
Vertrauen, dass Gott in jeder Not helfen
kann und auch will. Dagegen versündigen
sich diejenigen, die an der
Barmherzigkeit Gottes verzweifeln oder
die mehr auf die Menschen als auf Gott
oder ebenso sehr auf die Menschen wie
auf Gott ihre Hoffnung setzen. Wer Gott
über alles liebt, hält Gott für Gott,
weil er ihn für das höchste Gut hält.
Dagegen versündigen sich diejenigen, die
irgendein Geschöpf mehr als Gott oder
genauso sehr wie Gott lieben, und noch
viel mehr sündigen die, die Gott hassen.
Wer Gott schließlich mit höchster
Ehrfurcht anbetet, so wie es uns die
Tugend der Gottesverehrung lehrt, der
hält Gott für Gott, weil er ihn für den
ersten Ursprung und den Urheber aller
Dinge hält. Dagegen versündigen sich
diejenigen, die Gott und dem, was ihm
geweiht ist, also etwa Kirchen, heiligen
Gefäßen, Priestern und ähnlichem wenig
Achtung entgegenbringen, aber auch
diejenigen, die die Menschen genauso
sehr ehren wie Gott oder sogar noch mehr
als Gott.
S: Erklären Sie mir bitte den zweiten
Teil dieses Gebotes!
L: Im zweiten Teil will und gebietet
Gott, dass wir nichts Geschaffenes für
Gott halten. Dagegen versündigten sich
in alter Zeit die Heiden, die, da sie
den wahren Gott nicht kannten,
verschiedene Geschöpfe wie die Sonne,
den Mond oder einige verstorbene
Menschen für Gott hielten und anbeteten.
Dagegen versündigen sich ebenfalls die
Hexenmeister, die Hexen und all die
Zauberer, die Geisterbeschwörer und die
Wahrsager, die dem Teufel in der Hölle
jene Ehre geben, die man Gott geben
muss. Einige von ihnen halten ihn sogar
für ihren Gott. Sie beten ihn an und
meinen, mit seiner Hilfe die Zukunft
vorhersagen zu können, Schätze zu finden
oder ihre anderen verwerflichen
Begierden befriedigen zu können. Weil
der Teufel aber der größte Feind des
Menschengeschlechts ist, betrügt er
diese armen Leute und bringt sie dazu,
wegen unbegründeter Hoffnungen viele
Sünden zu begehen, so dass sie am Ende
ihre Seele und oft auch ihren Leib
verlieren.
S: Erklären Sie mir bitte den dritten
Teil!
L: Im dritten Teil gebietet Gott, dass
wir, wie gesagt, nicht nur das von ihm
Geschaffene nicht für Gott halten
sollen, sondern wir erst recht selbst
keine Dinge herstellen sollen, um sie
dann für Gott zu halten und anzubeten.
Dagegen versündigten sich in alter Zeit
die Heiden, die so blind waren, dass sie
Götzen herstellten, d.h. Statuen aus
Gold, Silber, Holz oder Marmor, und sich
einbildeten, diese seien Götter, vor
allem weil die Dämonen der Hölle
manchmal in sie hineinführen und sie
sprechen oder sich bewegen ließen. Und
so brachten sie ihnen Opfer dar und
beteten sie an. Weil aber die heiligen
Märtyrer so etwas auf keinen Fall tun
wollten, ließen die Heiden sie unter
schlimmsten Qualen sterben.
S: Ist zu diesem Gebot sonst noch etwas
zu sagen?
L: Diesem Gebot hat Gott eine
schreckliche Drohung beigefügt für die,
die es übertreten, und eine große
Verheißung für die, die es befolgen.
Denn nachdem Gott dieses Gebot gegeben
hat, spricht er diese Worte: Ich bin ein
eifernder Gott. Ich strafe nicht nur
die, die mich nicht lieben, sondern auch
ihre Nachkommen bis in die vierte
Generation; wer mich aber liebt, dem tue
ich Gutes bis in die tausendste
Generation. Hier müsst ihr beachten,
dass unser Herr sagt, dass er ein
eifernder Gott ist. So sollen wir
nämlich begreifen, dass er uns aufs
strengste bestrafen kann, weil er Gott
ist, und dass er uns auch aufs strengste
bestrafen will, weil er eifersüchtig auf
seine Ehre, auf die Gerechtigkeit und
das Recht bedacht ist. Darum kann er die
Gottlosigkeit und Bosheit nicht dulden.
Das ist gegen die gerichtet, die
fortwährend sündigen und doch fröhlich
leben, so als ob das Gott gar nicht
interessieren würde. Aber ihr seht
schon, dass Gott sich sehr wohl darum
kümmert und es zur entsprechenden Zeit
auch zeigen wird.
Was bedeutet es, dass Gott den, der
Böses tut, bis in die vierte Generation
bestraft, dem aber, der Gutes tut, bis
in die tausendste Generation belohnt?
L: Gott bestraft bis in die vierte
Generation, weil der Mensch meist nur
solange lebt, dass er noch die Kinder
seiner Enkel sehen kann oder höchstens
die Enkel seiner Enkel. Gott will aber
nur in den Nachkommen strafen, die der
Sünder selbst noch sehen kann. Aber
Gutes erweist Gott nicht nur bis in die
vierte Generation, sondern bis in die
tausendste, wenn es denn so viele gäbe.
Unser Herr ist nämlich mehr zum Belohnen
als zum Bestrafen geneigt. Denn das
Belohnen ist eine Folge seiner Güte, und
so tut er es sehr gerne. Das Bestrafen
dagegen ist eine Folge unserer Sünden,
und so tut er es gewissermaßen
widerwillig, d.h. unsere bösen Taten
treiben ihn dazu.
S: Warum sind diese Drohung und diese
Verheißung nur beim ersten Gebot
hinzugefügt?
L: Weil es das Hauptgebot und das
wichtigste von allen ist und auch weil
es das erste ist. Das, was von ihm
gesagt ist, kann auch von den anderen
gelten.
S: Ich möchte gern wissen, wieso die
Ehre, die wir den Heiligen sowie ihren
Reliquien und Bildern erweisen, nicht
gegen dieses Gebot ist. Es scheint doch,
als würden wir all das anbeten. Denn wir
knien vor ihnen nieder und beten zu
ihnen, so wie wir es auch gegenüber Gott
tun.
L: Die heilige Kirche ist die Braut
Gottes und hat den Heiligen Geist zum
Lehrer. Darum besteht keine Gefahr, dass
sie betrogen wird oder dass sie etwas
tut oder zu tun lehrt, was gegen die
Gebote Gottes ist.75 Was aber
nun diese Einzelfrage angeht, so ehren
wir die Heiligen und rufen sie an als
Freunde Gottes, die uns mit ihren
Verdiensten und Gebeten bei Gott helfen
können. Aber wir halten sie nicht für
Götter und beten sie auch nicht als Gott
an.76 Dagegen spricht auch
nicht, dass wir uns niederknien, denn
diese Ehrbezeigung wird nicht nur Gott
erwiesen, sondern man macht sie auch
gegenüber sehr hochgestellten Geschöpfen
wie dem Papst, und vielerorts knien auch
die Ordensleute vor ihrem Oberen nieder.
So braucht man sich nicht zu wundern,
wenn man sich gegenüber den Heiligen,
die mit Christus im Himmel herrschen, so
verhält, wie man sich auch gegenüber
einigen Menschen auf Erden verhält.
S: Aber was ist mit den Reliquien der
Heiligen? Sie können nicht hören, und
trotzdem knien wir vor ihnen nieder und
beten.
L: Wir beten nicht zu den Reliquien,
denn wir wissen sehr wohl, dass sie
nicht hören können. Stattdessen ehren
wir die heiligen Reliquien als die
Werkzeuge, mit denen die Heiligen ihre
vielen guten Werke getan haben und die
einst lebendige, verherrlichte Leiber
sein werden. Jetzt sind sie für uns
kostbare Zeugnisse der Liebe, die die
Heiligen zu uns hatten und noch immer
haben.77 Deshalb beten wir
vor diesen Reliquien zu den Heiligen und
bitten sie, dass sie um dieser kostbaren
Zeugnisse willen, die wir von ihnen
haben, an uns denken und uns helfen
mögen, wie ja auch wir an sie denken und
sie ehren.
S: Dann kann man wohl dasselbe auch von
den Bildern sagen?
L: Genau. Wir halten die Bilder des
Herrn, der Mutter Gottes und der
Heiligen nicht für Götter, also sind sie
auch keine Götzenbilder, wie sie die
Heiden hatten.78 Vielmehr
sind sie für uns Bilder, die uns an den
Herrn, die Mutter Gottes und die
Heiligen erinnern. So ersetzen sie
denjenigen, die nicht lesen können, die
Bücher, weil sie viele Geheimnisse
unseres heiligen Glaubens79
und das Leben und Sterben vieler
Heiliger aus den Bildern kennenlernen.
Die Ehre jedoch, die wir ihnen erweisen,
erweisen wir ihnen nicht, weil sie
Figuren auf Papier oder aus Metall sind
oder weil sie schön gemalt oder
besonders künstlerisch gestaltet sind,
sondern weil sie uns den Herrn, die
Mutter Gottes oder die anderen Heiligen
darstellen. Und weil wir wissen, dass
die Bilder nicht lebendig sind und nicht
hören können, da sie ja von Menschenhand
gemacht sind, erbitten wir auch nichts
von ihnen. Vielmehr beten wir vor ihnen
zu denen, die sie zeigen, also zum
Herrn, zur Mutter Gottes oder den
anderen Heiligen.80
S: Wenn die Reliquien und Bilder nicht
hören können, wie kommt es dann, dass
sie so viele Wunder wirken für
diejenigen Gläubigen, die sich ihnen
anempfehlen?
L: Alle Wunder werden von Gott gewirkt,
doch häufig ist es die Fürsprache der
Heiligen, die ihn dazu veranlasst, vor
allem die seiner heiligsten Mutter. Oft
wirkt er sie für diejenigen Gläubigen,
die die Heiligen vor den Reliquien und
Bildern anrufen, und manchmal bedient er
sich der Reliquien und der Bilder als
Werkzeuge für solche Wunder, um uns zu
zeigen, dass es ihm gefällt, wenn wir
die Heiligen, ihre Reliquien und Bilder
andächtig verehren.
S: Wenn es also heißt, dass jemand sich
dieser oder jener Reliquie oder diesem
oder jenem wundertätigen Bild
anempfohlen hat und daraufhin die
gewünschte Gnade erhalten hat, hat man
das so zu verstehen, dass er sich
eigentlich dem Heiligen, dessen Reliquie
oder Bild es ist, anempfohlen hat und
dass Gott ihm auf die Fürsprache dieses
Heiligen und mittels dieser Reliquie
oder dieses Bildes die Gnade gewährt
hat?
L: Genau, und
ich freue mich, dass ihr das, was ich
gesagt habe, so gut verstanden habt.
S: Als letztes
möchte ich gern noch wissen, aus welchem
Grund man Gottvater als einen alten
Mann, den Heiligen Geist als eine Taube
und die Engel als junge Männer mit
Flügeln darstellt, wo Gott und die Engel
doch Geister sind und überhaupt keine
körperliche Gestalt haben, die die Maler
wiedergeben könnten, wie man es bei den
Menschen macht.
L: Wenn man Gottvater in
Gestalt eines alten Mannes, den Heiligen
Geist in Gestalt einer Taube und die
Engel als junge Männer malt, dann malt
man nicht das, was sie eigentlich sind,
denn sie sind körperlose Geistwesen, wie
ihr ganz richtig gesagt habt.
Stattdessen werden sie in der Gestalt
gemalt, in der sie manchmal erschienen
sind. So malt man Gottvater als alten
Mann, weil er in dieser Gestalt dem
Propheten Daniel in einer Vision
erschienen ist81, den
Heiligen Geist malt man in Gestalt einer
Taube, weil er in dieser Gestalt über
Christus erschienen ist, als dieser von
Johannes dem Täufer getauft wurde82,
und die Engel malt man in Gestalt von
jungen Männern, weil sie mehrfach so
erschienen sind83.
Darüberhinaus müsst ihr wissen, dass
viele Dinge dargestellt werden, nicht
damit wir verstehen, wie sie eigentlich
sind, sondern welche besondere
Eigenschaft sie haben oder welche
Wirkungen sie normalerweise
hervorbringen. So malt man den Glauben
als Frau mit einem Kelch in der Hand und
die Liebe rings umgeben von vielen
Kindern. Dabei wissen wir doch genau,
dass der Glaube und die Liebe keine
Frauen, sondern Tugenden sind. So kann
man also auch sagen, dass Gottvater in
Gestalt eines alten Mannes gemalt wird,
um uns verstehen zu lassen, dass er ganz
alt, also ewig, ist und vor aller
Schöpfung dagewesen ist. Den Heiligen
Geist malt man als Taube, um uns auf die
Gaben von Unschuld, Reinheit und
Heiligkeit hinzuweisen, die der Heilige
Geist in uns wirkt. Die Engel aber malt
man als junge Männer wegen ihrer
unveränderlichen Schönheit und Stärke,
mit Flügeln, weil sie schnell dorthin
eilen, wohin es Gott gefällt, und in
weißen Kleidern und mit heiligen
Paramenten, weil sie reine und
unschuldige Diener der göttlichen
Majestät sind.
Erklärung der zweiten Gebots
S: Kommen wir nun zum zweiten
Gebot. Was bedeutet: „Du sollst den
Namen Gottes nicht ohne Grund nennen."
L: In diesem Gebot geht es um
die Ehre und die Verunehrung, die man
Gott in Worten erweist bzw. zufügt, d.h.
die Ehre wird geboten und die
Verunehrung wird verboten. Bei diesem
Gebot lassen sich vier Aussagen
unterscheiden, denn auf vierfache Weise
kann man Gott mit Worten ehren oder
verunehren. Erstens ehrt man Gott, wenn
man seinen Namen aus Liebe häufig nennt;
man verunehrt ihn hingegen, indem man
seinen Namen häufig gedankenlos nennt.
Zweitens ehrt man ihn mit dem Eid und
verunehrt ihn mit dem Meineid. Drittens
ehrt man ihn, indem man Gelübde macht
und verunehrt ihn, indem man die
gemachten Gelübde bricht. Viertens ehrt
man ihn, indem man ihn anruft und ihn
lobt; man verunehrt ihn hingegen, indem
man ihn lästert und ihn verflucht.
S: Erklären Sie mir bitte den
ersten Teil!
L: Einfach den Namen Gottes und
ebenso den der Mutter Gottes und der
Heiligen zu nennen, kann eine gute oder
eine schlechte Handlung sein. Die Gott
innig lieben, denken oft an ihn und
reden viel über ihn, und das tun sie mit
Andacht und Liebe, wie man in den
Briefen des hl. Paulus sieht, in denen
oft der Name JESUS CHRISTUS zu lesen
ist. Denn wie der hl. Paulus: Christus
im Herzen hatte, so hatte er ihn auch
auf den Lippen. Andere stattdessen haben
die schlechte Gewohnheit, wenn sie in
Zorn geraten oder scherzen, den Namen
Gottes oder irgendeines Heiligen zu
nennen ohne dabei zu bedenken, was sie
sagen, nur weil ihnen gerade nichts
anderes einfällt. Das aber ist sündhaft,
weil es bedeutet, mit dem heiligsten
Namen Gottes nachlässig umzugehen.84
Ich will euch ein Beispiel geben, wenn
es auch nicht ganz das gleiche ist: Es
ist, wie wenn jemand ein kostbares
Gewand, ohne es im geringsten zu schonen
und darauf zu achten, überall und
jederzeit tragen würde.
S: Erklären Sie mir jetzt bitte
den zweiten Teil, der dem Schwören
gewidmet ist!
L: Schwören ist nichts anderes
als Gott zum Zeugen für die Wahrheit
anzurufen. Damit aber ein Schwur etwas
Gutes ist, muss er von dreierlei
begleitet sein, nämlich von Wahrheit,
Gerechtigkeit und Urteil, wie uns Gott
selbst durch den Mund des Propheten
Jeremia lehrt.85
Mit dem unter den rechten Bedingungen
geleisteten Eid ehrt man Gott, da man
bekennt, dass er alles sieht, überaus
wahrhaftig und ein Verteidiger der
Wahrheit ist. Ebenso verunehrt man im
Gegenteil Gott über alle Maßen, wenn man
unwahr, ungerecht oder unüberlegt
schwört. Denn wer so schwört, behauptet
damit, dass Gott entweder bestimmte
Dinge nicht weiß oder dass er ein Freund
der Lüge und des Unrechts ist.
S: Erklären Sie mir bitte im
einzelnen, was es bedeutet, wahrhaftig
zu schwören!
L: Um wahrhaftig zu schwören,
darf jemand nur das mit einem Eid
bekräftigen, wovon er sicher weiß, dass
es wahr ist, und mit einem Eid nur das
versprechen, was er auch wirklich halten
will. Deshalb sind diejenigen meineidig
und begehen eine Todsünde, die mit einem
Eid bestimmte Dinge behaupten, von denen
sie wissen, dass sie falsch sind, oder
wovon sie zumindest nicht wissen, ob sie
tatsächlich wahr sind; ebenso aber auch
diejenigen, die mit einem Eid etwas
versprechen, was sie nicht vorhaben zu
halten.
S: Was bedeutet, gerecht zu
schwören?
L: Es bedeutet, dass jemand mit
einem Schwur nur das zu tun verspricht,
was gerecht und erlaubt ist. Deshalb
begehen diejenigen eine Todsünde, die
schwören, sich für ein erlittenes
Unrecht zu rächen oder sonst irgend
etwas zu tun, was Gott missfällt. Auch
darf man solche Versprechen nicht
halten. Sie sind keinesfalls bindend,
denn niemand kann verpflichtet sein,
Böses zu tun, da uns das Gesetz Gottes
ja im Gegenteil dazu verpflichtet, das
Böse nicht zu tun.
S: Was bedeutet, mit Urteil zu
schwören?
L: Es bedeutet, mit Klugheit
und reiflicher Überlegung zu schwören.
D.h. man muss bedenken, dass es nur im
Notfall und in Angelegenheiten von
großer Wichtigkeit recht ist, Gott zum
Zeugen anzurufen, und dass dies selbst
dann in ehrfürchtiger Scheu geschehen
muss. Deshalb sündigen diejenigen, die
für jede Kleinigkeit, ja sogar aus
Spielerei oder im Scherz, schwören.
Durch eine solche schlechte Gewohnheit,
oft und leichtfertig zu schwören,
geraten sie in die Gefahr, schließlich
auch falsch zu schwören, und der Meineid
ist eine der größten Sünden, die man
begehen kann. Darum gebietet uns der
Herr im Evangelium und auch der hl.
Jakobus in seinem Brief, dass wir nicht
schwören sollen, d.h. nicht ohne
Notwendigkeit.86
Den Grund dafür geben uns die
Heiligen an. Der Eid wurde als
Heilmittel für das schwache Vertrauen
der Menschen erfunden, weil die Menschen
einander nur schwer Glauben schenken.87
Darum muss man den Eid so gebrauchen,
wie wir uns auch sonst der Arzneimittel
bedienen: man nimmt sie nicht häufig
ein, sondern so selten wie möglich.
S: Erklären Sie mir bitte den
dritten Teil des Gebotes, der die
Gelübde betrifft!
L: Das Gelübde ist ein Gott
gegebenes Versprechen einer guten und
seiner göttlichen Majestät
wohlgefälligen Sache.88
Dabei habt ihr dreierlei zu bedenken.
Erstens dass das Gelübde ein Versprechen
ist. So reicht, um ein Gelübde
abzulegen, nicht der bloße Vorsatz und
erst recht nicht der Wunsch, etwas zu
tun, sondern ein Gelübde ist ein
ausdrückliches Versprechen mit dem Mund
oder wenigstens mit dem Herzen. Sodann
habt ihr zu beachten, dass man dieses
Versprechen an Gott richtet, denn im
eigentlichen Sinn steht es nur Gott zu,
ein Gelübde entgegenzunehmen. Wenn ihr
also hört, dass man der Mutter Gottes
oder Heiligen etwas als ein Gelübde
macht, müsst ihr das so verstehen, dass
man dieses Gelübde in erster Linie Gott
macht, jedoch zur Ehre der Mutter Gottes
oder der Heiligen, in denen Gott in
besonderer und erhabenerer Weise wohnt
als in den anderen Geschöpfen.
Infolgedessen ist das einem Heiligen
gemachte Gelübde nichts anderes, als
dass man Gott verspricht, das Gedenken
dieses Heiligen mit einer Gabe zu ehren,
was bedeutet, dass man Gott selbst in
seinen Heiligen ehrt. Drittens müsst ihr
wissen, dass man in einem Gelübde nur
eine gute und Gott wohlgefällige Sache
versprechen kann, etwa die heilige
Jungfräulichkeit oder die freiwillige
Armut und ähnliches. Wenn darum jemand
ein Gelübde ablegen würde, eine Sünde zu
begehen, eine Handlung zu verrichten,
die mit der Verehrung Gottes in
keinerlei Zusammenhang steht, oder auch
irgendetwas Gutes zu tun, das aber
zugleich ein Hindernis für ein größeres
Gut wäre, dann würde er damit keine
Sache versprechen, die der göttlichen
Majestät wohlgefällig wäre. Er würde
also mit dem Gelübde Gott nicht ehren,
sondern ihn stattdessen verunehren und
damit gegen dieses zweite Gebot
sündigen. Ebenso versündigt man sich
schwer gegen dieses Gebot, wenn man ein
Gelübde ablegt, es aber nicht sobald wie
möglich erfüllt. Denn Gott gebietet in
der Heiligen Schrift, dass derjenige,
der ein Gelübde ablegt, nicht nur daran
denken soll, es auch zu erfüllen,
sondern dass er die Erfüllung auch nicht
aufschieben soll.89
S: Erklären Sie mir bitte den
letzten Teil, der vom Lob Gottes und von
der Gotteslästerung handelt!
L: Im letzten Teil dieses
zweiten Gebotes verlangt Gott, dass man
seinen heiligen Namen nicht lästert,
sondern dass man ihn im Gegenteil lobt
und preist. Was dabei zunächst das Lob
angeht, so gibt es da keinerlei
Unklarheit. Es ist ja offenkundig, dass
wir alles Gute von Gott haben und dass
alle Werke Gottes voll von Weisheit,
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind.
So ist es vernünftig, dass er für alles
gelobt und gepriesen wird. Was aber nun
die Lästerung angeht, so müsst ihr
wissen, dass die Gotteslästerung nichts
anderes ist, als dass man Gott selbst
mit Worten beleidigt oder seine
Heiligen, wodurch ebenfalls Gott selbst
beleidigt wird.90
Es gibt aber sechs Arten von
Gotteslästerungen. Die erste liegt vor,
wenn man Gott etwas zuschreibt, was ihm
nicht angemessen ist, wie dass er Hörner
habe und ähnliche abscheuliche Dinge.
Die zweite liegt vor, wenn man Gott
etwas abspricht, was ihm zukommt, wie
die Macht, Weisheit, Gerechtigkeit oder
andere Vorzüge, etwa wenn man sagt, dass
Gott etwas nicht tun könne, etwas nicht
sehe oder er nicht gerecht sei. Die
dritte, wenn man einem Geschöpf eine
Eigenschaft Gottes zuschreibt, so wie es
diejenigen tun, die sagen, der Teufel
wisse Zukünftiges oder er könne echte
Wunder wirken. Die vierte, wenn man
Gott, die Mutter Gottes oder andere
Heilige verflucht. Die fünfte, wenn man
einzelne Glieder Christi oder der
Heiligen nennt, um sie zu beleidigen, so
als wären sie bei ihnen unehrenhaft, wie
bei uns. Die sechste, wenn man bestimmte
Teile Christi oder von Heiligen nennt,
um mit ihnen einen Scherz zu machen, so
wie es diejenigen machen, die sagen:
„beim Bart Christi" oder „beim Bart des
hl. Petrus" oder andere solche Dinge,
die der Neid des Teufels und die
Schlechtigkeit des Menschen erfunden
hat.
S: Ich möchte gern wissen, eine
wie große Sünde die Gotteslästerung ist.
L: Sie ist eine so große Sünde,
dass sie gewissermaßen die größte von
allen ist. Das kann man an der Strafe
erkennen, die sie verdient. Denn im
Alten Testament gebot Gott, dass die
Gotteslästerer sofort vom ganzen Volk
gesteinigt werden sollten, und auch die
weltlichen Gesetze bestrafen die
Gotteslästerer mit dem Tod.91
Der hl. Gregor schreibt, dass ein
fünfjähriger Junge, nachdem er Gott zu
lästern gelernt hatte und dafür vom
Vater nicht zurechtgewiesen worden war,
in den Armen des Vaters starb und dass
die Seele des Jungen von Dämonen, die
sichtbar erschienen, in das Feuer der
Hölle getragen wurde.92 Dass
so etwas einmal wegen einer anderen
Sünde geschehen wäre, ist nirgendwo zu
lesen. Folglich muss man unbedingt alle
Sorgfalt darauf verwenden, sich vor
einer so großen Beleidigung der
göttlichen Majestät zu hüten. Diese
Sünde zu meiden müsste aber umso
leichter fallen, als man aus ihr
keinerlei Nutzen oder Lust gewinnt wie
bei manchen anderen Sünden, sondern bloß
den Schaden, den die Sünde mit sich
bringt. Freilich darf man niemals
sündigen, was für einen Nutzen oder was
für ein Vergnügen auch immer man damit
erlangen würde.
Erklärung des dritten Gebots
S: Die beiden
ersten Gebote habe ich bereits
verstanden. Nun möchte ich gern, dass
Sie mir das dritte erklären.
L: Das dritte
Gebot, nämlich die Feiertage zu
heiligen, ist etwas anders als die
übrigen. Denn alle anderen, d.h. die
beiden vorherigen und die sieben
folgenden, sind vollständig mit der
Natur gegeben und nicht nur für die
Christen, sondern auch für die Juden und
für die Heiden verpflichtend. Dieses
dritte dagegen ist teilweise natürlich
und für alle Menschen verpflichtend,
teilweise ist es aber auch nicht aus der
Natur abgeleitet und verpflichtet nicht
alle. Denn den Feiertag zu heiligen,
d.h. irgendeinen Tag heilig zu halten,
den man in frommen Werken und vor allem
mit dem Gottesdienst verbringen muss,
ist eine mit der Natur gegebene
Vorschrift, ist es doch so, dass die
natürliche Vernunft dies alle Menschen
lehrt und man so in jedem Teil der Welt
irgendeinen bestimmten Feiertag
beachtet. Jedoch die genaue Festlegung
eines solchen Tages, d.h. dass es eher
dieser als jener ist, entspringt nicht
der menschlichen Natur. Deshalb ist der
Hauptfesttag bei den Juden der Sabbat,
bei den Christen aber der Sonntag.
S: Aus welchem
Grund gebot Gott den Juden, den Sabbat
zu halten, und warum gerade diesen und
nicht einen anderen Tag?
L: Zwei
Hauptgründe gibt es dafür. Der erste
ist, dass Gott am Sabbat die Erschaffung
der Welt vollendete und deshalb wollte,
dass man diesen Tag zum Gedenken an
diese große Wohltat der Erschaffung der
Welt heilig halte. Das diente auch dazu,
den Irrtum bestimmter Philosophen
niederzuschmettern, die behaupteten, die
Welt sei schon immer da gewesen. Denn
indem man den Feiertag zum Gedenken an
die Erschaffung der Welt beging, gestand
man auch ein, dass die Welt einen Anfang
gehabt hat. Der zweite Grund ist: Weil
der Mensch seine Knechte, Mägde und
Tiere sechs Tage der Woche arbeiten und
sich abmühen lässt, wollte Gott, dass
diese Untergebenen, Männer wie Frauen,
und auch Ochs und Esel am siebten Tag,
dem Sabbat, ausruhen können und dass die
Herren lernen, freundlich und nicht
grausam zu ihren Arbeitern zu sein und
selbst mit den Tieren Mitleid zu haben.
S: Was bedeutet
es, dass wir Christen nicht wie die
Juden den Sabbat halten, wo es doch so
gute Gründe gibt, ihn zu halten?
L: Ganz zu
Recht hat Gott den Sabbat gegen den
Sonntag ausgetauscht, ganz wie die
Beschneidung gegen die Taufe, das
Osterlamm gegen das allerheiligste
Sakrament und alle anderen guten
Einrichtungen des Alten Testamentes
gegen die noch besseren des Neuen
Testamentes. Wenn man darum den Sabbat
zum Gedenken an die Erschaffung der Welt
feierte, weil an diesem Tag das
Schöpfungswerk beendet wurde, feiert man
mit noch größerem Recht den Sonntag zum
Gedenken an die Schöpfung, denn am
Sonntag nahm die Schöpfung ihren Anfang.93
Wenn die Juden Gott den letzten Tag der
Woche schenkten, so tun die Christen
noch besser daran, ihm den ersten zu
schenken. Darüber hinaus gedenkt man am
Sonntag der drei hauptsächlichen
Wohltaten der Erlösung. Denn an einem
Sonntag wurde Christus geboren, an einem
Sonntag ist er auferstanden und an einem
Sonntag sandte er den Heiligen Geist auf
die Apostel herab. Schließlich bedeutet
der Sabbat die Ruhe, die die heiligen
Seelen in der Vorhölle genossen. Der
Sonntag bedeutet die Herrlichkeit, die
die heiligen Seelen bereits jetzt und
einst auch die Leiber im Himmel haben.
Deshalb feierten die Juden den Sabbat,
weil sie bei ihrem Tod in die Ruhe der
Vorhölle eingingen; die Christen aber
müssen den Sonntag feiern, weil sie bei
ihrem Tod in die Seligkeit des
Paradieses eingehen, d.h.
selbstverständlich, wenn sie gute Werke
entsprechend dem heiligen Gesetz, das
Gott ihnen gegeben hat, getan haben.
S: Muss man
außer dem Sonntag auch noch andere
Feiertage halten?
L: Man muss
viele andere Feiertage halten, die des
Herrn ebenso wie die der Mutter Gottes
oder der anderen Heiligen, d.h. all
jene, die von der heiligen Kirche
geboten sind. Wir haben jedoch
insbesondere vom Sonntag gesprochen,
weil er der älteste Feiertag ist und
häufiger als alle anderen gefeiert wird.
So gab es auch bei den Juden viele
Feiertage, aber der älteste, häufigste
und größte von allen war der Sabbat.
Deshalb wird in den zehn Geboten nur der
Sabbat eigens erwähnt, dessen Nachfolge,
wie gesagt, der Sonntag angetreten hat.
S: Was muss man
tun, um die Feiertage zu halten?
L: Zweierlei
ist nötig: Zum einen sich von
knechtischen Arbeiten zu enthalten,
welche diejenigen sind, die man für
gewöhnlich von Dienstboten und
Handwerkern machen lässt, die körperlich
arbeiten. Denn diejenigen Arbeiten, bei
denen hauptsächlich der Verstand tätig
ist, kann man nicht knechtisch nennen,
auch wenn man zur Unterstützung des
Verstandes ebenfalls die Zunge, die Hand
oder ein anderes Körperteil gebraucht.
Zum anderen sind wir verpflichtet, an
den gebotenen Festtagen dem heiligen
Messopfer beizuwohnen. Obwohl uns die
heilige Kirche aber zu nichts anderem
verpflichtet, ist es dennoch sehr
angemessen, den ganzen Tag oder doch den
größeren Teil von ihm mit Gebeten,
geistlichen Lesungen, dem Besuch von
Kirchen, Hören von Predigten und
ähnlichen frommen Übungen zu verbringen,
ist dies doch der Zweck, wozu diese
Festtage eingesetzt worden sind.
S: Wenn man am
Feiertag keine knechtische Arbeit
verrichten darf, dann kann man doch
nicht einmal die Glocken läuten, den
Tisch decken und erst recht nicht das
Essen kochen, weil all das knechtische
Arbeiten sind.
L: Das Verbot
knechtischer Arbeiten gilt unter zwei
Bedingungen. Erstens dass sie nicht für
das menschliche Leben notwendig sind.
Deshalb ist Essen kochen, den Tisch
decken und ähnliches mehr, was man nicht
am Vortag erledigen kann, erlaubt.
Zweitens dass sie nicht zum Dienst
Gottes notwendig sind. Deshalb ist
Glocken läuten gestattet ebenso wie
andere Dienste in der Kirche, die man
nicht an anderen Tagen erledigen kann.
Über diese Bedingungen hinaus ist es
auch erlaubt, knechtische Arbeiten am
Feiertag zu tun, wenn es eine Erlaubnis
des kirchlichen Vorgesetzten gibt und
ein vernünftiger Grund vorliegt.
Erklärung des vierten Gebots
S: Es folgt das
vierte Gebot, das darin besteht, Vater
und Mutter zu ehren. Ich möchte gern
wissen, warum die Gebote der zweiten
Tafel mit der Ehre von Vater und Mutter
beginnen.
L: Die Gebote
der zweiten Tafel beziehen sich auf den
Nächsten, so wie die der ersten Tafel
sich auf Gott beziehen. Weil aber Vater
und Mutter uns unter allen Menschen am
nächsten sind und wir ihnen am meisten
verpflichtet sind, haben wir von ihnen
doch das Sein und das Leben, welches die
Grundlage aller anderen zeitlichen Güter
ist, darum beginnt die zweite Tafel ganz
zu Recht mit der Ehre von Vater und
Mutter.
S: Was versteht
man unter dieser Ehre, die man Vater und
Mutter schuldet?
L: Man versteht
darunter dreierlei: Hilfe, Gehorsam und
Ehrerbietung. Zum ersten sind wir dazu
verpflichtet, Vater und Mutter in ihren
Bedürfnissen zu helfen und zu
unterstützen. Diese Hilfe heißt in der
Heiligen Schrift Ehre94, und
es ist sehr vernünftig, dass die Kinder,
die doch von Vater und Mutter das Leben
empfangen haben, dafür sorgen, diesen
wiederum das Leben zu erhalten. Darüber
hinaus sind wir dazu verpflichtet, Vater
und Mutter, wie der hl. Paulus sagt, in
allem im Herrn zu gehorchen,95
d.h. in allem, was dem Willen des Herrn
entspricht. Denn wenn der Vater oder die
Mutter etwas gebietet, was gegen den
Willen Gottes ist, dann muss man nach
dem Gebot Christi Vater und Mutter
hassen, d.h. ihnen nicht gehorchen und
sie nicht anhören, nicht anders, als
wären sie unsere Feinde.96
Schließlich sind wir dazu
verpflichtet, Vater und Mutter
Ehrerbietung zu erweisen, indem wir sie
achten und sie mit Worten und mit
äußeren Zeichen ehren, so wie es sich
gehört. Im Alten Testament sah Gott dies
als so schwerwiegend an, dass er befahl,
den zu töten, der es gewagt hatte, Vater
und Mutter zu fluchen.97
S: Ich verstehe
nicht, warum das Gesetz Gottes den
Kindern gebietet, Vater und Mutter zu
helfen und zu unterstützen, nicht aber
ebenso den Vätern und Müttern gebietet,
den Kindern zu helfen und sie zu
unterstützen, vor allem solange sie noch
klein sind und Hilfe nötig haben.
L: Tatsächlich
besteht die Pflicht wechselseitig
zwischen Eltern und Kindern. So wie
letztere verpflichtet sind, erstere zu
unterstützen, zu ehren und ihnen zu
gehorchen, ebenso sind erstere dazu
verpflichtet, nicht nur für Nahrung und
Kleidung der Kinder zu sorgen, sondern
auch für ihre Erziehung und Bildung. Die
Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist
aber so natürlich und normal, dass kein
weiteres geschriebenes Gesetz nötig war,
die Eltern an die Pflicht, die sie
gegenüber den Kindern haben, zu
erinnern. Dagegen sieht man häufig, dass
die Kinder die Liebe der Eltern nicht
erwidern. Deshalb war es notwendig, sie
mit diesem Gebot auf ihre Pflicht
aufmerksam zu machen. Gott hat sich
nicht mit dem bloßen Gebot begnügt,
sondern er hat ihm eine Verheißung und
eine Drohung hinzugefügt, damit es auch
befolgt wird.
S: Ich möchte
gerne wissen, was für eine Verheißung
bzw. Drohung das ist.
L: Gott fügte
diesem vierten Gebot die folgenden Worte
hinzu: „damit du lange lebst auf der
Erde". Das heißt, dass diejenigen, die
Vater und Mutter ehren, als Lohn
erhalten werden, dass sie lange leben;
diejenigen hingegen, die sie nicht
ehren, neben anderen Strafen
insbesondere diese erhalten werden, dass
sie nicht alt werden. Das ist eine sehr
angemessene Strafe, weil es nicht recht
ist, dass derjenige lange das Leben
genießt, der diejenigen verunehrt, von
denen er dieses Leben empfangen hat.
S: Als letztes
kommt mir noch die Frage, ob das, was
von Vater und Mutter gesagt worden ist,
nicht auch für die anderen Vorgesetzten
gilt, die uns gegenüber Vaterstelle
einnehmen.
L: Ihr habt
euch darüber sehr gut Gedanken gemacht,
denn dieses Gebot muss man auf alle
kirchlichen ebenso wie weltlichen
Vorgesetzten ausdehnen.
Erklärung des fünften Gebots
S: Erklären Sie
mir jetzt bitte das fünfte Gebot!
L: Dieses Gebot
verbietet zunächst den Mord, d.h.
Menschen umzubringen. Denn Tiere
umzubringen ist durch dieses Gebot nicht
untersagt. Der Grund dafür ist, dass
Tiere für den Menschen geschaffen sind.
Wenn der Mensch sich also des Lebens der
Tiere zu seinem Nutzen bedienen kann,
dann darf er sie töten. Der Mensch aber
ist nicht für einen anderen Menschen
geschaffen, sondern für Gott. Deshalb
ist der Mensch nicht Herr über das Leben
eines anderen Menschen. Folglich ist es
ihm nicht erlaubt, ihn zu töten.
S: Wir sehen
aber doch, dass die Fürsten und
Regierenden Räuber und andere Übeltäter
hinrichten lassen, die doch auch
Menschen sind; und man ist der Ansicht,
dass sie dabei nicht falsch, sondern
richtig handeln.
L: Wenn die
Fürsten und Regierenden, die die
staatliche Gewalt innehaben, die
Verbrecher hinrichten lassen, dann
handeln sie dabei nicht etwa als Herren
über das Leben der Menschen, sondern als
Diener Gottes, wie der hl. Paulus sagt.98
Gott will nämlich und gebietet, dass die
Verbrecher bestraft und, wenn sie es
verdienen, auch getötet werden, damit
die rechtschaffenen Menschen in
Sicherheit und in Frieden leben können.
Dafür hat Gott selbst den Fürsten und
Regierenden das Schwert in die Hand
gegeben, um für Gerechtigkeit zu sorgen,
indem sie die Guten verteidigen und die
Schuldigen bestrafen. Wenn darum durch
die staatliche Gewalt ein Verbrecher
getötet wird, heißt das nicht Mord,
sondern Hinrichtung. Und wenn das Gebot
Gottes lautet: „Nicht töten!", dann ist
damit gemeint: nicht aus eigener
Vollmacht.
S: Dabei kommt
mir ein Gedanke. Untersagt dieses Gebot
auch, sich selbst zu töten, so wie es
verbietet, einen anderen zu töten?
L: Ohne jeden
Zweifel untersagt dieses Gebot auch,
sich selbst zu töten", weil niemand Herr
über das eigene Leben ist. Denn der
Mensch ist nicht für sich selbst
geschaffen, sondern für Gott. Deshalb
kann sich niemand eigenmächtig das Leben
nehmen. Wenn aber manche heiligen Männer
oder Frauen sich selbst getötet haben,
um nicht den Glauben oder die Keuschheit
zu verlieren, muss man annehmen, dass
Gott ihnen eigens ganz klar eingegeben
hat, so etwas zu tun. Andernfalls könnte
man eine solche Handlung nicht von
schwerster Sünde freisprechen. Denn wer
sich selbst tötet, tötet einen Menschen
und begeht so einen Mord, welches die
Sünde ist, die hauptsächlich in diesem
fünften Gebot des Gesetzes verboten
wird.
S: Warum sagen
Sie: hauptsächlich?
L: Weil nicht
nur das Töten verboten ist, sondern auch
das Verwunden, Schlagen und jedes
beliebige andere Unrecht am Leben oder
an der Person des Nächsten. Ja, wo
Christus, unser Herr, im heiligen
Evangelium dieses Gebot erklärt,
verbietet er zugleich sogar den Zorn,
den Hass, den heimlichen Groll, die
Schmähung und andere ähnliche Gefühle
oder Worte, die normalerweise die
Ursache und Wurzel von Tötungsverbrechen
sind.100
Er will, dass wir im Gegenteil
sanftmütig und entgegenkommend sind und
uns um Frieden und Eintracht mit allen
bemühen.
Erklärung des sechsten Gebots
S: Was ist im
sechsten Gebot enthalten?
L: Es enthält
in erster Linie das Verbot des
Ehebruchs, also das Sündigen mit der
Frau eines anderen. Weil aber nach dem
Leben das am meisten geschätzte Gut in
dieser Welt die Ehre ist, wird nach dem
Gebot, nicht zu töten, ganz zu Recht der
Ehebruch verboten, durch den man seine
Ehre verliert.
S: Warum sagen
Sie: in erster Linie?
L: Die zehn
Gebote sind ein Gesetz der
Gerechtigkeit. Darum werden in ihnen in
erster Linie die Sünden verboten, durch
die man eine offensichtliche
Ungerechtigkeit begeht; eine solche ist
der Ehebruch. Dennoch werden darin in
zweiter Linie auch alle anderen Arten
von fleischlichen Sünden verboten, so
das Sakrileg, also das Sündigen mit
einer gottgeweihten Person; der Inzest,
also das Sündigen mit einem Verwandten;
die Schändung, also das Sündigen mit
einer Jungfrau; die Unzucht, also das
Sündigen mit einer lasterhaften, aber
nicht gebundenen Frau, etwa einer Witwe
oder einer Prostituierten; und andere
Arten von noch abscheulicheren Sünden,
die man unter Christen nicht einmal beim
Namen nennen soll.
S: Auch wenn
ich glaube, dass all das wahr ist, was
Sie gesagt haben, möchte ich doch gerne
verstehen, worauf es beruht, dass die
Unzucht eine Sünde ist. Denn anscheinend
fügt man doch niemandem einen Schaden
oder eine Beleidigung zu, wenn man diese
einfache, zuletzt genannte Form der
Unzucht begeht.
L: Dies ist in
allen Gesetzen begründet, im
Naturgesetz, im Gesetz der Heiligen
Schrift und im Gesetz der Gnade. Im
Naturgesetz findet man, dass der
Patriarch Juda eine Frau namens Thamar
töten lassen wollte. Sie war seine
Schwiegertochter gewesen, und als sie
Witwe war, stellte sich heraus, dass sie
schwanger war.102 Daran sieht
man, dass die Menschen zu jener Zeit,
noch bevor das Gesetz an Mose gegeben
worden war, durch einen natürlichen
Instinkt erkannten, dass die Unzucht
Sünde ist. Im Gesetz des Mose ist dann
an verschiedenen Stellen die Unzucht
verboten103, und in den
Briefen des hl. Paulus lesen wir häufig,
dass die Unzüchtigen nicht in die
Herrlichkeit des Paradieses gelangen
werden.104
Es ist auch nicht wahr, dass die Unzucht
niemandem Schaden oder eine Beleidigung
zufügt. Denn sie fügt der Frau selbst
Schaden zu, weil sie dadurch ehrlos
wird; sie fügt der Nachkommenschaft
Schaden zu, die als illegitim zur Welt
kommt. Sie fügt Christus eine
Beleidigung zu, denn wir sind alle
Glieder Christi, und wer Unzucht begeht,
macht aus den Gliedern Christi Glieder
von Dirnen.105 Schließlich
fügt sie dem Heiligen Geist eine
Beleidigung zu, denn unsere Leiber sind
Tempel des Heiligen Geistes, und wer den
Leib durch Unzucht besudelt, entweiht
somit den Tempel des Heiligen Geistes.106
S: Verbietet
dieses Gebot noch anderes außer der Art
von Sünden, die Sie genannt haben?
L: Es verbietet
auch alle übrigen schamlosen Handlungen,
die wie breite Straßen zum Ehebruch oder
zur Unzucht führen, nämlich die
lüsternen Blicke, die wollüstigen Küsse
und ähnliche andere Dinge. So hat es uns
unser Herr im heiligen Evangelium
gelehrt, wo er bei der Erklärung dieses
sechsten Gebots sagt, wer eine Frau mit
bösem Begehren anschaue, habe in seinem
Herzen bereits Ehebruch begangen.107
Wer deshalb ähnliche Sünden ernstlich
meiden will, der muss unbedingt
sorgfältig über seine Sinne wachen, vor
allem über seine Augen, die wie Türen
sind, durch die der Tod in die Seele
hineingelangt.
Erklärung des siebten Gebots
S: Was enthält
das siebte Gebot?
L: Es enthält
das Verbot des Diebstahls, d.h. das
Eigentum eines anderen gegen den Willen
des Besitzers an sich zu nehmen. In
schöner Ordnung folgt das Verbot des
Diebstahls auf das Verbot des Mordes und
des Ehebruchs, denn unter den Gütern
dieser Welt schätzt man nach dem Leben
die Ehre und nach der Ehre das Eigentum
am meisten.
S: Wie viele
Arten gibt es, gegen dieses Gebot zu
handeln?
L: Im Grunde
sind es zwei Arten, auf die sich alle
anderen zurückführen lassen. Die erste
Art besteht darin, das Eigentum eines
anderen heimlich zu entwenden, und das
ist Diebstahl im eigentlichen Sinn. Die
zweite Art besteht darin, das Eigentum
eines anderen ganz offen zu entwenden,
so wie es die Straßenräuber machen, und
das nennt man Raub. Obwohl nun das Gebot
Gottes mit den Worten „nicht stehlen"
das erste verbietet, gilt es doch auch
für das zweite. Wer nämlich das kleinere
Übel verbietet, verbietet zweifellos
auch das größere.
S: Welches sind
die Sünden, die sich auf Diebstahl und
Raub zurückführen lassen und die damit
in diesem Gebot ebenfalls verboten sind?
L: Es sind die
folgenden. Erstens jeder Betrug und jede
Täuschung, bei Kauf, Verkauf und anderen
Verträgen.108
Das lässt sich auf Diebstahl
zurückführen, denn wer heimlich solche
Betrügereien macht, nimmt vom Nächsten
mehr, als dieser ihm schuldig ist.
Zweitens jeder Wucher, indem man
jemandem Geld leiht unter der Bedingung,
dass man es mit Zinsen zurückerhält, und
das lässt sich auf Raub zurückführen.
Denn wer Wucher treibt, verlangt ganz
offen mehr, als er gegeben hat. Drittens
jeder dem Nächsten zugefügte Schaden,
auch wenn der Schädiger davon keinerlei
Gewinn hat, wie etwa wenn er das Haus
eines anderen niederbrennt. Das lässt
sich bald auf Diebstahl und bald auf
Raub zurückführen, je nachdem ob der
Schaden heimlich oder ganz offen
zugefügt wird. Viertens sündigt gegen
dasselbe Gebot, wer etwas nicht
zurückgibt, obwohl er dazu verpflichtet
ist, und das ist, als würde er stehlen,
weil er das Eigentum des anderen gegen
den Willen des Eigentümers behält.
Fünftens sündigt gegen dasselbe Gebot
und begeht einen Diebstahl, wer etwas
findet, was andere verloren haben, und
es für sich behält. Dabei sage ich „was
andere verloren haben", weil es keine
Sünde ist, das an sich zu nehmen, was
niemandem gehört, so wie die kostbaren
Steine, die man manchmal am Meeresstrand
findet. Sechstens ist auf Diebstahl oder
Raub die Aneignung von Gemeingut
zurückzuführen, denn wer sich Gemeingut
aneignet, beraubt die Gefährten des
Gebrauchs der Dinge, die ihnen gehören.
S: Ich möchte
wissen, ob der Diebstahl eine große
Sünde ist.
L: Alle
Todsünden kann man große Sünden nennen,
da sie den Menschen des ewigen Lebens
berauben. Der Diebstahl aber hat die
besondere Eigenschaft, zu ganz großen
Übeln zu führen. So sehen wir, dass
Judas durch die Gewohnheit zu stehlen
(er behielt das für sich, was ihm zur
gemeinsamen Nutzung durch den Herrn und
die Apostel anvertraut war) schließlich
so weit gebracht wurde, seinen
heiligsten Meister zu verraten. Auch
sehen wir ständig, wie Straßenräuber
sich daran machen, andere Menschen
umzubringen, die sie nie zuvor gesehen
haben und gegen die sie weder Hass noch
Feindschaft im Herzen tragen, nur um
ihnen das Wenige, was sie bei sich
tragen, zu stehlen. Gott aber lässt es
zu, dass, wer anderen etwas wegnimmt,
nur wenig Freude daran hat, und so hat
Judas sich selbst erhängt, und die
Räuber werden meist vom Arm des Gesetzes
erreicht.
Erklärung des achten Gebots
S: Was enthält
das achte Gebot?
L: Es wurde
bereits vom Unrecht gesprochen, das man
gegen den Nächsten durch Werke begeht.
Nun folgt das Unrecht, das man gegen ihn
durch Worte begeht. Darum verbietet das
achte Gebot das falsche Zeugnis, das
eine der bedeutendsten Ungerechtigkeiten
ist, die man mit Worten begehen kann.
S: Ich möchte
gern wissen, ob es gegen dieses Gebot
ist, wenn jemand Unwahres sagt, ohne
damit jemandem zu schaden.
L: Es gibt
normalerweise drei Formen, wie man die
Unwahrheit sagt. Erstens um dem Nächsten
zu schaden, wie etwa wenn vor dem
Richter jemand als Zeuge über einen
anderen aussagt, er habe gestohlen oder
jemanden umgebracht, dabei aber genau
weiß, dass das überhaupt nicht wahr ist.
Das nennt man Schadenlüge bzw. bösartige
Lüge. Zweitens dem Nächsten zu helfen,
wie etwa wenn jemand eine Lüge sagt, um
einen anderen aus einer Gefahr zu
befreien, und das nennt man Nutzlüge
(Notlüge, Dienstlüge). Drittens ohne zu
schaden und ohne zu nützen, und das
nennt man grundlose Lüge oder
Scherzlüge. Die erste dieser Formen ist
ausdrücklich in diesem Gebot verboten,
denn dabei handelt es sich nicht nur um
ein falsches, sondern auch um ein
ungerechtes Zeugnis, und dies ist eine
sehr schwere Sünde. Die anderen beiden
Formen sind, obwohl sie keine
Ungerechtigkeit enthalten und keine so
schweren Sünden wie die erste sind,
ebenfalls wirkliche Sünden, zumindest
lässliche.109 Man darf
nämlich um keinen Preis der Welt eine
Lüge sagen.
S: Enthält
dieses Gebot noch etwas anderes neben
dem Verbot der Lüge?
L: Es enthält
das Verbot von drei anderen Arten von
Sünden, die man mit Worten begeht und
die sich in gewisser Weise auf das
falsche Zeugnis zurückführen lassen,
nämlich Schmähung, Verleumdung und
Verwünschung.
S: Was bedeutet
Schmähung?
L: Eine
Schmähung ist ein verletzendes Wort, das
man ausspricht, um den Nächsten zu
entehren, wie etwa wenn jemand zu einem
anderen sagt, er sei dumm, er habe Stroh
im Kopf, er sei gemein, ehrlos und
ähnliches mehr. Dass es aber eine große
Sünde ist, wenn man etwas in der Absicht
sagt zu beleidigen, zeigt der Heiland im
heiligen Evangelium, wo er sagt, wer
seinen Nächsten einen Dummkopf nennt,
habe das Feuer der Hölle verdient.110
Ich habe dabei gesagt, „wenn es in der
Absicht gesagt ist zu beleidigen", denn
wenn man es zum Scherz oder zur Mahnung
oder zur Besserung sagt, so wie es
manchmal der Vater mit dem Kind und der
Lehrer mit dem Schüler macht, ohne einen
Gedanken daran, damit zu verletzen, dann
heißt das nicht Schmähung und ist auch
keine Sünde, allenfalls vielleicht eine
lässliche.
S: Was ist
Verleumdung?
L: Verleumdung
ist, den guten Ruf des Nächsten zu
schädigen, indem man schlecht über ihn
redet. Das tut man entweder, indem man
vom Nächsten Böses erzählt, was nicht
wahr ist, oder Böses, was zwar wahr ist,
aber nicht allgemein bekannt, und ihn so
den guten Ruf verlieren lässt, den er
bei denen hatte, die von seiner Sünde
nichts wussten. Eine solche Verleumdung
ist ein unter den Menschen sehr
verbreitetes Übel. Sie ist eine schwere
und gefährliche Sünde, weil der Ruf
wichtiger ist als das Eigentum und von
einigen sogar höher als das Leben
geschätzt wird. Darum ist es ein großes
Übel, die Ursache für seinen Verlust zu
sein. Außerdem ist es bei den anderen
Übeln leicht, eine Abhilfe zu finden;
den geschädigten Ruf dagegen kann man
nur mit größter Schwierigkeit
wiederherstellen. Daher kommt es, dass
derjenige, der ihn durch seine
Verleumdung geschädigt hat, dazu
verpflichtet ist, ihn
wiederherzustellen. So ist es denn ein
äußerst nützlicher Entschluss, stets gut
über alle zu reden, wenn man es kann,
ohne die Wahrhaftigkeit zu verletzen;
wenn man es aber nicht kann, zu
schweigen.
S: Was bedeutet
Verwünschung?
L: Verwünschung
ist es, wenn einer seinen Nächsten
verwünscht mit den Worten: „Sei
verflucht!", oder ihm verschiedene Arten
von Verwünschungen nachschickt mit den
Worten: „Dieses oder jenes Übel komme
über dich!" Dieses Verwünschen ist eine
sehr schwere Sünde, wenn man es aus Hass
und mit dem Verlangen tut, dass diese
Übel dem Nächsten tatsächlich
widerfahren. Wenn man es dagegen ohne
Hass und böse Wünsche aus Scherz,
Leichtsinn oder einem augenblicklichen
Zorn tut, ohne darauf zu achten, was man
sagt, ist es nicht ganz so schlimm, aber
es ist doch immer noch etwas Böses, weil
aus dem Mund eines Christen, der von
Gott an Kindes Statt angenommen worden
ist, nur Segensworte kommen sollten.
Erklärung des neunten Gebots
S: Was
beinhaltet das neunte Gebot?
L: Es
beinhaltet das Verbot, nach der Frau des
Nächsten zu verlangen. Denn obwohl im
sechsten Gebot bereits der Ehebruch
verboten worden ist, hat Gott noch
gesondert das Verlangen nach dem
Ehebruch verboten, um uns verstehen zu
lassen, dass das zwei unterschiedliche
Sünden sind.
S: Es scheint,
dass in diesem Gebot nicht der Wunsch
der Frau, mit dem Mann einer anderen die
Ehe zu brechen, sondern nur der Wunsch
des Mannes, mit der Frau eines anderen
die Ehe zu brechen, enthalten ist. Es
heißt doch: „Du sollst nicht begehren
die Frau eines anderen!"
L: Das stimmt
nicht. Der Wunsch nach dem Ehebruch ist
in gleicher Weise für den Mann wie für
die Frau verboten. Es heißt zwar: „Du
sollst nicht begehren die Frau eines
anderen!", aber bei dem, was zum Mann
gesagt ist, ist auch die Frau mit
gemeint, weil im Mann als edlerem auch
die Frau eingeschlossen ist. Mehr noch,
jeder weiß, dass (zumindest für die
Welt) der Ehebruch der Frau schändlicher
ist als der des Mannes, so wie auch an
der Frau die Ehrbarkeit und
Schamhaftigkeit mehr gelobt wird als am
Mann. Wenn es also dem Mann verboten
ist, die Frau eines anderen zu begehren,
dann ist es zweifellos auch für die Frau
verboten, den Mann einer anderen zu
begehren.
S: Vorhin haben
Sie gesagt, dass zugleich mit dem
Ehebruch auch alle anderen Arten von
fleischlichen Sünden verboten sind. Ich
möchte gern wissen, ob dasselbe auch für
das Verlangen gilt.
L: Es gibt
nicht den geringsten Zweifel, dass, wenn
das Verlangen nach dem Ehebruch verboten
ist, darin auch das Verlangen nach
Unzucht und nach allen anderen
schamlosen Dingen eingeschlossen ist,
weil es ein und dieselbe Ursache für
alle diese Sünden ist.
S: Ich möchte
gern wissen, ob jedes Verlangen nach der
Frau eines anderen Sünde ist, auch wenn
man einem solchen Verlangen nicht mit
dem Willen zustimmt.
L: Der hl.
Papst Gregor hat uns gelehrt, dass es
beim bösen Verlangen drei Stufen gibt:
die erste nennt man Verlockung, die
zweite Wohlgefallen und die dritte
Zustimmung.111 Die Verlockung
liegt vor, wenn der Teufel uns einen
schamlosen Gedanken in den Sinn kommen
lässt, der vom plötzlichen Beginn eines
bösen Verlangens begleitet ist. Wenn man
einer solchen Verlockung sofort
Widerstand leistet, so dass sie nicht zu
einem Wohlgefallen wird, sündigt der
Mensch nicht, ja er hat sogar bei Gott
ein Verdienst erworben. Wenn jedoch die
Verlockung in ein sinnliches
Wohlgefallen übergeht, der Verstand und
der Wille jedoch nicht zustimmen, dann
ist der Mensch nicht ohne eine lässliche
Sünde. Wenn jedoch zur Verlockung und
zum sinnlichen Wohlgefallen die
Zustimmung des Verstandes und des
Willens tritt, so dass der Mensch sich
dessen bewusst wird, was er denkt und
wonach er verlangt, und sich absichtlich
bei einem solchen Verlangen und Gedanken
aufhält, begeht er eine Todsünde, und
das ist es, was im eigentlichen Sinn in
diesem
Erklärung des zehnten Gebots
S: Was
beinhaltet das zehnte Gebot?
L: Es enthält
das Verbot des Wunsches nach dem
Eigentum anderer, und zwar nach dem
unbeweglichen Besitz wie Häuser und
Besitzungen ebenso wie nach dem
beweglichen Besitz wie Geld, Vieh,
Früchte und ähnliches mehr. Auf diese
Weise erfüllt man die vollkommene
Gerechtigkeit, indem wir dem Nächsten
weder in Werken noch in Worten Unrecht
tun, ja nicht einmal mit Gedanken oder
durch bloße Wünsche.
S: Ich wundere
mich, dass Gott, der doch den Mord, den
Ehebruch und den Diebstahl verboten hat,
nicht auch den Wunsch nach dem Mord
verbietet, so wie er den Wunsch nach dem
Ehebruch und dem Diebstahl verbietet.
L: Der Grund
ist der, dass der Mensch in erster Linie
nur das begehrt, was ihm irgendein Gut
verschafft, zumindest scheinbar. So
wünscht er den Ehebruch, weil er ihm
Lust bringt, und den Diebstahl, weil er
ihm Nutzen bringt. Der Mord verschafft
ihm dagegen kein Gut. Und deshalb
wünscht er nicht den Mord an sich,
sondern nur um zum Ehebruch, Diebstahl
oder der Verwirklichung sonst
irgendeinem seiner Pläne zu gelangen.
Obwohl das Verlangen nach dem Mord eine
sehr schwere Sünde ist, verbot es Gott
darum nicht gesondert. Denn es konnte
zugleich mit dem Mord selbst als
verboten gelten. Hatte er außerdem
einmal dem ungeordneten Verlangen nach
Lüsten und nutzbringenden Dingen einen
Riegel vorgeschoben, so hatte er
schließlich auch dem Wunsch nach dem
Mord einen Riegel vorgeschoben. Denn der
Wunsch nach dem Mord entsteht meist nur,
um auf diesem Wege zu irgendeiner Lust
oder einem Nutzen zu gelangen.
S: Ich möchte
wissen, warum in den menschlichen
Gesetzen nie das Verlangen verboten ist,
so wie man es im Gesetz Gottes sieht.
L: Der Grund
dafür ist offensichtlich, dass die
Menschen, mögen sie auch Bischöfe und
Kaiser sein, nicht in die Herzen sehen
können, sondern nur das Äußere. Weil sie
darum nicht über die Gedanken oder das
Verlangen urteilen können, können sie
diese auch nicht bestrafen. So ist es
nicht angemessen, dass sie sich damit
belasten, sie zu verbieten. Gott aber,
der die Herzen aller Menschen kennt,
kann die bösen Gedanken und Wünsche
bestrafen, und aus diesem Grund
verbietet er sie in seinem heiligen
Gesetz.
Kapitel VII: Erklärung der Kirchengebote
S: Ich möchte
gern wissen, ob man außer den Geboten
Gottes noch andere befolgen muss.
L: Da sind noch
die Gebote der heiligen Kirche, und zwar
folgende:
1. An gebotenen
Feiertagen zur Hl. Messe zu kommen.
2. In der
Fastenzeit, an den Quatembertagen und an
den gebotenen Vigiltagen zu fasten und
sich am Freitag und am Samstag der
Fleischspeisen zu enthalten.
3. Mindestens
einmal im Jahr zu beichten.
4. Wenigstens
an Ostern die hl. Kommunion zu
empfangen.
5. Den Zehnt an
die Kirche zu zahlen.
6. Nicht in den
geschlossenen Zeiten Hochzeit zu feiern,
d.h. vom ersten Adventssonntag bis
Dreikönig und vom Aschermittwoch bis zum
Weißen Sonntag.
Ich denke, zu
diesen Geboten brauche ich euch nichts
weiter zu sagen: teils weil sie leicht
zu verstehen sind, teils weil wir
gleich, bei der Erklärung der hl.
Sakramente, von Messe, Beichte und
Kommunion sowie vom Fasten reden werden.
Kapitel VIII: Erklärung der
evangelischen Räte
S: Ich möchte
gern wissen, ob der Herr außer den
Geboten auch noch einige Räte für ein
vollkommeneres Leben gegeben hat.
L: Es gibt
viele ganz heilige und nützliche Räte,
um die Gebote in größerer Vollkommenheit
zu befolgen, doch am wichtigsten sind
drei: die freiwillige Armut, die
Keuschheit und der Gehorsam.
S: Worin
besteht der Rat der Armut?
L: Darin,
überhaupt nichts eigenes mehr zu haben,
indem man sein Eigentum den Armen gibt
oder es zum gemeinsamen Besitz
hinzufügt, was das gleiche ist. Diesen
Rat lehrte Christus nicht nur mit Worten112,
sondern auch durch sein Beispiel. Und
nach Christus haben ihn die Apostel
ebenso wie auch die ersten Christen in
ihrer Gesamtheit, die in Jerusalem zur
Zeit der Kirche des Anfangs lebten,
befolgt.113
Schließlich legen alle Ordensleute das
Gelübde ab, diesen heiligen Rat der
freiwilligen Armut zu befolgen.
S: Worin
besteht der Rat der Keuschheit?
L: Im Vorsatz,
für immer keusch zu bleiben, indem man
sich nicht nur jeder Form der
Fleischessünde enthält, sondern auch der
Ehe. Auch diesen Rat hat unser Herr mit
Worten114 und durch sein
Beispiel gelehrt, und die Mutter Gottes,
der hl. Johannes der Täufer sowie alle
Apostel, nachdem sie von Christus zum
Apostelamt berufen worden waren, haben
ihn befolgt. Darum legen alle
Ordensleute ein besonderes Gelübde der
Keuschheit ab, ebenso wie die Kleriker,
die die heiligen Weihen haben.
S: Worin
besteht der Rat des Gehorsams?
L: Darin, auf
das eigene Urteil und den eigenen Willen
zu verzichten, was das heilige
Evangelium „sich selbst verleugnen"
nennt115, und sich in allem,
was sich nicht gegen Gott richtet, dem
Willen des Oberen zu unterwerfen. Auch
diesen Rat hat der Erlöser der Welt
nicht nur mit Worten, sondern auch durch
sein Beispiel gelehrt, indem er in allem
dem ewigen Vater gehorchte, und
außerdem, indem er sich als Kind seiner
Mutter und dem hl. Joseph unterordnete.116
Dieser wurde für seinen Vater gehalten,
weil er der Bräutigam der Mutter Gottes
war. Dennoch war er in Wirklichkeit
nicht sein Vater, war der Erlöser doch
von einer allzeit jungfräulichen Mutter
geboren worden. Dies ist der dritte Rat,
zu dem sich alle Ordensleute mit einem
Gelübde verpflichten.
S: Warum gibt
es nur drei hauptsächliche Räte und
nicht mehr?
L: Weil die
hauptsächlichen Räte dazu dienen, die
Hindernisse für die Vollkommenheit zu
beseitigen. Die Vollkommenheit besteht
in der Liebe, und Hindernisse dafür gibt
es drei: die Liebe zum Besitz, die durch
die Armut beseitigt wird; die Liebe zu
fleischlichen Lüsten, die durch die
Keuschheit beseitigt wird; und die Liebe
zu Ehre und Macht, die durch den
Gehorsam beseitigt wird. Ein weiterer
Grund liegt darin, dass der Mensch nur
drei Arten von Gütern hat, die Seele,
den Leib und die äußeren Dinge. Wenn er
darum Gott die äußeren Güter in der
Armut, den Leib in der Keuschheit und
die Seele im Gehorsam schenkt, dann
bringt er Gott alles, was ihm gehört,
als Opfer dar. Auf diese Weise macht er
sich auf die beste Art, die in diesem
Leben überhaupt möglich ist, geeignet
für die vollkommene Liebe.
Kapitel IX: Erklärung der Sakramente der
heiligen Kirche
S: Mit Hilfe
der Gnade Gottes habe ich die drei
Hauptstücke der christlichen Lehre
gelernt. Nun müssen Sie mir noch den
vierten Teil erklären, der, wenn ich
mich recht erinnere, die sieben
Sakramente der Kirche enthält.
L: Dieser Teil
der Lehre ist von großem Nutzen. Deshalb
müsst ihr ihn besonders sorgfältig
lernen. Ihr müsst also wissen, dass es
in der heiligen Kirche einen großen
Schatz gibt, die heiligen Sakramente,
durch die wir die Gnade Gottes erwerben,
sie bewahren, sie vermehren und, falls
wir sie aus eigener Schuld verlieren,
sie wieder gewinnen.117
Ich will euch also erklären, was ein
Sakrament ist, wie viele Sakramente es
gibt, von wem sie eingesetzt worden sind
und einige wenige andere Punkte. Danach
gehen wir zur Erklärung jedes einzelnen
von ihnen über.
S: Beginnen Sie
bitte mit der Erklärung, was ein
Sakrament ist! Das möchte ich nämlich
besonders gern wissen.
L: Ein
Sakrament ist ein heiliges Geheimnis,
durch das Gott uns seine Gnade mitteilt
und uns dabei zugleich äußerlich die
unsichtbare Wirkung darstellt, die die
Gnade in unserer Seele vollbringt. Denn
wenn wir körperlose Geistwesen wären,
wie es die Engel sind, würde Gott uns
seine Gnade auf geistliche Weise geben.
Da wir aber aus Seele und Leib
zusammengesetzt sind, gibt uns unser
Herr seine Gnade mittels bestimmter
leiblicher Handlungen, um unserer Natur
entgegenzukommen.118 Wie
gesagt erklären uns diese Handlungen
durch bestimmte äußere Ähnlichkeiten die
innere Wirkung der Gnade. Zum Beispiel
erfolgt die heilige Taufe, eines der
Sakramente der Kirche, dadurch, dass der
Leib mit Wasser abgewaschen wird und
gleichzeitig die allerheiligste
Dreifaltigkeit angerufen wird. Mittels
dieses Ritus einer Waschung gibt Gott
seine Gnade und legt sie in die Seele
dessen, der getauft wird. Und er zeigt
uns, dass die Gnade die Seele so wäscht
und von jeglicher Sünde reinigt, wie
jenes Wasser den Leib abwäscht.
S: Wenn ich das
richtig verstanden habe, müssen drei
Bedingungen erfüllt sein, um etwas zu
einem Sakrament zu machen: erstens dass
es ein Ritus, d.h. eine äußere Handlung
ist, zweitens dass Gott durch sie seine
Gnade gibt und drittens dass dieser
Ritus eine Ähnlichkeit mit der Wirkung
der Gnade aufweist und sie so darstellt
und äußerlich auf sie hinweist.
L: Das habt Ihr
sehr gut verstanden. Darüber hinaus
müsst Ihr nun wissen, dass es insgesamt
sieben Sakramente gibt und dass sie
Taufe, Firmung oder Firmsalbung,
Eucharistie, Buße, Letzte Ölung, Weihe
und Ehe heißen.119 Dass es
sieben sind, hat folgenden Grund: Bei
der Verleihung des geistlichen Lebens
wollte Gott genauso vorgehen, wie er
normalerweise bei der Verleihung des
leiblichen Lebens vorgeht. Beim
leiblichen Leben ist es wie folgt: man
muss zuerst geboren werden; zweitens
wachsen; drittens Nahrung erhalten;
viertens, wenn man krank ist, geheilt
werden; fünftens, wenn man zu kämpfen
hat, eine Rüstung erhalten; sechstens
muss es jemanden geben, der die bereits
geborenen und aufgewachsenen Menschen
anleitet und führt; siebtens muss es
jemanden geben, der sich der Vermehrung
des Menschengeschlechts widmet, denn
wenn die einmal Geborenen ohne
Nachfolger sterben würden, würde die
Menschheit bald aussterben. Beim
geistlichen Leben nun muss in uns zuerst
die Gnade Gottes geboren werden, und das
geschieht durch die Taufe. Zweitens muss
diese Gnade wachsen und stark werden,
und das geschieht durch die Firmung.
Drittens muss sie genährt und erhalten
werden, und das tut die Eucharistie.
Viertens muss sie wiedergewonnen werden,
wenn sie verloren wurde, und das
geschieht durch die Arznei der Buße.
Fünftens muss der Mensch an der Schwelle
des Todes gegen den höllischen Feind
bewaffnet werden, und das geschieht
durch die Letzte Ölung. Sechstens muss
es in der Kirche jemanden geben, der uns
in diesem geistlichen Leben anleitet und
führt, und dazu ist die Weihe da.
Siebtens muss es in der Kirche ebenso
jemanden geben, der sich in heiliger
Weise der Vermehrung des
Menschengeschlechts widmet, weil sich so
die Zahl der Gläubigen mehrt, und dazu
ist das Ehesakrament da.
S: Wer hat denn
so wunderbare Dinge erdacht und
eingesetzt?
L: Diese so
wunderbaren Sakramente konnte nur die
göttliche Weisheit selbst erfinden, und
einsetzen konnte sie ebenfalls nur Gott
selbst, da er die Gnade verleihen kann.120
Und so hat Christus, unser Herr, der
Gott und Mensch ist, sie erdacht und
eingesetzt. Außerdem sind alle
Sakramente wie Kanäle, durch die die
Kraft des Leidens Christi zu uns fließt.
Es ist also klar, dass dieser Schatz des
Leidens Christi auch nur in der Weise
und mit den Mitteln ausgeteilt werden
kann, die Christus selbst festgelegt
hat.
S: Ich möchte
gerne wissen, ob es zur Zeit des Alten
Testamentes auch Sakramente gab und ob
sie so vortrefflich waren wie unsere.
L: Im Alten
Testament gab es viele Sakramente,
jedoch unterschieden sie sich von den
unseren in vier Punkten.121
Erstens war ihre Zahl größer als bei
unseren. Darum war das alte Gesetz auch
schwieriger als das neue. Zweitens waren
die damit verbundenen Erfordernisse
schwieriger einzuhalten als bei unseren.
Drittens waren sie dunkler, weshalb ihre
Bedeutung auch nur von wenigen
verstanden wurde, während unsere eine so
klare Bedeutung haben, dass jeder sie
begreifen kann. Viertens teilten sie
nicht wie unsere die Gnade mit, sondern
gaben von ihr nur ein Vorausbild und
eine Verheißung. So sind unsere
Sakramente viel vortrefflicher, weil sie
geringer an Zahl, leichter, klarer und
wirksamer als jene sind.
S: Ich möchte
auch gern wissen, welches von unseren
Sakramenten das bedeutendste ist.
L: Sie alle
sind bedeutsam, jedes von ihnen besitzt
eine ganz eigene erhabene Größe. Das
größte von allen ist das allerheiligste
Sakrament der Eucharistie, weil in ihm
der Urheber der Gnade und alles Guten
selbst enthalten ist, Christus, unser
Herr. Was allerdings die Notwendigkeit
angeht, sind die Taufe und die Buße die
wichtigsten. Was die Würde dessen, der
die Sakramente spenden kann, angeht,
sind die Firmung und die Weihe die
bedeutendsten, weil diese beiden
Sakramente normalerweise nur der Bischof
spenden kann. Was die Leichtigkeit
angeht, so nimmt die Letzte Ölung den
ersten Platz ein, weil bei ihr die
Sünden ohne die Mühe der Buße vergeben
werden. Was die Ebene des Sinnbildes
angeht, so ist die Ehe das größte, weil
sie die Verbindung Christi mit der
Kirche darstellt.
Die Taufe
S: Beginnen Sie
nun, wenn es Ihnen recht ist, das erste
Sakrament zu erklären, und sagen Sie mir
zuerst, warum es Taufe („baptisma")
heißt!
L: Dieser
Begriff „baptisma" ist ein griechisches
Wort und heißt übersetzt Waschung. Die
heilige Kirche wollte jedoch diesen
griechischen Begriff verwenden, da der
Begriff Waschung zu gewöhnlich ist und
er täglich für die banalsten Dinge
gebraucht wird. Damit dieses Sakrament
also einen eigenen Namen hat und klarer
unterschieden und höher geschätzt wird,
wurde es Taufe, „baptisma" genannt.
S: Was braucht
man, um die Taufe zu spenden?
L: Man benötigt
mindestens drei Dinge. Merkt sie euch
gut! In bestimmten Notfällen kann
nämlich, wie wir gleich sehen werden,
jeder taufen. Darum ist es gut, wenn
auch jeder weiß, wie es geht. Erstens
braucht man echtes, natürliches Wasser;
damit übergießt man denjenigen, den man
tauft. Zweitens muss man im gleichen
Moment, da man das Wasser über ihn
gießt, folgende Worte sprechen: Ich
taufe dich im Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes.
Drittens ist es erforderlich, dass
derjenige, der tauft, wirklich die
Absicht hat zu taufen, d.h. das
Sakrament zu spenden, das Christus
eingesetzt hat und das die Kirche
spendet, wenn sie tauft. Wenn jemand
also dabei nur die Absicht hätte, einen
Scherz zu machen oder vom Leib
irgendeinen Schmutz abzuwaschen, beginge
er eine sehr schwere Sünde, und der arme
Mensch wäre dann nicht wirklich getauft.
S: Welche Wirkungen hat die Taufe?
L: Sie hat drei Wirkungen. Erstens
erneuert sie den Menschen vollkommen,
indem sie ihm die Gnade Gottes verleiht,
durch die er von einem Kind des Teufels
zu einem Kind Gottes wird und von einem
Sünder zu einem Gerechten. Sie wäscht
die Seele nicht nur von jedem Makel der
Schuld rein, sondern befreit sie auch
von jeder Strafe der Hölle oder des
Fegfeuers, so dass jemand, der sofort
nach der Taufe sterben würde, direkt ins
Paradies käme, so als ob er nie eine
Sünde begangen hätte. Zweitens
hinterlässt die Taufe in der Seele ein
bestimmtes geistiges Zeichen, das man in
ihr in keiner Weise wieder auslöschen
kann. Deshalb wird man auch bei denen,
die in die Hölle kommen, noch erkennen,
dass jemand die Taufe empfangen und zur
Herde Christi gehört hat, so wie man in
dieser Welt an einer Brandmarke erkennt,
wem bestimmte Sklaven oder Tiere
gehören. Das ist auch der Grund, warum
man die Taufe nur ein einziges Mal
empfangen kann: Sie geht nie verloren,
denn die Wirkung dieser Taufe bleibt
allezeit in die Seele eingeprägt.
Drittens tritt dieser Mensch durch die
Taufe in die heilige Kirche ein, er hat
als Kind dieser Kirche an all ihren
Gütern Anteil und er bekennt öffentlich,
dass er ein Christ ist und denen
gehorchen will, die die Kirche an
Christi Stelle lenken.
S: Wessen Sache ist
es an sich, die heilige Taufe zu
spenden?
L: Von Amts wegen ist
es die Sache des Priesters, besonders
dessen, der an einem Ort für die
Seelsorge verantwortlich ist. Wenn aber
der Priester nicht da ist, ist es die
Aufgabe des Diakons, und im Notfall, d.
h. wenn die Gefahr besteht, dass das
Kind ohne Taufe stirbt, ist es die
Aufgabe eines jeden, Priester oder Laie,
Mann oder Frau. Stets hat man dabei
jedoch die Ordnung zu wahren, dass die
Frau nicht tauft, wenn ein Mann da ist,
und dass ein Laie nicht tauft, wenn ein
Kleriker anwesend ist, und bei den
Klerikern hat der höhere Rang stets den
Vortritt.
S: Mich wundert, dass
die Taufe Neugeborenen gespendet wird,
die doch das, was sie empfangen, gar
nicht verstehen.
L: Die Taufe ist so
notwendig, dass jemand, der stirbt, ohne
sie empfangen zu haben oder sie
wenigstens zu begehren, nicht ins
Paradies kommen kann.122 Weil
aber die kleinen Kinder besonders in
Gefahr sind zu sterben und zugleich
unfähig, die Taufe zu begehren, ist es
erforderlich, sie sobald wie möglich zu
taufen. Sie verstehen zwar nicht, was
sie empfangen, doch die Kirche ersetzt
es. Sie antwortet nämlich anstelle des
Kindes durch den Mund des Paten oder der
Patin und gibt Versprechen ab, und das
genügt. Denn wie wir durch Adam in die
Sünde und die Ungnade Gottes gefallen
sind, ohne dass wir irgendetwas davon
gewusst hätten, so begnügt sich Gott
damit, dass wir durch die Taufe und die
heilige Kirche von der Sünde befreit
werden und in seine Gnade zurückkehren,
auch wenn wir uns dessen zu dem
Zeitpunkt nicht bewusst sind.
S: Sie haben den
Paten und die Patin erwähnt. Was genau
ist das, und was ist ihre Aufgabe?
L: Nach altem Brauch
der Kirche braucht man zur Spendung der
Taufe einen Mann, der Pate heißt, eine
Art zweiten Vater, und manchmal eine
Frau, die Patin heißt, eine Art zweite
Mutter. Diese beiden oder einer von
ihnen hält das Kind auf dem Arm, während
es getauft wird, und antwortet an seiner
Stelle, wenn der Priester es fragt, ob
es getauft werden will und ob es die
Artikel des Glaubensbekenntnisses glaubt
usw. Wenn das Kind dann heranwächst,
sind Pate und Patin verpflichtet, dafür
zu sorgen, es im Glauben und den guten
Sitten zu unterweisen, falls Vater und
Mutter darin nachlässig sind. Außerdem
ist zu beachten, dass sie durch die
Taufe die geistlichen Verwandten des
Täuflings und seiner Eltern werden, und
zwar sowohl der Tauf Spender als auch
Pate und Patin, jedoch diese nicht
untereinander.
Die Firmung
S: Über die Taufe weiß ich jetzt genug.
Sagen Sie mir nun, was Firmung oder
Firmsalbung bedeutet, also das zweite
Sakrament!
L: Das zweite Sakrament heißt Firmung,
weil seine Wirkung darin besteht, einen
Menschen im Glauben firm, also fest zu
machen, wie wir in Kürze darlegen
werden. Es heißt auch Salbung mit dem
„Chrisma". Das ist ein griechischer
Begriff und bedeutet Salbung, weil bei
diesem Sakrament die Stirn dessen, der
dieses Sakrament empfängt, gesalbt wird.
Denn wie bei der Taufe der Täufling mit
Wasser gewaschen wird, um zu zeigen,
dass die Gnade Gottes ihm die Seele vom
Schmutz aller Sünden reinwäscht, so wird
bei der Firmsalbung die Stirn gesalbt,
um zu zeigen, dass die Gnade Gottes die
Seele salbt und sie so kräftigt und
stärkt, damit sie in der Lage ist, gegen
den Teufel zu kämpfen und tapfer den
heiligen Glauben zu bekennen ohne Furcht
vor Qualen, ja selbst vor dem Tod.
S: In welchem Alter soll man dieses
Sakrament empfangen?
L: Man soll es empfangen, wenn man zum
Vernunftgebrauch gelangt ist. Denn dann
fängt man an, den Glauben zu bekennen,
und hat es damit auch nötig, in der
Gnade Gottes gestärkt und gefestigt zu
werden.
S: Hat dieses Sakrament noch eine andere
Wirkung als die, die Seele zu kräftigen?
L: Es hinterlasst ein unveränderliches,
in die Seele geprägtes Zeichen, das man
in Ewigkeit nicht auslöschen kann.
Deshalb kann man dieses Sakrament nur
einmal empfangen.
S: Weshalb muss in die Seele ein zweites
Zeichen geprägt werden? Genügt denn
nicht das von der Taufe?
L: Dieses zweite Zeichen wird nicht ohne
Grund eingeprägt, weil man an dem ersten
nur erkennt, dass jemand ein Christ ist,
also zur Familie Christi gehört. An
diesem zweiten erkennt man dagegen, dass
er ein Soldat Christi ist. Er trägt
nämlich das Abzeichen seines Heerführers
in der Seele, so wie die Soldaten in der
Welt es an ihren Kleidern tragen. Wer
dieses Sakrament empfangen hat, danach
aber in die Hölle kommt, wird sich über
alle Maßen schämen müssen, weil jeder
sehen wird, dass er den Fahneneid der
Soldaten Christi abgelegt hat, sich aber
dann so ruchlos gegen ihn aufgelehnt
hat.
Die
Eucharistie
S: Erklären Sie mir jetzt das dritte
Sakrament? Sagen sie mir bitte zuerst,
was Eucharistie bedeutet.
L: Auch das ist ein griechisches Wort.
Es bedeutet dankbares
Gedenken*
oder Danksagung, weil man in diesem
Geheimnis der hocherhabenen Wohltat des
heiligsten Leidens des Heilands gedenkt
und Gott dafür dankt. Dabei wird uns
zugleich der wahre Leib und das wahre
Blut des Herrn gegeben, wofür es unsere
Pflicht ist, Gott unablässig Dank zu
sagen.
*
Anmerkung:
Vermutlich handelt es sich hier um
eine falsche Übersetzung.
Statt Gedenken muss es Gedächtnis
heißen.
Hinter dem griechischen Wort, das
sich an dieser Stelle findet
(anamnesis), steht
aber ein hebräischer Begriff - lezikkarôn (nicht
zakar.
Lehre des Trienter Konzils zum
Heiligen Messopfer
(13.12.1545 - 4. Dezember 1563):
Die Messe ist ein wahres, sichtbares
Opfer - nicht symbolische
Vergegenwärtigung - , durch welches
das, was ein einziges Mal am Kreuze
auf blutige Weise zu vollbringen
war, vergegenwärtigt und seine
heilbringende Kraft zur Nachlassung
der Sünden, die von uns täglich
begangen werden, angewendet werden
sollte.
Das Messopfer ist ein wahres
Sühnopfer und NICHT ein "bloßes
Gedenken an das am Kreuz
vollbrachte Opfer".
"Wenn jemand sagt, das Messopfer sei
nur Lob und Danksagung oder ein bloßes
Gedenken des am Kreuz
vollbrachten Opfers, nicht aber ein
sühnendes, oder es nütze nur dem,
der es genießt, aber es dürfe nicht
für die Lebenden und Verstorbenen,
für die Sünden, Strafen,
Genugtuungen und anderen Anliegen
dargebracht werden, anathema
sit ( = der sei verflucht = der sei
ewig verdammt).")
S: Erklären Sie mir bitte alles
ausführlicher, was in diesem heiligen
Sakrament enthalten ist. Denn wenn ich
weiß, wie vortrefflich es ist, kann ich
es umso besser ehren.
L: Bevor die Hostie, die ihr auf dem
Altar seht, konsekriert ist, ist sie
nichts anderes als ein wenig Brot, das
in Form einer dünnen Oblate gebacken
ist. Sobald aber der Priester die
Wandlungsworte ausgesprochen hat,
befindet sich in dieser Hostie der wahre
Leib des Herrn. Weil aber der wahre Leib
des Herrn lebendig und mit der Gottheit
vereint ist in der Person des Sohnes
Gottes, befindet sich in der Hostie
zusammen mit dem Leib auch das Blut, die
Seele und die Gottheit und damit der
ganze Christus, Gott und Mensch. In
gleicher Weise ist im Kelch vor der
Konsekration nichts anderes als ein
wenig Wein mit etwas Wasser. Sobald aber
die Wandlung beendet ist, befindet sich
im Kelch das wahre Blut Christi. Weil
aber das Blut Christi nicht außerhalb
seines Leibes ist, befindet sich im
Kelch zusammen mit dem Blut auch der
Leib, die Seele und die Gottheit Christi
und damit der ganze Christus, Gott und
Mensch.
S: Ich sehe doch aber, dass die Hostie
nach der Konsekration die Gestalt von
Brot hat wie zuvor, und das, was im
Kelch ist, die Gestalt von Wein hat wie
zuvor.
L: Das ist richtig. Die Hostie behält
die Gestalt und auch die Farbe und den
Geschmack von Brot, genau wie zuvor.
Doch die Substanz des Brotes, die zuvor
darin war, ist nun nicht mehr darin: So
ist unter der Gestalt des Brotes kein
Brot mehr, sondern der Leib des Herrn.
Ich will euch einen Vergleich geben,
damit ihr es versteht. Ihr habt gelernt,
dass die Frau Lots sich in eine
Salzsäule verwandelt hat. Wer nun also
diese Säule sah, sah die Gestalt der
Frau Lots, und dennoch war dies nicht
mehr die Frau Lots, sondern Salz in
Gestalt einer Frau. Wie sich also in
dieser Verwandlung die Substanz innen
veränderte, die Gestalt außen aber
erhalten blieb, so verwandelt sich bei
diesem Geheimnis die innere Substanz des
Brotes in den Leib des Herrn, außen aber
bleibt die Gestalt des Brotes erhalten,
die zuvor schon da war. Dasselbe gilt
vom Kelch. Die Gestalt, der Geschmack,
die Farbe und der Geruch von Wein sind
vorhanden, nicht jedoch die Substanz des
Weines, sondern stattdessen das Blut des
Herrn unter dieser Gestalt des Weines.
S: Das kommt mir als etwas
Außerordentliches vor, dass ein so
großer Leib wie der des Herrn sich unter
einer so kleinen Gestalt wie der der
gewandelten Hostie befinden kann
L: Gewiss ist es etwas
Außerordentliches, aber außerordentlich
groß ist auch die Macht Gottes. Sie kann
Dinge tun, die das Begreifen
übersteigen. Als Christus im heiligen
Evangelium sagte, Gott könne es machen,
dass ein Kamel, also ein Tier, das
größer als ein Pferd ist, durch ein
Nadelöhr gehe, fügte er deshalb hinzu:
Solche Dinge sind für die Menschen
unmöglich, aber für Gott ist alles
möglich.123
S: Ich hätte gerne ein Beispiel, um zu
verstehen, wie ein und derselbe Leib des
Herrn in so vielen Hostien sein kann,
die sich wiederum in so vielen
Tabernakeln befinden.
L: Die Wunder Gottes braucht man nicht
zu verstehen. Es genügt, sie zu glauben,
da wir sicher sind, dass Gott uns nicht
betrügen kann. Trotzdem gebe ich euch
einige Beispiele, um euch zu bestärken.
Wir haben ohne Zweifel jeder eine
einzige Seele. Und doch befindet sie
sich ganz in allen Gliedern des Leibes,
ganz im Kopf, ganz im Fuß, ganz auch in
jedem beliebigen Teilchen unseres
Leibes. Was muss man sich da wundern,
dass Gott machen kann, dass sich der
Leib seines Sohnes in vielen Hostien
befindet, wenn er doch machen kann, dass
ein und dieselbe Seele sich ganz und
vollständig in so vielen, so
verschiedenen und von einander
entfernten Teilen des Leibes befindet?
In der Lebensbeschreibung des hl.
Antonius von Padua ist zu lesen, dass
dieser Heilige einmal in einer Stadt
Italiens predigte, sich zur gleichen
Zeit aber durch die Macht Gottes in
Portugal befand, um dort irgendein
anderes gutes Werk zu tun. Wenn Gott
also bewirken konnte, dass der hl.
Antonius gleichzeitig an zwei so weit
voneinander entfernten Orten sein
konnte, und dies noch dazu in seiner
eigenen Gestalt, warum sollte er es dann
nicht bewirken können, dass Christus in
vielen Hostien ist, und zwar unter der
Gestalt dieser Hostien?S: Sagen Sie mir
bitte, verlässt Christus den Himmel,
wenn er in die Hostie kommt, oder
befindet er sich dann noch im Himmel?
L: Wenn Christus, unser Herr, in der
Hostie gegenwärtig wird, verlässt er den
Himmel nicht, sondern befindet sich
durch göttliche Kraft gleichzeitig im
Himmel und in der Hostie. Haltet euch
das Beispiel unserer Seele vor Augen!
Wie ihr seht, ist jemand als Säugling
von wenigen Tagen ganz klein, und wer
ihn messen würde, würde auf etwa einen
halben Meter kommen. Wenn er dann aber
wächst, ist er irgendwann doppelt so
groß wie vorher, und beim Messen käme
man auf mehr als einen ganzen Meter.
Jetzt frage ich euch: Wenn die Seele
vorher nur in einem halben Meter war,
hat sie dann diese erste Hälfte des
Meters verlassen, um in die zweite zu
kommen, oder nicht? Natürlich hat sie
diese nicht verlassen und sich auch
nicht ausgedehnt, denn die Seele ist
unteilbar. Ohne also die erste zu
verlassen, ist sie auch in der zweiten
gegenwärtig geworden. Ebenso verlässt
Christus, unser Herr, den Himmel nicht,
um in der Hostie gegenwärtig zu sein,
und er verlässt auch nicht die eine
Hostie, um sich in der anderen zu
befinden, sondern er befindet sich
zugleich ganz im Himmel und in allen
Hostien.
S: Nun habe ich gelernt, was dieses
Sakrament enthält. Jetzt möchte ich gern
wissen, was nötig ist, um es würdig zu
empfangen.
L: Drei Dinge sind erforderlich. Erstens
muss man seine Sünden beichten und dafür
sorgen, dass man im Gnadenstand ist,
wenn man zur Kommunion geht. Denn einer
der Gründe, warum uns dieses Sakrament
unter der Gestalt von Brot gereicht
wird, ist, dass wir begreifen sollen,
dass es Lebenden gereicht wird und nicht
Toten, und zwar um die Gnade Gottes zu
nähren und sie wachsen zu lassen.
Zweitens müssen wir vollkommen nüchtern
sein, das heißt, dass wir wenigstens
seit Mitternacht nichts zu uns genommen
haben, nicht einmal einen Schluck
Wasser. Drittens ist es notwendig, dass
wir begreifen, was wir tun, und dass wir
eine fromme und andächtige Haltung
gegenüber einem so großen Geheimnis
haben. Aus diesem Grund reicht man
dieses Sakrament auch nicht
Kleinkindern, Geistesgestörten oder
anderen, die keinen Vernunftgebrauch
haben.
S: Wie oft sollen wir kommunizieren?
L: Das Gebot der heiligen Kirche
verlangt, wenigstens einmal im Jahr zu
kommunizieren, und zwar an Ostern.124
Dennoch ist es wünschenswert, dass man
häufiger kommuniziert, und zwar
entsprechend der Entscheidung des
Beichtvaters.
S: Erklären Sie mir jetzt bitte, welche
Früchte man aus diesem Sakrament
erlangen kann, und den Zweck, wozu es
eingesetzt worden ist!
L: Aus drei Gründen hat Christus, unser
Herr, dieses überaus erhabene Sakrament
eingesetzt. Erstens als Speise für die
Seelen. Zweitens als Opfer des neuen
Bundes. Drittens zum immerwährenden
Gedenken an sein Leiden und als
untrüglichen Beweis seiner Liebe zu uns.
S: Welche Wirkung hat es als Speise für
die Seele?
L: Es hat die Wirkung, die die
materielle Speise im Leib hat. Deshalb
wird es auch in der Gestalt von Brot
gereicht. Wie nämlich das Brot die
natürliche Körperwärme erhält, worin das
Leben des Leibes besteht, so erhält
dieses allerheiligste Sakrament, wenn es
würdig empfangen wird, die Liebe, die
das Leben der Seele ist, und lässt sie
wachsen.
S: Welche Wirkung hat es als Opfer?
L: Es versöhnt Gott und erlangt viele
Wohltaten nicht nur für die Lebenden,
sondern auch für die Verstorbenen im
Fegfeuer. Ihr müsst folgendes wissen. Im
Alten Bund wurden Gott Tiere geopfert.
Im Neuen Bund aber ist an die Stelle all
dieser Opfer das heilige Messopfer
getreten.125 In ihm wird Gott
durch die Hand des Priesters das ganz
wohlgefällige Opfer des Leibes und
Blutes seines Sohnes dargebracht. Darauf
haben all jene Opfer des Alten Bundes
hingewiesen.
S: Welche Wirkung hat es als Gedenken
und Beweis der Liebe des Herrn zu uns?
L: Es bewirkt, dass wir für eine so
große Wohltat
dankbar sind und uns selbst dazu
anspornen, den wiederzulieben, der uns
so sehr geliebt hat. Wie deshalb Gott im
Alten Bund wollte, dass die Juden das
Manna nicht nur aßen, das er ihnen vom
Himmel sandte, sondern auch wollte, dass
sie ein Gefäß voll von diesem Manna
aufbewahrten
zum Gedächtnis an all die Wohltaten, die
Gott ihnen erwiesen hatte, als er sie
aus Ägypten herausführte126,
so hat Christus
auch gewollt, dass dieses allerheiligste
Sakrament von uns nicht nur gegessen,
sondern auch auf dem Altar im Tabernakel
aufbewahrt und bisweilen in einer
Prozession umhergetragen werden sollte,
damit wir uns jedesmal, wenn wir es
sehen, an seine unendliche Liebe zu uns
erinnern. Doch insbesondere ist die
Heilige Messe eine Zusammenfassung des
ganzen Lebens des Herrn, damit es uns
nie aus dem Sinn gehe.
S: Ich möchte gern verstehen, inwiefern
die Messe eine Zusammenfassung des
ganzen Lebens Christi ist, damit es mir
hilft, bei der Heiligen Messe frommer
und aufmerksamer zu sein.
L: Ich will es ganz kurz machen. Der
Vers zur Eröffnung („Introitus") der
Messe bedeutet die Sehnsucht der
heiligen Väter nach der Ankunft des
Herrn. Das „Kyrie eleison" bedeutet die
Rufe der Patriarchen und Propheten, die
von Gott dieses so lange ersehnte Kommen
erbaten. Das „Gloria in excelsis"
bedeutet die Geburt des Herrn. Das
Gebet, das unmittelbar darauf folgt,
bedeutet die Darstellung und Aufopferung
im Tempel. Die Epistel, die auf der
linken Seite des Altars gelesen wird,
bedeutet die Predigt des hl. Johannes
des Täufers, der die Menschen zu
Christus führte. Der Gradualvers
bedeutet die Bekehrung des Volkes auf
die Predigt des hl. Johannes hin. Das
Evangelium, das auf der
rechten Seite
(Anmerkung: linke Seite muss es heißen)
des Altars gelesen wird, bedeutet die
Predigt des Herrn, der uns
von der linken auf die rechte Seite
(Anmerkung: von der
rechten auf die linke Seite muss es
heißen) versetzt,
also von den zeitlichen zu den ewigen
Dingen und von der Sünde zur Gnade.
Dabei werden die Leuchter und der
Weihrauch mitgetragen, um zu zeigen,
dass das heilige Evangelium die Welt
erleuchtet und mit dem Wohlgeruch der
Ehre Gottes erfüllt hat. Das
Glaubensbekenntnis bedeutet die
Bekehrung der heiligen Apostel und der
anderen Jünger des Herrn. Die
Stillgebete, die nach dem
Glaubensbekenntnis beginnen, bedeuten
die geheimen Pläne der Juden gegen
Christus. Die Präfation, die mit lauter
Stimme gesungen wird und die mit dem
„Hosanna in der Höhe" endet, bedeutet
den feierlichen Einzug, den Christus in
Jerusalem am Palmsonntag hielt. Die
stillen Gebete, die darauf folgen,
bedeuten die Passion des Herrn. Die
Erhebung der Hostie bedeutet die
Erhöhung Christi am Kreuz. Das Vater
Unser bedeutet das Gebet des Herrn,
während er am Kreuz hing. Die Brechung
der Hostie bedeutet die Wunde durch die
Lanze. Das „Agnus Dei" bedeutet die
Klage der Marien, als Christus vom Kreuz
abgenommen wurde. Die Kommunion des
Priesters bedeutet das Begräbnis. Das
Gebet nach der Kommunion, das freudig
gesungen wird, bedeutet die
Auferstehung. Das „Ite Missa est"
bedeutet die Himmelfahrt. Der Segen des
Priesters bedeutet das Kommen des
Heiligen Geistes. Das Evangelium am
Schluss der Messe bedeutet die Predigt
der heiligen Apostel, als sie, erfüllt
vom Heiligen Geist, begannen, in der
ganzen Welt das Evangelium zu predigen,
und so den Anfang zur Bekehrung der
Heiden legten.
Die Buße
S: Nun folgt das vierte Sakrament namens
Buße. Erklären Sie mir bitte: Was ist
das für ein Sakrament?
L: Das Wort Buße hat drei Bedeutungen.
Erstens bedeutet es eine bestimmte
Tugend, durch die der Mensch seine
Sünden bereut. Das entgegengesetzte
Laster heißt Unbußfertigkeit, also wenn
der Mensch nicht bereuen, sondern in der
Sünde verharren will. Zweitens bedeutet
„Buße" den Schmerz, den der Mensch sich
zufügt, um Gott für das Böse, das er
getan hat, Sühne
zu leisten. So sprechen wir davon, dass
jemand schwere Buße tut, weil er sich
mit Fasten und anderen strengen Dingen
großen Schmerz zufügt. Drittens ist
„Buße" ein Sakrament, das von Christus
eingesetzt wurde, um denen die Sünden zu
vergeben, die nach der Taufe die Gnade
Gottes verloren haben, dann aber ihre
Fehler bereut haben und in seine Gnade
zurückkehren wollen.
S: Was ist das Wesentliche an diesem
Sakrament?
L: Zweierlei: die Beichte des Sünders
und die Lossprechung durch den Priester.
Denn Christus hat die Priester zu
Richtern über diejenigen Sünden gemacht,
die nach der Taufe begangen wurden, und
er will, dass sie an seiner Stelle die
Vollmacht haben, sie zu vergeben127,
wenn der Sünder sie bekennt und
entsprechend innerlich vorbereitet ist.
Demnach besteht das Bußsakrament in
folgendem: Wie der Sünder äußerlich
wahrnehmbar seine Sünden bekennt und der
Priester äußerlich wahrnehmbar die
Lossprechung ausspricht, so löst Gott im
Inneren durch diese Worte des Priesters
die Fesseln, womit die Seele gebunden
war, schenkt ihr wieder seine Gnade und
erlässt ihr die Strafe, die sie sich
zugezogen hatte, nämlich, in die Hölle
gestürzt zu werden.
S: Was ist zum Empfang dieses
Sakramentes notwendig?
L: Dreierlei ist notwendig: Reue,
Bekenntnis und Genugtuung. Dies sind die
drei Teile des Bußsakramentes.
S: Was bedeutet Reue?
L: Dass das harte Herz des Sünders weich
wird und gewissermaßen am Schmerz
darüber zerbricht, Gott beleidigt zu
haben. Doch näherhin enthält die Reue
zweierlei, und das eine genügt nicht
ohne das andere. Erstens dass dem Sünder
wirklich alle seit der Taufe begangenen
Sünden leid tun. Aus diesem Grund muss
man sich gut erforschen, all seine Taten
bedenken und Schmerz darüber erwecken,
dass man sie nicht so verrichtet hat,
wie es das heilige Gesetz Gottes
vorschreibt. Zweitens ist notwendig,
dass der Sünder den festen Vorsatz hat,
nicht mehr zu sündigen.
S: Was bedeutet Bekenntnis?
L: Dass der Sünder es nicht mit der Reue
gut sein lässt, sondern vor dem Priester
niederkniet, so wie Magdalena vor
Christus niederkniete128, und
dort seine Sünden aufrichtig bekennt,
ohne etwas hinzuzufügen, zu verkleinern
oder irgendeine Lüge einfließen zu
lassen; des weiteren einfach, ohne sich
zu entschuldigen, anderen die Schuld zu
geben oder viele überflüssige Worte zu
machen; vollständig, indem er alle
Sünden nennt, ohne irgendetwas aus Scham
auszulassen, und indem er sagt, wie oft
er jede von ihnen begangen hat, und die
bedeutenderen Umstände nennt, soweit er
sich daran erinnern kann; schließlich
zerknirscht und demütig, indem er die
Sünden nicht wie eine Geschichte
erzählt, sondern sie wie etwas
Beschämendes und eines Christen
Unwürdiges bekennt und demütig dafür um
Vergebung bittet.
S: Was bedeutet Bußwerk?
L: Dass der Sünder die Absicht hat, Buße
zu tun, und aus diesem Grund die Buße,
die ihm der Beichtvater auferlegt,
bereitwillig annimmt und sie so bald wie
möglich verrichtet. Dabei muss er
bedenken, dass Gott ihm ja die
allergrößte Gnade erweist, indem er ihm
die ewige Strafe der Hölle erlässt und
sich mit einer zeitlichen Strafe
begnügt, die noch dazu viel geringer
ist, als die Sünden es verdient hätten.
S: Sagen Sie mir jetzt, welche Nutzen
dieses Sakrament bringt!
L: Viererlei sehr großen Nutzen haben
wir von diesem Sakrament. Der erste ist
schon genannt worden, dass Gott uns
nämlich die nach der Taufe begangenen
Sünden vergibt und uns die ewige Strafe
der Hölle in eine zeitliche umwandelt,
die in diesem Leben oder im Fegfeuer zu
erdulden ist. Der zweite besteht darin,
dass die guten Werke, die wir verrichtet
haben, als wir in der Gnade Gottes
waren, und die wir dann durch die Sünde
verloren haben, uns durch dieses
Sakrament wieder angerechnet werden. Der
dritte besteht darin, dass wir von der
Fessel der Exkommunikation befreit
werden, falls wir vielleicht damit
gebunden waren. Denn ihr müsst wissen,
dass die Exkommunikation eine sehr
schwere Strafe ist, die bewirkt, dass
uns die Gebete der heiligen Kirche nicht
mehr zugute kommen, dass wir die
Sakramente nicht mehr empfangen können,
mit den anderen Gläubigen keinen Umgang
mehr haben können und schließlich nicht
in geweihter Erde begraben werden
können. Von dieser so schrecklichen
Strafe werden wir also durch das
Bußsakrament befreit, und zwar
entsprechend der Vollmacht, die die
Beichtväter vom Bischof oder vom Papst
bekommen haben. Allerdings kann diese
Auflösung einer Exkommunikation auch
außerhalb des Sakramentes gewährt
werden, und zwar vom kirchlichen Oberen,
auch wenn er kein Priester ist. Der
vierte und letzte Nutzen besteht darin,
dass wir fähig werden, aus dem Schatz
der Kirche Ablässe zu gewinnen, welche
häufig von den Päpsten gewährt werden.
S: Was versteht man unter Ablass?
L: Der Ablass ist ein Mittel Gottes, den
Gläubigen gegenüber freigebig zu sein,
indem er ihnen nämlich die zeitliche
Strafe ganz oder teilweise erlässt, die
sie für ihre Sünden in dieser Welt oder
im Fegfeuer hätten leiden müssen. Dazu
bedient er sich seines Stellvertreters.
S: Welche Voraussetzung braucht man, um
in den Genuss von Ablässen zu kommen?
L: Der Mensch muss in der Gnade Gottes
sein - d.h. falls er in der Sünde ist,
muss er beichten -, und er muss das
erfüllen, was der Papst vorschreibt,
wenn er den Ablass gewährt.
S: Wie oft muss man das Bußsakrament
empfangen?
L: Die heilige Kirche schreibt vor, dass
jeder wenigstens einmal im Jahr
beichtet.129 Jedoch muss man
jedesmal beichten, wenn man
kommunizieren will, sich aber einer
Todsünde bewusst ist, und ebenso, wenn
man im Sterben liegt oder sich an etwas
begibt, was einen in Todesgefahr bringt.
Doch über diese Verpflichtungen hinaus
ist es sehr gut, häufig zu beichten und
das Gewissen rein zu halten, ganz
besonders weil der, der nur selten
beichtet, nur schwer gut beichten kann.
S: Schließlich möchte ich Sie gern noch
fragen, welches die guten und Gott
wohlgefälligen Werke sind, mit denen man
für die Sünden Genugtuung leisten kann.
L: Sie alle lassen sich auf drei
zurückführen, nämlich auf Gebet, Fasten
und Almosen, wie es der Engel Raphael
den Tobias lehrte.130 Der
Grund dafür ist, dass der Mensch Seele,
Leib und äußere Güter besitzt. Mit dem
Gebet bringt er Gott Güter der Seele
dar, mit dem Fasten Güter des Leibes und
mit dem Almosen äußere Güter. Unter
Gebet versteht man dabei auch den
Messbesuch, die sieben Bußpsalmen beten,
das Totenoffizium beten und weitere
vergleichbare Dinge. Unter Fasten
versteht man dabei auch alle anderen
leiblichen Kasteiungen wie Bußgürtel
tragen, sich geißeln, auf dem Boden
schlafen, Wallfahrten unternehmen und
ähnliches. Unter Almosen versteht man
auch jedes andere Werk der Nächstenliebe
und jeden Dienst, welche man aus Liebe
zu Gott dem Nächsten erweist.
S: Was ist nötig, um in rechter Weise zu
fasten?
L: Drei Dinge sind nötig: an dem
betreffenden Tag nur einmal zu essen,
und zwar gegen Mittag (je später man es
tun kann, desto besser), auf
Fleischspeisen zu verzichten sowie auf
Eier und Milchspeisen, wo diese
ebenfalls nicht erlaubt sind.
S: Ist es besser, Gott mit diesen Werken
selbst Genugtuung zu leisten oder einen
Ablass zu erwerben?
L: Es ist besser, selbst mit diesen
Werken Genugtuung zu leisten, weil man
mit dem Ablass nur für die verdiente
Strafe Genugtuung leistet, mit diesen
Werken dagegen Genugtuung leistet und
gleichzeitig das ewige Leben verdient.
Das Beste von allem aber ist, sich
beider Dinge zu bedienen, indem man,
soviel man nur kann, selbst Genugtuung
leistet und außerdem auch Ablässe
erwirbt
Die Letzte
Ölung
S. Was ist die Letzte Ölung?
L: Die Letzte Ölung ist ein Sakrament,
das unser Herr für die Kranken
eingesetzt hat. Es heißt „Ölung", weil
es in der Salbung des Kranken mit
heiligem Öl und im Verrichten einiger
Gebete über ihn besteht. „Letzte" heißt
es, da sie unter den Salbungen mit Öl,
die bei den Sakramenten der Kirche
vollzogen werden, die letzte ist. Denn
die erste wird bei der Taufe vollzogen,
die zweite bei der Firmung, die dritte
bei der Priesterweihe und die letzte in
der Krankheit. Man kann sie auch die
letzte nennen, weil sie am Ende des
Lebens gespendet wird.
S: Welche Wirkungen hat dieses
Sakrament?
L: Es sind drei. Erstens die Vergebung
der Sünden, die manchmal nach den
anderen Sakramenten noch verbleiben,
also die, an die man sich nicht erinnert
oder die man nicht erkennt - die man
aber, wenn man sie erkennen würde oder
sich an sie erinnern würde, bereitwillig
bereuen und auch beichten würde.
Zweitens die Aufmunterung und Stärkung
des Kranken zu der Zeit, da er von der
Krankheit und den Versuchungen des
Teufels niedergedrückt wird. Drittens
die Wiederherstellung der Gesundheit des
Leibes, wenn dies dem ewigen Heil des
Kranken förderlich ist.131
Auf diese drei Wirkungen deutet das Öl
hin, das bei diesem Sakrament verwendet
wird, denn das Öl stärkt, bringt
Linderung und heilt.
S: Zu welchem Zeitpunkt soll man dieses
Sakrament empfangen?
L: Viele begehen darin den großen
Irrtum, dass sie dieses Sakrament erst
empfangen wollen, wenn sie im Sterben
liegen. Der rechte Zeitpunkt, dieses
Sakrament zu spenden, ist dann, wenn die
Ärzte die Krankheit als gefährlich
beurteilen und ihrer Ansicht nach
menschliche Mittel wohl nicht mehr
ausreichen. Dann nimmt man also seine
Zuflucht zu himmlischen Mitteln, und so
passiert es nicht selten, dass der
Kranke durch das heilige Öl wieder
gesund wird. Darum darf man dieses
Sakrament nicht erbitten, wenn keine
Todesgefahr besteht, aber ebensowenig
darf man so lange warten, bis überhaupt
keine Hoffnung aufs Überleben mehr
besteht. Das ist auch der Grund, warum
man dieses Sakrament denen nicht
spendet, die aufgrund eines
Gerichtsurteils hingerichtet werden.
Denn sie sind nicht krank und haben auch
keine Hoffnung aufs Überleben.
Die Weihe
S: Was ist das Weihesakrament?
L: Das ist ein Sakrament, wodurch die
Vollmacht verliehen wird, die
Allerheiligste Eucharistie zu
konsekrieren sowie die anderen
Sakramente dem Volk zu spenden oder
kraft eigenen Amtes denen zu dienen, die
diese Vollmacht empfangen haben. Es
heißt auch „Ordo"-Sakrament (von „ordo"
= Ordnung), weil es bei diesem Sakrament
viele Stufen gibt, eine jeweils unter
der anderen, nämlich Priester, Diakon
und andere niedrigere Stufen. Doch es
ist nicht nötig, dass ich Euch dazu noch
mehr erkläre, weil dieses Sakrament
nicht alle betrifft, sondern nur schon
erwachsene und gelehrte Männer, die den
Katechismus nicht mehr zu lernen
brauchen, weil sie ihn selbst anderen
beizubringen haben.
Die Ehe
S: Was ist das Ehesakrament?
L: Das Ehesakrament ist die Verbindung
von Mann und Frau. Diese Verbindung ist
wiederum ein Hinweis auf die Verbindung
Christi mit der Kirche durch die
Fleischwerdung132 sowie auf
die Verbindung Gottes mit der Seele
durch die Gnade, und sie ist ein Abbild
davon.
S: Was bewirkt dieses Sakrament?
L: Erstens verleiht es die Gnade, sich
in der Ehe gut miteinander zu vertragen
und zugleich einander geistig zu lieben,
so wie Christus die Kirche liebt133
und Gott die treue und gerechte Seele
liebt. Zweitens verleiht es die Gnade,
die Kinder in der Furcht Gottes erziehen
zu können und zu wollen. Drittens bringt
es ein so festes Band zwischen Ehemann
und Ehefrau hervor, dass es auf keine
Weise gelöst werden kann, so wie es
ebenfalls unmöglich ist, das Band
zwischen Christus und der Kirche
aufzulösen. Daraus folgt, dass niemand
die Erlaubnis dazu geben kann, dass der
Mann seine erste Frau verlässt und sich
eine andere nimmt und ebenso dass die
Frau den ersten Mann verlässt und sich
einen anderen nimmt.134
S: Was ist nötig, um eine Ehe zu
schließen?
L: Drei Dinge sind nötig. Erstens dass
die Personen dazu in der Lage sind, sich
verbinden zu können, d.h. dass sie das
gesetzliche Mindestalter erreicht haben,
dass sie nicht vom vierten Grad aufwärts
miteinander verwandt sind und dass sie
kein feierliches Keuschheitsgelübde
abgelegt haben und dergleichen. Zweitens
dass bei der Eheschließung Zeugen
zugegen sind und insbesondere dass der
zuständige Seelsorger oder besser gesagt
Pfarrer anwesend ist. Drittens dass das
Jawort beider Teile frei gegeben wird,
also nicht durch eine schwere Furcht
erpresst, und dass es mit Worten oder
einem anderen gleichwertigen Zeichen
gegeben wird. Wenn aber eines dieser
drei Dinge fehlt, ist die Ehe ungültig.
S: Was ist besser, das Ehesakrament zu
empfangen oder jungfräulich zu bleiben?
L: Der hl. Apostel Paulus hat diese
Frage für uns gelöst. Er hat
geschrieben, dass derjenige gut handelt,
der sich in der Ehe verbindet, dass
aber, wer sich nicht darin verbindet, um
die Jungfräulichkeit zu bewahren, besser
handelt.135 Der Grund dafür
ist, dass die Ehe etwas Menschliches
ist, die Jungfräulichkeit dagegen etwas
Engelhaftes. Die Ehe entspricht der
Natur, die Jungfräulichkeit
überschreitet die Natur.136
Doch nicht nur die Jungfräulichkeit,
sondern auch die Witwenschaft ist besser
als die Ehe. Als darum der Heiland in
einem Gleichnis gesagt hatte, dass der
gute Samen auf einem Feld dreißigfach,
auf einem anderen sechzigfach und wieder
auf einem anderen hundertfach Frucht
brachte137, da haben die
heiligen Kirchenlehrer es dahingehend
erklärt, dass die dreißigfache Frucht
von der Ehe, die sechzigfache von der
Witwenschaft und die hundertfache von
der Jungfräulichkeit hervorgebracht
wird.138
Kapitel X: Die Tugenden im
allgemeinen
S: Sie haben bereits die vier
Hauptstücke der christlichen Lehre
erklärt. Nun möchte ich gern wissen, ob
es sonst noch etwas zu lernen gibt.
L: Diese vier Stücke, die ich euch schon
vorgelegt habe, muss jeder wissen. Doch
es gibt noch einiges andere, dessen
Kenntnis sehr nützlich ist, um das Ziel
zu erreichen, das wir anstreben, das
ewige Heil: dazu gehören die Tugenden
und die Laster, die guten Werke und die
Sünden. Davon war zwar schon nebenbei
die Rede bei der Erklärung des
Glaubensbekenntnisses und der Gebote.
Trotzdem wird es von großem Nutzen sein,
davon gesondert und im einzelnen zu
reden.
S: So sagen Sie mir bitte: Was ist
Tugend?
L: Die Tugend ist eine Eigenschaft der
Seele, die bewirkt, dass man gut ist.
Wie die Wissenschaft bewirkt, dass
jemand ein guter Gelehrter ist, und die
Kunst, dass jemand ein guter Künstler
ist, so bewirkt die Tugend, dass jemand
ein guter Mensch ist, und darüber
hinaus, dass er das Gute mühelos, rasch
und vollkommen tut. Wer diese Tugend
dagegen nicht besitzt, wird zwar auch
bisweilen das Gute tun, jedoch nur mit
Mühe und in mangelhafter Weise. Dafür
gebe ich euch einen Vergleich. Mit der
Tugend ist es nämlich wie mit der Kunst
und der praktischen Übung. Da ist einer,
der die Kunst erlernt hat, Zither oder
Laute zu spielen, und der viel Übung
darin hat. Er spielt ausgezeichnet und
ganz mühelos, obwohl er nicht einmal auf
die Saiten schaut. Ein anderer dagegen,
der keine Übung darin hat, wird zwar die
Saiten berühren können und auch spielen,
aber weder schnell noch gut. Wer darum
etwa die Tugend der Mäßigkeit besitzt,
wird wenn nötig ganz mühelos und freudig
fasten, und er fastet in vollkommener
Weise, indem er die für das Essen
vorgesehene Zeit abwartet, nur eine
Mahlzeit am Tag zu sich nimmt und dabei
nur erlaubte Speisen. Wer dagegen diese
Tugend nicht besitzt oder im Gegenteil
sogar gierig ist, für den ist es der
Weltuntergang, wenn er fasten muss, und
wenn er doch fastet, dann kann er die
Stunde der Mahlzeit nicht abwarten, und
am Abend will er dann statt der kleinen
Stärkung, wie sie beim Fasten üblich
ist, eine so große Mahlzeit zu sich
nehmen, dass sie am Ende kaum weniger
als ein normales Abendessen darstellt.
S: Wie viele Tugenden gibt es?
-
L: Es gibt zahlreiche Tugenden, doch
die hauptsächlichen, auf die sich
alle anderen zurückführen lassen,
sind sieben an der Zahl: die drei
göttlichen Tugenden, Glaube,
Hoffnung und Liebe139,
und die vier Kardinaltugenden,
Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit
und Mäßigkeit.140 Sieben
an der Zahl sind auch die Gaben des
Heiligen Geistes141 und
die Seligpreisungen aus dem
Evangelium, die uns zu einem
vollkommenen christlichen Leben
anleiten.142 Auch
leibliche Werke der Barmherzigkeit
gibt es sieben143 und
ebenso sieben geistige Werke der
Barmherzigkeit. Von alledem will ich
euch kurz in Kenntnis setzen.
Kapitel XI: Die göttlichen
Tugenden
S: Was ist Glaube?
L: Der Glaube ist die erste göttliche
Tugend. Das sind diejenigen Tugenden,
die Gott zum Ziel haben. Dabei besteht
die besondere Aufgabe des Glaubens
darin, den Verstand zu erleuchten und
ihn dahin zu erheben, all das fest zu
glauben, was Gott uns durch die Kirche
offenbart, auch wenn es etwas
Schwieriges und die natürliche Vernunft
Übersteigendes ist.
S: Aus welchem Grund muss man die
Glaubensgegenstände so fest glauben?
L: Der Grund ist, dass der Glaube sich
auf die unfehlbare Wahrheit, nämlich
Gott, stützt. Denn alles, was der Glaube
uns vorlegt, wurde von Gott geoffenbart,
und Gott ist die Wahrheit selbst. Darum
ist es unmöglich, dass das, was Gott
sagt, falsch ist. Wenn uns der Glaube
darum etwas vorstellt, was gegen die
Vernunft zu sein scheint - so etwa, dass
eine Jungfrau geboren hat - , dann muss
man entschlossen sagen, dass die
menschliche Vernunft schwach ist und
leicht irren kann; Gott aber kann nicht
irren, und er kann uns auch nicht
täuschen.
S: Auf welche Dinge muss sich diese
Tugend des Glaubens unbedingt
erstrecken?
L: Unbedingt muss man alle einzelnen
Artikel des Glaubensbekenntnisses
ausdrücklich glauben, die wir bereits
erklärt haben, und ganz besonders die,
für die es in der heiligen Kirche im
Lauf des Jahres ein eigenes Fest gibt:
die Fleischwerdung des Herrn, die
Geburt, die Passion, die Auferstehung,
die Himmelfahrt, die Herabkunft des
Heiligen Geistes, die allerheiligste
Dreifaltigkeit usw. Darüber hinaus muss
man bereit sein, all das zu glauben, was
uns die heilige Kirche sagt. Und
schließlich muss man sich auch vor allen
äußeren Dingen in acht nehmen, die ein
Zeichen dafür sind, ein Ungläubiger zu
sein. Das wäre etwa der Fall, wenn man
sich wie ein Türke oder ein Jude kleiden
würde, wenn man wie die Irrgläubigen
freitags und samstags Fleisch essen
würde und ähnliches mehr. Es ist also
notwendig, nicht nur im Herzen und mit
dem Mund, sondern auch mit dem äußeren
Verhalten den wahren Glauben zu bekennen144
und deutlich zu zeigen, dass man mit den
Abspaltungen, die der heiligen Kirche
feindlich gegenüberstehen, nichts zu tun
hat.
S: Was ist Hoffnung?
L: Die Hoffnung ist die zweite göttliche
Tugend, denn auch sie hat Gott zum Ziel.
Durch den Glauben glauben wir an Gott,
durch die Hoffnung hoffen wir auf Gott.
S: Was für eine Aufgabe hat die
Hoffnung?
L: Sie soll unseren Willen dazu erheben,
die ewige Seligkeit zu erhoffen. Weil
dies ein so großes Gut ist, dass man es
unmöglich mit menschlichen Kräften
erreichen kann, darum gibt Gott uns
diese übernatürliche Tugend, so dass wir
durch sie darauf vertrauen, dieses große
Gut erlangen zu können.
S: Worauf gründet sich diese Hoffnung,
worauf stützt sie sich?
L: Sie gründet und stützt sich auf die
unendliche Güte und Barmherzigkeit
Gottes, für die wir ganz sichere Beweise
haben. Denn er hat uns doch seinen
eigenen Sohn gegeben, uns durch ihn als
seine Kinder angenommen und uns das
Himmelreich als Erbe versprochen, wenn
wir Werke tun, die dieser Würde
entsprechen, die wir erhalten haben. Und
zugleich hat er uns ja auch die Gnade
und genügend Hilfe gegeben, um solche
Werke zu tun.
S: Was ist Liebe?
L: Das ist die dritte göttliche Tugend,
das heißt, sie hat Gott zum Ziel, denn
mit ihr erhebt sich unsere Seele dazu,
Gott über alles zu lieben, nicht nur als
den Schöpfer und Urheber unserer
natürlichen Güter, sondern außerdem auch
als den Geber der Gnade und der
Herrlichkeit, welche übernatürliche
Güter sind.
S: Ich möchte gern wissen, ob sich die
Liebe auch auf die Geschöpfe erstreckt.
L: Die Liebe erstreckt sich tatsächlich
auf alle Menschen und alle Dinge, die
Gott geschaffen hat, mit dem Unterschied
freilich, dass man Gott um seiner selbst
willen zu lieben hat, da er ein
unendliches Gut ist. Die Liebe erstreckt
sich jedoch auch auf alle anderen Dinge,
die man um Gottes willen lieben muss.
Insbesondere muss man den Nächsten
lieben, der nach dem Bild Gottes
geschaffen ist, so wie wir. Deshalb hat
man unter dem Nächsten nicht nur den
Verwandten oder den Freund zu verstehen,
sondern jeden Menschen, wäre es auch
unser Feind, weil jeder Mensch ein Bild
Gottes ist und als solches geliebt
werden muss.
S: Ist die Liebe eine große Tugend?
L: Sie ist die größte von allen145
und sie ist so groß, dass jeder, der sie
besitzt, das Heil nicht verlieren kann,
wenn er nicht zuvor die Liebe verliert.
Wer sie aber nicht besitzt, kann
keinesfalls gerettet werden, wenn er
auch alle anderen Tugenden und Gaben
Gottes besäße.
Kapitel XII: Die
Kardinaltugenden
S: Was ist Klugheit?
L: Das ist die erste der vier
Kardinaltugenden. Sie tragen diesen
Namen, weil sie die vier Haupttugenden
sind, aus ihnen entspringen
gewissermaßen alle anderen moralischen
und menschlichen Tugenden. Denn die
Klugheit lenkt den Verstand, und die
Gerechtigkeit leitet den Willen, die
Mäßigkeit das Begehren und die
Tapferkeit die Zorneskraft.
S: Worin besteht die Aufgabe der
Klugheit?
L: Sie zeigt bei jeder Handlung das
rechte Ziel, die passenden Mittel und
alle Umstände, d.h. die Zeit, den Ort,
die Art und Weise und ähnliches mehr, so
dass das Werk voll und ganz gut getan
ist. Aus diesem Grund heißt sie auch die
Lehrerin der übrigen Tugenden und ist
das, was das Auge für den Leib, was das
Salz für die Speisen und was die Sonne
für die Welt ist.
S: Was sind die der Klugheit
entgegengesetzten Laster?
L: Die Tugend steht immer in der Mitte
und hat deshalb zwei entgegengesetzte
Laster, welche in den beiden Extremen
liegen. Das eine der Klugheit
entgegenstehende Laster ist die
Unklugheit, d.h. Leichtsinn und
Verwegenheit. Es ist bei Leuten zu
finden, die nicht bedenken, was sie zu
tun haben, und darum nicht das wahre
Ziel anstreben und nicht die richtigen
Mittel anwenden. Das andere Laster ist
die Verschlagenheit oder Klugheit des
Fleisches. Es ist bei denen zu finden,
die mit aller Sorgfalt an das Ziel und
an die Mittel denken, jedoch alles auf
den Erwerb irgendwelcher irdischen Güter
und damit auf den eigenen Nutzen hin
ausrichten. In scharfsinniger Weise
bemühen sie sich, den Nächsten zu
betrügen, um die Angelegenheiten nach
ihrem Sinn ausgehen zu lassen. Doch am
Ende wird man sehen, dass solche Leute
am allerdümmsten gewesen sind, da sie
aus Liebe zu einem verschwindend kleinen
Gut das höchste Gut verloren haben.
S: Was ist Gerechtigkeit und welche
Aufgabe hat sie?
L: Die Gerechtigkeit ist eine Tugend,
die jedem das Seine gibt. So besteht
ihre Aufgabe darin, die Dinge ins
Gleichgewicht zu bringen und das Geben
und Nehmen der Menschen in Gleichheit zu
gestalten, was die Grundlage von Ruhe
und Frieden ist. Denn wenn jeder sich
mit dem Seinen zufrieden gäbe und nicht
etwas, was einem anderen gehört,
begehrte, gäbe es niemals Krieg oder
Streit.
S: Welches sind die der Gerechtigkeit
entgegengesetzten Laster?
L: Es sind zwei. Das eine ist die
Ungerechtigkeit, d.h. wenn jemand sich
aneignet, was einem anderen gehört, oder
bei Verträgen weniger geben will, als er
schuldig ist, oder mehr verlangt, als
ihm zusteht. Das andere ist die
übertriebene Gerechtigkeit, d.h. wenn
jemand zu streng ist und die Dinge noch
genauer ausgleichen will, als es die
Vernunft verlangt. Denn in vielen Fällen
muss man mit der Gerechtigkeit das
Mitleid verbinden. Wenn zum Beispiel ein
Armer nicht alles, was er schuldig ist,
ohne schwersten Nachteil unverzüglich
zahlen kann, dann ist es vernünftig und
gerecht, ihm etwas Zeit zu lassen; sie
ihm dagegen nicht gewähren zu wollen,
wäre zu streng.
S: Was ist Tapferkeit und worin besteht
ihre Aufgabe?
L: Die Tapferkeit ist eine Tugend, die
uns bereit macht, alle Schwierigkeiten
zu überwinden, die uns vom Tun des Guten
abhalten, und sie geht bis dahin, für
die Ehre Gottes oder, um unsere Pflicht
nicht zu verletzen, wenn nötig den Tod
zu erleiden. Und so haben alle Märtyrer
mittels dieser Tugend über ihre
Verfolger den Sieg errungen. In
ähnlicher Weise haben sich alle mutigen
Soldaten, die in den gerechten Kriegen
große Heldentaten vollbracht haben,
mittels dieser Tugend mit Ruhm bedeckt.
S: Welches sind die der Tapferkeit
entgegengesetzten Laster?
L: Es sind die Furcht und die
Waghalsigkeit. Die Furcht bewirkt, dass
jemand sich zu rasch ergibt, was aus
mangelnder Tapferkeit erwächst. Die
Waghalsigkeit bewirkt, dass ein Mensch
sich ohne Notwendigkeit in offenkundige
Gefahren begibt, was sozusagen ein
Übermut ist. Er verdient kein Lob,
sondern Tadel und ist darum keine
Tugend, sondern ein Laster.
S: Was ist Mäßigkeit und worin besteht
ihre Aufgabe?
L: Die Mäßigkeit ist eine Tugend, die
den sinnlichen Genüssen Zügel anlegt und
bewirkt, dass jemand sich dieser Freuden
in dem Maß bedient, wie es die Vernunft
gebietet.
S: Welches sind die der Mäßigkeit
entgegengesetzten Laster?
L: Es sind die Unmäßigkeit und die
Gefühllosigkeit. Unmäßigkeit liegt dann
vor, wenn jemand zu sehr den Genüssen
ergeben ist und es deshalb beim Essen,
Trinken und ähnlichen Dingen übertreibt,
was der Seele und dem Leib schadet.
Gefühllosigkeit liegt dann vor, wenn
jemand ins andere Extrem fällt und alle
Freuden in dem Ausmaß meidet, dass er
zur Gesundheit Notwendiges nicht essen
will, um nicht das Wenige an Genuss zu
empfinden, das eine geeignete Speise
natürlicherweise mit sich bringt. Bei
den Menschen ist das Laster der
Unmäßigkeit allerdings viel verbreiteter
als das der Gefühllosigkeit. Aus diesem
Grund haben uns alle Heiligen mit Wort
und Beispiel zum Fasten und zur Abtötung
des Fleisches ermuntert.
Kapitel XIII:
Die sieben Gaben des Heiligen Geistes
S: Welches sind die Gaben des Heiligen
Geistes?
L: Es sind jene, die uns der Prophet
Isaias gelehrt hat, nämlich Weisheit,
Erkenntnis, Rat, Stärke, Wissenschaft,
Frömmigkeit und Gottesfurcht.
S: Wozu nützen uns diese Gaben?
L: Um zu einem vollkommenen christlichen
Leben zu gelangen. Denn sie sind wie
eine Leiter, die uns vom Zustand des
Sünders über verschiedene Stufen bis zum
Gipfel der Heiligkeit führt. Ihr müsst
jedoch wissen, dass der Prophet diese
Stufen von oben nach unten aufzählte,
denn er sah sie wie eine Leiter, die vom
Himmel ausgeht. Wir dagegen nehmen sie
in umgekehrter Reihenfolge, um
aufzusteigen und von der Erde zum Himmel
zu gelangen. So ist die erste Stufe die
Gottesfurcht, die den Sünder erschreckt,
wenn er bedenkt, dass er den
allmächtigen Gott zum Feind hat. Die
zweite Stufe ist die Frömmigkeit, denn
wer die Strafen fürchtet, die Gott dem
Sünder androht, beginnt fromm zu werden
und wünscht, Gott zu gehorchen und ihm
zu dienen und in allem seinen heiligen
Willen zu tun. Die dritte Stufe ist die
Wissenschaft, denn wer den Willen Gottes
tun will, bittet Gott, dass er ihn seine
heiligen Gebote lehrt. Dann lässt ihn
Gott alles für ihn Notwendige wissen,
teils durch Predigten, teils durch
Bücher und teils durch innere
Eingebungen. Die vierte Stufe ist die
Stärke, denn derjenige, der in allem
Gott dienen will, stößt auf viele
Schwierigkeiten und Versuchungen der
Welt, des Fleisches und des Teufels.
Deshalb gibt ihm Gott dann die Gabe der
Stärke, damit er alle Schwierigkeiten
überwindet. Die fünfte Stufe ist der
Rat, weil der Teufel, wenn er nicht mit
Gewalt zu siegen vermag, es mit List
versucht und sich bemüht, den Gerechten
zu Fall zu bringen, indem er ihm etwas
Gutes vorspiegelt. Doch Gott lässt ihn
nicht im Stich und gibt ihm die Gabe des
Rates, damit er auf die Täuschungen des
Feindes nicht hereinfällt. Die sechste
Stufe ist die Gabe der Erkenntnis, denn
wenn sich jemand im tätigen Leben schon
gut geübt hat und viele Siege über den
Teufel davongetragen hat, dann lenkt und
erhebt Gott ihn zum Leben der Beschauung
und lässt ihn mit der Gabe der
Erkenntnis die göttlichen Geheimnisse
verstehen und durchdringen. Die siebte
Stufe ist die Gabe der Weisheit, worin
die Vollendung der Vollkommenheit
besteht. Denn weise ist der, der die
Erstursache kennt und ihr entsprechend
all seine Taten ordnet. Das gelingt nur
dem, der zur Gabe der Erkenntnis die
vollkommene Liebe hinzufügt. Mit dem
Verstand nämlich erkennt er die
Erstursache und durch die Liebe richtet
er alles auf sie als das letzte Ziel hin
aus. Weil aber die Weisheit mit dem
Verstand das Gefühl verbindet, heißt sie
Weisheit (lat. „sapientia" von „sapere"
= schmecken, verkosten), d.h. köstliche
Erkenntnis, wie uns der hl. Bernhard
lehrt.
Kapitel XIV: Die acht
Seligpreisungen
S: Was sind die acht Seligpreisungen,
die uns unser Herr im Evangelium gelehrt
hat?
L: Sie sind wie eine zweite Leiter, um
zur Vollkommenheit aufzusteigen, ähnlich
der Gaben des Heiligen Geistes. Denn in
sieben Sätzen sind sieben Stufen
enthalten, um zur Seligkeit zu gelangen;
der achte nennt uns dann ein deutliches
Zeichen, an dem man erkennen kann, ob
jemand diese Leiter erstiegen hat oder
nicht.
S: Erklären Sie mir bitte kurz diese
Leiter!
L: Christus, unser Herr, lehrt uns auf
den ersten drei Stufen, die Hindernisse
für die Vollkommenheit und damit für die
Seligkeit beiseitezuräumen. Die
allgemeinen und gewöhnlichen Hindernisse
sind drei: der Wunsch nach Besitz, nach
Ehren und nach Vergnügungen. Deshalb
sagt uns Christus auf der ersten Stufe:
Selig sind die Armen im Geiste, d.h.
diejenigen, die freiwillig auf eigenen
Besitz verzichten. Auf der zweiten Stufe
sagt er: Selig sind die Sanftmütigen,
d.h. diejenigen, die allen nachgeben und
denen keinen Widerstand leisten, die
sich vor sie drängen und sie selbst
zurücksetzen. Auf der dritten Stufe sagt
er: Selig sind die Weinenden, d.h.
diejenigen, die nicht den Vergnügungen
und Freuden der Welt nachlaufen, sondern
sich der Buße widmen und ihre Sünden
beweinen. Auf den folgenden zwei Stufen
lehrt er uns das vollkommene tätige
Leben, das darin besteht, all das zu
erfüllen, was die Gerechtigkeit und die
Liebe fordern. Darum sagt er auf der
vierten Stufe: Selig sind die, die
Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit
haben. Auf der fünften Stufe sagt er:
Selig sind die Barmherzigen. Auf den
letzten beiden Stufen lenkt er uns hin
zum vollkommenen Leben der Beschauung.
Darum sagt er auf der sechsten Stufe:
Selig sind die, die ein reines Herz
haben, denn sie werden Gott schauen. D.
h. sie werden ihn im Jenseits in der
Herrlichkeit schauen, und noch in diesem
Leben werden sie ihn in der gnadenhaften
Beschauung erkennen. Auf der siebten
Stufe sagt er: Selig sind die
Friedfertigen, denn sie werden Söhne
Gottes genannt werden. D.h. selig sind
diejenigen, die der Beschauung die
vollkommene Liebe hinzugefügt haben und
die so alles auf Gott hingeordnet haben
und in deren Seele Frieden herrscht. So
werden sie Söhne Gottes sein, ihrem
Vater ähnlich, heilig und vollkommen. Im
achten Satz ist keine neue Stufe der
Vollkommenheit mehr enthalten, wie der
hl. Augustinus treffend bemerkt146,
sondern hier wird ein deutliches Zeichen
genannt, an dem man erkennen kann, ob
jemand zur Vollkommenheit gelangt ist.
Dieses Zeichen besteht darin, dass
jemand ungerechte Verfolgung
bereitwillig erduldet, denn wie Gold im
Feuer geprüft wird, so wird der Gerechte
und Vollkommene in den Prüfungen
erprobt.
Kapitel XV: Die sieben leiblichen und
die sieben geistlichen Werke der
Barmherzigkeit
S: Nun sind noch die leiblichen und die
geistlichen Werke der Barmherzigkeit
übrig. Bitte erklären Sie sie mir.
L: Leibliche Werke der Barmherzigkeit
gibt es sieben, von denen wir sechs im
heiligen Evangelium haben: den Hungrigen
zu essen geben, den Dürstenden zu
trinken geben, die Nackten bekleiden,
die Pilger beherbergen, die Kranken
besuchen und die Gefangenen trösten.147
Das siebte Werk, nämlich die Toten
begraben, haben uns der heilige Tobias
und der Erzengel Raphael gelehrt.148
Geistliche Werke der Barmherzigkeit gibt
es ebenfalls sieben: die Unwissenden
lehren, den Zweifelnden raten, die
Traurigen trösten, die Irrenden
zurechtweisen, die Beleidigungen
vergeben, die Fehler anderer ertragen
und für die Lebenden und die Toten
beten.
S: Gibt es einen Grund, der uns von der
Pflicht, diese Werke der Barmherzigkeit
zu verrichten, entbindet?
L: Drei Gründe können uns davon
entbinden. Der erste liegt vor, wenn
jemand nicht die Mittel hat, sie zu tun.
So hat der gute Lazarus, der Bettler,
von dem man im Evangelium liest, kein
einziges leibliches Werk der
Barmherzigkeit getan, weil er selbst
fast alle diese Werke nötig hatte, und
so erhielt er stattdessen seinen Lohn
dafür, dass er geduldig war. So hat es
nämlich Gott eingerichtet, dass die
Reichen durch die Barmherzigkeit
gerettet werden und die Armen durch die
Geduld. So ist auch, wer selbst keine
Kenntnisse und keine Klugheit besitzt,
nicht verpflichtet, andere zu lehren
oder ihnen Ratschläge zu geben. Der
zweite Grund liegt vor, wenn jemand Gott
in einem höheren Stand als dem tätigen
Leben dient und aufgrund dieses Standes
keine Gelegenheit hat, viele Werke der
Nächstenliebe zu tun. So sind die
Einsiedler, die sich an einsame Orte
oder in ihre Zellen zurückgezogen haben,
um sich in die Betrachtung der
himmlischen Dinge zu versenken, nicht
dazu verpflichtet, auf diese
gottgefällige Übung zu verzichten, um
loszugehen und jemanden zu suchen, dem
sie ein Werk der Barmherzigkeit erweisen
können. Ein dritter Grund liegt dann
vor, wenn jemand niemanden findet, der
seiner Barmherzigkeit in nennenswerter
Weise bedarf. Wir sind also nur
verpflichtet, denen zu helfen, die sich
selbst nicht helfen können und sonst
niemanden haben, der ihnen helfen kann
und will. Die vollkommene Barmherzigkeit
wartet allerdings nicht, bis sie
verpflichtet ist zu handeln, sondern sie
ist bereit, zu helfen, wo sie nur kann
und so gut sie kann.
S: Mir scheint, dass das letzte Werk der
Barmherzigkeit, nämlich zu Gott für den
Nächsten zu beten, jeder ausüben kann.
L: So ist es. Deshalb verrichten auch
die heiligen Einsiedler Werke der
Barmherzigkeit, denn sie beten zu Gott,
dass er mit seiner Gnade doch allen zu
Hilfe kommen wolle, die ihrer bedürfen.
Kapitel XVI:
Die Laster und die Sünden im allgemeinen
S: Sie haben mich bereits über die
Tugenden und die guten Werke belehrt,
damit ich mich in rechter Weise darum
bemühen kann. Belehren Sie mich nun
bitte auch über das Laster und die
Sünde, damit ich sie meiden kann.
L: Die Sünde ist nichts anderes als eine
absichtliche Handlung oder Unterlassung,
die dem Gesetz Gottes widerspricht.
Dabei müsst ihr bedenken, dass drei
Dinge zusammenkommen müssen, damit etwas
eine Sünde ist: Erstens muss es eine
Handlung oder eine Unterlassung sein,
d.h. dass man etwas Verbotenes tut bzw.
bewirkt oder etwas Gebotenes nicht tut.
So ist z. B. Fluchen eine Handlung und
nicht in die Messe zu gehen eine
Unterlassung. Zweitens muss diese
Handlung oder Unterlassung gegen das
Gesetz Gottes gerichtet sein, denn das
Gesetz Gottes ist die allgemeine Regel
für das richtige Handeln, so wie die
Baukunst die Regel für das richtige
Bauen ist. Wie darum ein Baumeister kein
guter Baumeister ist und nicht richtig
baut, wenn er sich nicht an die Regeln
der Kunst hält, so lebt jemand nicht in
der richtigen Weise und ist kein guter
Mensch, wenn er das Gesetz Gottes nicht
befolgt. Unter dem Gesetz Gottes hat man
aber nicht nur das zu verstehen, das er
selbst gegeben hat, wie die zehn Gebote,
sondern auch das, das er uns durch den
Papst und die anderen geistlichen und
weltlichen Vorgesetzten gibt, denn sie
sind alle Diener Gottes und haben von
ihm ihre Autorität. Drittens muss die
Handlung oder Unterlassung absichtlich
sein. Deshalb ist das, was jemand ohne
Zustimmung des Willens tut, keine Sünde,
wie etwa wenn jemand flucht, während er
schläft oder wenn er noch nicht das
Alter des Vernunftgebrauchs erreicht hat
oder wenn er nicht weiß, dass dieses
Wort ein Fluch ist. In diesem Fall
sündigt die betreffende Person nicht,
weil keine Zustimmung des Willens
vorliegt.
S: Was eine Sünde ist, habe ich
verstanden. Sagen Sie mir jetzt bitte,
was ein Laster ist!
L: Ein Laster ist eine schlechte Neigung
und eine schlechte Gewohnheit zu
sündigen, die durch häufiges Sündigen
erworben wurde und dazu führt, dass
jemand leichter und mit größerer
Frechheit und Lust sündigt. Wir sagen ja
von jemandem, dass er ein Flucher oder
ein Spieler ist, wenn er die Gewohnheit
hat, zu fluchen oder zu spielen. In
diesem Fall ist das Fluchen die Sünde
und ein Flucher zu sein das Laster.
Ebenso verhält es sich auch mit allem
Bösen.
S: Ist die Sünde etwas sehr Schlimmes?
L: Sie ist das Schlimmste, was es
überhaupt gibt; ja sie allein ist
schlechthin böse und missfällt Gott mehr
als alles andere. Das kann man daran
erkennen, dass es Gott nicht kümmert,
die edelsten Dinge zu zerstören und zu
verderben, die er hat, nur um die Sünde
zu strafen. Wenn ein Fürst ein
wunderschönes, ganz wertvolles Gefäß aus
Silber oder Gold hätte, darin aber eine
stinkende Flüssigkeit fände und diese
ein so großes Missfallen bei ihm
erregte, dass er dieses Gefäß zerbrechen
und in die Tiefen des Meeres werfen
ließe, da würdet ihr sicher sagen, dass
dieser Fürst diese Flüssigkeit über alle
Maßen hasst. Nun hat Gott zwei sehr
kostbare Gefäße gemacht, eines aus
Silber, das ist der Mensch, und eines
aus Gold, das ist der Engel. Weil er
aber diese stinkende Flüssigkeit der
Sünde im einen wie im anderen gefunden
hat, hat er all die Engel, die gesündigt
haben, zerschmettert und in die Tiefe
der Hölle geworfen, in die ewige Pein.
Und Tag für Tag wirft er all die
Menschen, die mit der Sünde beladen
sterben, an denselben Ort der
Verdammnis. Einmal ließ er auch aufgrund
der Sünden der Welt die Sintflut kommen
und tötete alle Menschen außer Noah mit
seiner Familie, der gerecht geblieben
war.
S: Wie viele Arten von Sünden gibt es?
L: Es gibt zwei Arten der Sünde. Die
eine heißt Erbsünde und die andere
Tatsünde. Bei der Tatsünde gibt es
wiederum zwei Arten, einerseits die
Todsünde und andererseits die lässliche
Sünde.
Kapitel XVII: Die Erbsünde
S: Was ist die Erbsünde?
L: Die Erbsünde ist diejenige Sünde, mit
der wir geboren wurden und die wir als
Erbe von unserem Stammvater Adam haben.
Dabei müsst ihr wissen, dass Gott, als
er den ersten Mann und die erste Frau
namens Adam und Eva erschuf, ihnen
sieben Gaben verlieh. Erstens gab er
ihnen seine Gnade, durch die sie gerecht
waren, Freunde Gottes und seine
angenommenen Kinder. Zweitens gab er
ihnen eine große Einsicht, damit sie das
Gute tun und das Böse meiden konnten.
Drittens verlieh er ihnen die Gabe, dass
das Fleisch dem Geist gehorcht, so dass
es nicht von unerlaubten,
vernunftwidrigen Begierden angestachelt
wurde. Viertens gab er ihnen eine sehr
große Bereitschaft und Gewandtheit
darin, das Gute zu tun und das Böse zu
meiden, und er gab ihnen lediglich ein
einziges sehr leichtes Gebot. Fünftens
befreite er sie von aller Mühe und
Furcht, weil die Erde von selbst Früchte
hervorbrachte, die für den Menschen zum
Leben ausreichten, und weil es nichts
gab, was dem Menschen hätte schaden
können. Sechstens machte er sie
unsterblich, d. h. dass sie niemals
hätten sterben müssen, wenn sie nicht
gesündigt hätten. Siebtens wollte er sie
dann nach einiger Zeit in den Himmel
versetzen zu einem ewigen Leben voll
Herrlichkeit, so wie es die Engel haben.
Doch betrogen vom Teufel, befolgten der
erste Mann und die erste Frau dieses
Gebot nicht und sündigten so gegen Gott.
Deshalb verloren sie alle diese
genannten sieben Gaben. Weil aber Gott
ihnen diese Gaben nicht nur für sie
selbst, sondern auch für alle ihre
Nachkommen verliehen hatte, deshalb
haben sie diese Gaben für sich selbst
und zugleich für uns alle verloren und
uns an ihrer Sünde und an all ihrem
Elend Anteil gegeben, so wie wir an
ihrer Gnade und an den übrigen Gütern
teilgehabt hätten, wenn sie nicht
gesündigt hätten. Das also ist die
Erbsünde: Feindschaft mit Gott und
Verlust seiner Gnade. Und da wir mit
diesem Mangel geboren werden, so geht
aus ihm die Unwissenheit, die Neigung
zum Bösen, die Schwerfälligkeit im Tun
des Guten und die Leichtigkeit im Tun
des Bösen hervor, die Plage und Mühsal
in der Sorge ums Überleben, die Ängste
und Gefahren, in denen wir uns befinden,
die Gewissheit des Todes des Leibes und
noch dazu der ewige Tod der Seele, wenn
wir nicht vor dem Tod von der Sünde
befreit werden und die Gnade Gottes
wiedererlangen.
S: Welches Mittel haben wir denn gegen
diese Erbsünde?
L: Wir haben vorhin bereits gesagt, dass
das Leiden und der Tod Christi, unseres
Herrn, das Mittel gewesen ist. Denn Gott
hat gewollt, dass derjenige, der für die
Sünde Adams Genugtuung leisten wollte,
ohne Sünde, ja Gott und Mensch wäre,
damit er Gott unendlich wohlgefällig
wäre. Und er sollte nicht in etwas
Leichtem gehorsam sein, wie es von Adam
gefordert war, sondern in etwas überaus
Schwerem wie dem schändlichen Tod am
Kreuz. Wie schon gesagt, wird uns dieses
Mittel durch die heilige Taufe
zugewandt. Gott wollte uns zwar nicht
sofort all jene sieben Gaben
wiedergeben, wohl aber die wichtigste,
nämlich seine Gnade, durch die wir
gerecht sind, Freunde und Kinder Gottes
und Erben des Paradieses. Die anderen
Gaben werden wir dann mit viel Zugewinn
im Jenseits erhalten, wenn wir uns in
diesem Leben auf Erden gut verhalten
haben.
Kapitel XVIII:
Die Todsünde und die lässliche Sünde
S: Erklären Sie mir jetzt bitte, was die
Tatsünde ist und wie sie einmal eine
Todsünde und einmal eine lässliche Sünde
ist!
L: Eine Tatsünde ist eine Sünde, die wir
aus eigenem Willen begehen, nachdem wir
zum Vernunftgebrauch gelangt sind, indem
wir z.B. stehlen, töten, falsch schwören
oder ähnliches tun, was dem Gesetz
Gottes widerspricht. Diese Sünde ist
eine Todsünde, wenn sie den Menschen der
Gnade Gottes beraubt, die das Leben der
Seele ist, und den ewigen Tod in der
Hölle verdient. Eine lässliche Sünde ist
sie, wenn sie Gott zwar missfällt, aber
nicht so sehr, dass sie den Menschen
seiner Gnade beraubt. Sie verdient zwar
ebenfalls Strafe, aber keine ewige.
S: Wie kann ich erkennen, ob eine Sünde
eine Todsünde oder eine lässliche Sünde
ist?
L: Um zu erkennen, ob die Sünde eine
Todsünde ist, muss man zwei Regeln im
Auge behalten. Die eine Regel besteht
darin, dass die Sünde gegen die Gottes-
oder die Nächstenliebe verstößt. Die
zweite, dass sie mit voller Zustimmung
des Willens geschieht. Wenn ihr also
eine dieser zwei Bedingungen fehlt, ist
sie keine Todsünde, sondern eine
lässliche Sünde. Eine Sünde verstößt
dann gegen die Liebe, wenn sie bei einem
schwerwiegenden Tatbestand gegen das
Gesetz gerichtet ist, so dass sie eine
Beleidigung darstellt, die groß genug
ist, um die Freundschaft zu zerstören.
Wenn sie aber bei einem geringfügigen
Tatbestand geschieht und nicht reicht,
um die Freundschaft zu zerstören, dann
ist sie nicht gegen die Liebe, sondern
man spricht davon, dass sie nicht der
Liebe gemäß ist. Ebenso sagt man bei
ersterer, dass sie gegen das Gesetz ist,
weil sie gegen die Liebe ist, die das
Ziel des Gesetzes darstellt. Bei
zweiterer sagt man nicht, dass sie gegen
das Gesetz ist, sondern nur, dass sie
nicht dem Gesetz gemäß ist, weil sie
nicht gegen die Liebe, sondern nur der
Liebe nicht gemäß ist. Führt euch
folgendes Beispiel vor Augen: Eine große
Summe Geld zu stehlen ist eine Todsünde,
weil es gegen das Gesetz Gottes ist,
weil es einen schwerwiegenden Tatbestand
darstellt und weil es, wie jeder weiß,
ausreicht, um eine Freundschaft zu
zerstören. Somit verstößt es gegen die
Liebe. Einen Groschen, eine Stecknadel
oder etwas ähnliches zu stehlen ist
dagegen keine Todsünde, sondern eine
lässliche Sünde, weil es sich um einen
geringfügigen Tatbestand handelt, und
obwohl es nicht der Liebe gemäß ist, ist
es dennoch auch nicht gegen die Liebe,
weil es nichts ist, was normalerweise
ausreicht, um eine Freundschaft zu
zerstören. Ähnliches können wir von der
zweiten Bedingung, der Freiwilligkeit,
sagen. Wenn etwas in einem
schwerwiegenden Tatbestand gegen das
Gesetz gerichtet ist und völlig
freiwillig geschieht, ist es eine
Todsünde. Wenn es dagegen nicht völlig
freiwillig wäre, wie wenn jemand
plötzlich den Gedanken oder Wunsch hätte
zu stehlen, zu morden oder zu fluchen,
sich aber gleich korrigierte, bevor er
mit dem Willen vollkommen zugestimmt
hätte, so wäre es nur eine lässliche
Sünde. Man muss freilich sorgfältig auf
sich acht geben, und sobald man sich
eines schlechten Gedankens oder Wunsches
bewusst ist, muss man ihn verjagen,
bevor der Wille ihm zustimmt.
Kapitel XIX: Die sieben
Hauptsünden
S: Jetzt möchte ich gern wissen, welches
die bedeutendsten Sünden sind, damit ich
sie sorgfältiger meiden kann.
L: Einige Sünden sind bedeutender, weil
sie wie die Quelle und die Wurzel für
viele andere Sünden sind; sie heißen
Hauptsünden und sind sieben an der Zahl.
Andere sind bedeutender, weil sie nur
schwer vergeben werden; sie heißen
Sünden gegen den Heiligen Geist und sind
sechs an der Zahl. Andere schließlich
sind bedeutender, weil sie offenkundiger
ganz ungeheuer sind und ganz und gar
gegen die Vernunft; darum nennt man sie
himmelschreiende Sünden, denn sie
schreien zum Himmel um Rache. Davon gibt
es vier.
S: Welches sind die Hauptsünden?
L: Es sind Hochmut (oder, wie andere
sagen, eitle Ehre), Habgier,
Unkeuschheit, Neid, Völlerei, Zorn und
Trägheit.149
S: Warum heißen sie Hauptsünden?
L: Sie heißen nicht etwa Hauptsünden,
weil sie Todsünden sind. Denn viele
Sünden sind Todsünden, aber keine
Hauptsünden, wie das Fluchen oder der
Mord. Und viele sind Hauptsünden, aber
nicht immer auch Todsünden, wie der
Zorn, die Völlerei und die Trägheit. Sie
heißen stattdessen Hauptsünden, weil sie
Anfang vieler anderer Sünden sind, die
aus ihnen wie frische Triebe aus der
Wurzel und wie Bäche aus der Quelle
hervorgehen.
S: Was ist der Hochmut, welche Sünden
bringt er hervor und welches Gegenmittel
gibt es dafür?
L: Hochmut ist eine Sünde, die darin
besteht, dass jemand denkt, er sei mehr,
als er in Wirklichkeit ist. Deshalb will
er über den anderen stehen und niemanden
über sich und neben sich haben. Die
Sünden, die der Hochmut hervorbringt,
sind Angeberei und eitle
Selbstgefälligkeit, das Streiten mit
anderen, die Zwietracht, der Ungehorsam
und ähnliches. Das Gegenmittel besteht
darin, sich mit großem Eifer um die
heilige Tugend der Demut zu bemühen. Sie
besteht darin zu wissen, dass man von
sich aus nichts ist und dass alles, was
wir haben, eine Gabe Gottes ist, und
darin zu denken, dass die anderen besser
als wir sind, und sich deshalb für
geringer als alle anderen zu halten und
sich innerlich allen unterzuordnen,
äußerlich aber alle entsprechend ihrem
Rang zu ehren. Weiterhin hilft es sehr
zu bedenken, dass der Stolz einen
Menschen dem Teufel ähnlich macht und
dass er Gott über alle Maßen missfällt.
Denn es steht geschrieben, dass Gott den
Stolzen widersteht, den Demütigen
hingegen sich zuneigt; jene macht er
zuschanden, diese hingegen erhöht er.150
S: Was ist Habgier, welche Sünden bringt
sie hervor, und welches Mittel gibt es
gegen sie?
L: Die Habgier ist eine ungeordnete
Anhänglichkeit an materiellen Besitz.
Sie besteht in dreierlei Dingen. Erstens
darin, dass man nach dem Besitz anderer
verlangt und nicht mit dem eigenen
zufrieden ist. Zweitens darin, dass man
mehr haben will, als für einen
ausreichend ist, und das Überflüssige
nicht den Armen geben will, wie man
verpflichtet ist. Drittens darin, dass
man seinen Besitz zu sehr liebt, sei es
auch der eigene und sei er
unentbehrlich. Das erkennt man daran,
dass jemand nicht bereit ist, seinen
Besitz zu verlieren, falls es die Ehre
Gottes verlangt. Darum nennt der heilige
Paulus die Habgier auch eine Art von
Götzendienst151, denn dem
Habgierigen ist sein Besitz wichtiger
als Gott. Sünden, die aus der Habgier
hervorgehen, gibt es viele, so z.B.
Diebstahl, Raub, Betrug beim Kaufen und
beim Verkaufen, Grausamkeit gegenüber
den Armen und dergleichen mehr. Das
Gegenmittel besteht darin, sich in der
Tugend der Freigebigkeit zu üben, indem
man bedenkt, dass wir in diesem
irdischen Leben Pilger sind, die zu Fuß
unterwegs sind, und dass es darum von
großen Nutzen ist, sich nicht mit Besitz
zu beladen, sondern ihn lieber mit den
Reisegefährten zu teilen. Sie tragen ihn
dann für uns in die Heimat. So kommen
wir selbst auf unserer Reise schneller
voran, weil wir weniger zu tragen haben.
S: Und was ist die Unkeuschheit? Welche
Sünden bringt sie hervor, und welches
Gegenmittel gibt es dafür?
L: Die Unkeuschheit ist eine ungeordnete
Neigung zu fleischlichen Genüssen und
Freuden. Sünden, die daraus entstehen,
sind Verblendung, Verwegenheit und
Unbeständigkeit, und darüber hinaus
Ehebruch, Unzucht, unanständige Reden
und alles mögliche andere Schmutzige.
Das Gegenmittel besteht darin, sich in
Fasten und Gebet zu üben und schlechte
Gesellschaft zu fliehen. Dies sind
nämlich die Mittel, um die Keuschheit zu
bewahren. Vor allem darf man nie auf
sich selbst vertrauen, auch nicht auf
die eigene Tugend oder Frömmigkeit,
sondern muss sich von der Gefahr
fernhalten und sorgfältig über seine
Sinne und seine Gedanken wachen. Dabei
soll man sich vor Augen halten, dass ein
Samson, der so stark war, ein Salomo,
der so weise war, und ein David, der so
fromm war, von diesem Laster überlistet
worden sind und in eine große
Verblendung geraten sind, ganz besonders
Salomo, mit dem es soweit kam, dass er
sogar alle Götzenbilder seiner
Nebenfrauen anbetete.
S: Was ist Neid, welche Sünden bringt er
hervor, und worin besteht das
Gegenmittel?
L: Der Neid ist eine Sünde, die darin
besteht, dass einem Menschen das Gute,
was die anderen haben, missfällt. Er
meint nämlich, dass dadurch seine eigene
Größe angetastet wird. Insofern müsst
ihr folgendes beachten. Wenn euch
missfällt, dass ein anderer etwas Gutes
hat, weil er es nicht verdient oder weil
er schlecht damit umgeht, dann ist das
keine Sünde. Ebenso ist es, wenn euch
missfällt, dass ihr etwas Gutes noch
nicht habt, was andere bereits besitzen,
vor allem die Tugend, die Frömmigkeit
und ähnliches. Auch das ist keine Sünde,
ja man nennt das sogar einen heiligen
und lobenswerten Neid. Wenn euch aber
missfällt, dass ein anderer etwas Gutes
hat, weil ihr denkt, dass er euch
dadurch in den Schatten stellt, und ihr
nicht wollt, dass er dieses Gute hat,
damit er euch nicht gleichgestellt wird
oder euch gar übertrifft, dann ist das
eine Sünde des Neides. Der Neid bringt
viele Sünden hervor, wie ungerechtes
Urteil über andere, Freude darüber, wenn
anderen Böses widerfährt, üble Nachrede
und Verleumdung. Denn der Neidische ist
bestrebt, den guten Ruf des Nächsten zu
beeinträchtigen. Schließlich führt der
Neid auch bisweilen zum Mord. So hat ja
Kain seinen Bruder aus Neid getötet, und
die Juden haben aus Neid den Tod des
Herrn herbeigeführt. Das Gegenmittel
besteht darin, sich in der Nächstenliebe
zu üben und fortwährend daran zu denken,
dass der Neid dem Neidischen selbst mehr
schadet als dem Beneideten, weil der
Neidische sich quält und innerlich
verzehrt. Und oft kommt es vor, dass
Gott gerade dadurch den Beneideten
erhöht, wodurch ihn der Neidische
herabsetzen wollte. So hat der Teufel
aus Neid den Menschen um das irdische
Paradies gebracht, und Gott hat dies zum
Anlass genommen, um Christus auf die
Erde zu senden und uns das himmlische
Paradies zu schenken. Der Patriarch
Josef wurde von seinen Brüdern aus Neid
verkauft, und Gott hat dies zum Anlass
genommen, alles so zu fügen, dass Josef
der Herr seiner Brüder wurde. Der König
Saul verfolgte David aus Neid, und Gott
ließ Saul das Königtum verlieren und gab
es David.
S: Was ist Völlerei? Welche Sünden
entstehen aus ihr, und was für ein
Mittel gibt es dagegen?
L: Völlerei ist ein ungeordnetes
Begehren danach, zu essen und zu
trinken. Diese Ungeordnetheit zeigt sich
darin, dass man mehr isst, als man
verträgt, dass man sich um teure,
auserlesene Speisen bemüht, dass man
verbotene Speisen zu haben wünscht, wie
z.B. Fleischspeisen am Freitag, dass man
die Essenszeit nicht abwarten kann,
besonders an Fasttagen, und schließlich
darin, dass man das Essen zu gierig
hinunterschlingt und sich den Bauch
vollschlägt. Die Sünden, die aus der
Völlerei entstehen, sind Trübung des
Geistes, alberne Ausgelassenheit und
Geschwätzigkeit. Sehr häufig entsteht
aus Völlerei Unkeuschheit mit allen
Sünden, die sie im Gefolge hat. Das
Gegenmittel besteht darin, dass man sich
mit großem Eifer um Mäßigkeit und
Enthaltsamkeit bemüht, denn sie nützen
sowohl der Seele als auch dem Leib. Von
besonderem Nutzen ist es zu bedenken,
dass eine solche Gaumenfreude nur eine
kleinen Augenblick dauert, aber oft lang
andauernde Magenschmerzen, Kopfschmerzen
und dergleichen hinterlässt.
S: Was ist Zorn? Welche Sünden
entspringen aus ihm, und welches Mittel
gegen den Zorn gibt es?
L: Der Zorn ist ein ungeordnetes
Verlangen danach, sich zu rächen. Dabei
müsst ihr aber wissen, dass ein
gemäßigter und geordneter Zorn gut ist.
Daher heißt es im Psalm: Zürnt, aber
sündigt nicht.152 Der heilige
Basilius sagt, dass der Zorn wie ein
Hund ist: Er ist brav, wenn er Feinde
anbellt, aber nicht, wenn er auch
Freunde verletzt.153 Ein
ungeordneter Zorn zeigt sich in
dreierlei. Erstens darin, dass man an
jemandem Rache üben will, der keine
Strafe verdient hat und einen gar nicht
beleidigt hat. Zweitens darin, dass man
sich auf eigene Faust rächen will. Das
Recht, an den Übeltätern Rache zu nehmen
und sie zu strafen, steht nämlich allein
der Obrigkeit zu, d.h. dem Fürsten bzw.
den örtlichen Justizbehörden. Und weil
Gott der oberste Herrscher über alle
ist, darum sagt er, dass es vor allem
seine Sache ist, Rache zu nehmen.154
Drittens zeigt sich der ungeordnete Zorn
darin, dass man Rache üben will aus
Hass, nicht aus Eifer für die
Gerechtigkeit, und darin, dass man dabei
in Art und Weise und anderem das rechte
Maß überschreitet. Sünden, die aus dem
ungeordneten Zorn hervorgehen, sind
Streitereien, verletzende Worte,
Misshandlungen sowie ungebührliches
Verhalten, als ob man den Verstand
verloren hätte. Der ungeordnete Zorn
ähnelt nämlich dem Wahnsinn. Das
Gegenmittel besteht darin, sich in den
Tugenden der Sanftmut und der Geduld zu
üben und sich dabei das Beispiel, das
uns die Heiligen und Christus selbst
gegeben haben, vor Augen zu halten.
Indem sie alles geduldig ertragen und
gelitten haben, haben sie schließlich
viel großartiger triumphiert als die
weltlich gesinnten Menschen, denen es
gelingt, sich an ihren Feinden zu
rächen.
S: Was ist Trägheit? Welche Sünden
bringt sie hervor, und was für ein
Gegenmittel gibt es?
L: Trägheit (lateinisch „acedia", ein
Wort, das ursprünglich aus dem
Griechischen stammt) bedeutet hier
Überdruss, Widerwillen, Unlust. Die
betreffende Hauptsünde liegt dann vor,
wenn es einen anwidert, das Gute zu tun,
und es einem lästig ist und man es satt
hat, sich den Geboten Gottes zu
unterwerfen und auf dem Weg der Tugend
voranzuschreiten. Sünden, die daraus
hervorgehen, sind die Missachtung der
Gebote, sich den Lastern überlassen,
daran verzweifeln, dass man überhaupt
Gutes tun kann, Hass und heimlicher
Groll gegen diejenigen, die einen
drängen, die Sünde aufzugeben und wieder
den rechten Weg einzuschlagen. Das
Mittel gegen die Trägheit besteht darin,
niemals müßig zu sein, geeignete Bücher
zu lesen und sich den reichen Lohn vor
Augen zu halten, den Gott denen
verspricht, die seine Gebote
gewissenhaft befolgen, sowie die ewige,
unerträgliche Strafe, die die
Nachlässigen erwartet.
Kapitel XX: Die
Sünden gegen den Heiligen Geist
S: Wieviele Sünden gegen den Heiligen
Geist gibt es und welche sind es?
L: Es sind sechs: Verzweiflung am Heil,
Anmaßung, ohne Verdienste gerettet zu
werden, Bekämpfung der erkannten
Wahrheit, Neid auf die Gnade anderer,
Verstockung in den Sünden und
Unbußfertigkeit bis zuletzt.
S: Warum heißen sie Sünden gegen den
Heiligen Geist?
L: Weil sie aus reiner Bosheit begangen
werden, am meisten die dritte, die noch
eigentlicher als alle anderen eine Sünde
gegen den Heiligen Geist ist, nämlich
wenn jemand die Wahrheit kennt und
trotzdem hartnäckig widerspricht und
beweisen will, dass sie unwahr ist. Die
Sünde aus Bosheit wird eine Sünde gegen
den Heiligen Geist genannt, weil dem
Heiligen Geist die Güte als etwas ihm
besonders Eigenes zuerkannt wird, die
der Bosheit entgegengesetzt ist. Ebenso
nennt man die Sünde aus Unwissenheit
eine Sünde gegen den Sohn, dem die
Weisheit zuerkannt wird und die Sünde
aus Schwäche eine Sünde gegen den Vater,
dem die Macht zuerkannt wird.
S: Was ist das Besondere an diesen
Sünden?
L: Das Besondere daran ist, dass sie
weder in dieser Welt noch im Jenseits
vergeben werden, wie uns der Herr im
Evangelium mahnt.155 Das ist
allerdings so zu verstehen, dass es
schwer ist, dafür Vergebung zu erlangen.
Es ist nämlich sehr schwierig und kommt
nur sehr selten vor, dass diejenigen,
die in diese Sünden fallen, zu
wirklicher Buße gelangen. Es ist ähnlich
wie wenn wir sagen, dass eine Krankheit
unheilbar ist. Wir wollen damit ja nicht
sagen, dass es absolut unmöglich ist,
sie zu heilen, sondern nur, dass man
davon nur sehr selten wieder gesund
wird, normalerweise überhaupt nicht.
Kapitel XXI: Die
himmelschreienden Sünden
S: Wieviele himmelschreiende Sünden gibt
es und welche sind es?
L: Es sind vier: vorsätzliche Tötung156,
widernatürliche fleischliche Sünde157,
Unterdrückung der Armen, besonders der
Waisen und Witwen158, und dem
Arbeiter den Lohn vorzuenthalten159.
S: Warum heißen sie „himmelschreiend"?
L: Weil die Ungerechtigkeit dieser
Sünden so offensichtlich ist, dass man
sie weder zudecken noch sonst in
irgendeiner Weise verbergen kann.
Kapitel XXII: Die vier letzten
Dinge
S: Nennen Sie mir bitte ein umfassendes
Hilfsmittel, um die Sünde fliehen zu
können.
L: Der Weise sagt: Denke an die letzten
Dinge, und du wirst niemals sündigen.160
Vier letzte Dinge gibt es: Tod,
Allgemeines Gericht, Hölle und Paradies.
S: Warum heißen diese vier Dinge „die
letzten"?
L: Weil der Tod das Ende des Lebens ist
und das letzte, was uns in dieser Welt
unvermeidlich zustoßen wird. Das
Endgericht ist das letzte von allen
Gerichten, die je erfolgen werden;
deshalb gibt es dagegen dann keinerlei
Berufung mehr. Die Hölle ist das letzte
Übel, das die Übeltäter bekommen werden,
und in diesem Zustand müssen sie für
immer bleiben, ohne ihn je ändern zu
können. Das Paradies ist das letzte Gut,
das die Guten bekommen werden, und sie
werden es nie mehr verlieren.
S: Ich hätte von Ihnen gern einige
Anregungen, wie ich über diese letzten
Dinge nachdenken kann, denn wenn ich
mich oft an sie erinnere, werde ich nie
mehr sündigen, wie der von Ihnen
zitierte Weise sagt.
L: Was den Tod angeht, könnt ihr diese
vier Punkte bedenken: Erstens, dass der
Tod unweigerlich jeden treffen wird und
niemand ihm entfliehen kann. Zweitens,
dass sein Zeitpunkt ungewiss ist und
viele dann sterben, wenn sie am
wenigsten daran denken. Drittens, dass
es im Tod mit allen Plänen dieses Lebens
aus ist und man dann die Nichtigkeit
dieser Welt erkennen wird. Viertens,
dass jeder angesichts des Todes das
Böse, das er getan hat, bereut und
ebenso das Gute, das er nicht getan hat,
und es deshalb eine große Torheit ist,
etwas zu tun, was wir einmal bereuen
werden.
Was das Gericht angeht, könnt ihr diese
vier Punkte betrachten: Erstens, dass es
bei diesem Gericht um etwas
außerordentlich wichtiges gehen wird,
nämlich um das größte Gut oder das
größte Übel. Zweitens, dass es vom
obersten Richter gehalten wird, der
alles weiß und dem gegenüber sich
niemand verteidigen kann. Drittens, dass
es vor den Augen der ganzen Welt
geschehen wird und niemand sich
verstecken kann. Viertens wird es
keinerlei Hoffnung geben, dem
Urteilsspruch oder der Vollstreckung des
Urteils durch die göttliche
Gerechtigkeit zu entgehen.
Was die Hölle angeht, so bedenkt, dass
sie breit, lang, hoch und tief ist:
breit, weil sie alle nur denkbaren
Strafen enthält; lang, weil diese
Strafen ewig sind; hoch, weil sie alle
in höchstem Grad schmerzlich sind; tief,
weil sie reine Strafen sind ohne
jegliche Beimischung von Trost. Was das
Paradies angeht, so bedenkt, dass es
ebenfalls breit ist, weil es alle nur
denkbaren Güter enthält, noch mehr als
die, die wir uns ausdenken oder ersehnen
können; dass es lang ist, weil alle
diese Güter ewig sind; dass es hoch ist,
weil es die höchsten und edelsten Güter
sind; dass es tief ist, weil es reine
Güter ohne jegliche Beimischung von Übel
sind. Hier könnt ihr noch anfügen, dass
die Güter des irdischen Lebens keine
dieser vier Eigenschaften besitzen, denn
sie sind gering an der Zahl, kurz, klein
und allzeit mit Sorgen und Ängsten
vermischt. Ebenso sind die Übel dieser
Welt gering an der Zahl, kurz, klein und
allzeit vermischt mit irgendeinem Trost.
Daraus könnt ihr schließen, dass all
jene wirklich den Verstand verloren
haben, die aus Liebe zu den Gütern
dieses irdischen Lebens und aus Furcht
vor den gegenwärtigen Bedrängnissen die
zukünftigen Güter verlieren und in die
zukünftigen Übel stürzen.
Fußnoten bis Kapitel XXII
Fußnoten 1 bis 160
Allgemeine Anmerkungen zu den
Quellen des „Großen Katechismus"
Erläuterung des Apostolischen
Glaubensbekenntnisses
Aktuelle
Fortsetzung
Auslegung des Vater unser
|